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Kuhls Kosmos -  Thor Kunkel

Kuhls Kosmos (eBook)

Die digitale Werkausgabe - Band 2

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
160 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-572-6 (ISBN)
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Silvester 1979. Als der neunzehnjährige Kuhl in einem alpinweißen Dodge Challenger R/T vorfährt und eine feudale Villa in Nassau (Bahamas) anmietet, ahnt niemand, dass er ein in Frankfurt gesuchter, aus dem Stadtteil »Kamerun« stammender Raubmörder ist. Sein bisheriges Leben beschreibt er als ein mieses, billig produziertes B-Movie, doch wie lange wird die Beute reichen, wenn man Mitglied im teuersten Golfclub wird, sich unter greise Millionäre mischt und mit Pornofilmproduzenten verkehrt? Kuhl beschließt, das Ende seines biologischen Films umzuschreiben und ihm auf einer Disco-Party einen galaktischen Showdown zu verpassen ... Kuhls Kosmos ist eine Verlierergeschichte mit absehbarem Ausgang und doch ohne die bekannten Klischees. Spannende und amüsante Episoden schildern Kuhls Werdegang. Wilde Schelmenstücke mit Rentnern, mörderische Nachtwächter, scheinbar schlaue Coups und Waffengeschäfte mit amerikanischen GIs. Amüsante Diskussionen auf dem Arbeitsamt, die eines Felix Krull würdig wären, und Filmpläne mit einem alten Pornoproduzenten, der einer Vorliebe für sehr junge Mädchen mit leuchtenden Hautunreinheiten frönt.

Thor Kunkel, *1963 in Frankfurt/Main, zählt zu den modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Sein Debüt Das Schwarzlicht-Terrarium gewann 1999 den Ernst-Willner-Preis (23. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb). Die FAS zählte den Roman am 17.3.2002 zum Kanon der »25 wirkungsvollsten Bücher der letzten 20 Jahre«. Kunkel studierte bildende Kunst bei dem Popkünstler Thomas Bayrle und arbeitet seit 1985 als kreativer Kopf im Bereich Werbung und Film. Wohnorte, an denen seine Schreibtische standen: London, San Francisco, Amsterdam, El Paso, Frankfurt/Main, Berlin und Hamburg. Der Bestsellerautor lebt heute in der Schweiz.

Thor Kunkel, *1963 in Frankfurt/Main, zählt zu den modernen deutschsprachigen Schriftstellern. Sein Debüt Das Schwarzlicht-Terrarium gewann 1999 den Ernst-Willner-Preis (23. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb). Die FAS zählte den Roman am 17.3.2002 zum Kanon der »25 wirkungsvollsten Bücher der letzten 20 Jahre«. Kunkel studierte bildende Kunst bei dem Popkünstler Thomas Bayrle und arbeitet seit 1985 als kreativer Kopf im Bereich Werbung und Film. Wohnorte, an denen seine Schreibtische standen: London, San Francisco, Amsterdam, El Paso, Frankfurt/Main, Berlin und Hamburg. Der Bestsellerautor lebt heute in der Schweiz.

»Kuhls Kosmos ist eine brillante Melange: selbstreflektiert, juvenil und actionreich. Kurz: ein wunderbares Stück Literatur zwischen Wahnsinn und ›Pulp Fiction‹-Kino.«

»Thor Kunkel schafft es, zwischen Gallus-Viertel und Hauptwache ein völlig fremdes Universum zu inszenieren, das durch seine Überdrehtheit nicht weniger realistisch ist als eine gnadenlos reduzierte Black Community in einem Mosley-Roman. Liebevoll lokalkolorierte Detailtreue (vom überholenden Mercedes aus Offenbach bis zum Autoinnenraumbeflocker bei Opel) wechselt mit visionärer Disco-Space-Atmosphäre. Das alles ist durch brillante Dialoge verbunden, die eine mir bisher unbekannte Erzählqualität haben. Dennoch verliert sich Kuhls Kosmos nicht in den Details, sondern behält eine zwar kaum bemerkbare aber gut tragende Romanstruktur bei. Ich kann nicht anders als es im Jock-Jargon auszudrücken: Kunkel rulez. Den Feminismus muss frau allerdings ab der Titelseite für 333 Seiten an der Garderobe abgeben, sonst kommt sie nicht am Türsteher vorbei.«

»Kuhls Kosmos in seiner Version von 2008 ist ein brutaler Killerkosmos. Kuhl ist bewaffnet, und Kuhl schießt. Es ist dem Autor etwas der Humor seines Erstlings verlorengegangen. Obwohl einige Dialoge, wie das seitenlange Ablehnen von Jobangeboten ›aus ethischen Gründen‹ auf dem Arbeitsamt, immer noch sensationell komisch sind. Es ist jetzt alles direkter, schmutziger. Die Lebenserklärungen der Kameruner sind irgendwie auch etwas einfacher: ›Öl, Scheiße und Lügen schwimmen nur deshalb immer oben, weil sie coole Schwimmwesten haben: Angst, Neid und Gier. Nenn es die unverbrüchlichen Gebote der Welt.‹ Und trugen die Kapitel damals noch Motti wie das Cioran-Wort: ›Das Leben! Kombination von Chemie und Bestürzung …‹, so sind die jetzigen etwas schmuckloser so: ›Wir machen keine Lieder für die Ewigkeit. – Boney M.‹«

ZUM VORLÄUFIGEN STAND DER ERMITTLUNGEN


Ich fragte einen Armen, wie es ihm gehe; er antwortete:

Wie einem Stück Seife, ich werde immer weniger.

Jonathan Swift

An einem farblosen Januartag des Jahres Neunzehnhundertachtzig, zu einem Zeitpunkt, als die Gründer des legendären Studios 54 in New York vor Gericht standen, abwechselnd Volksreden hielten, den Senat beschimpften und die Würde des Präsidenten mit Füßen traten, an diesem Tag wurde Mario Rio Bravo auf dem Griesheimer Friedhof, nicht weit von seinem ehemaligen Arbeitsplatz, einer Chemiefabrik in Mainufernähe, beerdigt. Auch Sonny und Ilse zählten zu der überschaubaren Trauergemeinde. Ilse hatte Klein-Harry, ihren Sohn, bei »Muttern geparkt«, er war ohnehin seit Tagen am Zahnen und hätte nur die Zeremonie gestört. Ein Pfarrer fabulierte von unergründlichen Wegen des Herrn und der Auferstehung im schönsten Kleide.

Sonny konnte sich kaum mehr das Lachen verkneifen, so bizarr empfand er das Katholengeschwafel. Ein Pharmastricher hat die Kurve gekratzt, dachte Sonny. Was war daran unergründlich? Er reckte seinen Hals um zuzusehen, wie sie den Fichtenholzsarg abseilten, doch irgendeine Schulter raubte ihm in letzter Sekunde die Sicht, dabei war er auf seinen höchsten Kloben – den alten Gary-Glitter-Tretern – erschienen!

Ilse schluchzte vor sich hin oder hickste, was auch gepasst hätte, denn sie hatte auf dem Hinweg zum Leichenbegängnis getrunken. Verlaufene Wimperntusche zog sich beidseitig der Nase wie eine Rußspur zum Kinn. Ilses stoßweiser, nach Martini riechender Atem war deutlich zu sehen und Sonny spürte die Wärme in ihrem Körper. Unter dem Mini trug sie schwarze, schillernde Strümpfe. Je länger der Pfarrer sabbelte, umso öfter dachte Sonny daran, sie nach Ende der Vorstellung hinter einem Grabstein im Stehen zu nehmen. Mit dem Tod konfrontiert, hatte er immer eine unerklärliche Geilheit empfunden, als wolle er den grimmen Schnitter verhöhnen.

»Wie lange noch?«, fragte er Rios Mutter, die zufällig neben ihm stand.

»Er ist doch schon weg«, antwortete sie. Ihre Augen nahmen einen trüben, glasigen Ausdruck an, als ob es in ihr dämmere. »Mein Junge ist im Himmel bei unserem Herrn Jesus Christus.«

»Ach so.« Sonny hatte endlich einen freien Blick auf die Grube. Die Kiste war bereits verschwunden, ein Sargträger scharrte genervt mit dem Fuß.

»Glauben Sie das eigentlich wirklich?«, hakte Sonny nach. »Ich meine, vielleicht gibt es da oben ja gar nichts. Kann doch sein. Den lieben Gott ham se auf’m Mond nicht getroffen.«

»Gott wohnt nicht auf dem Mond«, sagte die Mutter, »sondern im Himmel. Bringt man den jungen Leuten denn gar nichts mehr bei?«

Sonny bleckte die Zähne, doch verbiss sich jeden weiteren Kommentar.

Als die Totengräber ihr Handwerk begannen, saß er bereits in Ilses auf Hochglanz poliertem Wagen, den sie im Wendehammer für Begräbniskutschen abgestellt hatte.

»Dumme Schnalle«, Sonny versuchte, den ewig verdrehten Gurt aufzudröseln, »da sieht man’s mal wieder, alles, was ein Loch hat, ist kaputt!«

Ilse runzelte die Stirn, sehr lange sogar, doch dann drehte sie den Zündschlüssel und parkte mit der ihr angeborenen Ruppigkeit aus. Trotz des kinetischen Schubs fühlte sie sich in diesem Moment alt und verbraucht. Eine alleinerziehende, frisch geschiedene Mutter mit einem schlecht gehenden Fitness-Studio am Hals, das war sie rein statistisch gesehen. Auch die Bank saß bisweilen im Nacken, denn in den letzten Monaten hatte sie die Raten für die Hypothek kaum mehr aufbringen können. Sonny hatte sie dagegen gerne am Hals. Obwohl sie ihn ebenso wenig liebte wie ihren Lincoln Continental, so wäre es ihr doch schwergefallen, auf ihn zu verzichten. Als Mann verkörperte er den kleinen Unterschied unter dem Vergrößerungsglas. Selbst wenn sich Liebe nicht in Maßeinheiten ausdrücken ließ, noch gab es keinen Ersatz für Kubikzentimeter, eine Weisheit, die sie einem Muscle-Car-Magazin ihres Exmannes verdankte. Wenn sie ehrlich war, und das war sie nur selten, hatte ihre Ehe nur deshalb Schiffbruch erlitten.

Langsam fuhren sie an der Friedhofsmauer entlang. Vor dem Portal lungerten noch ein paar bräsig wirkende Trauergäste herum, eine etwas größere Menschentraube hatte sich dagegen um einen halb auf dem Gehweg geparkten Laster der US-Army versammelt. Gerade kletterte ein junger, ganz in Weiß gekleideter Schwarzer aus der Kabine, einen riesigen, mit goldenen Bändern geschmückten Trauerkranz in den Händen. Der Typ sah aus, als ginge er zu einem Mafia-Begräbnis.

»Sieh mal, da drüben ist Eddie«, entfuhr es Sonny.

»Und er ist wieder zu spät«, sagte Ilse. »Was meinst du, soll ich anhalten?«

»Aber, baby«, rief Sonny, »ich habe einen Schlussstrich gezogen, hast du das vergessen? Kein erwachsener Mann würde sich mit einem Typen wie Eddie abgeben.«

Die Nasen stur nach vorn gerichtet, rollten sie einfach vorbei.

»Er winkt uns nach, siehst du das?« Ilse warf einen schnellen Blick in den Seitenspiegel des Wagens.

»Kannst du mir eins verraten? Warum muss er sich selbst zu diesem Anlass wie ein Zuhälter kleiden?«

»Das ist sein ghetto style«, kommentierte Sonny, »so sind die nigger halt drauf. Die Kugel, die Rio erwischt hat, trägt er jetzt um den Hals.«

»So?«, schnaubte Ilse. »Dann ist er noch bescheuerter, als ich dachte.«

»He, baby, sag, was du willst, aber es stimmt: Das Miststück von einem Bleiklumpen steckte in einem speaker. Der alte Stompie hat es erst bei den Aufräumarbeiten entdeckt. Meinte neulich, das Knacken, das er um Mitternacht gehört hatte, hätte wohl doch natürliche Ursachen gehabt. Ich meine, er war kurz davor, einen Exorzisten zu rufen. Doch dann hat er die Kugel aus dem M-16-Gewehr gefunden und alles war wieder paletti. Superlow, wenn du mich fragst.«

»Was ist daran superlow?«, fragte Ilse, die Sonnys Disco-Slang insgeheim hasste. »Und woher will Eddie wissen, dass es die Kugel war? In der Zeitung stand, ein G.I. hätte wild um sich geschossen.

Eddie ist ein Hornochse, und wenn du ihm glaubst, dann bist du ein noch größeres Rindvieh!«

»Lass uns mal sachlich bleiben.« Sonny spürte ein Unwetter aufziehen und rückte vorsichtshalber so weit es ging von ihr ab. »Buddha Schmidt hat die Flugbahn der Kugel rekonstruiert.«

»Wie? Doch nicht etwa der große Buddha Schmidt, Saufaus und letzter Baccara-Fan der Nation?«

»Logen, genau der.« Sonny machte eine hilflose Geste.

»Außerdem gibt es noch einen verdammt merkwürdigen Zufall: Die Seite der Box, in der die Kugel steckte, war ja über und über mit Platten beklebt. Und jetzt rate mal, welches Cover die Kugel erwischt hat!«

Ilse zuckte die Achseln.

»›Born to be alive‹«, sagte Sonny. »Die gute Maxi aus Glitzervinyl! Kein Witz. Es waren noch Blutspritzer drauf.«

»Das will nichts heißen.«

»Aber, baby, es war Rios Lieblingsplatte!« Sonny hielt einen Moment inne, denn die Plattenhülle, die Patrick Hernandez vor einem krude gepinselten Seestück zeigte, hatte ihn immer an verdorbene Meeresfrüchte oder Salmonellen erinnert.

»Das ist doch kein Zufall.«

»Rio war zu gut für diese Welt«, seufzte Ilse.

»Da täuschst du dich aber.« Sonny schüttelte entschieden den Kopf. »Rio war creepy, er und sein bester Freund Kuhl, dieses abartige Aas. In der Schule nannten wir sie immer die Gestörten vom Block. Sie waren nicht normal, verstehst du?«

»Hör schon auf.« Ilse begann, linkisch ihre Augen zu wischen. »Rio war schon in Ordnung.«

»In Ordnung?« Sonny zog sein Lid nach unten, so dass sie das Weiße vom Augapfel sehen konnte.

»Kuhl hatte vielleicht einen Schatten, aber Rio hatte einen, der konnte sogar reden. Behauptete er jedenfalls. Eines Abends ist mir Rio auf der Camberger Brücke begegnet, direkt am Schotterpark, wo sie die neuen Gleise verlegen. Es war schon spät und über dem Bahnhof hing dichter Nebel.

Ich hörte auf einmal Schritte und, na ja, da kam er mir entgegen. Das heißt, eigentlich hatte ich gar keine Schritte gehört, sondern Zähneklappern, von weit her schon. ›He, Mann‹, hab ich gesagt, ›wie geht’s‹? Du weißt ja, wie freundlich ich bin. Aber er hat einfach durch mich hindurchgestarrt. War wohl auf trip oder so und...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2023
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1979 • 70er-Jahre-Renaissance • Authentische Underground-Literatur • Black Musik • Coming-of-age-story • Das Schwarzlicht-Terrarium • deejays • Disco-Musik • Disco-Party • Felix Krull • Frankfurt • Frankfurt Hauptwache • Gallus-Viertel • Kuhl • Nassau (Bahamas) • Neo-Pulp • Pulp Fiction • Stadtteil »Kamerun« • Verlierergeschichte
ISBN-10 3-95890-572-2 / 3958905722
ISBN-13 978-3-95890-572-6 / 9783958905726
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