Der Junge im gestreiften Pyjama (eBook)
288 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0570-4 (ISBN)
John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irland, geboren, wo er auch heute lebt. Er ist der Autor von zwanzig Romanen, darunter Der Junge im gestreiften Pyjama, der sich weltweit über elf Millionen Mal verkaufte, zahlreiche internationale Buchpreise gewann und mit großem Erfolg verfilmt wurde. John Boynes Romane wurden in über fünfzig Sprachen übersetzt.
John Boyne wurde 1971 in Dublin, Irland, geboren, wo er auch heute lebt. Er ist der Autor von zwanzig Romanen, darunter Der Junge im gestreiften Pyjama, der sich weltweit über elf Millionen Mal verkaufte, zahlreiche internationale Buchpreise gewann und mit großem Erfolg verfilmt wurde. John Boynes Romane wurden in über fünfzig Sprachen übersetzt. Brigitte Jakobeit, Jahrgang 1955, lebt in Hamburg und übersetzt seit 1990 englischsprachige Literatur, darunter die Autobiographien von Miles Davis und Milos Forman sowie Bücher von John Boyne, Paula Fox, Alistair MacLeod, Audrey Niffenegger, J. R. Moehringer und Jonathan Safran Foer.
Kapitel eins Bruno macht eine Entdeckung
Eines Nachmittags kam Bruno von der Schule nach Hause und staunte nicht schlecht, als Maria, das Dienstmädchen der Familie, das den Kopf immer gesenkt hielt und nie vom Teppich aufblickte, in seinem Zimmer stand und seine Sachen aus dem Schrank in vier große Holzkisten packte, auch die ganz hinten versteckten, die nur ihm gehörten und keinen etwas angingen.
»Was machst du da?«, fragte er so höflich er konnte, denn es passte ihm zwar nicht, nach Hause zu kommen und jemanden in seinen Sachen herumwühlen zu sehen, aber Mutter hatte ihm stets gesagt, er müsse Maria respektvoll behandeln und dürfe nicht einfach Vater nachahmen und so mit ihr reden wie er. »Lass die Finger von meinen Sachen.«
Maria schüttelte den Kopf und zeigte über ihn hinweg zum Treppenaufgang, wo Brunos Mutter soeben erschienen war. Sie war eine große Frau mit langen roten Haaren, die sie hinten am Kopf in einem Netz bündelte, und die sich jetzt nervös die Hände rieb, als läge ihr etwas auf dem Herzen, das sie nur ungern sagte und am liebsten nicht glauben wollte.
»Mutter«, sagte Bruno und ging auf sie zu. »Was ist los? Was sucht Maria in meinen Sachen?«
»Maria packt sie«, erklärte ihm Mutter.
»Packt sie?«, fragte er und überdachte rasch die Ereignisse der letzten Tage, um herauszufinden, ob er vielleicht sehr unartig gewesen war oder Wörter laut gesagt hatte, die er nicht benutzen durfte, und deswegen jetzt fortgeschickt wurde. Aber ihm fiel nichts ein. Im Gegenteil, in den letzten paar Tagen hatte er sich allen gegenüber sehr freundlich verhalten, und er konnte sich nicht entsinnen, irgendwann Unruhe gestiftet zu haben. »Warum?«, fragte er. »Was habe ich getan?«
Mutter war mittlerweile ins Elternschlafzimmer gegangen, aber dort war Lars, der Diener, ebenfalls am Packen. Sie seufzte und warf verzweifelt die Hände in die Luft, dann ging sie wieder ins Treppenhaus, gefolgt von Bruno, der gar nicht daran dachte, die Angelegenheit ohne Erklärung auf sich beruhen zu lassen.
»Mutter«, sagte er unbeirrt. »Was ist los? Ziehen wir um?«
»Komm mit nach unten«, erwiderte sie und ging ihm voran zum großen Esszimmer, wo sie vor einer Woche mit dem Furor zu Abend gegessen hatten. »Wir reden dort weiter.«
Bruno rannte nach unten und überholte sie im Treppenhaus, so dass er bei ihrer Ankunft schon im Esszimmer wartete. Er schaute sie einen Moment lang schweigend an und dachte bei sich, dass sie sich am Morgen offenbar nicht richtig geschminkt hatte, denn ihre Augenränder waren röter als sonst, genau wie seine, wenn er Unruhe gestiftet hatte und dann Ärger bekam und am Ende weinte.
»Du musst dir wirklich keine Gedanken machen, Bruno«, sagte Mutter und setzte sich auf den Stuhl, auf dem die schöne blonde Frau gesessen hatte, die mit dem Furor zum Essen gekommen war und ihm zuwinkte, als Vater die Türen schloss. »Das Ganze wird sicher ein großes Abenteuer.«
»Was denn?«, fragte er. »Muss ich fort?«
»Nein, nicht nur du«, sagte sie und sah aus, als wollte sie lächeln, überlegte es sich dann aber anders. »Wir gehen alle. Dein Vater und ich, Gretel und du. Alle vier.«
Bruno dachte darüber nach und runzelte die Stirn. Ihn hätte es nicht gestört, wenn man Gretel fortgeschickt hätte, denn sie war ein hoffnungsloser Fall und handelte ihm immer nur Ärger ein. Aber dass die ganze Familie mit ihr gehen musste, fand er ein bisschen ungerecht.
»Und wohin?«, fragte er. »Wo genau gehen wir hin? Warum können wir nicht hierbleiben?«
»Wegen der Arbeit deines Vaters«, erklärte Mutter. »Du weißt, wie wichtig sie ist, nicht?«
»Ja, natürlich«, sagte Bruno und nickte. Vater bekam oft Besuch von Männern in phantastischen Uniformen und Frauen mit Schreibmaschinen, die Bruno nicht mit seinen schmutzigen Händen anfassen durfte, und alle waren immer sehr höflich zu Vater und versicherten einander, dass er ein Mann war, auf den man ein Auge haben musste, und dass der Furor Großes mit ihm vorhatte.
»Weißt du, wenn jemand sehr wichtig ist«, fuhr Mutter fort, »dann wird er von seinem Vorgesetzten manchmal gebeten, woandershin zu gehen, weil dort eine spezielle Arbeit erledigt werden muss.«
»Was für eine Arbeit?«, fragte Bruno, denn wenn er ehrlich mit sich war – und das versuchte er immer zu sein –, wusste er nicht so recht, was Vater eigentlich machte.
Einmal hatten sie in der Schule über ihre Väter geredet, und Karl hatte gesagt, sein Vater sei Obst- und Gemüsehändler, was Bruno bestätigen konnte, denn ihm gehörte der Obst- und Gemüseladen im Stadtzentrum. Daniel hatte gesagt, sein Vater sei Lehrer, was Bruno ebenfalls bestätigen konnte, denn er unterrichtete die großen Jungen, von denen man sich besser fernhielt. Und Martin hatte gesagt, sein Vater sei Koch, und auch das konnte Bruno bestätigen, weil er Martin manchmal von der Schule abholte und dann immer einen weißen Kittel und eine karierte Schürze trug, als käme er gerade aus der Küche.
Als sie Bruno fragten, was sein Vater mache, wollte er zu einer Antwort ansetzen, aber dann wurde ihm klar, dass er es gar nicht wusste. Er konnte nur sagen, dass sein Vater ein Mann war, auf den man ein Auge haben musste, und dass der Furor Großes mit ihm vorhatte. Ach ja, und dass er außerdem eine phantastische Uniform trug.
»Eine sehr wichtige Arbeit«, sagte Mutter und zögerte einen Augenblick. »Eine Arbeit, für die man einen ganz besonderen Mann braucht. Das verstehst du sicher, nicht?«
»Und wir müssen alle mit?«, fragte Bruno.
»Aber natürlich«, sagte Mutter. »Du willst doch nicht, dass Vater allein zu seiner neuen Arbeitsstelle geht und dort einsam ist, oder?«
»Vermutlich nicht«, sagte Bruno.
»Vater würde uns schrecklich vermissen, wenn wir nicht bei ihm wären«, fügte sie hinzu.
»Wen würde er mehr vermissen?«, fragte Bruno. »Mich oder Gretel?«
»Er würde euch beide gleich viel vermissen«, sagte Mutter. Sie hielt nichts davon, jemanden zu bevorzugen, und Bruno respektierte das, weil er wusste, dass er eigentlich ihr Liebling war.
»Und was ist mit unserem Haus?«, fragte Bruno. »Wer kümmert sich darum, wenn wir fort sind?«
Mutter seufzte und schaute sich im Zimmer um, als würde sie es vielleicht nie wiedersehen. Es war ein sehr schönes Haus mit insgesamt fünf Stockwerken, wenn man den Keller mitzählte, wo Koch alle Mahlzeiten zubereitete und Maria und Lars oft streitend am Tisch saßen und sich Schimpfwörter an den Kopf warfen, die man nicht benutzen durfte. Und wenn man die kleine Dachkammer mit den schrägen Fenstern mitrechnete, durch die Bruno ganz Berlin überblicken konnte, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte und am Rahmen festhielt.
»Fürs Erste müssen wir das Haus verschließen«, sagte Mutter. »Aber irgendwann ziehen wir wieder zurück.«
»Und was ist mit Koch?«, fragte Bruno. »Und Lars? Und Maria? Können sie nicht hier wohnen bleiben?«
»Sie kommen mit uns«, erklärte Mutter. »Aber das sind erst mal genug Fragen. Vielleicht solltest du nach oben gehen und Maria beim Packen helfen.«
Bruno erhob sich, ging aber nicht aus dem Zimmer. Ein paar Fragen musste er ihr noch stellen, bevor er die Sache auf sich beruhen lassen konnte.
»Und wie weit weg ist sie?«, fragte er. »Die neue Arbeit, meine ich. Ist sie weiter entfernt als zwei Kilometer?«
»Du liebe Zeit«, sagte Mutter und lachte. Aber es war ein komisches Lachen, denn sie sah nicht glücklich aus und drehte sich von Bruno weg, als wollte sie ihr Gesicht vor ihm verbergen. »Ja, Bruno«, sagte sie. »Es ist weiter entfernt als zwei Kilometer. Sehr viel weiter sogar.«
Brunos Augen wurden groß, und sein Mund formte ein O. Dann breitete er unwillkürlich die Arme aus, wie immer, wenn ihn etwas überraschte. »Heißt das, wir verlassen Berlin?«, fragte er und schnappte dabei nach Luft.
»Ich fürchte ja«, sagte Mutter und nickte traurig. »Die Arbeit deines Vaters ist ...«
»Aber was ist mit der Schule?«, fiel Bruno ihr ins Wort, was ihm eigentlich verboten war, ihm aber dieses eine Mal, so hoffte er, verziehen wurde. »Und was ist mit Karl und Daniel und Martin? Woher sollen sie wissen, wo ich bin, wenn wir etwas zusammen unternehmen wollen?«
»Du wirst dich vorläufig von ihnen verabschieden müssen«, sagte Mutter. »Aber ich bin sicher, irgendwann siehst du sie wieder. Und falle deiner Mutter bitte nicht ins Wort«, fügte sie hinzu, weil sie fand, dass Bruno noch lange nicht die Höflichkeitsregeln brechen musste, die man ihm beigebracht hatte, auch wenn dies eine verwirrende und unangenehme Mitteilung war.
»Mich von ihnen verabschieden?«, fragte er und starrte sie verwundert an. »Mich von ihnen verabschieden?«, wiederholte er stotternd, als hätte er den Mund voller Kekse, die er in winzige Stücke zerkaut, aber noch nicht hinuntergeschluckt hatte. »Ich soll mich von Karl und Daniel und Martin verabschieden?«, fuhr er fort, und seine Stimme kam einem lauten Schreien gefährlich nahe, was im Haus ebenfalls verboten war. »Das sind meine drei allerbesten Freunde!«
»Ach, du findest neue Freunde«, sagte Mutter und winkte verständnislos ab, als wäre es ein Kinderspiel, drei beste Freunde zu finden.
»Aber wir hatten Pläne«, protestierte er.
»Pläne?«, fragte Mutter und hob eine Augenbraue. »Was für Pläne denn?«
»Na ja, das wäre Petzen«, erwiderte Bruno. Er durfte nichts Genaueres über die Pläne preisgeben, bei denen es auch darum ging, viel Unruhe zu stiften, besonders in ein paar Wochen, wenn die Sommerferien anfingen und sie ihre Zeit nicht immer nur mit Pläneschmieden verbringen mussten, sondern sie endlich auch in die Tat umsetzen...
Erscheint lt. Verlag | 25.1.2023 |
---|---|
Übersetzer | Brigitte Jakobeit |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | All-Age • Auschwitz • Drittes Reich • Fabel • Familie • Freundschaft • Häftlingskleidung • Hitler • Holocaust • Juden • Jugendliteratur • Klassiker • Konzentrationsübung • KZ • Nationalsozialismus • Nazis • Vernichtungslager • Zweiter Weltkrieg |
ISBN-10 | 3-7336-0570-5 / 3733605705 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0570-4 / 9783733605704 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 4,9 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich