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Als Großmutter im Regen tanzte (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

*****

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
384 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491528-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als Großmutter im Regen tanzte -  Trude Teige
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Eine starke Frau in dunklen Zeiten. Und eine junge Frau, die zurückschauen muss, um nach vorn blicken zu können. Als Juni ins Haus ihrer verstorbenen Großeltern auf der kleinen norwegischen Insel zurückkehrt, entdeckt sie ein Foto: Es zeigt ihre Großmutter Tekla als junge Frau mit einem deutschen Soldaten. Wer ist der unbekannte Mann? Ihre Mutter kann Juni nicht mehr fragen. Das Verhältnis zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter war immer von etwas Unausgesprochenem überschattet. Die Suche nach der Wahrheit führt Juni nach Berlin und in die kleine Stadt Demmin im Osten Deutschlands, die nach der Kapitulation von der russischen Armee überrannt wurde. Juni begreift, dass es um viel mehr geht als um eine verheimlichte Liebe. Und dass ihre Entdeckungen Konsequenzen haben für ihr eigenes Glück. »Als Großmutter im Regen tanzte« erzählt davon, wie uns die Vergangenheit prägt bis in die Generationen der Töchter und Enkelinnen. Doch vor allem ist es eine Geschichte über die heilende Kraft der Liebe. Der bewegende SPIEGEL-Bestseller: drei Generationen, verbunden durch die Liebe und ein tragisches Geheimnis der Nachkriegszeit
Spiegel-Bestseller

Trude Teige ist eine der bekanntesten Autorinnen, TV-Moderatorinnen und Journalistinnen Norwegens. In ihren Romanen bietet sie einen bewegenden Einblick in unbekannte Stücke unserer Geschichte und zeigt, wie das Schicksal auch die folgenden Generationen prägt. »Als Großmutter im Regen tanzte« stand monatelang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Auch ihr zweiter zeitgeschichtlicher Roman, »Und Großvater atmete mit den Wellen«, wird in in viele Sprachen übersetzt. Trude Teige hat drei erwachsene Kinder und lebt mit ihrer Familie am Oslofjord.

Günther Frauenlob ist Übersetzer, Moderator und Literaturagent. Er überträgt erzählende Literatur und Sachbücher aus dem Norwegischen und Dänischen. Daneben gehört er der Redaktion der Zeitschrift »Aqua viva« an. Frauenlob ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in Waldkirch.

»Der Roman ist bewegend; er ist schön und klug erzählt.« – FAZ

»Dieses Buch lässt niemanden unberührt. Verpassen Sie es nicht.« – Expressen

»Eine packende und erhellende Lektüre über die Liebe dreier Generationen im Schatten des Krieges. Ein eindrückliches Buch, das man unbedingt lesen muss. Geschrieben von einer Autorin, die weiß, wie man eine starke Erzählung schafft und die eine hochinteressante Geschichte zu erzählen hat.« – M-Magasin

3


Lilla arbeitete in der Stadt und kam an den Wochenenden nach Hause. Ich habe sie immer nur Lilla genannt, nie Mama oder Mutter. Die Stimmung veränderte sich oft, wenn Lilla zu Hause war, der Puls des Hauses schien dann irgendwie schneller zu schlagen.

»Warum gehst du arbeiten?«, habe ich sie einmal gefragt. »Die anderen Mütter auf der Insel sind zu Hause.«

»Weil ich hier nicht wohnen kann, ich ertrage das nicht«, sagte sie. »In der Stadt gefällt es mir besser. Da kann ich leichter atmen.«

Die Antwort verwirrte mich, denn ich fand, dass die Luft hier bei uns viel besser war als in der Stadt. Ich dachte deshalb, dass es etwas mit mir zu tun haben musste und sie nicht die ganze Zeit mit mir zusammen sein wollte.

Bis ich auf die weiterführende Schule kam und zu Lilla in die Stadt zog, wohnte ich bei Großvater und Großmutter auf der Insel. Während meiner gesamten Kindheit pflegte ich auf der Mole zu stehen und auf Lilla zu warten. Meistens freitagabends, manchmal aber auch erst am Samstagnachmittag. Sie arbeitete in Torkildsens Modegeschäft und bekam dort Rabatt, so dass ich immer gespannt war, ob sie etwas Neues trug. Ein Kostüm, ein Kleid, eine neue Hose oder irgendetwas anderes Schönes. Als Kind war ich mir vollkommen sicher, dass niemand so moderne Sachen trug wie Lilla. Ich bewunderte sie. Sie sah immer aus wie eines der Modelle in den Modezeitschriften. Und sie roch so wunderbar, trug immer Parfüm mit seltsamen Namen: Red Door, Rive gauche, Anaïs Anaïs. Am besten gefiel mir aber Charlie. Auf der Flasche war ein Bild von einer Frau mit langen, blonden Haaren, die mit nackten Füßen bei Sonnenuntergang an einem Strand entlanglief. Sanfte Wellen rollten hinter ihr an Land. Sie trug einen kreideweißen Hosenanzug, und auch ihre Zähne waren blendend weiß. Schräg über ihre Beine stand geschrieben: »Gives you the time of your life!«

Schon wenn Lilla mir noch weit draußen auf dem Wasser von der Fähre aus zuwinkte, wusste ich, wie ihre Laune war. Manchmal wirkte sie abwesend, dann redete sie kaum, wenn wir nach Hause gingen, und zog sich später gleich in ihr Zimmer zurück. Wenn sie sich aber wirklich darüber zu freuen schien, mich zu sehen, lackierte sie mir die Nägel, machte mir die Haare und schminkte mich. Dann durfte ich auch in ihr Zimmer und auf ihrem Bett sitzen. Wenn sie dann fertig war und mich ansah, sagte sie oft: Du bist das hübscheste Mädchen, das ich kenne. Manchmal streichelte sie mir auch über die Wange. Dann kribbelte es in meinem Bauch, denn sie, die so elegant und schön war und nach Charlie roch, musste es ja wissen.

Manchmal bauten Lilla und ich im Winter im Garten Schneelichter. Wir formten Schneebälle, die wir zu hohen Ringen auftürmten, und platzierten eine Kerze in der Mitte. Einmal haben wir fünfzehn solcher Lampen gemacht, der ganze Garten war erleuchtet. Ich weiß noch, wie Großmutter gelacht hat, als sie über den von Großvater geräumten Weg zum Nebengebäude ging, in dem sie ihr Atelier hatte. Sie sagte, es sehe aus wie in einer katholischen Kirche.

Auf der Insel schneite es nur selten richtig viel, der Schnee reichte nie, um Höhlen oder Iglus zu bauen. Dafür war das Klima viel zu mild und wechselhaft. Aber einmal – mein Großvater meinte, das sei der schneereichste Winter seit Menschengedenken gewesen – hatte Lilla plötzlich die Idee, vom Balkon im ersten Stock in den Schnee zu springen. Wir schaufelten einen großen Haufen Schnee zusammen, bis er so hoch war, dass wir darin landen konnten. Ich kletterte aufs Geländer, hielt mich am Pfosten fest und sah nach unten. Lilla stellte sich neben mich.

»Du schaffst das«, sagte sie.

»Ich trau mich nicht«, erwiderte ich, und sie nahm meine Hand.

»Doch, das tust du. Wir werden wie in Baumwolle landen.«

Ich sah erst nach unten, dann zu Lilla.

»Stell dir vor, du könntest fliegen«, sagte sie.

Ich kann fliegen, sagte ich zu mir, ich kann fliegen. Ich wollte, dass sie stolz auf mich war, wollte, dass sie mich mutig und stark fand. Ich weiß nicht, wovor ich am meisten Angst hatte: davor, zu springen, oder davor, sie zu enttäuschen. Ich schloss die Augen – und sprang. Mir blieb die Luft weg, ich bekam Schnee in Mund und Nase und rang heulend nach Atem.

Lilla war plötzlich dicht neben mir. Auch sie musste gesprungen sein. Sie zog mich aus dem Schnee und drückte mich an sich. »Geht’s dir gut? Hast du dir weh getan?« Ihre Stimme klang besorgt. »Tut dir irgendwas weh?«

Ich spürte in mich hinein. Nein, es tat mir nichts weh. Aber trotzdem weinte ich. Sie hielt mich in ihren Armen, während ich schluchzend ihren Duft einsog, eine Mischung aus kaltem Schnee und Charlie. Ich weinte lange, damit sie mich nicht losließ.

Großmutter hörte oft Musik, wenn sie im Nebengebäude war und malte.

»Chopin«, sagte sie und nahm eine Schallplatte, legte sie auf den alten Plattenspieler, blieb eine Weile stehen und wartete auf die Musik. Als die ersten Töne erklangen, trat sie an die Staffelei. »Chopin«, sagte sie wieder. »Die schönste Klaviermusik, die ich kenne. Mit Orchester. Dirigiert von Herbert von Karajan. Auch der war Mitglied in der NSDAP«, fügte sie hinzu, als spräche sie mit sich selbst.

»Was ist die NSDAP?«, fragte ich.

»Das lernst du, wenn du in die Schule kommst.«

Mit raschen Bewegungen begann sie, die Farben zu mischen. »Es ist schon komisch, wie die Vergangenheit an einem kleben bleiben kann«, fuhr sie fort, den Blick auf die Leinwand gerichtet. »Karajan bekam das zu spüren, obwohl er später eine Vierteljüdin geheiratet und die Partei verlassen hat.«

»Was ist eine Vierteljüdin?«

»Eine Person, deren Großvater oder Großmutter Jude war«, antwortete sie.

Dann schloss sie für ein paar Sekunden die Augen, und ich traute mich nicht mehr, noch weitere Fragen zu stellen. Sie atmete durch die Nase, und ihre Brust hob und senkte sich. »Ah! Das Klavierkonzert Nr 1 in e-Moll. Jetzt kann ich malen.«

Ich fand es komisch, dass dieser Chopin sie inspirierte, denn ihr Gesicht hatte immer etwas Wehmütiges, wenn sie die Musik hörte. Zumindest scheint mir Wehmut das richtige Wort zu sein, wenn ich heute daran zurückdenke. Damals kannte ich solche Ausdrücke natürlich noch nicht, aber ich sah, dass irgendetwas über sie kam.

Auch ich mochte Chopin. Wenn ich der Musik lauschte, gelang es mir, ziemlich lange still dazusitzen und zuzusehen, wie ihr Bild allmählich Form annahm. Denn nur wenn ich mich ganz still verhielt und nichts sagte, durfte ich bei Großmutter im Atelier sein.

Im Sommer stand die Tür zum Garten immer offen, und nachmittags krochen die Sonnenstrahlen dann langsam auf Großmutter zu, bis sie ihr Gesicht trafen und sich wie goldene Bänder auf ihre hochgesteckten Haare legten. Wenn sie eine Weile nicht beim Frisör gewesen war, entlarvte das Licht das Grau an ihrem Scheitelansatz und an ihrer Stirn. Ihre Falten warfen dann dunkle Schatten, die sich wie scharfe Striche von den Augen ausbreiteten. Auf der Stirn hatte sie horizontale Furchen, und die lange Narbe, die sich vom Nasenflügel bis zum Ohr quer über die eine Wange zog, trat deutlicher hervor. Ich habe sie einmal gefragt, woher diese Narbe stamme, aber sie sagte nur, sie könne sich nicht erinnern, das sei alles so lange her.

Meine Großmutter war auf ganz andere Weise schön als Lilla. Heute denke ich, dass sie eine Schönheit ausstrahlte, die nur das Alter einem Menschen geben kann.

Wenn sie malte, legte sich oft ein sanftes Lächeln auf ihr Gesicht. An anderen Tagen fuhr sie mit dem Pinsel schnell und hart über die Leinwand, als hätte sie wenig Zeit, dann wirkte ihr Gesicht verbissen. Einmal war ich dumm genug, sie zu fragen, ob sie sauer sei. Sie antwortete mit leiser, abweisender Stimme, dass ich still sein solle, sonst müsse ich gehen. Ich lief damals weinend zu Großvater, weil Großmutter so schroff gewesen war. Er nahm mich in die Arme und sagte: »Sie ist nicht sauer auf dich, sie ist nur in ihrer eigenen Welt und will nicht gestört werden. Komm, lass uns mal ans Meer gehen.«

Großvater und ich gingen in der Regel auf die Ostseite der Insel, wo es ein Plateau auf den Felsen gab, das von Norden und Westen vor dem Wind geschützt war. Im Sommer pflückte ich Blumen. Strandnelken, Gräser und Blutweiderich. Im Winter waren die Pfützen gefroren und das Eis so dünn wie Glas. Es knackte immer so lustig, wenn man darauf trat. Großvater sagte lächelnd, dass Lilla genau dasselbe getan habe, als sie klein war. Ich dachte in diesen Momenten immer, dass ich ihr vielleicht ähnelte und einmal genauso schön werden könnte, wenn ich groß war.

Während des Krieges war Großvater Seemann gewesen. Er erzählte nie, was er erlebt hatte, nur von der Zeit danach, als er auf großen Schiffen die Welt bereiste. Bevor er an Land gegangen und in der Reederei in Kragerø zu arbeiten begonnen hatte.

Wenn wir auf den Felsen saßen und über das Wasser blickten, erzählte er mir von fremden Meeren. Wie er Lilla davon erzählt hatte, als sie klein gewesen war. New York, Buenos Aires, Honolulu, Madras, Bremerhaven. Das alles waren seltsame Namen, die mir schwer über die Zunge gingen.

»Warum bist du später nicht mehr zur See gefahren?«, fragte ich.

»Ich habe es nicht mehr geschafft, so lange von Großmutter getrennt zu sein.«

An einige seiner Geschichten erinnere ich mich noch: an den Stewart, der seinen Job verlor, weil er trank; oder den Matrosen, der sich so nach seiner Geliebten zu Hause in Norwegen sehnte, dass er eine ganze Woche in seiner Kajüte saß und weinte; oder...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2023
Übersetzer Günther Frauenlob
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alena Schröder • Altes Land • Anne Gesthuysen • Annette Hess • Auswandern • Besatzung • besetztes Norwegen • Bombardierung • Daniel Speck • Deutsche Geschichte • Die Formel der Hoffnung • Die Gespenster von Demmin • Dörte Hansen • drei Generationen • eintauchen • Entspannen • Europa • Familiengeheimnisse • Familiengeschichte • Familiensaga • Fjorde • Flucht • Frauenschicksal • Generationenroman • geschenke für freundinnen • Geschenk für Frauen • Glück im Unglück • Heimat • Heimkehr • historische Romane • Identität • Insel • Krieg • Kriegsenkel • Liebe zum Feind • Lynn Cullen • Migration • Nachkriegsdeutschland • Neuanfang • Osterempfehlungen • Ostern • Roman für Frauen • Russen • Sofia Lundberg • Soldaten • Stay away from Gretchen • Susanne Abel • Therapie • Trauma • Trauma überwinden • unmögliche Liebe • Verarbeitung • Vergewaltigung • Weihnachtsgeschenk • Zugehörigkeit • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-10-491528-8 / 3104915288
ISBN-13 978-3-10-491528-9 / 9783104915289
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