Oppenheimer (eBook)
704 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2947-5 (ISBN)
Kai Bird (im Bild links), geboren 1951, arbeitet weltweilt als Journalist. Er ist Kolumnist und Mitherausgeber von The Nation und Autor zahlreicher biographischer Bücher.
Kai Bird (im Bild links), geboren 1951, arbeitet weltweilt als Journalist. Er ist Kolumnist und Mitherausgeber von The Nation und Autor zahlreicher biographischer Bücher.
Vorwort
1953, vier Tage vor Weihnachten, geriet J. Robert Oppenheimers Leben – seine Karriere, sein Ruf und sein Selbstwertgefühl – völlig durcheinander: »Ich kann einfach nicht glauben, was mir da geschieht!« Mit diesem Stoßseufzer ließ er sich zum Haus seines Anwalts in Georgetown, Washington D.C., fahren. Dort hatte er binnen weniger Stunden eine folgenschwere Entscheidung zu fällen. Sollte er seinen Beratervertrag mit der US-Regierung kündigen? Oder doch besser die Vorwürfe anfechten, die ein Brief enthielt, den Lewis Strauss, der Vorsitzende der Atomic Energy Commission (AEC), ihm an frühen Nachmittag unerwartet übergeben hatte? Nach einer erneuten Überprüfung seines Lebenslaufes und seiner politischen Ansichten, hieß es in diesem Schreiben, könne man nicht umhin, ihn als Sicherheitsrisiko zu betrachten. Vierunddreißig Punkte umfasste die Liste der gegen ihn erhobenen Vorwürfe.
Seit dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki fühlte sich Oppenheimer von der vagen Ahnung verfolgt, dass etwas dunkel Unheilvolles vor ihm liege. Ende der 1940er Jahre hatte er, der zum angesehensten Naturwissenschaftler und politischen Berater seiner Generation, ja zu einer Ikone der amerikanischen Gesellschaft geworden war, Henry James’ Erzählung »Das Tier im Dschungel« gelesen. Als im Nachkriegsamerika der Antikommunismus immer höhere Wellen schlug, schwante Oppenheimer, dass auch ihm eine bedrohliche Bestie nachstellte. Und er hatte allen Grund, sich als Gejagter zu fühlen: Da waren die Vorladungen vor die Rotenhatz-Komitees des Senats, FBI-Tonbandmitschnitte seiner Telefonate im Büro und in seiner Wohnung, Anwürfe in der Presse wegen seiner politischen Vergangenheit und seiner aktuellen politischen Positionen. Sein Widerstand gegen eine Sicherheitspolitik, die sich vor allem auf strategisches Bombardieren gegnerischer Städte mit Atomwaffen stützte, hatte ihm in Washington mächtige Feinde geschaffen, unter anderen J. Edgar Hoover und Lewis Strauss. Die beiden machten sich daran, seine bereits mehrfach durchleuchtete politische Vergangenheit noch einmal ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren.
Darum beriet er sich an jenem Abend mit Anne und Herbert Marks. Marks war nicht nur sein Anwalt, sondern auch einer seiner engsten Freunde. Anne, die Oppenheimers Sekretärin in Los Alamos gewesen war, spürte seine Verzweiflung. Nach längeren Diskussionen entstand ein Brief an »Dear Lewis«, in dem Oppenheimer erklärte, ein Rücktritt käme »unter den gegebenen Umständen« dem Eingeständnis gleich, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestünden zu Recht, so als sei er »nicht geeignet, dieser Regierung zu dienen, der ich zwölf Jahre lang gedient habe«. Ein Rücktritt komme also nicht in Frage. Das war der Anfang vom Ende seiner Tätigkeit als politischer Berater; vor diesem Hintergrund ist es nicht ohne Ironie, dass die anschließende demütigende Anhörung Oppenheimers Ruhm noch steigerte. Er selbst aber war danach ein gebrochener Mann.
Oppenheimers Weg von New York nach Los Alamos und schließlich nach Princeton war begleitet von den Triumphen und Auseinandersetzungen seiner Zeit: Quantenrevolution in der Physik, Kampf um soziale Gerechtigkeit, Zweiter Weltkrieg und anschließender Kalter Krieg. Ein Weg, auf den ihn seine außerordentliche Intelligenz, seine Eltern, seine Lehrer an der Ethical Culture School, die Erfahrungen seiner Jugend und Studentenzeit geführt hatten. Sein beruflicher Aufstieg begann in Deutschland in den 1920er Jahren mit dem Studium der gerade entstehenden Quantenphysik. In der 1930er Jahren baute er an der University of California in Berkeley das in den Vereinigten Staaten führende Zentrum quantenphysikalischer Forschung auf. Gleichzeitig brachten ihn die Erfahrungen der Großen Depression und des in Europa aufkommenden Faschismus dazu, sich mit Freunden – darunter viele Sympathisanten oder Mitglieder der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten (KP) – am Kampf um soziale Gerechtigkeit und für Rassengleichheit zu beteiligen. Diese Jahre gehörten zu den schönsten seines Lebens. Dass sie Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre so ohne weiteres ausgeschlachtet werden konnten, um Oppenheimer politisch mundtot zu machen, zeigt, wie anfällig demokratische Prinzipien sind und wie sorgfältig sie geschützt werden müssen.
Das demütigende Verfahren, dem Oppenheimer 1953/54 unterzogen wurde, war – auf dem Höhepunkt der McCarthy-Ära – kein Einzelfall. Einzigartig aber war der Mann, über den gerichtet wurde: Amerikas Prometheus, der Vater der Atombombe, der seinem Land in Kriegszeiten das Feuer der Sonne handhabbar gemacht hatte. Und als ihm dies gelungen war, hatte er sehr bedacht von den Gefahren der Atomenergie gesprochen, hoffnungsvoll von deren Nutzen und, immer verzweifelter, die Vorschläge kritisiert, die Verteidigung der Vereinigten Staaten vor allem auf Atomwaffen zu stützen. An dieser strategischen Neuorientierung waren auch Kollegen aus der Wissenschaft beteiligt. Ihnen und dem militärischen Establishment hielt er die Frage entgegen: »Was sollen wir von einer Kultur halten, die Ethik stets als essentiellen Teil des menschlichen Lebens betrachtet hat, die dann [aber] über die Möglichkeit, nahezu alles Leben auszulöschen, nicht anders sprechen zu können meint als in Begriffen der Sachlogik und der Spieltheorie?«
Ende der 1940er Jahre verschlechterten sich die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen kontinuierlich. Und Oppenheimers Drängen, sicherheitspolitische Fragen auch unter moralisch-ethischen Gesichtspunkten zu diskutieren – und zwar öffentlich –, beunruhigte das militärisch-sicherheitspolitische Establishment in Washington. Mit dem Einzug der Republikaner ins Weiße Haus gelangten 1953 Verfechter der massiven atomaren Vergeltung in einflussreiche Positionen. Lewis Strauss und seine Verbündeten waren entschlossen, den Mann zum Schweigen zu bringen, der, wie sie fürchteten, ihre Positionen mit überzeugenden Argumenten erschüttern konnte. Mit ihrem Angriff auf Oppenheimers politische und wissenschaftliche Standpunkte – auf alle Werte, die sein Leben bestimmt hatten – brachten seine Gegner viele Aspekte seines Charakters ans Licht: seinen Ehrgeiz und seine Unsicherheiten, Brillanz und Naivität, Entschlusskraft und Zögerlichkeit, seinen Stoizismus und seine Impulsivität. Rund tausend eng bedruckte Seiten umfasst In the Matter of J. Robert Oppenheimer, das amtliche Wortprotokoll seiner Anhörung vor dem Personnel Security Hearing Board, das die AEC eingesetzt hatte. Strauss ließ es als Rechtfertigung des von ihm inszenierten Verfahrens veröffentlichen, aber es zeigt, dass es seinen Gegnern nicht gelungen ist, den psychischen Panzer zu durchdringen, hinter dem dieser Mann sich und seine inneren Zerrissenheiten seit früher Jugend versteckt hatte. Dieses Buch verfolgt den Weg Robert Oppenheimers von seiner Kindheit in New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu seinem Tod 1967, um der rätselhaften Persönlichkeit hinter jenem Schutzschild auf die Spur zu kommen.
Grundlage dieses Buches sind mehrere Tausend Zeugnisse, zusammengetragen aus Archiven und privaten Beständen im In- und Ausland. Dazu gehören Oppenheimers umfangreicher Nachlass in der Library of Congress und auch das einige Tausend Seiten umfassende Dossier des FBI, Ergebnis einer fünfundzwanzigjährigen Bespitzelung. Die Leser werden Oppenheimers Worte »hören« können, wie sie vom FBI aufgezeichnet und transkribiert worden sind; nur wenige Männer des öffentlichen Lebens wurden einer derartigen Überwachung unterzogen. Hinzu kommen Gespräche, die wir mit insgesamt fast einhundert Personen geführt haben: mit Oppenheimers engen Freunden, Verwandten und Kollegen. Viele unserer in den 1970er und 1980er Jahren befragten Gesprächspartner sind inzwischen verstorben. Doch mit ihren Berichten haben sie beigetragen zu einem facettenreichen Bild des Mannes, der uns ins Atomzeitalter geführt und dann darum gekämpft hat, die Gefahr eines Atomkriegs zu bannen – ein Kampf, den wir auch heute noch zu führen haben.
Oppenheimers Geschichte zeigt uns, dass die Identität des amerikanischen Volkes mit den Fragen rund um die Atomtechnik eng verknüpft bleibt. E.L. Doctorow hat das in The Nation (22. März 1986) beschrieben: »Seit 1945 ist die Bombe in unserem Bewusstsein. Erst bestimmte sie unsere Verteidigung, dann unsere Diplomatie, nun ist sie Teil unserer Wirtschaft. Wie könnten wir davon ausgehen, dass etwas so Übermächtiges nach vierzig Jahren nicht zu einem Teil unserer Identität geworden ist? Der große Golem, den wir gegen unsere Feinde geschaffen haben, ist unsere Kultur, unsere Bombenkultur – ihre Logik, ihr Glaube, ihre Vision.« Mutig versuchte Oppenheimer, uns von dieser »Bombenkultur« abzubringen, er wollte die atomare Bedrohung eindämmen, an deren Entstehung er entscheidend mitgewirkt hatte. So entstand der Plan einer internationalen Kontrolle der Atomenergie, bekannt geworden als Acheson-Lilienthal-Report – Oppenheimer war an dessen Konzeption und Formulierung maßgeblich beteiligt. Das Dokument ist ein einzigartiges Beispiel für Vernunft im Atomzeitalter.
Der Plan scheiterte an...
Erscheint lt. Verlag | 29.6.2023 |
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Übersetzer | Klaus Binder |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Atombombe • Biografie • Christopher Nolan • Fimausgabe • Forschung • Geschichte • oppenheimer • Pulitzer Preis • USA • Wasserstoffbombe • Wissenschaft |
ISBN-10 | 3-8437-2947-6 / 3843729476 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2947-5 / 9783843729475 |
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