C'est la vie, chérie (eBook)
320 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2900-0 (ISBN)
Tessa Hennig schreibt seit vielen Jahren große TV-Unterhaltung und Bestseller-Romane mit Herz und Humor, die auch erfolgreich verfilmt wurden. Wenn sie vom Schreiben eine Auszeit benötigt, reist sie auf der Suche nach neuen Stoffen gern in den Süden.
Tessa Hennig schreibt seit vielen Jahren große TV-Unterhaltung und Bestseller-Romane mit Herz und Humor, die auch erfolgreich verfilmt wurden. Wenn sie vom Schreiben eine Auszeit benötigt, reist sie auf der Suche nach neuen Stoffen gern in den Süden.
Kapitel 1
Der Tag war gelaufen. Ulrike hatte einen Wurm im Ohr. Geholt hatte sie ihn sich von Herrn Eberle, der unentwegt nervenzersetzende Schlager von irgendwelchen Radiostationen aufschnappte, die sie anscheinend rund um die Uhr spielten. Freddy Brecks »Rote Rosen, rote Rosen. Sind die ewigen Boten der Liebe. Rote Rosen, rote Rosen. Die bekommst du darum auch von mir.« Die Textzeilen hatte Herr Eberle gesungen, als er um Ulrikes Rosenbestand herumscharwenzelt war. Die Platte aus den Siebzigern lief heute sicher den ganzen Tag in Ulrikes Stammhirn – so tief hatten sich diese Zeilen in ihren Kopf eingenistet. Wie eine Platte mit Kratzer in Dauerschleife. Der Eberle war glücklicherweise nicht dazu gekommen, weitere Strophen von sich zu geben, weil Ulrike ihn jäh unterbrochen hatte, um ihm klarzumachen, dass Rosen nichts weiter als ein Klischee waren. Wer rote Rosen kaufte, um seiner Angebeteten ein Zeichen seiner Liebe zu schenken, dem fiel halt nichts Besseres ein. Aber gut, wieder sechzig Euro Umsatz gemacht. Die roten waren nun weg und der Eberle auch. Ulrike seufzte erleichtert, als sich die Tür hinter ihm schloss. Voller Wehmut betrachtete sie die schönen Sträuße, die sie heute Morgen liebevoll arrangiert hatte. Romantik pur für frisch Verliebte. Ihre floristischen Kompositionen sagten mehr aus als dieser toupierte Breck mit seinem Gassenhauer. Am besten gefiel ihr der rund gebundene Strauß mit Alstromerien und Santini, Schleierkraut und Lilien, eingebettet, ja fast schon liebkost von Salal und Pistazie. Ein kleines Meisterwerk, wenngleich ein Kinderspiel für eine gelernte Floristin mit über dreißig Jahren Berufserfahrung, zehn davon im »Blütentraum« – ihrem kleinen Laden in der Offenburger Innenstadt, der es bis heute geschafft hatte, den Billigblumenangeboten sämtlicher Supermarktketten zu trotzen. Wahrscheinlich war es ihre Liebe für alles, was blühte, die sie tagtäglich, obwohl sie kurz vor der Rente stand, noch in den Laden trieb, der letztlich nicht nur Flora, sondern Ästhetik und Wohlbefinden verkaufte. Vom täglich betörenden Duft, der aus unzähligen Blütenkelchen strömte, mal ganz abgesehen. Das war jeden Tag ein Genuss, gemütsaufhellend und Trost spendend, wenn das Leben mal wieder vor sich hin zickte. Der Ohrwurm war erst weg, als Frau Heidenreich vor ihrem Laden auftauchte und sie keine zwei Atemzüge später mit einem einnehmenden Lächeln begrüßte. Ulrike mochte diese Stammkundin besonders gerne, weil sie stets guter Dinge war. Kundschaft hatte sie nicht nur einmal für Schwestern gehalten, wenngleich Ulrike der Heidenreich in Sachen Ausstrahlung, die Gletschereis zum Schmelzen bringen konnte, in letzter Zeit nicht mehr das Wasser reichen konnte. Sie sahen sich tatsächlich ähnlich, obwohl nicht einmal entfernt verwandt. Graues, kurz geschnittenes Haar, feine Gesichtszüge, braune wache Augen und Grübchen, wenn sie schmunzelten. Markant war bei beiden das Nashörnchen – Ulrikes Mann Hans bezeichnete es als solches. Auch bei Frau Heidenreich ragte die Nasenspitze etwas nach oben. Ulrikes Kundin wäre, zumindest auf dem Papier, die ältere Schwester. Sie sah mit ihren einundsiebzig aber fast noch einen Tick jünger aus als Ulrike an schlechten Tagen. Angeblich wegen gesunder Ernährung, Verzicht auf Salz und vor allem Zucker, Nikotin, Alkohol und Kaffee. Seit ihrem Vortrag darüber, dass Zucker das schlimmste Gift unserer Zeit sei, dick, süchtig, aber auch träge mache und die gesunde Reproduktion von körpereigenen Zellen unterdrücke, war keiner mehr im Haus. Frau Heidenreich war der lebende Beweis dafür, dass Gesundheit, Vitalität und Schönheit auch mit einem höheren Alter einhergehen konnten. Bei ihr hingen weder die Mundwinkel noch die Wangen, und nur die Haut am Hals zeigte ein paar Fältchen. Wer so aussah, konnte es sich sogar leisten, Kleidung zu tragen, vor der manch Fünfzigjährige zurückschrecken würde. So auch heute. Sie trug eine Bluse mit buntem Blumenmuster, einen roten Schal, passend zum Lippenstift, den gleichfarbigen modischen Ohrringen und eine keck geschnittene weiße Falschpelzjacke, die sie wahrscheinlich nur zur Zierde lose auf den Schultern trug. Joan Collins in Stöckelschuhen – zumindest gemessen an Ulrikes Hush Puppies mit Fußbett, ohne die sie die vielen Stunden im Laden nicht überstehen würde. Ulrike musste nie ihr routiniertes Lächeln für die Laufkundschaft aufsetzen, wenn sie hereinkam, obwohl sie die Frau daran erinnerte, dass sie im Gegensatz zu ihren Blumen, aber auch im Vergleich mit der Heidenreich, bereits am Verwelken war. Die Frau war noch nicht einmal geliftet!
»Guten Morgen, Frau Becher. Was für ein wunderschöner Tag.« Frau Heidenreich versprühte pure Lebensfreude.
Ulrike bemerkte erst jetzt, dass sich die Wolken verzogen hatten und die Sonne die Geschäftshäuser gegenüber beschien.
»Mal sehen, wie lange sich die Sonne heut noch blicken lässt.« Ulrike gab sich angesichts des wechselhaften Aprilwetters der letzten Tage pessimistisch.
»Ach was. Die bleibt schon am Himmel. Sie ist immer am Himmel. Nur manchmal schieben sich halt ein paar Wolken davor.« Frau Heidenreichs fröhliches Wesen verströmte seine Schwingungen wie der Duft von Ulrikes Blumenmeer. Erstaunlicherweise hatte sie nicht wie sonst die Ecke mit den Blumentöpfen im Visier. Manchmal kaufte sie auch nur ein paar Schnittblumen. Der Blumenstrauß für Romantiker schien es ihr heute besonders angetan zu haben.
»Das ist genau das Richtige«, schwärmte sie und ließ sogleich ihre Nase in einen der Alstromerienkelche sinken. Die zogen normalerweise Schmetterlinge an. Frau Heidenreich wirkte wie einer. So leicht, zart und unbeschwert.
»Ideal, einfach ideal …«
»Den hab ich heute Morgen als Hochzeitsstrauß gebunden. Die Hochzeit wurde aber auf kommende Woche verschoben«, erklärte Ulrike.
»Na, da hatte ich wohl den richtigen Riecher.«
»Sie wollen heiraten?«
»In meinem Alter? Wo denken Sie hin, meine Teuerste, obwohl …« Frau Heidenreich schien dieser Gedanke zu erheitern.
Ulrike sah sie entgeistert an, woraufhin Frau Heidenreich laut loslachte. Dass sie Männer immer noch interessierten, war Ulrike bekannt. Mit Mitte fünfzig die zweite Scheidung. Mit Ende fünfzig eine neue Flamme, die allerdings vor drei Jahren erloschen war. Ulrike hatte das Bouquet für seine Beerdigung gebunden.
»Er heißt Wolfgang. Total schnuckelig, der Kerl.«
Ulrike traute ihren Ohren nicht.
»Schnuckelig?« Ulrike hatte bei diesem Wort einen gerade mal geschlechtsreifen Jüngling vor Augen.
»Er ist letzte Woche sechzig geworden, aber immer noch total vital.«
Aha, vermutlich auch einer mit gesunder Ernährung und dem ganzen Pillepalle, um Falten aus dem Gesicht fernzuhalten.
»Hab ihn im Spanischkurs kennengelernt.«
»Sie lernen Spanisch?«
»Er hat ein Haus an der Costa Blanca. Er will, dass ich zu ihm ziehe.«
»Einfach so? Weg von hier?«
»Nennen Sie mir einen Grund, weshalb ich hierbleiben sollte. Sieht man mal von Ihrem Blumenladen ab.«
Ulrike fiel keiner ein. Frau Heidenreich hatte ihres Wissens eine fette Rente und war zudem witwenrentengeboostert. Ihr Sohn hatte sich in ein Mädchen aus der DomRep verliebt und lebte dort von einem Surfverleih, ansonsten von Joints und Liebe. Der besuchte sie gerade einmal im Jahr, entweder zu Weihnachten oder an ihrem Geburtstag, und würde sicher auch nach Spanien fliegen, um die Mama zu erfreuen.
»Sehen Sie«, kam es dann prompt. »Ich glaube, es würde Ihnen auch gefallen. Um die Jahreszeit duftet es dort überall nach Orangen. Man wird ganz high davon«, fuhr Frau Heidenreich fort.
»Sie waren schon dort?« Erst jetzt fiel Ulrike auf, dass sie Frau Heidenreich tatsächlich für bestimmt zwei Wochen nicht mehr gesehen hatte.
Sie nickte genießerisch.
»Er hat eine Finca, etwas abseits vom Meer. Aber der Blick von dort oben und, was soll ich sagen … Ich fühle mich um zehn Jahre jünger«, juchzte sie. Das klang so, als hätten sie es jeden Tag in irgendeiner Orangenplantage getrieben.
»Wolfgang … Ach … Wolfi …« Frau Heidenreich wirkte wie weggetreten.
Ulrikes Verdacht bestätigte sich. »Er ist wohl noch gut beieinander«, wagte sie anzumerken.
»Gut beieinander? Ein Stier!« Frau Heidenreich kicherte wie ein junges Gör. Das war der Schlag in die Magengrube, obwohl Ulrike genau wusste, dass sie es nicht ernst gemeint haben konnte. In dem Alter. Oder etwa doch? Allein die bloße Vorstellung, dass Männer ab sechzig noch so viril sein konnten und Frauen wie die Heidenreich so lustvoll, brachte Ulrikes Weltbild angesichts eigener jahrelanger leidvoller Erfahrung im ehelichen Schlafgemach arg ins Wanken. Jeder hatte doch ab fünfzig seine Zipperlein. Arthrose, Rheuma, Schleimbeutelentzündungen, Hexenschuss. Rückenprobleme sowieso, wenn nicht Schlimmeres. Ein Stier? Die Heidenreich übertrieb sicher maßlos.
»Er kommt heute zu Besuch. Den Strauß nehm ich.«
Ulrike nickte und nahm ihn aus der Vase, steckte ihn in eine Plastiktube, gefüllt...
Erscheint lt. Verlag | 29.6.2023 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alter • Amore • Blumen • Chance • Chaos • Ehe • Ehemann • Enkel • Familie • Frühling • Geheimnis • Generation • Humor • Leben • Liebe • lustig • Neuanfang • Oma • Opa • Paris • Partner • Rente • Rentner • Romantik • romantisch • Streit • Tochter • TRIP • Zweiter |
ISBN-10 | 3-8437-2900-X / 384372900X |
ISBN-13 | 978-3-8437-2900-0 / 9783843729000 |
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