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Der Tod reist mit (eBook)

Kriminalroman - »Ein Fest für Fans von Agatha Christie. Ihr werdet's lieben« Ragnar Jónasson

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
480 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-29179-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Tod reist mit -  Tom Hindle
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November 1924: An Bord des Ozeandampfers Endeavor wird ein älterer Gentleman tot am Fuß einer Treppe aufgefunden. Schiffsoffizier Timothy Birch glaubt zunächst an einen tragischen Unfall. Der starrköpfige Scotland-Yard-Ermittler James Temple, der sich zufällig unter den rund zweitausend Passagieren des Schiffs befindet, ist da entschieden anderer Ansicht. Es gelingt ihm, den Todesfall mit einem verschwundenen Gemälde in Verbindung zu bringen. Doch damit hat die Detektivarbeit erst begonnen: Die Endeavor ist noch vier Tagesreisen von New York entfernt. Birch und Temple bleibt nicht viel Zeit, ehe der Mörder straffrei von Bord spaziert - oder erneut zuschlägt ...

Tom Hindle kommt aus Yorkshire und lebt heute in Oxfordshire, wo er für eine PR-Agentur arbeitet. Von Kindheit an begeistert er sich für jegliche Art von Kriminalromanen. Zu seinem Debüt »Der Tod reist mit« und seinem zweiten Roman »The Murder Game« inspirierten ihn die Meister des Genres von Agatha Christie bis Anthony Horowitz.

Mittwoch, 12. November 1924


1


Ich war schon eine Stunde wach, als es an meiner Tür klopfte. Ich lag in meiner Koje und starrte gebannt auf das Band aus gelbem Stoff, das ich behutsam zwischen meinen Fingerspitzen hielt.

Um ehrlich zu sein, hatte ich bereits seit über zwei Jahren nicht mehr erlebt, wie es sich anfühlte, eine Nacht komplett durchzuschlafen. Zwei Jahre, seit ich das letzte Mal meine Augen schließen und friedlich einschlummern konnte. Natürlich waren die Erinnerungen immer da. Die nagenden Schuldgefühle verschwanden nie wirklich. Aber nur nachts – allein in der Dunkelheit – kam das Ganze so richtig zum Vorschein. Dann folgte es mir nicht mehr wie ein vager Schatten, sondern schwebte über mir, als hätte es eine eigene körperliche Gestalt angenommen.

Sogar wenn der Schlaf mich irgendwann übermannte, gab es kein Entrinnen. Ich schreckte auf, nass geschwitzt und keuchend – manchmal mehrmals die Nacht. Auch an diesem Morgen war es mir nicht anders ergangen. Früh war ich aus dem Schlaf gefahren, hatte rasch nach dem Band getastet und es an mich gedrückt.

Während ich zur Beruhigung tief ein- und ausatmete, spürte ich den Stoff zwischen den Fingern. Das Stück gelber Samt war vom vielen Tragen an einem Ende schon ein wenig ausgefranst. Ich sah vor mir, wie es auf Amelias Kopf flatterte, sah die perfekt geschwungene kleine Schleife, die Kate immer so liebevoll gebunden hatte. Allmählich ebbte die Panikattacke ab und machte wie stets einer dumpfen Leere Platz.

Es war diese Art von Hoffnungslosigkeit, die sich anfühlte, als könnte sie mich – wenn ich es zuließ – ohne Schwierigkeiten vollständig verschlucken. Schließlich hatte ich selbst Schuld daran, nicht schlafen zu können. Ich selbst war schuld, dass mir von Amelia nichts als ein Stück gelber Samt geblieben war. Meine eigene Schuld, dass alles in Trümmern lag.

Das harte, dringliche Klopfen an meiner Tür kam gegen Viertel vor acht. »Birch! Besprechung beim Captain. Fünfzehn Minuten!«

Leicht verwundert legte ich das Band aus der Hand. Captain McCrory war ein Mensch, der enormen Wert auf Pünktlichkeit und feste Strukturen legte. Während meiner fast fünf Jahre auf der Endeavour hatten seine täglichen Einsatzbesprechungen mit den Offizieren ohne jede Ausnahme um exakt neun Uhr begonnen. Selbst als ich das eine Jahr ausgesetzt hatte, war mein Blick oft um diese Zeit zur Uhr gewandert, und ich hatte gewusst, dass jetzt irgendwo auf dem Atlantik die Männer zu ihrem allmorgendlichen Treffen zusammenkamen. Der Melder vor meiner Tür ging weiter, bevor ich noch einen Ton sagen konnte. Offenbar war er weder an meiner Antwort interessiert, noch hatte er Lust auf weitere Erklärungen.

Ich warf die Decke zurück und setzte mich in der Koje auf. Sofort schoss als Morgengruß ein stechender Schmerz durch meine Schulter. Irgendwie war mir nachts der Fehler unterlaufen, mich auf die rechte Seite zu drehen, und nun strafte mich meine alte Schussverletzung dafür.

Die Zähne zusammenbeißend strich ich mit den Fingerspitzen über die wulstige Narbe. In meinem Kopf ertönten wieder das Knattern der Gewehre und die aufgeregten Schreie der nach Deckung suchenden Männer. Ein glühend heißer Stoß war plötzlich durch meine Schulter gefahren, als eine deutsche Kugel ihr Ziel gefunden hatte. Sofort hatten sich Blutflecken auf meiner Uniform ausgebreitet. Ich erinnerte mich daran, wie ich ins Torkeln geraten und zu Boden gestürzt war, bevor ein amerikanischer Soldat mich unsanft unter den Armen gepackt und ohne viel Federlesens aus dem Schussfeld gezerrt hatte.

Diesen Tag würde ich wohl nie vergessen, obwohl ich mich nach Kräften darum bemühte. Wie die Narbe schien ich ihn für immer mit mir herumzutragen.

Ich presste die Augen zusammen und wartete, bis der Schmerz nachzulassen begann. Dann schaltete ich das Licht ein und zog mir im trüben Schein der elektrischen Glühbirne rasch meine Offiziersuniform an. Die Kabinen der ersten und zweiten Klasse auf der Endeavour mochten zwar den Gipfel an Luxus darstellen, aber die Unterbringung der Offiziere war erheblich weniger komfortabel, was man vor allem in den eisigen Wintermonaten zu spüren bekam. Da wir knapp über Meeresniveau etwa auf halber Höhe des Schiffes wohnten, befanden sich zwischen uns und dem Maschinenraum noch eben genug Decks, um zu verhindern, dass wir wenigstens ein wenig von der Abwärme profitierten. Und was es an Spuren von Wärme gab, konnte die Kabine nicht lange halten. Der Teppich war grob und abgenutzt, die Wände blankes Metall.

Zitternd knöpfte ich das frisch gebügelte weiße Hemd zu, legte die schwarze Krawatte um und schlüpfte in die lang geschnittene Offiziersjacke. Zuletzt setzte ich die Schirmmütze auf und schob das sorgsam zusammengefaltete gelbe Stoffband in meine Jackentasche.

Mehr als einmal hatte ich mir gesagt, dass es sicherer wäre, die kostbare Erinnerung in meiner Kabine zu lassen, womöglich tief versteckt in einer Schublade. Aber bislang hatte ich mich nie dazu überwinden können. Es war ein Stück von Amelia, das ich stets bei mir tragen konnte, stellvertretend für all das, was ich hoffte, einmal wiederzugewinnen. In Wahrheit hielt ich es einfach nicht aus, davon getrennt zu sein.

Bei meiner Ankunft in der Offiziersmesse saßen die anderen bereits zusammen, aßen Toast und tranken aus dampfenden Bechern Tee oder Kaffee. Kaum einer sah auf, als ich den Raum betrat. Nach meiner Rückkehr auf die Endeavour vor etwa sechs Monaten war es mir zur Gewohnheit geworden, erst zu kommen, wenn alle anderen schon versammelt waren, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Im Idealfall gelang dies auch ohne Probleme. Meist spielte das Grammofon, und es wurde viel geredet und gelacht, bevor wir unsere Aufgaben für den jeweiligen Tag erhielten. An diesem Morgen jedoch war alles anders. Im Raum herrschte eine gespannte Stille. Auch wenn ich selten an den Unterhaltungen teilnahm, war der Bruch zu der sonst eher ausgelassenen Atmosphäre selbst für mich beunruhigend.

»Wilson«, grüßte ich und setzte mich neben einen stämmigen Kerl mit kurz geschorenen schwarzen Haaren.

»Birch«, erwiderte er.

»Was ist denn los?«

»Nicht die geringste Ahnung«, antwortete Wilson achselzuckend.

»Schon mal erlebt, dass der Captain den Termin vorgezogen hat?«

»Nie.«

Beim Eintritt von Captain McCrory sprangen alle sofort auf und nahmen Haltung an. Er war groß und kräftig gebaut. Ein sorgfältig getrimmter Bart sollte womöglich helfen, die Falten zu verbergen, die sein Gesicht inzwischen durchfurchten und seine Augenwinkel leicht zusammenkniffen. Die Silberknöpfe seiner schwarzen Kapitänsjacke glänzten wie frisch poliert, und jedes Teil seiner Uniform saß makellos akkurat.

Mir war nur allzu bewusst, wie viel ich McCrory zu verdanken hatte. So schroff er bisweilen sein konnte, es gab sicherlich nicht viele Schiffsführer, die mir nach einjähriger Unterbrechung erlaubt hätten, auf die Endeavour zurückzukommen. Am Tag meiner Rückkehr war ich als Erstes ins Büro des Captains gegangen, um ihm die Hand zu schütteln und mich persönlich für das erwiesene Verständnis zu danken, war jedoch prompt von ihm weggeschickt worden.

»Dazu besteht kein Anlass, Mr. Birch«, hatte er nur gesagt und mir wuchtig auf die Schulter geschlagen. Ich musste daran denken, wie ich zusammengezuckt war, weil er genau die Stelle der alten Verletzung traf, und mir dennoch ein Lächeln abgerungen hatte.

Auch im Rückblick war mir nie klar geworden, ob er mir bei diesem Treffen nur sehr persönliche Erklärungen ersparen wollte oder ob ihm mehr davor graute, miterleben zu müssen, wie einer seiner Offiziere die eigene Gefühlslage offenbarte. Aber eigentlich spielte das auch keine Rolle. Wichtig war allein, dass er mich zurückkehren ließ. Er hatte zu mir gestanden, als ich es am dringendsten brauchte.

In der Offiziersmesse erklärten die beiden Männer, die Frühdienst gehabt hatten, warum wir an diesem Tag zu ungewohnter Stunde einberufen worden waren. Der Jüngere – ein relativ neuer Offizier namens Travis – verfolgte mit bleichen Gesichtszügen, wie sein Partner Bericht erstattete. Offenbar war ein älterer Passagier während der Nacht an einem der Niedergänge, die außen die Decks der zweiten und dritten Klasse miteinander verbanden, gestürzt und vor etwa einer Stunde tot aufgefunden worden.

Während Captain McCrory mit eisiger Miene stumm und hoch konzentriert vor sich hinstarrte, erfuhren wir, dass man die Leiche bereits nach unten gebracht hatte und der Coroner in New York rechtzeitig vor unserer Ankunft telegrafisch unterrichtet würde. Der berichtende Offizier legte eine Pause ein, da er an dem Punkt offenbar eine Stellungnahme des Captains zu dieser Tragödie oder weitergehende Anweisungen erwartete. Aber es kam nichts. Stattdessen bedeutete McCrory dem Offizier nur mit einem kurzen Nicken fortzufahren, woraufhin dieser rasch erklärte, welche kleineren Reparaturen an der Takelage infolge des nächtlichen Unwetters nötig waren und dass die Rettungsboote auf Schäden überprüft werden müssten.

Nach Abschluss des Berichts und Verteilung der diversen Aufgaben entließ uns der Captain und kehrte in sein Büro zurück. Einen kurzen Moment lastete die bedrückende Stille, die bereits vor der Besprechung geherrscht hatte, wieder auf dem Raum, als würde sich niemand trauen, diese ungewohnte Atmosphäre zu zerstören. Doch es dauerte nicht lange, dann erklang eine Schallplatte, die Männer stürzten sich erneut auf ihr Frühstück, und das...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2023
Übersetzer Jens Plassmann
Sprache deutsch
Original-Titel A Fatal Crossing
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte 2023 • Agatha Christie • Atlantiküberquerung • Cozy Crime • Detektiv • eBooks • Historische Kriminalromane • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Mord • Mordermittlung • Mystery • Neuerscheinung • Ozeandampfer • Schiff • Titanic
ISBN-10 3-641-29179-8 / 3641291798
ISBN-13 978-3-641-29179-2 / 9783641291792
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