Die Könige der Elben (eBook)
500 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-7020-3 (ISBN)
Dunkle Wolken hingen in jener Nacht über Aratania, der großen Rhagar-Stadt an der Küste des Zwischenländischen Meeres. Es regnete in Strömen, und ein scharfer Wind blies aus Nordwesten und trieb stetig neue Wolken heran. Wie wabernde dunkle Schatten hingen sie über der Stadt mit ihren verwinkelten Gassen und dem befestigten Palast des Herrschers im Zentrum. Dieser Palast glich einer Trutzburg, deren Mauern alles übertrafen, was die Baukunst der Rhagar bisher hervorgebracht hatte. Um sie errichten zu können, hatte Herzog Krakoon I. einst das gesamte Stadtzentrum niederreißen lassen. Nach fünfzig Jahren Bauzeit hatte sein Sohn Krakoon II. schließlich dort seine Residenz nehmen können. Er war es auch, der für die Herzöge von Aratan künftig den Königstitel beanspruchte.
In Demut vor König Keandir von Elbiana hatten sich die Rhagar-Herrscher von Aratan einst »Herzog« genannt, so wie die Regenten der von Elben bewohnten Nachbarländer Elbara und Nuranien. Aber die Zeiten, da man die Elben als Götter betrachtete, da die Rhagar ihnen nacheiferten und sogar den hellen Klang ihrer Namen nachahmten, waren nur noch Legende, und so war die Krönung von Krakoon II. zum ersten aratanischen König nur folgerrichtig gewesen.
Der Mann, der in dieser Nacht sein Pferd zwischen den bis zu vier Stockwerken hohen Häuserfronten entlanglenkte, trug den Mantel eng um die Schultern. Das Wasser troff von der typischen tellerförmigen Lederkappe eines Söldners aus Norien. Erst vor wenigen Jahrzehnten hatte sich die südwestlich an Aratan angrenzende Rhagar-Provinz Norien für unabhängig erklärt und stand seitdem nicht mehr unter der Herrschaft des aratanischen Königs.
Trotzdem vertrauten die Herrscher Aratans im Hinblick auf ihre persönliche Sicherheit nach wie vor eher einer Garde von Noriern als ihren eigenen Landsleuten, was durchaus seinen Grund hatte: Zahlreiche Volksaufstände und Adelsrevolten hatten die Könige Aratans gelehrt, dass man sich besser auf die Söldner aus dem Süden verlassen konnte, deren Loyalität einem sicher war, solange sie ihren Sold bekamen – bis ihnen jemand eine höhere Summe bot. Und um Letzteres zu verhindern, hatten die Könige von Aratan alle Mittel in den Händen, konnten sie doch nach Belieben Gesetze erlassen, die in ihrer Konsequenz dafür sorgten, dass der aratanische Adel zu arm blieb, um sich der Dienste der Norischen Garde versichern zu können.
Der Norier zügelte sein Pferd und ließ den Blick schweifen. Bei Todessstrafe war es einem Aratanier verboten, die Lederkappe eines norischen Gardisten zu tragen. Die Spitze eines schmalen Langschwerts ragte unter dem Mantel hervor, geschmiedet aus norischem Stahl. Schon früh hatten die Rhagar aus Norien versucht, ihren Stahl so hart und geschmeidig wie Elbenstahl zu machen, und die Form der norischen Schwerter kopierte die elegante Form jener Waffen, wie sie traditionellerweise von den Elben benutzt wurden. Auch wenn sie weit davon entfernt waren, deren Perfektion zu erreichen, so waren ihre Schwerter doch sowohl von der Form als auch vom Material her besser, härter und leichter zu handhaben als jede andere von Rhagar-Schmieden geschaffene Waffe.
Einen Monat Urlaub vom Dienst in der Königlichen Garde hatte dieser Norier hinter sich. Ein Urlaub, der ihm aus besonderem Anlass gewährt worden war, hatte ihn in die norische Heimat geführt, um am Begräbnis seines Vaters teilnehmen zu können. Seit Generationen dienten die Vorfahren des Noriers den Herrschern von Aratan, schon in jener Zeit, als sich die Herrscher Aratans noch »Herzöge« genannt hatten und dem Eisenfürst Comrrm auf dessen Eroberungszug gegen die Elben gefolgt waren. Nach seiner aktiven Dienstzeit war sein Vater in die Heimat zurückgekehrt, wo er sich mit seiner Abfindung als Gardist in der Nähe der Küstenstadt Nor niederließ, die der ganzen Provinz ihren Namen gegeben hatte. Den Hof hatte der jüngere Bruder des Noriers geerbt, während ihm selbst etwas hinterlassen worden war, über dessen Besitz er inzwischen schon gar nicht mehr besonders glücklich war.
Der Norier griff unter seinen Mantel. Erneut ließ er den Blick schweifen. Dunkelheit herrschte in den zahllosen Türnischen. Aus manchen Häusern drangen Stimmen. Musik ertönte aus Tavernen. Eines der Fenster fiel ihm auf. Es war offen – während überall dort, wo es Fensterläden gab, diese aufgrund der Witterung verschlossen waren.
Eine Bewegung in der Dunkelheit warnte ihn.
In den Jahren als Gardist hatte er einen untrüglichen Instinkt für Gefahr entwickelt. Er duckte sich, obgleich dazu kein fassbarer Anlas bestand. Etwas schnellte durch die Luft.
Ein Pfeil jagte dicht über ihn hinweg. Ein zweiter Pfeil schoss durch die Luft.
Sein Pferd stellte sich wiehernd auf die Hinterbeine. Der Norier riss einen mit Dornen aus norischem Stahl bestückten Wurfring unter dem Mantel hervor und schleuderte ihn dorthin, wo er den Schatten gesehen hatte.
Ein röchelnder Laut drang durch die Nacht, der nichts anderes als ein unterdrückter Todesschrei war.
Ein menschlicher Körper fiel aus dem Fenster und landete schwer auf dem gepflasterten Boden.
Der Norier brachte sein Pferd wieder unter Kontrolle. Er ließ es vorwärts preschen. Die Bewegung in einer der Türnischen bemerkte er nur aus den Augenwinkeln heraus und viel zu spät.
Die Schlinge eines Wurfseils legte sich von hinten um seine Schultern und zog sich zusammen. Ein heftiger Ruck holte ihn aus dem Sattel. Das Pferd preschte voran. Der klackernde Schlag der beschlagenen Hufe hallte zwischen den Häuserfronten wider.
Hart landete der Norier auf dem Boden.
Aus einem halben Dutzend Nischen drangen schattenhafte Gestalten hervor. Im Halbdunkel sah der am Boden liegende Norier die Klinge einer Streitaxt auf sich niedersausen.
Er wich zur Seite. Die Ausbildung der Norischen Garde war besser als die aller anderen Rhagar-Soldaten. Der Norier brauchte in diesen Augenblicken nicht zu überlegen, er folgte einfach den antrainierten Bewegungsabläufen. Dicht neben ihm schlug die Klinge der Axt klirrend auf die Pflastersteine. Funken sprühten.
Der Norier zog nicht sein in dieser Situation unhandliches Langschwert, sondern eine Waffe, die man den »Norischen Stachel« nannte. Sie glich einem Rapier, das als Stichwaffe eingesetzt wurde, aber das erste Drittel vom Griff aus war breiter und verfügte über eine rasiermesserscharfe Schneide, die bestens geeignet war, um Gegnern die Kehle durchzuschneiden.
Der Norier stieß die Waffe seinem Gegner bis zum Heft in den Leib. Dieser sackte röchelnd in sich zusammen – eine kleine Gestalt, die kaum größer als ein halbwüchsiges norisches Kind war, dabei aber so breitschultrig wie ein Mann. Sie trug eine Kapuze, deren Schatten verhinderte, dass man ihr Gesicht sehen konnte.
Die Schlinge um des Noriers Schultern zog sich enger, rutschte nach oben und legte sich Augenblicke später um seinen Hals. Jemand zog mit aller Kraft an dem Seil.
Der Norier hatte seine Waffe sofort wieder aus dem Körper des Gegners gezogen. Das Blut troff von der Klinge. Blut, das einer zählflüssigen, klebrigen Masse glich, was den Gardisten stutzig machte. Aber es blieb ihm kaum einen Augenaufschlag lang Zeit, darüber nachzudenken.
Der Gedanke tötet, lautete ein Ausbildungsaxiom der Norischen Garde. Im Kampf musste man schneller handeln, als sich der Gedanke bilden konnte, wollte man überleben. Und so tat der Norier das, was man ihm, von frühester Jugend an beigebracht hatte: Er verließ sich auf das Gedächtnis seines Körpers, nicht auf seinen Verstand.
Die Schlinge raubte ihm für einen kurzen Moment den Atem. Ein scharfer Ruck drohte ihm das Genick zu brechen, aber mit einer gleichermaßen elegant und kraftvoll ausgeführten Bewegung durchschnitt er mit dem Norischen Stachel das Seil. Er war frei, rollte sich über den Boden, sodass ihn ein Pfeil knapp verfehlte. Dann schleuderte er den Norischen Stachel in Richtung des Bogenschützen, der von ähnlich gedrungener Statur war wie der Axtkämpfer, den er getötet hatte.
Der Bogenschütze hatte bereits einen weiteren Pfeil eingelegt. Der Norische Stachel traf ihn im Oberkörper. Zitternd blieb die Waffe in seinem Leib stecken. Der Angreifer ließ den Bogen sinken und brach zusammen.
Der Norier rappelte sich auf und griff zum Langschwert. Gleichzeitig schüttelte er den Mantel von den Schultern, in den bereits die Axtklinge des ersten Angreifers einen langen Riss geschnitten hatte. Der Mantel behinderte ihn nur und durchnässt war der Norier ohnehin bis auf die Haut.
Fünf Gegner traten ihm entgegen. Sie alle waren von jener gedrungenen Gestalt, wie sie eigentlich für die Gnome aus dem benachbarten, aber sehr unzugänglichen Gebirgsland charakteristisch war, dessen elbischer Name »Hocherde« auch unter den Rhagar noch immer gebräuchlich war.
Die Angreifer hielten Schwerter und Streitäxte, einer auch eine Schleuder. Diesen griff der Norier zuerst an.
Sein Gegner legte ein mit Widerhaken versehenes metallisches Geschoss in die Schleuder. Der Norier wich zur Seite, war aber nicht schnell genug. Das Geschoss erwischte ihn an der...
Erscheint lt. Verlag | 28.1.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7389-7020-7 / 3738970207 |
ISBN-13 | 978-3-7389-7020-3 / 9783738970203 |
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