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Ich bringe dich zum Schweigen (eBook)

Psychothriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
352 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-24618-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich bringe dich zum Schweigen -  Sarah Nisi
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Der neue meisterhafte Psychothriller von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Sarah Nisi.
Dein Traum ist zum Greifen nah. Doch der Preis dafür ist hoch ...

Die Beziehung der Stiefschwestern Phoebe und Charlie ist seit ihrer Kindheit durch Konkurrenzkampf geprägt. Ein Ereignis in der Schulzeit machte daraus offene Feindschaft. Umso überraschter sind beide, als sie jetzt, mit Ende 20, gemeinsam ein größeres finanzielles Erbe antreten sollen. Die einzige Bedingung: Sie müssen sich unterstützen - denn nur durch enge Zusammenarbeit kann ihnen der Durchbruch in der Theaterszene Londons gelingen. Was sich wie eine Aufforderung zur Versöhnung anhört, wird für Charlie und Phoebe zum Albtraum. Und das Ringen um eine erfolgreiche Inszenierung ein fatales Spiel um Leben und Tod.

Sarah Nisi zeigt in ihrem neuen Thriller die Abgründe der menschlichen Psyche und lässt die Grenzen von Wahrheit und Lüge, Macht und Ohnmacht verschwimmen.

Sarah Nisi lebt seit 2012 in London. In Hildesheim geboren, arbeitete die Wirtschaftsjuristin einige Jahre in Düsseldorf, bevor sie für ein Creative-Writing-Studium in die britische Hauptstadt zog. Seitdem widmet sich die Deutsch-Britin den Großteil ihrer Zeit dem Schreiben. Ihr Debüt »Ich will dir nah sein« wurde zum SPIEGEL-Bestseller und für renommierte Preise wie den GLAUSER, den Viktor Crime Award sowie den Crime Cologne Award nominiert. »Ich bringe dich zum Schweigen« ist ihr neuer Thriller bei btb.

Norlington


Der Elefant stand nicht richtig. Sein nach oben gebogener Rüssel musste sich exakt parallel zum Hals der Giraffe befinden. Maximal ein Zentimeter durfte zwischen beiden Tieren frei sein. Doch die Position war falsch, Rüssel und Hals bildeten ein spitzes Dreieck, das am unteren Ende weit auseinanderklaffte. Eine Korrektur war notwendig. Charlie würde sonst nicht schlafen können.

Vorsichtig schob sie den Plüschelefanten mit dem Zeigefinger an die richtige Stelle und kniff die Augen zusammen. Ja, nun war es gut. Sie richtete sich auf, ließ ihren Blick über die restlichen Kuscheltiere auf dem Fußboden gleiten.

Jeden Abend arrangierte sie die Tiere vor dem Schlafengehen auf dem Teppich vor ihrem Bett. Dreiundzwanzig. Jedes hatte seine feste Position. Die Tiere waren ihr Schutzschild.

An der linken Ecke, neben der Zimmertür, blitzte der Teppich durch. Doch das musste nun so bleiben. Die ganze Arbeit wäre umsonst gewesen, wenn sie jetzt durch die Schar von Kuscheltieren stakste, um eine Korrektur am anderen Ende des Zimmers vorzunehmen. Alles würde verrutschen. Nein, es reichte.

Charlie drehte sich um und sprang zurück auf ihr Bett. Von dort schloss sie die Lücke, die sie für ihre Zehen gelassen hatte. Der letzte Handgriff vor dem Schlafen war stets das Zupfen an der Fledermaus, deren Flügel so groß waren, dass sie den Platz, den ihre Zehenspitzen benötigten, vollständig verdeckten. Fertig.

»Tetris«, hatte ihr Vater sie stets aufgezogen. »Du spielst Tetris mit deinen Kuscheltieren.« Sie hatte nicht gewusst, was Tetris bedeutete. Ein Computerspiel, sagte er. Doch sie konnte sich darunter nichts vorstellen. Ihr Vater lachte und erklärte, das sei vor ihrer Zeit gewesen.

Ihr Vater fehlte ihr. Vor über einem Jahr war er einfach in der Küche umgefallen. Ein Herzinfarkt. Seit seinem Tod war sie noch sorgfältiger mit ihren Kuscheltieren, denn sie musste auf sich aufpassen. Manchmal flüsterte sie, während sie die Tiere auf dem Boden arrangierte: »Tetris, du spielst Tetris mit deinen Kuscheltieren.«

Charlie schaute auf ihren Wecker. 15 Minuten und 23 Sekunden hatte die Prozedur gedauert. Das war guter Durchschnitt. Aber auf die Geschwindigkeit kam es nicht an. Gründlichkeit ging vor. Sie löschte das Licht und kuschelte sich unter ihre Decke.

Sie war erst vor zwei Jahren mit ihrem Daddy bei Eleanor und Phoebe eingezogen. »Ich will dich hier nicht«, hatte Phoebe sie begrüßt. »Du bist ein Parasit.«

Phoebes Worte trafen Charlie mehr als die körperlichen Übergriffe. Sie hatte keine Angst vor dem Ausdruck in Phoebes Augen, jenem Blick, der den Hass zeigte, bevor sie zuschlug. Nein, die Wunden verheilten, denn ihr Körper reparierte sich selbst. Der Schmerz in ihrer Seele aber blieb, und Charlie hatte bisher kein Rezept dagegen gefunden.

Sie atmete jetzt tief ein. Der Geruch von Kräutern – Pfefferminz, oder war es Anis? – zog in ihr Zimmer. Jeden Abend schlief sie mit offenem Fenster, versuchte zu erraten, was in der Teefabrik am Stadtrand von Norlington produziert wurde.

Norlington war nicht groß genug, um die Annehmlichkeiten einer Stadt zu bieten, und nicht klein genug, um die Fabriken am Ortsrand zu verhindern. Doch neben den stinkenden Schornsteinen der anderen Fabriken – Zement, Papier – war Norlington Tea Ltd. ein Segen. Der Duft waberte in der Dunkelheit durch die Luft, verließ die Produktionsstätte und legte sich über die schlafenden Einwohner. Kräutertee, Früchtetee – der Geruch variierte von Nacht zu Nacht, und je nachdem, wie der Wind stand, war er intensiv, als würde man inhalieren, oder nur ein Hauch, der verflog. Die Teefabrik war das Beste an Norlington.

Charlies Gedanken wanderten zurück zu Phoebe. Phoebe zog sie auf, jeden Tag. »Ich vermisse meinen Daddy.« Sie äffte dann Charlies Stimme nach. In der Regel folgte eine verächtliche Bemerkung. »Du bist so ein Kind« war eine übliche Beleidigung. Charlie verstand nicht, was Phoebe damit meinte, denn natürlich war sie ein Kind.

Phoebes Vater hatte »noch vor ihrer Geburt die Flucht ergriffen«, wie Phoebes Mum, Eleanor, es stets formulierte, die nun ihre Pflegemutter war. Phoebe konnte also gar nicht wissen, wie Charlie sich fühlte. Sie hatte ja keinen Vater, und ihre Mutter lebte noch, Phoebe war nicht gestrandet wie sie selbst, in einer Familie, mit einer Stiefmutter und einer Stiefschwester – ohne ihren Vater.

»Tetris«, flüsterte sie noch einmal, als sei es ein Gutenachtgruß. Ihre Stimme krächzte in der Stille. Sie hatte erst vor einigen Monaten wieder angefangen zu sprechen. Es fühlte sich immer noch ungewohnt an, ihre eigene Stimme zu hören; manchmal glaubte sie, die Bewegung ihrer Stimmbänder spüren zu können.

Charlie hatte nach dem Tod ihres Vaters aufgehört zu reden. Sie wachte eines Morgens auf, und ihr fielen einfach keine Worte ein. Es war nichts falsch mit ihren Stimmbändern oder ihrem Kehlkopf gewesen. Das verstand sie nach einer Weile. Nein, in ihrem Kopf war einfach Leere. Die Belanglosigkeit der Worte anderer Menschen irritierte sie. Ihr Daddy war tot. Nichts machte mehr Sinn in ihrem Leben. Kein Wort der Welt konnte das ungeschehen machen. Elf Monate lang hüllte Charlie sich in Schweigen. Die Schule schickte sie zu einer Psychologin. Man stellte ihr Fragen, die sie mit einem ausdruckslosen Gesicht erwiderte. Am Ende musste sie das Schuljahr wiederholen. »Nur Idioten bleiben in der Grundschule sitzen«, kommentierte Phoebe. »Idioten und Spackos.«

Doch in der neuen Klasse lernte Charlie Julia kennen. Und plötzlich fielen ihr wieder Worte ein.

Als Charlie am nächsten Morgen aufstehen wollte, gerade als sie das Gewicht nach vorne verlagerte, ihr Bein schon fast den Boden berührte, erstarrte sie. Da war ein Fehler!

Die Flügel der Fledermaus berührten den Bauch des Teddys. Das war nicht richtig. Der Bär war mehrere Zentimeter nach links verrutscht und lag auf der Seite. Der Teppich vor ihrem Bett war zu sehen. Charlie inspizierte den Rest des Bodens. Es gab keinen Zweifel: Jemand hatte in der Nacht vor ihrem Bett gestanden. Quer durch das Zimmer zog sich eine Spur. Nicht gravierend – einem ungeübten Betrachter würde es gar nicht auffallen. Jemand hatte sich Mühe gegeben, keinen großen Schaden anzurichten. Dieser Jemand konnte nur eine Person sein. Und es gab nur einen Grund dafür. Charlies Blick fiel auf den Nachttisch. Dort lag ihr Tagebuch.

Dorothy hatte sie ermutigt, ihre Gedanken aufzuschreiben, falls ihr die Worte ausgingen. Dorothy hatte viel mehr Verständnis als die Lehrer in der alten Klasse und ihr sogar ein Notizbuch geschenkt. Es hatte einen harten Einband wie ein echtes Buch. »In meinem Kopf ist es auch immer zu laut«, hatte Dorothy gesagt, und Charlie hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass jemand sie verstand. Tagsüber versteckte sie das Notizbuch im Zimmer. Für die Nacht hatte sie das System mit den Kuscheltieren entwickelt. Sie musste ihre Worte und Gedanken schützen. Das Notizbuch lag an diesem Morgen verkehrt herum.

»Phoebe«, schrie Charlie, als sie in die Küche rannte, »warum warst du in meinem Zimmer?«

Eleanor und Phoebe saßen am Tisch. Eleanor im Bademantel und mit einer Tasse Kaffee in der Hand, Phoebe vor einer Schüssel Cornflakes, die sie nicht angerührt hatte.

»Lass mein Tagebuch in Ruhe!« Charlie schnappte nach Luft.

Eleanor zog eine Augenbraue hoch. Charlie hob anklagend die Fledermaus in die Höhe, die sie in ihrer rechten Hand hielt. »Die Fledermaus lag falsch.« Sie konnte kaum atmen.

»Fängst du jetzt wieder mit diesem Quatsch an?« Eleanor stand auf und ging mit ihrem Kaffeebecher ins Wohnzimmer. Kurz darauf war das Radio zu hören. Die Schlaftabletten, die Eleanor brauchte, um in der Nacht zur Ruhe zu kommen, machten sie in der Früh zu einer einsilbigen Zeitgenossin. Eleanor saß oft stundenlang im Wohnzimmer, mit geschlossenen Augen, vor dem Radio, in ihrem Sessel. Man konnte dann nicht sagen, ob sie schlief oder ihre Umgebung wahrnahm. Auf alle Fälle war es das Signal, sie nicht anzusprechen.

Phoebe verzog die Mundwinkel zu einer Fratze, die entfernt an ein Grinsen erinnerte. Dann machte sie eine Kopfbewegung in Richtung Wohnzimmer. »Sie wird dir nicht helfen.«

»Hast du in mein Tagebuch geguckt?«, fragte Charlie. »Das geht dich nichts an.«

Phoebe schob die Schüssel mit den Cornflakes weg. »Wer sagt, dass ich in deinem Zimmer war?« Dann schlug sie sich gegen die Stirn. »Ach ja: die Fledermaus.«

Beide starrten sich an.

»Du schläfst mit offenem Mund«, sagte Phoebe.

»Ich hasse dich.« Charlie spürte, wie ihr Tränen der Hilflosigkeit in die Augen stiegen. Sie holte aus und warf Phoebe das Kuscheltier gegen den Kopf. Die Fledermaus traf ihre Stiefschwester an der Schläfe.

Phoebe sprang auf, griff nach einem Kugelschreiber und hielt ihn ausgestreckt wie eine Waffe vor sich. Sie kam um den Tisch gerannt. Charlie drehte sich um und lief los, durch den Flur, die Treppe hinauf, zu ihrem Zimmer.

Aus dem Wohnzimmer drang das übertriebene Gelächter eines Radiomoderators. Charlie war schnell und wendig. Doch sie war erst neun Jahre alt und Phoebe zwei Jahre älter.

»Ich bringe dich um«, rief Phoebe. Sie erwischte Charlie vor der Zimmertür. Mit einem Hechtsprung versuchte Charlie zu...

Erscheint lt. Verlag 12.7.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte 2023 • eBooks • Hildesheim • Ich will dir nah sein • Krimi • Kriminalromane • Krimis • London • lovelybooks leserunde • Mord • Neuerscheinung • nominiert Crime Cologne Award 2021 • nominiert GLAUSER 2022 • nominiert Victor Crime Award 2022 • Originalausgabe • Psychothriller • Spiegel-Bestseller-Autorin • Stiefschwestern • Theaterstück • Thriller
ISBN-10 3-641-24618-0 / 3641246180
ISBN-13 978-3-641-24618-1 / 9783641246181
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