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Tödlicher Schlaf (eBook)

Hamburg 1907: Carl-Jakob Melcher ermittelt
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
368 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3190-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tödlicher Schlaf - Christoph Elbern
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Gefährliche Experimente.

Hamburg, 1907. Im Hafenkrankenhaus begegnet der Bakteriologe Carl-Jakob Melcher einem Schulfreund. Ludolf Harberg ist sehr angeschlagen durch die Schlafkrankheit. In seinen wachen Momenten erzählt er von seinen Erlebnissen in Ostafrika - von den Experimenten, die der Mediziner Robert Koch angeblich an Einheimischen unternommen hat. Bevor er Genaueres erzählen kann, stirbt Harberg. Für die Ärzte eine Folge seiner Krankheit, doch Carl-Jakob glaubt an Mord und beginnt zu ermitteln, ohne zu ahnen, dass es nicht der einzige Todesfall in seiner Nähe bleiben wird und dass auch er in Verdacht gerät ... 

Spannend und voller überraschender Wendungen - Carl-Jakob Melcher, Mediziner am Hamburger Tropeninstitut, muss einen verdeckten Mord aufklären.



Christoph Elbern, Jahrgang 1960, hat Germanistik und Anglistik studiert und lange als Journalist gearbeitet. Er war unter anderem Chefredakteur bei »Prinz« und »TV Movie«. Seit 2010 leitet er eine Agentur für Unternehmenskommunikation in Kassel. Unter Pseudonym hat er bereits zahlreiche Kriminalromane veröffentlicht. Er lebt in Hamburg. Bei Rütten & Loening erschien bisher: »Hafenmörder - Carl-Jakob Melcher ermittelt«.

Kapitel 2


Drei Monate zuvor

Die zuckerweiße Villa der Familie Knudsen an der Westseite der Alster in Hamburg-Harvestehude war eigentlich ein ruhiger Ort. Meine Tante, die Reederwitwe Isolde Knudsen, hatte sich nach dem Tod meines Onkels Wilhelm drei Jahre zuvor zwar nur eine kurze Trauerzeit auferlegt und schnell wieder zu sich und ins Leben gefunden, doch es gab nur noch selten Gesellschaften im Haus und wenn, dann waren es Abendessen oder Literaturzirkel, die sehr betulich abliefen.

Tante Isolde, die sich in ihrem fünfundfünfzigsten Jahr noch bester Gesundheit und Vitalität erfreute, kündigte in regelmäßigen Abständen an, dass sie das schlossähnliche Gebäude mit seinen knapp dreißig Zimmern nun endlich verkaufen werde. Für sich allein brauche sie ja nicht so viel Platz. Bei der Ankündigung war es bisher geblieben. So ganz allein lebte die Tante ja auch nicht in der Villa Knudsen. Da war noch Pauline, das neunzehnjährige Dienstmädchen, das seit einem Jahr das Haus und seine Herrin versorgte. Ein pausbäckiges, rothaariges Bauernmädchen aus Ostfriesland, das mir etwas zu laut und der Tante etwas zu vorlaut war. Aber weil Pauline eine fleißige und fröhliche Deern war, konnten wir damit leben. Köchin Maria stammte aus Italien und gehörte seit Urzeiten zum Inventar der Villa ebenso wie der Fahrer und Kutscher Johannes, der seit über zwanzig Jahren hier seinen Dienst tat. Johannes stammte aus Afrika, genauer aus dem sogenannten Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika. Der große, kräftige Schwarze hatte sich mit der Unterstützung meines Onkels eine beeindruckende Bildung angeeignet, die weit über Lesen, Schreiben und Rechnen hinausging. Wie alt Johannes war, wusste er selbst nicht genau. Ende dreißig, schätzte er. Das Geburtsdatum in seinem Pass, der ihn als Bürger des Deutschen Reiches auswies, hatte sich Onkel Wilhelm ausgedacht, als er ihm das für einen Afrikaner so wertvolle Dokument vor langer Zeit besorgt hatte.

Johannes fuhr den Mercedes-Benz Simplex, ein Automobil, das Onkel Wilhelm noch angeschafft hatte und das die Tante wegen seines Komforts und seiner Wirkung auf die Umgebung liebte und wegen seines Lärms und Gestanks hasste. Wie die Villa stand auch das Automobil auf der Liste der Dinge, die die Tante eigentlich nicht brauchte und bald verkaufen wollte. Fast genauso gerne, wie die Tante im Kraftwagen fuhr, ließ sie sich von Johannes im gepflegten Landauer kutschieren, der von den Pferden Brünhilde und Siegfried gezogen wurde.

Seit einiger Zeit war Johannes im Hause auch als eine Art Butler tätig, vor allem, wenn Gäste kamen. Es war beeindruckend, wie er zwischen Pferdestall, Automobilwerkstatt und Salon nicht nur rasch die Kleidung wechseln konnte, sondern auch seinen ganzen Habitus. War er bei den Pferden noch derbe und fluchte laut, so konnte er sich zwischen den feinen Gästen der Tante vornehm bewegen und eloquent auf Fragen antworten. Und davon gab es viele. Wer Johannes zum ersten Mal sah, wollte in ihm alle Vorurteile über den vermeintlich primitiven Menschentyp aus Afrika bestätigt wissen, und es war immer wieder eine Freude, zu sehen, wie der kluge und charmante Mann alle düpierte. Daran hatte auch Tante Isolde ihre Freude, die Johannes über alle Maßen schätzte und fast wie ein Familienmitglied ansah.

Johannes kam irgendwie auch nicht los von der Familie Knudsen. Es stand ihm frei, zu gehen und anderswo sein Glück zu versuchen. Er könnte jederzeit wiederkommen. Das hatte ihm mein Onkel zu Lebzeiten stets zugesichert, und meine Tante hielt es ebenso. Doch er blieb. Gelegentlich traf er sich mit anderen Dienstboten zum Schach oder zum Klönschnack, wie er, ganz Hamburger, sagte. Aber da wurde ihm dann häufig zu viel getrunken. Johannes selbst trank keinen Tropfen. Er hatte mir einmal erzählt, dass er als Kind in seiner Heimatstadt Lüderitzbucht mit Freunden im Hafen eine Flasche Aquavit gestohlen hatte, welche sie auch sogleich leerten. So schlecht, wie es den Jungen anschließend ging, sollte es Johannes nie wieder gehen, hatte er sich geschworen und war seitdem abstinent geblieben.

Tante Isolde hätte Johannes auch gerne zu einer Frau verholfen, doch war die Auswahl an schwarzen Frauen in Hamburg gering, und eine Verbindung mit einer weißen Frau konnte sich die Tante, vermutlich allerdings auch Johannes, nicht vorstellen.

Und schließlich lebte noch ich in der Villa Knudsen: Carl-Jakob Melcher, bald dreißig Jahre alt, von Beruf Bakteriologe mit frischem Doktortitel. Ich beschäftigte mich am Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten bei Dr. Bernhard Nocht mit ansteckenden Krankheiten aller Art.

Wilhelm Knudsen, ein Bruder meiner Mutter, und seine Frau Isolde hatten mich vor zehn Jahren, nach dem Tod meiner Eltern, bei sich aufgenommen und mir eine Zukunft ermöglicht. Nur so konnte ich das Gymnasium beenden, in Greifswald studieren und den Beruf ergreifen, der mich ausfüllt. Seit ich vor drei Jahren meine Stelle in Hamburg angetreten hatte, logierte ich bei der Familie Knudsen, und mein schlechtes Gewissen darüber, dass ich die Gastfreundschaft der Tante weidlich ausnutze, wuchs.

Ebenso wie die Tante schon länger in ein kleineres Domizil umziehen wollte, so hatte auch ich vor, eine Wohnung zu suchen und einen Hausstand zu gründen. Für einen Mann meines Alters war es höchste Zeit. In den vergangenen Jahren fehlte mir jedoch zu diesem konventionellen Lebensrezept die eine wichtige Zutat: eine Frau an meiner Seite.

Mit Margot hatte ich diese Frau inzwischen womöglich gefunden. Seit einem halben Jahr traf ich mich mit der Kinderärztin. Sie war schön, klug und fröhlich. Was wollte ich mehr? Ich hatte Margot im allgemeinen Krankenhaus in Eppendorf kennengelernt, wo wir einige Wochen lang Fälle von Masern bei Kindern untersuchten. Wir fanden uns gleich sympathisch.

Händchenhalten, ein paar Küsse, manchmal schon recht leidenschaftlich. Wir gingen noch recht schüchtern miteinander um. Noch zögerte ich, den nächsten Schritt zu gehen, da es beim letzten Mal, als ich mich verliebt und große Pläne gemacht hatte, gründlich schiefgegangen war. Doch das ist eine andere Geschichte.

Tante Isolde mochte Margot, war bei ihren seltenen Besuchen höflich und respektvoll zu ihr. Aber sie machte mir gegenüber auch keinen Hehl daraus, dass sie eine studierte Frau, die einen anspruchsvollen Beruf ausübte und weiterhin ausüben wollte, nicht als geeignete Ehefrau und Mutter ansah. Das überraschte mich nicht und sollte mich nicht beeinflussen. Ich liebte Tante Isolde, doch sie war einfach noch nicht im zwanzigsten Jahrhundert angekommen.

Ich betonte eingangs, dass es normalerweise sehr ruhig im Hause Knudsen zuging. Das tat ich deshalb, weil es an einem stürmischen und viel zu kalten Maitag des Jahres 1907 schlagartig vorbei war mit der Ruhe am Harvestehuder Weg. An diesem Tag wurde kurz vor Einbruch der Dämmerung Agatha Rosenberg durchs Portal geweht. Man muss es so sagen, denn der Auftritt der jungen Frau glich eher einem bedrohlichen Wetterphänomen als einer normalen Ankunft. Hinter Agatha stolperte Johannes ins Haus, den man kaum erkennen konnte, da er einen Turm von Taschen und Koffern vor sich her balancierte, der jeden Moment zu kippen drohte. Wie sich herausstellte, war das nur ein Teil von Agathas Habseligkeiten. Weitere Stücke lagen noch im Automobil und wiederum weitere in einer Droschke, die gerade auf den Hof fuhr.

In der Halle stürmte Agatha auf Tante Isolde zu. Ein schwarzer Wirbelwind: großer schwarzer Hut mit schwarzen Federn, darunter hüpften schwarze Locken hervor, ein schwarzer Wollmantel, unter dem ein schwarzer Rock mit reichlich Spitze nicht ganz bis auf den Boden reichte, so dass man die hochhackigen schwarzen Schnürstiefel darunter gut sehen konnte.

»Tante Isolde«, rief sie aus und umarmte die Hausherrin. »Was freue ich mich, dich zu sehen.« Die vertrauliche Anrede überraschte mich. Agatha war nicht mit Tante Isolde verwandt. Sie war die Tochter einer sehr guten Freundin der Tante. Agathas Vater, der Bankier Moses Rosenberg, mit dem Onkel Wilhelm auch geschäftlich verbunden gewesen war, hatte vor zehn Jahren ein Investmentbüro an der Themse eröffnet und war mit seiner Frau und der damals siebzehnjährigen Agatha und ihrem älteren Bruder ins Vereinigte Königreich gezogen. Wie Tante Isolde mir berichtete, konnte Rosenberg sein ohnehin schon erhebliches Vermögen auf diesem...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Bakteriologe • Hafenmörder • Hamburg • Klaas Kroon • Kolonialismus • Krimi • Medizin • Medizingeschichte • medizinisch • Medizinthriller • Ostafrika • Robert Koch • Schlafkrankheit • Thriller • Tropeninstitut • Wissenschaft • zweiter Fall
ISBN-10 3-8412-3190-X / 384123190X
ISBN-13 978-3-8412-3190-1 / 9783841231901
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