Die Wände der viktorianischen Villa in Kensington waren perfekt schallisoliert. Wer an dem Prachtgebäude in dem Londoner Nobelstadtteil vorbeiging, ahnte nichts von dem satanistischen Gipfeltreffen, das gerade im Inneren stattfand. Teufelsanbeter und andere Dämonenknechte aus ganz Großbritannien hatten sich versammelt. Es war der Tag ihres jährlichen Gipfeltreffens. Nur die Hohepriester des Dunklen Kultes waren zu dieser Konferenz geladen worden.
Keiner von ihnen ahnte, dass viele von ihnen schon sehr bald zur Hölle fahren würden. Und zwar unfreiwillig…
Villa Satania, Old Queen Street, London
Als die Glocken des berühmten Big Ben Mitternacht schlugen, waren alle geladenen Gäste anwesend. Im flackernden Schein schwarzer Kerzen beäugten sich die zum Teil rivalisierenden Diener des Bösen gegenseitig.
Keiner fehlte.
Da gab es die Anhänger des altpersischen Ahriman mit ihren grässlichen Schlangenmasken. Als Kontrast zu ihnen eher unauffällig gekleidete Höllenknechte, die Handlanger der Großen Schlange. Sie hielten sich offenbar genauso gerne im Hintergrund wie ihre außerirdische Meisterin selbst.
Andere, vermummte, Dämonenknechte hatten sich dem Dienst des Wüstendämons Asasel verschrieben. Und es gab noch viele andere, deren Besessenheit nicht sofort deutlich wurde.
Gemeinsam war ihnen allen nur eines.
Die absolute Hingabe an das Böse.
Nackte Dienerinnen servierten Kelche roten Weinen, der mit Blut versetzt war. Die Dämonenknechte und Teufelsanbeter tranken schweigend, nach einem genau festgelegten Ritus.
Dann verstummten plötzlich die Trommeln. Totenstille senkte sich über den Versammlungssaal.
Ein bärtiger Alter mit Geiergesicht ergriff das Wort. Er trug ein schlichtes, kaftanähnliches schwarzes Gewand.
»Ich grüße Euch, die Ihr trotz aller Meinungsverschiedenheiten eins seid in Eurer Hingabe an die Mächte des Bösen, wie Sie auch im Einzelnen heißen mögen…«
Da wurde er von einer schneidenden weiblichen Stimme unterbrochen.
»Du hast es erfasst, Opa! Dämonenknechte seid ihr, allesamt! Und darum werdet ihr jetzt krepieren!«
Die Ereignisse überschlugen sich.
Die Diener des Bösen wandten sich zum Saaleingang. Wer wagte es, ihre Versammlung zu stören?
Eine junge, schlanke Frau stand in der offenen Saaltür. Doch im Gegensatz zu den Dienerinnen war sie nicht nackt. Vielmehr trug sie eine kakifarbene Uniform mit Lederkoppel und Schirmmütze. Ihr schwarzes Haar war im Nacken zu einem strengen Knoten zusammengebunden. Der Hautfarbe nach konnte sie aus Indien oder Pakistan stammen. Doch das interessierte die Satansanbeter momentan weniger.
Wichtiger waren die beiden Pistolen, von denen die Fremde jeweils eine in der linken und der rechten Faust hielt.
Und diese Waffen spuckten nun Feuer und Blei!
Das schöne Gesicht der Lady in Uniform war zu einer hassverzerrten Grimasse geworden. Ihre erste Kugel hackte in die Stirn des weißbärtigen Dämonenknechts, der gerade die Versammlung eröffnen wollte. Er kippte rückwärts weg. Noch bevor er auf den Boden aufschlug, war er tot.
Einige Satansdiener, die in der Nähe der Schützin gesessen hatten, sprangen von dem großen ovalen Tisch auf. Sie versuchten, die Frau anzuspringen. Das bekam ihnen schlecht.
Innerhalb weniger Sekunden feuerte die Frau sechs oder sieben Kugeln ab. Blutüberströmt sanken die Dämonenknechte zu Boden.
Breitbeinig stand die Killerin mitten in dem einzigen Ausgang des Saales. Was nun einsetzte, wurde später in den Polizeiakten als »Gemetzel« bezeichnet. Die anwesenden Höllendiener wurden entweder direkt durch Kugeln oder durch Querschläger getroffen. Der eine oder andere rief seine höllischen Herren um Hilfe an. Aber es nutzte überhaupt nichts.
Die Frau ging trotz ihres offensichtlichen Hasses systematisch und planvoll vor. Wenn sie eine Pistole leer geschossen hatte, wechselte sie in aller Ruhe das Magazin. Dann feuerte sie weiter. Und weiter. Und weiter.
Nun rächte es sich, dass die Villa Satania so perfekt schallisoliert war. Die Polizei konnte erst alarmiert werden, als eine der Dienerinnen Stunden später aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Die Killerin hatte nämlich die Girls verschont und sie lediglich mit wohl dosierten Kolbenschlägen betäubt.
Die meisten Satansdiener hingegen waren tot.
Nur einige überlebten schwer verletzt. Einer von ihnen war der englische Satanist Andrew Gladstone. Er war es auch, der als Einziger die Killerin eindeutig identifizieren konnte. Er hatte nämlich früher schon einmal das zweifelhafte Vergnügen ihrer Bekanntschaft gemacht. [1]
Die Massenmörderin war niemand anders als Police Inspector Asha Devi von der India Demon Police!
***
Das Loireufer bei Château Aranaque, Frankreich
Professor Moronthor und seine Lebens- und Kampfgefährtin Nicandra Darrell nutzten das schöne Wetter für einen ausgiebigen Spaziergang. Die Sonne meinte es gut in diesen späten Augusttagen; die teilweise brütende Hitze der Juliwochen war einer gemäßigten Wärme gewichen. Der Wasserstand der Loire hatte sich wieder auf ein normales Maß eingepegelt.
Moronthor machte sich den Spaß, aus einfachen Wiesenblumen einen Blütenkranz zu flechten, den er Nicandra wie eine Krone aufsetzte.
Nicht mehr lange, und das Grün würde den bunten Herbstfarben und dann dem tristen Wintergrau weichen. Irgendwie, fand Moronthor, gingen die Jahreszeiten und Jahre immer schneller vorüber, je älter er wurde, ohne dabei zu altern. Seit Nicandra und er vom Wasser der Quelle des Lebens getrunken hatten, blieben sie biologisch auf dem Stand von damals, sie erkrankten nicht mehr - sie konnten ewig leben, wenn man sie ließ.
Wenn nicht irgendwelche Dämonen es schafften, sie umzubringen…
Aber die relative Unsterblichkeit brachte auch ihre Probleme mit sich. Schon jetzt wurden Moronthor und seine Gefährtin oft darauf angesprochen, dass sie sich ja überhaupt nicht veränderten und nach all den Jahren immer noch jung und frisch aussahen. Irgendwann musste jemand misstrauisch werden und Nachforschungen anstellen.
Dann half vermutlich nur noch ein Identitätswechsel.
Aber es war müßig, jetzt darüber nachzudenken. Die beiden Spaziergänger wollten sich einfach nur ein wenig entspannen und den Tag genießen, ohne auf die Zeit zu achten.
Die Erholung hatten sie sich redlich verdient, denn die vergangenen Wochen waren doch reichlich anstrengend gewesen.
Das erneute Auftauchen der rätselhaften Unsichtbaren, die Zerstörung des Meegh-Raumschiffs im unterirdischen Geheimlabor der Tendyke Industries… Moronthor begriff immer noch nicht richtig, wie es der Agentin der SIPPE DER EWIGEN gelungen war, die Hochsicherheitssperren zu durchdringen und ihren Sabotageakt durchzuführen. Auf jeden Eall hatte sie Robert Tendyke und Professor Moronthor damit einen bösen Schlag versetzt. Sie verfügten jetzt nur noch über zwei dieser gefährlichen Raumschiffe. Und eines davon wurde von den Experten der Tendyke Industries zerlegt, um seine Technik zu erforschen.
Weniger, um diese Raumschiffe irgendwann nachbauen zu können, sondern allgemein. Was an elektronischen Raffinessen in den Schiffen verbaut war, konnte der Tendyke Industries einen ähnlichen technologischen Vorsprung bringen wie vor Jahren die heimliche Zusammenarbeit mit der Dynastie.
Und vor ein paar Tagen erst mussten sie in Rom gegen Vampire vorgehen. Dabei war ein Vampir auf dem Plan erschienen, der sich Don Jaime deMoronthor nannte und dem Dämonenjäger gegenüber behauptete, sie seien Brüder!
Aber auf solche Verwandtschaft konnte Moronthor gern verzichten.
Er hatte schon Probleme genug. Mit einem alten Freund, der in Depressionen zu verfallen begann. Ted Ewigks langjährige Freundin Carlotta war spurlos verschwunden, hatte nur eine handschriftliche Nachricht hinterlassen, Ted möge nicht nach ihr suchen. Einen Grund für ihr Verschwinden nannte sie nicht, und Ted behauptete immer wieder, sie sei von Agenten der Dynastie entführt worden. Er ließ sich nicht davon abbringen.
Moronthor glaubte nicht an diese Theorie. Carlotta hatte sich schon längere Zeit recht merkwürdig verhalten. Ihr Verschwinden musste einen anderen Grund haben.
Moronthor seufzte.
»Ich habe ein ungutes Gefühl.«
Nicandra wandte ihr schönes Gesicht dem Dämonenjäger zu.
»Wieso denn, Cheri?«
»Ach, ich weiß auch nicht. Es läuft momentan alles zu verquer…«
Er wollte noch mehr sagen. Doch dann erblickte er den leblosen Körper.
Aus der größeren Entfernung hatte der Dämonenjäger zunächst geglaubt, dass ein Kleiderbündel an das Ufer der Loire gespült worden war. Doch während sie näher kamen, stellte sich heraus, dass dort offenbar ein Mensch lag!
Lebte er noch oder war er tot?
Moronthor und Nicandra...