Dorian Hunter 118 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-4412-6 (ISBN)
Sarwapalli Pareshi gab keinen Laut mehr von sich, obwohl er furchtbare Qualen litt. Als er zwei Minuten später auf dem Boden liegen blieb, hatte er keinen heilen Knochen mehr im Leib, und eine große Blutlache bildete sich um ihn.
Die Japaner drängten und schlängelten sich vor und knipsten und filmten wie die Teufel. Eine solche Sensation hatten sie auf ihrer ganze Indienrundreise noch nicht erlebt.
Die Menschen, die um den toten Guru herumstanden, wichen zurück. Sie machten sich auf etwas aufmerksam. Mit dem Blut des Gurus stand von unsichtbarer Hand ein Wort auf die Steinfliesen geschrieben.
Chakra, die Abkürzung von Chakravartin.
Über den Tisch des Hermes Trismegistos hat Dorian einen Hinweis auf das Wirken der Janusköpfe in Indien erhalten, doch da er gemeinsam mit Coco Olivaros Spur nach Irland gefolgt ist, brechen Donald Chapman und Unga nach Indien auf - und geraten in eine Falle der besessenen Diener des Chakravartin!
1. Kapitel
Mönche gab es in Indien viele. Ihr Auftreten wäre nichts Besonderes gewesen. Aber der alte Guru war kein anderer als der berühmte Sarwapalli Pareshi, dem man übernatürliche Kräfte nachsagte. Er hatte verkünden lassen, dass er beim Kailasanath-Tempel seine Religion verkünden wollte – die neue Lehre. Es wurden Demonstrationen von Sarwapalli Pareshis Fähigkeiten erwartet. Dennoch waren nicht so viele Zuschauer erschienen, wie man hätte erwarten sollen. Sarwapalli Pareshi hatte keinen bestimmten Termin für seinen Auftritt genannt. Er war einfach an diesem Morgen gekommen.
Viele von den Leuten, die sich auf dem Tempelvorplatz drängten, waren zufällige Besucher. Auch Touristen befanden sich darunter. Besonders fiel eine Gruppe von Japanern auf, die fortwährend alles knipste und filmte. Alle hatten gemerkt, dass sich etwas Besonderes anbahnte.
Sarwapalli Pareshi ließ sich Zeit. Erst als die Sonne genau im Zenit stand, begann er zu sprechen. Er sprach Hindi, aber der Dialekt der Leute aus dem Vindjagebirge klang deutlich durch. Die Inder unter den Zuschauern hörten es. Die meisten Touristen ließen sich die Worte des Gurus vom Führer ihrer Reisegruppe übersetzen.
»Ich verkünde euch das baldige Kommen eines göttlichen Wesens!«, rief Sarwapalli Pareshi. »Padmasambhawa Bodhisattwa, der aus dem Lotos Geborene, wird seine geweihten Füße auf diese Erde setzen und jenes Zeitalter einleiten, von dem schon die ältesten Veden sprechen. Glaubt an Padma, und die Zeit eurer Wiedergeburten und Prüfungen wird sich dem Ende zuneigen! Glaubt an Padma, und ihr werdet stark sein und unüberwindlich!«
Ein paar Japaner fotografierten den Guru. Er beachtete es nicht.
»Meine Sadhus werden euch nun die Kraft zeigen, die ihnen der Glaube an Padma, den Erhabenen, gegeben hat«, fuhr der Guru fort. »Wenn ihr glaubt und meine Lehren befolgt, werdet auch ihr dieser Kraft teilhaftig sein.«
Auf ein Zeichen des Gurus hin entkleideten sich die Wanderprediger bis auf knappe Lendenschurze. Sie waren alle hagere, asketische Männer. Ihre Augen leuchteten. Sie öffneten eine Kiste und holten Messer, lange Nadeln, Seile und Eisenketten hervor.
»Padma!«, intonierte der Guru, und sie fielen ein. »Padma, Padma, Padma! Padmasambhawa Bodhisattwa, der Erhabene, der Erleuchtete, der Bringer des Lichts, das Juwel aus der Lotusblume!«
Die Inder unter den Zuschauern unterhielten sich leise, aber ungeniert. Sie beeindruckte das nicht sehr. In Indien gab es eine Menge Religionen, Lehren und Sekten.
Zwei Sadhus begannen nun, sich mit Dolchen und Nadeln zu durchbohren. Mit dem Ausdruck größter Ruhe stießen sie sich die spitzen und scharfen Werkzeuge in den Körper. Sie durchbohrten Brust und Leib, ohne dass ein Tropfen Blut floss.
Die Zuschauer staunten und murmelten. Ein Sadhu wurde von zwei Glaubensbrüdern mit steif ausgestrecktem Körper in der Waagerechten gehalten. Sie traten zurück. Ein Aufschrei ging durch die Reihen der Zuschauer. Die weiter hinten Stehenden reckten sich, um besser sehen zu können, oder drängten sich vor.
Der Wandermönch schwebte einen Meter über dem Boden. Die beiden andern Sadhus häuften nun schwere Steine auf seinen Körper. Dennoch fiel er nicht herab. Im Gegenteil, er stieg über die Köpfe der Zuschauer zehn Meter in die Luft hinauf.
Vor den Tempelfiguren des Kailasanath-Tempels schwebte der Sadhu, die Augen geschlossen, die Hände vor der Brust gefaltet. Die Japaner knipsten wie toll, und auch die anderen Touristen standen ihnen nicht nach.
»Das ist die Kraft des Padma«, sagte Guru Sarwapalli Pareshi. »Gepriesen sei Padma!« Er klatschte in die Hände.
Die beiden letzten Sadhus stellten sich nebeneinander. Sie schauten zu der großen, monolithenähnlichen Säule vor den Tempelgebäuden. Unwillkürlich folgten die Zuschauer ihrem Blick.
Sie sahen, wie der tonnenschwere oberste Teil der Säule sich löste und über den Köpfen der beiden Sadhus schwebte. Jetzt wichen die Zuschauer zurück, und viele verneigten sich und hoben die Hände.
Was hier gezeigt wurde, ging über das Maß dessen hinaus, was die Yogis und Fakire zustande brachten.
»Padma ist eine mächtige und erhabene Gottheit«, sagten viele unter den Zuschauern. »Guru Pareshi soll uns mehr von ihm und seiner Lehre erzählen, damit auch wir zum Heil gelangen können.«
»Das alles bewirkt Padma«, sagte der Guru. »Es gibt keinen Größeren als ihn. Nun will ich euch mehr von dem Erhabenen erzählen.«
Der Guru wurde unterbrochen. Ein teuflisches, dämonisches Gelächter gellte über die Menge hinweg. Es schien aus dem Innern des Tempels zu kommen und zugleich auch aus der Luft und aus dem Erdboden.
Die Zuschauermenge überlief es kalt.
Der Guru erstarrte.
»Padma ist ein Wurm!«, rief eine Stimme, die jeder verstand, gleich, welche Sprache er redete. »Chakravartin, der Weltbeherrscher, der das Universum in Bewegung hält, tritt Padma in den Staub, in den er gehört. Fürchtet Chakravartin und wendet euch ihm zu, sonst wird er euch vernichten, wie er die Diener des elenden Padma vernichtet!«
Die Stimme brach jäh ab, und dann ging alles ganz schnell. Die tonnenschwere behauene Gesteinsmasse stürzte herab und zerschmetterte die beiden Sadhus, deren geistige Kräfte sie bewegt hatten. Der Mann, der zehn Meter hoch in der Luft schwebte, stürzte mit einem Schrei herunter und schlug auf den Steinplatten auf. Die beiden Wandermönche, die sich mit Messern und Nadeln durchbohrt hatten, begannen vor Schmerz zu brüllen. Blut schoss aus ihren Wunden.
Der Guru rang die Hände.
»Padma!«, schrie er. »Warum lässt du das zu? Warum hast du uns verlassen?«
Die Zuschauer schrien entsetzt durcheinander. Noch rührte keiner eine Hand, um den beiden schwer verletzten, von Dolchen und langen Nadeln durchbohrten Sadhus zu helfen.
»Padma!«, rief der Guru verzweifelt.
Dann ging etwas Grauenvolles mit ihm vor. Er begann grotesk zu zucken. Seine Arme und Beine wirbelten durch die Luft, sodass sie aus den Gelenken gerissen wurden. Sarwapalli Pareshi hüpfte auf und nieder. Sein Körper schlug auf dem Boden auf und federte wieder hoch wie ein Gummiball. Sein gelbes Gewand färbte sich rot.
Sarwapalli Pareshi gab keinen Laut mehr von sich, obwohl er furchtbare Qualen litt. Als er zwei Minuten später auf dem Boden liegen blieb, hatte er keinen heilen Knochen mehr im Leib, und eine große Blutlache bildete sich um ihn.
Da löste sich der Bann bei den Zuschauern, und sie rannten herbei, um zu helfen, wo es nichts mehr zu helfen gab.
Die Japaner drängten und schlängelten sich vor und knipsten und filmten wie die Teufel. Eine solche Sensation hatten sie auf ihrer ganze Indienrundreise noch nicht erlebt.
Die Menschen, die um den toten Guru herumstanden, wichen zurück. Sie machten sich auf etwas aufmerksam.
Mit dem Blut des Gurus war von unsichtbarer Hand ein Wort auf die Steinfliesen geschrieben: Chakra, die Abkürzung von Chakravartin.
Der zwei Meter große Hüne mit dem markanten Gesicht und dem schwarzen Haar verließ als Erster die Lockheed Super Constellation. Er musste sich im Flugsteig bücken, um nicht mit dem Kopf anzustoßen. Als Handgepäck trug er eine Reisetasche.
Zunächst ging er durch die Passkontrolle, die er anstandslos passieren konnte. Bei der Gepäckausgabe wartete er geduldig in der Menge der anderen Flugpassagiere, bis die Gepäckstücke auf dem Band der Transportanlage erschienen. Er ergriff seinen abgewetzten Reisekoffer; einen Gepäckkarren verschmähte der hünenhafte Mann, obwohl der Koffer sehr schwer war und eine Menge Zusatzgebühr gekostet hatte. Doch der schwarzhaarige Hüne trug ihn, als wäre er nur eine leere Pappschachtel.
Federnd wie ein Boxer ging er durch die große Halle zur Zollabfertigung. Er kam als einer der Ersten an die Reihe. Für ihn interessierten sich die indischen Zollbeamten besonders.
»Do you speak englisch?«
Der Hüne nickte.
»Your name, please, Sir?«
»Unga Triihaer.«
»Nationality?«
»I am an Icelander.« Unga hatte gelernt, sich in der Welt der Gegenwart zu bewegen, seit ihn eine von Dorian Hunter und Jeff Parker geführte Expedition von der Teufelsinsel geholt hatte. Er war ein echter Cro Magnon, achttausend Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung geboren. Inzwischen sprach er fließend Englisch und noch ein paar andere moderne Sprachen. Die moderne Technik fürchtete er keineswegs.
»Was führt Sie in unser Land, Mr. Triihaer?«, fragte ein Zollbeamter, offenbar der Leiter dieses Dezernats.
»Ich bin Forscher und will mir Indiens Tempel ansehen und die Folklore studieren.«
»Das ist zweifellos sehr interessant. Öffnen Sie bitte Ihren Koffer und das Handgepäck!«
Unga wusste nicht, weshalb sie ausgerechnet ihn ausgesucht hatten. Vielleicht, weil er aus der Menge hervorstach. Westliche Geschäftsreisende, meistens Engländer, gut gekleidete Inder und indische Frauen in Saris mit Kastenzeichen auf der Stirn...
Erscheint lt. Verlag | 7.3.2023 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-4412-6 / 3751744126 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4412-6 / 9783751744126 |
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