Ramirez fluchte lautlos, während er die Sekundenanzeige nicht aus den Augen ließ. Die Zeit war einfach zu kurz! Doch auch das wenige, das er aufzeichnen konnte, war schon ein Gewinn. Er stoppte die Scans eine Sekunde vor dem Zeitlimit, codierte sie und bereitete sie für die Übertragung vor.
Ein Funkspruch von der Werft kam herein. »Frachtschiff, identifizieren Sie sich und nennen Sie uns Ihren Freigabecode.«
»Frachtschiff KANO mit Bauteilen von Epikur III für Werft 27 F«, antwortete Ramirez ohne zu zögern. »Freigabecode: Sigma 742-92853AL313.«
Gleichzeitig bereitete er die Übertragung vor, sodass er sie mit einem einzigen Knopfdruck abschicken konnte. Sein Finger schwebte über der Sendetaste, während er innerlich zu sämtlichen im Universum existierenden Göttern betete, dass der gekaufte Code korrekt und noch aktiv war. Andernfalls würden die nächsten Sekunden die letzten seines Lebens sein.
»Frachtschiff KANO«, kam die Antwort von der Oberfläche, »Sie haben Landefreigabe. Wir übermitteln Ihnen die Koordinaten Ihres Landeplatzes. Die Entladung beginnt, sobald die Fracht freigegeben ist. Guten Flug!«
Jonas Ramirez stieß hörbar die Luft aus und nahm den Finger von der Sendetaste. Sie hatten den Code akzeptiert. Das machte die überstürzte Sendung der Daten überflüssig. Er konnte in Ruhe seine Fracht abladen, danach gemütlich das System wieder verlassen und die Daten aus sicherer Entfernung zu ihrem Bestimmungsort senden. Auf diese Weise blieb er immer noch im Spiel und war in der Lage, noch weitere solcher Einsätze durchzuführen.
Trotzdem ging er kein Risiko ein. Er kopierte die Daten auf einen Mikrochip, den er in seinem Medaillon verbarg. Dieses Medaillon war das neueste Wunderwerk der Technik. Es war innen mit einem Überzug ausgegossen, der bei einem Scan vorgaukeln würde, dass der Anhänger massiv war und keinen Hohlraum besaß. Der Verschluss war so passgenau gearbeitet, dass man ihn allenfalls unter dem Mikroskop erkennen konnte und in diesem Fall wahrscheinlich für eine Gussnaht hielt.
Das Beste daran war aber der Öffnungsmechanismus. Er reagierte nur auf Stimmerkennung und auch nur auf eine bestimmte Sequenz von Tönen der einprogrammierten Stimmen. Außer Ramirez und vier hochrangigen Mitgliedern der Galaktischen Abwehr konnte niemand ihn öffnen. Dazu kam noch eine Schutzfunktion, die den Mikrochip in seinem Inneren zerstören würde, falls man versuchte, den Anhänger gewaltsam zu öffnen.
Nachdem Ramirez seine Scans zu den anderen bereits auf dem Chip befindlichen Informationen gespeichert hatte, löschte er die Daten aus den Ortungsaufzeichnungen und tat dasselbe mit dem vorbereiteten Funkspruch. Da es nicht nötig gewesen war, ihn jetzt abzusenden, war es weitaus sicherer, wenn er ihn spurlos aus dem System verschwinden ließ und erst neu eingab, wenn er ihn weit genug weg von den Ortungsgeräten und Funkempfängern der Genetics senden würde.
Er landete die KANO vorschriftsmäßig auf den angegebenen Koordinaten, nahm den Frachtdatenspeicher und ging zur Außenschleuse, um sich bei der Verwaltung zu melden, damit die Fracht freigegeben wurde. Als er die Schleuse öffnete, stand er einer Abteilung Soldaten gegenüber und starrte in die Mündungen ihrer Nadler.
»Captain Jonas Ramirez, Sie sind verhaftet wegen Spionage gegen die Genetiker-Förderation!«
Ramirez zeigte nach außen hin keine Regung. Doch innerlich schrie eine Stimme: Jemand hat mich verraten!
*
Captain Rena Sunfrost, Kommandantin des Sondereinsatzkreuzers STERNENKRIEGER II, saß im Aufenthaltsraum bei einem Becher Kaffee und gab vor, die Dienstpläne der kommenden Woche durchzugehen. In Wahrheit beobachtete sie Sonderbotschafter Aorangi Mako Maunga, der seinerseits unverhohlen interessiert einem Gespräch zwischen einigen Crewmitgliedern lauschte.
Der Auftrag der STERNENKRIEGER lautete, den Botschafter nach Aurelis II zu bringen, wo er mit den Genetics, die sich vor kurzem von den Humanen Welten abgespalten und ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, verhandeln sollte. Die Humanen Welten wollten die Genetiker-Förderation um militärische Unterstützung ersuchen.
Seit sich das Wurmloch Alpha auf dem Territorium der Menschen wieder geöffnet hatte, das in einen 50.000 Lichtjahre entfernten Teil der Galaxis führte, befanden sich die Humanen Welten in einer Gefahr von zwei Seiten gleichzeitig. Diesseits versuchten etliche Völker, Zugang zum Wurmloch und den dahinter liegenden Verheißungen zu bekommen. Einige, wie zum Beispiel die K'aradan, taten das durch Bündnisverträge mit den Menschen. Andere wie die sauroiden Fulirr oder die Naarash versuchten es mit Gewalt.
Und in Trans Alpha bereitete das Parasitenvolk der Etnord eine Invasion durch das Wurmloch vor.
Angesichtes dieser Gefahren brauchten die Humanen Welten jede Hilfe, die sie bekommen konnten. Unglücklicherweise hatten sich die drei Genetiker-Systeme – Aurelis, Einstein und Epikur – unlängst von den Humanen Welten losgesagt, da sie deren gesetzliche Beschränkungen der Genmanipulation nicht akzeptieren wollten.
In der Regierung hatte man das, nach allem, was darüber bekannt geworden war, bisher mit dem Tenor betrachtet, dass die Genetics schon sehen würden, was sie davon hatten und bei dem Versuch der Unabhängigkeit ohne die Unterstützung der Humanen Welten nicht allzu weit kommen würden. Dass jetzt die Humanen Welten bei ihnen um Hilfe anklopfen mussten, war vielen ein gewaltiger Dorn im Auge. Es gab einige – darunter auch solche, die in einflussreichen Positionen saßen –, die der Meinung waren, im Notfall lieber stolz unterzugehen, als bei den Genetics zu Kreuze zu kriechen.
Im Gegenzug würden die Verantwortlichen bei den Genetics die Situation genießen und, so wie Rena Sunfrost sie einschätzte, die Humanen Welten sicherlich um die Hilfe betteln lassen, um sie am Ende doch kalt lächelnd abzulehnen. Für diesen diplomatischen Seiltanz brauchte man schon eine außergewöhnliche Persönlichkeit als Botschafter. Und Aorangi Mako Maunga schien zumindest auf den ersten Blick genau der Richtige für diese heikle Mission zu sein.
Er war, wie er nicht müde wurde, stolz zu betonen, einer der letzten reinblütigen Maori. Sein erster Vorname – Aorangi – bedeutete »Wolke im Himmel«, war aber gleichzeitig auch der Maori-Name des Berges Mouht Cook. Sein zweiter Vorname – Mako – war das Wort für »Hai«, und sein Nachname – Maunga – bedeutete »Berg«. »Mein Name ist Programm!«, pflegte er augenzwinkernd zu betonen. Und genauso wirkte er auch.
Er war mit seinen 1,75 Metern zwar nicht besonders groß, besaß dafür aber eine korpulente Figur, die der Wirkung seiner Persönlichkeit allerdings keinen Abbruch tat. Er wirkte eher wie ein gemütlicher Onkel als ein Politiker. Und vielleicht war gerade dieser Eindruck Teil seines Erfolgs.
Maunga war Mitte sechzig, hatte volles, schneeweißes Haar, das er fast so kurz trug wie die Marines, und einen gepflegten Vollbart. Seine Haut war goldbraun und seine Augen schwarz. Rena hatte vor ein paar Tagen zufällig gehört, wie eine Ordonnanz den Botschafter gefragt hatte, wo er denn als Maori die typischen Gesichtstätowierungen gelassen hätte.
Maunga hatte geantwortet: »Tataus waren das Markenzeichen der Toa, der Krieger. Ich bin Diplomat.« Augenzwinkernd hatte er hinzugefügt: »Außerdem trägt der kluge Krieger heutzutage seine Kriegsbemalung dort, wo der Gegner sie nicht auf den ersten Blick sehen kann. Sonst würde doch jeder sofort sehen, dass er mich zu fürchten hat.«
Bis jetzt hatte Rena allerdings noch nichts Fürchterlicheres an ihm bemerkt als seine ausgedehnten Raubzüge in der Bordküche. Auch jetzt hielt er einen Teller mit einem rapide kleiner werdenden Kuchenstück in der Hand, während er dem Gespräch lauschte. Rena fragte sich allerdings, weshalb Maunga sich hier im Aufenthaltsraum der Mannschaft aufhielt, statt in der Offiziersmesse. Sie selbst tat das, um als Captain auch bei den unteren Dienstgraden präsent zu bleiben. Aber Botschafter Maunga?
Andererseits war das bei näherer Betrachtung vielleicht gar nicht so abwegig, wenn man den Hintergrund des Botschafters bedachte. Rena hatte sich natürlich im Vorfeld über ihren Passagier erkundigt. Ihre Erfahrungen mit Botschaftern auf ihrem Schiff war zwiespältig. Der erste, mit dem sie Bekanntschaft gemacht hatte, ein gewisser Aljanov, war ein derart unangenehmer Mensch, dass er selbst von seinen Kollegen abfällig als »Furunkel im Hintern« bezeichnet wurde. Die zweite war Botschafterin Chang, eine kompetente Frau mit einer Begeisterung für fremde Kulturen und das ganze Gegenteil von Aljanov.
Aorangi Mako Maunga war allerdings ein ganz eigenes Kaliber. Gemäß dem, was allgemein über ihn bekannt war, war er in seiner Jugend dem Olvanorer-Orden beigetreten und sieben Jahre Mönch gewesen. Danach hatte er sich entschieden, die Kutte abzulegen, sich der Politik zu widmen und es innerhalb kürzester Zeit zu einem gefragten Mitglied im Diplomatischen Corps gebracht. Von da an ging seine Karriere steil bergauf. Botschafter Maunga galt als ein Spezialist für schwierige Fälle und stand in dem Ruf, seine Missionen so zu erledigen, dass am Ende alle Beteiligten der Überzeugung waren, die bestmöglichen Konzessionen erhalten...