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Die Architektin (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
416 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-27775-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Architektin -  Till Raether
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»Männer, Geld und Häuser kann man nie genug haben.«: Eine Frau führt die Männerwelt der Siebzigerjahre ad absurdum, indem sie deren Regeln auf den Kopf stellt und für sich nutzt.
West-Berlin in den frühen Siebzigerjahren. Inmitten der klammen, grauen, von Männern geprägten Stimmung der Zeit zieht eine Baulöwin ihre Kreise. Als glamouröse Person der High-Society nutzt sie ihre Verbindungen in die hohen Kreise der Politik, um gewaltige Bauvorhaben durchzuboxen. Doch dann kommt ihr Otto in die Quere, gerade neunzehn Jahre alt, Praktikant einer Vorort-Zeitung, der ein wenig blauäugig von seltsamen Vorkommnissen auf der Großbaustelle berichtet und damit ins Visier der Architektin gerät. Otto wird jede Hilfe brauchen, die er finden kann, um sich ihrem Bann zu entziehen.

Till Raether, geboren 1969 in Koblenz, aufgewachsen in Berlin, arbeitet als Autor und freier Journalist in Hamburg, unter anderem für »Brigitte Woman«, »Merian« und das »SZ-Magazin«. Er studierte Amerikanistik und Geschichte in Berlin und New Orleans und war stellvertretender Chefredakteur von »Brigitte«. Seine Kriminalromane über den hochsensiblen Kommissar Adam Danowski wurden von der Kritik gefeiert und mehrfach für Preise nominiert. Till Raether ist verheiratet und hat zwei Kinder.

1 2 3 4 …


Mit Befriedigung hörte Walter Ladius, wie der Einfahrtkies unter den breiten Reifen seines neuen Mercedes-Coupés knirschte, 250 CE. Hinter ihm schloss sich das automatische Gartentor der Architektin.

Zwischen hohen, geraden Grünpflanzen, die er als Stadtmensch nicht identifizieren konnte, machte die Einfahrt eine sanfte Kurve. Der Kies knirschte weiter. Das Geräusch war Ladius immer der Inbegriff der Angekommenheit gewesen, ganz besonders in dieser letzten Sekunde vorm Aussteigen und dann, wenn man in die Stille nach dem Türöffnen den Fuß auf den Kies setzte. Auf diesen Moment freute er sich. Er hatte sich am Tauentzien italienische Lederslipper gekauft, die er heute zum ersten Mal trug, ohne Socken, denn die Architektin hatte zu ihm gesagt, »ach, dann kommen Sie doch zu mir an den Pool«, und dabei hatte sie den Blick so auf ihm ruhen lassen, als wollte sie sagen: Sie interessieren mich.

Der Kies aber fuhr fort mit dem Knirschen. Wie lang war diese Einfahrt. Auf einer Grünfläche standen Pfauen und Fasane, gelangweilt oder zufrieden. Ladius gab ein wenig Gas, die Vögel schritten indigniert in andere Richtungen. Dabei spritzte ihm der Kies in die Radkästen, und dafür war der Wagen zu neu, eines der ersten Exemplare, angeblich. Das hatte er sich in Russland auch nicht träumen lassen. Dass das noch mal wieder so aufwärtsgehen würde. Die Schuhe klebten an seinen Füßen, das Sitzpolster an seinem Rücken. Der Oktober war viel wärmer als nötig, und Ladius geriet ohnehin ins Schwitzen, wenn es ums Geld ging. Und um Frauen. Heute hatte er also jeden Grund.

Das Kiesknirschen fing an, ihm auf die Nerven zu gehen. Was das kostete, allein das Material. Und das wurde dann ja alles angekarrt aus dem Bundesgebiet, über die Transitstrecke. Schon auch beeindruckend.

Über dem Lenkrad und seinen mittlerweile etwas weißen Knöcheln kam das Anwesen der Architektin in Sicht. Auf einer leichten Anhöhe, sodass das flache, elegante Gebäude für einen Moment auf ihn herabzublicken schien. Rechts der Bürotrakt, wo die Zeichenknechte die Kleinarbeit machten. Das Wort Zeichenknechte hatte Ladius in der Zeitung gelesen, eine halbe Million Mark an Gehältern zahlte die Architektin im Monat. Der Bürotrakt verschwand hinter Hecken in einer Senke, damit man die Leute nicht bei der Arbeit sehen musste.

Befriedigt registrierte Ladius, dass auf dem Kiesrondell vor der Eingangstür nur der rote Alfa Romeo der Architektin stand, und ein grüner Mini Cooper, vermutlich von der Tochter. Der Mann war also nicht da, und vor allem: niemand sonst, der hier gerade seine Aufwartung machte. Das war seine größte Befürchtung gewesen: nicht der Einzige zu sein heute Vormittag und dann so um die Architektin herumscharwenzeln zu müssen, sich anstellen. Das lag ihm nicht. Stehempfänge und Partys waren ihm eine Qual, selbst die eigenen runden Geburtstage. Wie neulich, die große Fünf. Normalerweise blieb man in seiner Branche unter sich. Das Öffentlichste, was er machte, war, sich den großen Aufdruck auf dem Seitenschnitt des Branchenbuchs zu gönnen, »AUSKUNFTEI LADIUS 66 55 77«. Älteste westdeutsche Auskunftei für Wirtschafts- und Privatinformationen, mit Firmensitz in Frankfurt am Main und Außenstelle in West-Berlin, damit Ladius in den vollen Genuss der Berlinzulage und aller anderen verfügbaren Subventionen kam. Der Vertriebsleiter bei der Schering war ein Stammkunde, der wollte gern über die West-Berliner Apotheker Bescheid wissen. Denen kam das Geld aus allen Löchern, das war schon was. Der Schering-Mann hatte einen Umtrunk am Wannsee gegeben nach dem Absegeln. Für eine Segelyacht interessierte Ladius sich auch. Und während die Apotheker von Sylt erzählten, Gogärtchen, rechnete er im Kopf durch, wie viel von deren Geld beim Vertriebsleiter an Provision hängen blieb. Genug, um Ladius sehr hohe Honorare zu bezahlen, die er hier und da über die Spesenabrechnung etwas auspolsterte, das wurde so erwartet. Jeder bediente sich bei jedem, es war ein Perpetuum mobile des Nehmens und Nehmens. Beim Vertriebsleiter hatte er auch die Architektin kennengelernt und sich gut mit ihr verstanden. Gut genug, um von ihr beim nächsten Aufeinandertreffen mit einem strahlenden Lächeln begrüßt zu werden.

Ladius stellte den Benz zwischen den Mini und den Alfa und stieg aus. Sofort hatte er Kies im Schuh. Humpelnd rettete er sich auf den Gartenweg. Er sollte »gleich ums Haus kommen«, hatte sie ihm gesagt, als sie sich beim Bausenator wiedergesehen hatten, informell, Grillfest, der Senator wendete da selbst die Würstchen und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken mit einem Hertha-Handtuch, das allerdings so aussah, als hätte sein Referent es noch schnell vorm Eintreffen der Gäste besorgt.

Zwischen zwei Fenstern stützte Ladius sich an die Hauswand und schüttelte seinen Schuh aus, Herbstluft an seinem rauen alten Fuß, vier Zehen. Hoffentlich sah ihn niemand, vor allem nicht die Architektin. Vorsichtig fasste er in seinen Schuh, kalt und feucht, um zu prüfen, dass kein Kies mehr darin war. Ein Schatten huschte über ihn. Ladius blickte auf und fand sich, seinen nackten Fuß mühsam auf dem Knie und den Schuh in der Hand, Auge in Auge mit einem Mann, der innehielt und ihm dabei bekannt vorkam. Ein Stehempfangsgesicht, jemand, der andere um sich scharte. Ein schmales Gesicht, ein weicher, dunkler Haarkranz um das Oval der Glatze. Freundliche Augen, keine Krawatte, Kragenspitzen bis übers Sakkorevers, Brusthaare zwischen den Knöpfen. Der Blick, wer sich besser gehalten hatte, die gleiche Generation, eine Ahnung, dass der andere auch im Getümmel gewesen war, wie man selbst.

Sie wichen einander aus, als hätten sie Grund, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Ladius drückte sich ein wenig näher an die Wand, der andere machte einen Schritt in die Rabatten und hob die Hand, als suchte er einen unsichtbaren Hut.

»Wachablösung!«, rief er ein wenig zu laut, als er schon an Ladius vorbei war, Rettung in einen Scherz.

»Melde gehorsamst!«, rief Ladius hinterher, witzig, aber es schmerzte ihn ein wenig, wie man sich hier die Klinke in die Hand gab.

An der hinteren Längsseite des Hauses öffnete sich der Blick auf den Pool, dahinter der leicht nach unten geschwungene Rasen, dann märkische Kiefern, Stadtwald. Dazwischen der Funkturm, seine angestrengte Spitze. Wie der Pool dampfte.

Die Architektin lag auf einer hinten leicht hochgestellten weißen Drahtliege mit sonnenblumengelbem Polster, eine Hand im Nacken, unter dem blonden, sorgfältig gewellten Haar. Sie trug einen weißen Badeanzug, dessen Träger sich für Ladius’ Begriffe auf geradezu mystische Weise von ihren braunen Schultern abhoben. Braun schien die Farbe des Jahrzehnts zu werden, das zeichnete sich ab, aber niemand sprach darüber, eigentlich seltsam, es war ja noch gar nicht so lange her mit dem Braun, dachte Ladius. Der Pool musste beheizt sein, Anfang Oktober.

Häuser, Geld und Männer konnte man nie genug haben.

Ladius hatte nie gehört, dass die Architektin diesen Satz gesagt hatte, aber sie wurde seit Jahren damit zitiert. Auf Festen wie dem beim Bausenator, beim Ball der Nationen in den Messehallen, beim Presseball im Palais am Funkturm. Sie war in West-Berlin weltberühmt für diesen Satz. Und für ihre Häuser. Und ihr Geld. Das mit den Männern blieb in der Schwebe. Also, man wusste von mehreren, aber hintereinander. Die Doppeldeutigkeit blieb. Oder ging das nur ihm so?

Er wollte Teil dieser Geschichte werden. Ihr für den Bau eines ihrer Häuser sein Geld geben. Damit viel mehr daraus wurde, wenn das Haus fertig war und verkauft wurde. Ein sicheres Geschäft, denn angeblich garantierte die Stadt für die Einlagen. Sieben bis zwanzig Prozent Rendite, da fielen einem doch die Augen aus dem Kopf. Und die Investitionssumme plus zehn Prozent konnte er von der Steuer absetzen, das war das Berlinförderungsgesetz. Geld konnte man wirklich nie genug haben, vor allem, wenn der Staat einem das sozusagen aufdrängte, man musste sich ja fast die Taschen zuhalten, um nichts davon abzubekommen.

Und dann das mit den Männern. Nun, seine Frau Doris hatte ihn vorige Woche erst »stattlich« genannt, und mit den nackten Füßen in den italienischen Schuhen fühlte Ladius sich, als wäre der Sommer für ihn noch nicht vorbei. Er räusperte sich, eigentlich gegen seinen Willen.

Die Architektin wandte sich zu ihm um, ließ die Hand aber im Haar. In der anderen hielt sie eine Zigarette.

»Da ist er ja, der liebe Ladius«, sagte sie. Er fand ihr Lächeln klar und unverstellt, das war ja eine ganz handfeste Frau. Vergeblich hielt er nach einer Sitzgelegenheit Ausschau.

»Haben Sie den Präsidenten noch getroffen?«, fragte sie. »Burose?«

Ladius hörte den Alfa-Motor ums Haus, dann das Kiesspritzen. Der lieh sich das Auto der Architektin, oder wie musste man das verstehen?

»Den Präsidenten?«

»Von der Oberfinanzdirektion. Burose. Ein guter Freund.«

Ladius nickte und hoffte, dass man ihm die Mischung aus Neugier und Neid, die er unterm Brustkorb spürte, nicht anmerkte. Andererseits, ja gut, wenn die Architektin Freunde in diesen Kreisen hatte, das gab einem dann doch eine gewisse Sicherheit, falls man sich hier engagierte. Finanziell.

»Wollen Sie sich kurz abkühlen?«, fragte sie und bedeckte mit der Zigarettenhand ihre Stirn und Augenbrauen, als fiele helles Sonnenlicht auf sie. Er sah, dass ihr Badeanzug nass war und dass sie Gänsehaut an Beinen und Armen hatte.

»Ich hab gar keine Badehose dabei«, sagte Ladius und hob das Hosenbein an, als wäre das der Beweis oder als wollte er...

Erscheint lt. Verlag 5.4.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1970er • 2023 • Architektin • Baulöwin • Berlin • Dekadenz • Der Steglitzer Kreisel • eBooks • Enthüllungsjournalismus • High Society • Korruption • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Roman • Romane • Sigrid Kressmann-Zschach • wahre Begebenheiten
ISBN-10 3-641-27775-2 / 3641277752
ISBN-13 978-3-641-27775-8 / 9783641277758
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