Trinkerbelle (eBook)
256 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46330-7 (ISBN)
MIMI, geboren 1975, ist Unternehmerin, Lifecoachin, Designerin, Entertainerin und Autorin. Bevor sie ihre 25-jährige Karriere als Schauspielerin beendete, begeisterte sie in ihrer letzten Rolle in der beliebten RTL-Serie Nachtschwestern als Schwester Nora ein Millionenpublikum. Die Autorin lebt mit ihrer Familie bei München. Zuletzt erschienen von ihr bei Knaur 'Trinkerbelle', 'Eigentlich wollte ich mich selbst entfalten' und 'Sie dürfen den Frosch jetzt küssen'.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 30/2023) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 29/2023) — Platz 13
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 13/2023) — Platz 4
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 12/2023) — Platz 3
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 11/2023) — Platz 2
MIMI, geboren 1975, ist Unternehmerin, Lifecoachin, Designerin, Entertainerin und Autorin. Bevor sie ihre 25-jährige Karriere als Schauspielerin beendete, begeisterte sie in ihrer letzten Rolle in der beliebten RTL-Serie Nachtschwestern als Schwester Nora ein Millionenpublikum. Die Autorin lebt mit ihrer Familie bei München. Zuletzt erschienen von ihr bei Knaur "Trinkerbelle", "Eigentlich wollte ich mich selbst entfalten" und "Sie dürfen den Frosch jetzt küssen".
Vater, Mutter, Kind I
Wir ziehen im Januar von der kleinen Bude mit dem zerschlissenen Sofa in ein kleines Haus ein paar Straßen weiter. Es liegt in einer ruhigen Gasse, in gutbürgerlicher deutscher Nachbarschaft, wo die Familien Müller und Mayer heißen. Wir haben sogar einen kleinen Garten, in dem meine Mutter und mein Vater Gemüse anpflanzen können und der sogar noch Platz für eine Schiffschaukel hat.
Das Haus ist klein, aber es hat zwei Stockwerke, und ich bekomme mein eigenes Zimmer, von dem ein Gäste-WC abgeht.
Das WC ist rosa gekachelt, alles dort ist rosa, selbst die Toilette. Auf dem rosa Spülkasten steht eine umhäkelte Toilettenpapierrolle, aus der eine hellblonde, nackige Puppe ragt, der die Haare abgeschnitten wurden. Der Puppe fehlt ein Arm, aber ich bin trotzdem außer mir vor Glück. Meine Mutter ist auch außer sich vor Glück. Endlich haben wir genug Platz und eine Haustür, die nur uns gehört. Sonst niemandem. Sie sagt, solche Türen mit nur einem Klingelschild und nur einem Namen darauf haben sonst nur reiche Leute. Noch reicher fühlen wir uns, als mein Vater vier dicke Rollen feinste Stofftapete mitbringt. Mit Mustern darauf, die so aussehen wie Prilblumen. Er hat sie von der Frau seines Chefs geschenkt bekommen, weil die beiden auch in ein neues Zuhause gezogen und die Stofftapeten übrig geblieben sind. Mein Vater hat seinem Chef beim Umzug geholfen, und dafür gibt es nicht nur die Tapeten, sondern auch einen Batzen blaue Scheine, direkt auf die Hand. Und die können wir gerade gut gebrauchen. Das Zuhause vom Chef liegt auf einem Hügel mit Blick auf Frankfurt und hat sieben Bäder.
Meine Mutter wundert sich und fragt: »Um Gottes willen, wozu brauchen die denn SIEBEN Bäder?«
Mein Vater lacht und sagt: »Na, vielleicht wollen die jeden Tag in einem anderen Bad ihr Geschäft verrichten, damit’s beim Kacken nicht langweilig wird?«
Sie haut ihm auf den Arm und ermahnt ihn: »Also, sag mal! Doch nicht vor dem Kind!«
Mein Vater und ich grinsen uns verschwörerisch an, und er flüstert mir ins Ohr: »Wofür die Deutschen sieben Bäder brauchen, schaffen wir mit nur einem einzigen Loch!«
Das Loch, das er meint, ist das Plumpsklo in unserem Dorf. Und weil wir uns im Dorf den Po mit Zeitungspapier abputzen, sagt er, sind selbst unsere dalmatinischen Ärsche klüger als die meisten Köpfe, die er kennt.
Auch wenn ich natürlich genauso klug wie er und die anderen im Dorf werden will, mag ich meine kalten Kinderpopobacken trotzdem lieber auf eine warme, deutsche, rosa Toilettenschüssel drücken und mit weichem deutschem Toilettenpapier abwischen statt mit dem kalten Zeitungspapier meiner Heimat.
Meine Mutter versteht mich, sie mag das auch viel lieber. Außerdem will sie keine schlechten Nachrichten am Po kleben haben, sie hätte in ihrem Leben schon genug davon gehabt. Ich weiß, dass sie in Deutschland bleiben will. Jetzt, da ich bei ihr bin, will sie nicht mehr zurück ins Dorf. Ich weiß das, weil ich gehört habe, wie sie es meiner Oma am Telefon erzählt hat: »Mama, wir haben dieses kleine Haus mit der anständigen Miete doch nicht einfach so gefunden! Warum sollen wir uns im Dorf zu dritt in ein Zimmer quetschen und mit den anderen ein Plumpsklo teilen, wenn wir hier sogar zwei Toiletten haben?«
Sie will ihre Freiheit in Deutschland nicht aufgeben. Hier kann sie sein, wer sie ist, unbeobachtet von der Familie ihres Ehemannes. Für sie ist klar, dass sich ihre Schwiegermutter Mara nie damit abfinden wird, dass mein Vater ausgerechnet sie geheiratet hat. Bei so viel Auswahl an jungen Frauen aus den besten Familien sucht er sich die einzige aus dem Dorf aus, die aus keinem standesgemäßen Haus stammt, elternlos und arm aufwächst und kein bisschen Mitgift mitbringt.
Meine Oma mütterlicherseits muss ihre fünf Kinder verlassen, weil es keinen Mann mehr in ihrem Leben gibt und sie sie nun allein durchbringen muss. Sie findet eine gute Stelle in einer Stofffabrik in Wangen am Bodensee, putzt nachts noch eine Bäckerei und spart jeden Pfennig. Meine Mutter ist sieben Jahre alt, als sie ohne ihre Eltern im Dorf zurückbleibt.
Für jedes ihrer Kinder legt sie Geld in einer Kiste zurück, damit sie später nicht ohne eine anständige Aussteuer in ihre Ehen gehen müssen.
Meine Mutter kommt nicht mit leeren Händen in das Haus meines Vaters. Im Gegenteil. Sie kommt mit einer satten Mitgift und mit einem noch viel größeren Mitbringsel. Denn mein Vater hat getan, was in unserem katholischen Dorf hinter Gottes Rücken jeder tut. Und was sich trotzdem nicht schickt. Er hat meine siebzehnjährige Mutter geschwängert. Als meine Mutter meinen Vater heiratet, liegt die im Laufe von zehn Jahren für sie angesparte Summe in Deutschen Mark in einem Umschlag bereit. Aber selbst wenn meine Mutter tatsächlich keinen Pfennig und keinen einzigen Löffel hätte mitbringen können, mein Vater hätte sie trotzdem heiraten müssen.
So kommt es, dass am Tag der Hochzeit anstelle des Vaters der geschwängerten Braut ihre Mutter eine stattliche deutsche Aussteuer an Jozo, den Vater meines Vaters, aushändigt. Diese ist so üppig, dass auch die Schwestern meiner Mutter plötzlich begehrter werden als Sophia Loren zu ihren besten Zeiten. Meine Oma übergibt stolz und mit erhobenem Kopf einen Koffer mit vergoldetem Besteck, feinste Leinenbettwäsche, edles Porzellan, ein Kaffeeservice mit dünnen Griffen, Küchentücher mit den Initialen der Frischvermählten, Handtücher mit Seidenapplikationen, Töpfe und Kochlöffel, Samtgardinen, Bettüberwürfe, Nachtwäsche für Braut und Bräutigam – sie übergibt nicht nur alles, was man von einer angemessenen Mitgift erwartet, in völligem Übermaß, sondern obendrein einen dicken Umschlag mit deutschem Geld.
Und einen Sicomatic-S, den ersten Schnellkochtopf der Welt mit Kochregler.
Die Familie meines Vaters steht am Morgen nach der Hochzeit versammelt vor dem Schnellkochtopf und starrt ihn an. Als sei der Topf ein Außerirdischer, der mitten in der Wohnküche gelandet ist und bei dem man nun wirklich nicht weiß, wohin mit ihm.
Niemand wagt je, den Topf auch nur anzurühren, und so bleibt er unbenutzt, bis er viele Jahre später schließlich entsorgt wird.
Meiner Mutter jedoch ist die üppige Aussteuer, die sie im Dorf zurückgelassen hat, völlig egal. Sie will in Deutschland bleiben.
Mein Vater will das auf keinen Fall. In zwei Jahren, sobald genug Geld da ist, will er zurück. Der Sommer 1982 soll es werden. Das ist der Plan. Und daran gibt es auch nichts zu rütteln.
»Wir gehen nach Hause, bevor du in die Schule kommst, meine Kleine! Nach Hause, zu Oma und Opa, deinen Tanten und Onkeln, zu deinen Cousinen und Cousins. Und zu Tante Iva!«
Meine Tante habe ich aber längst vergessen, und meine Mutter erträgt den Namen meiner Tante Iva nicht und verzieht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, sofort das Gesicht, wenn sie ihn hört.
Sie will weder zu Iva noch zu überhaupt irgendwem. Sie will in Deutschland bleiben. Sie will nur mich und sich und meinen Vater. Uns drei allein. Wir drei sind uns doch genug, sagt sie.
Und als wir mit dem Einzug fertig sind und meine Mutter die letzten Kisten in meinem neuen Kinderzimmer auspackt, holt sie einen Hammer und ein paar Nägel und wickelt ein kleines Kreuz mit einem nackten Mann in Windeln und ein hellblaues Bild von einer sehr schönen Frau, die ein brennendes Herz in der Brust hat, aus altem dalmatinischem Zeitungspapier. Ich staune, weil es genau das Zeitungspapier ist, mit dem wir im Dorf unsere Hinterteile klüger machen.
»Das ist Jesus«, sagt sie und zeigt auf den Nackten, »und das hier, das ist seine Mutter. Die Heilige Jungfrau Maria.«
Und während sie die Nägel in die Kinderzimmerwand hämmert und das Kreuz über das blaue Bild hängt, sagt sie: »Jesus ist der Sohn von Gott, hörst du. Und seine Mutter ist gebenedeit. Sie ist gesegnet. Von Gott! Denn er hat sie zu der wundervollsten und reinsten Frau des Himmels und der Erde gemacht, weil er sie zur Mutter seines Sohnes gemacht hat. Er hat sie unter allen Frauen auserwählt.«
Ich verstehe kein Wort von dem, was meine Mutter erzählt, und frage: »Bist du dann auch von Gott gesegnet, Mama? Du bist doch auch eine junge Frau.«
Meine Mutter lächelt und sagt: »Ja, mein Kind, das bin ich. Ich bin gesegnet, weil ich dich geboren habe!«
Sie nimmt meine Hände in ihre Hände und erklärt: »Mein Kind, du musst dich jetzt jeden Abend vor die Muttergottes und vor Jesus knien.« Sie faltet meine Hände und zeigt auf die beiden Neulinge in meinem Zimmer. »Bitte sie darum, dass ein Wunder geschieht und wir nicht zurück ins Dorf müssen. Ich weiß, dass du das schaffst. Ich weiß es einfach!«
Ich knie. Und bete. Und bete. Und bete. Aus Tagen werden Wochen und aus Wochen werden Monate. Ich bete, was das Zeug hält.
Ich will auch hierbleiben und mit meinen Eltern allein sein.
Während ich bete, wird unser Garten immer üppiger, die Tomatensträucher wachsen und riechen herrlich. Unser Zuhause wird gemütlicher, Mama ist fröhlich, mein Vater auch.
Im Sommer 1981, als Frau Müller, unsere Nachbarin, mir meine erste Barbie schenkt und mir zum baldigen Geschwisterchen gratuliert und sich freut, dass wir nun doch nicht so schnell zurück in die Heimat gehen, dämmert mir, dass meine Gebete erhört wurden. Nur nicht so, wie es geplant war. Für ein Baby habe ich nicht gebetet. Ich will auf keinen Fall ein Baby! Jesus und Maria...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abhängigkeit • Abstinenz • Alkohol • Alkoholabhängig • Alkohol Buch • Alkoholentzug • Alkoholiker • Alkoholismus • alkoholkrank • Alkoholproblem • Alkoholsucht • Alkoholsucht Erfahrung • alkoholsüchtig • Anonyme Alkoholiker • Anti-Alkohol • Autobiografie Frauen • Autobiografie Schauspielerin • Biografie Schauspieler • Bücher von Promis • corona und alkohol • Designerin • Drogen • Eigentlich wollte ich mich selbst entfalten • Entertainerin • Entzug • Erfahrungen und Schicksale • Erfahrungsberichte Alkohol • Fernsehen • Film • folgen von covid • Frauenschicksal • Frauen und Alkohol • gesunder umgang mit alkohol • hilfe bei alkoholsucht • körperliche Abhängigkeit • leben im rausch • Lebensgeschichte • Lebensgeschichten Frauen • Lebenshilfe • Lifecoachin • Mimi Fiedler • Nüchtern sein • Nüchtern werden • persönlich • Persönliche Erfahrungen • Persönliche Krise • Promi-Autobiographie • Prominent • rauschlos glücklich • RTL Nachtschwestern • Schauspielerin • Sexueller Missbrauch • Sie dürfen den Frosch jetzt küssen • Sobriety-Bewegung • Starke Frauen • Trinken • Trinkerbelle • Trinksucht • trockener Alkoholiker • TV • Unternehmerin • wahre geschichten bücher |
ISBN-10 | 3-426-46330-X / 342646330X |
ISBN-13 | 978-3-426-46330-7 / 9783426463307 |
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