Spiel ab! (eBook)
336 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31120-4 (ISBN)
Frank Goosen hat neben seinen erfolgreichen Büchern, darunter »Raketenmänner«, »Sommerfest« und »Liegen lernen«, zahlreiche Kurzgeschichten und Kolumnen in überregionalen Publikationen und diversen Anthologien veröffentlicht. Darüber hinaus verarbeitet er seine Texte teilweise zu Soloprogrammen, mit denen er deutschlandweit unterwegs ist. Einige seiner Bücher wurden dramatisiert oder verfilmt. Frank Goosen lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Bochum. Zuletzt erschien sein Band über »The Beatles« in der KiWi-Musikbibliothek (2020).
Frank Goosen hat neben seinen erfolgreichen Büchern, darunter »Raketenmänner«, »Sommerfest« und »Liegen lernen«, zahlreiche Kurzgeschichten und Kolumnen in überregionalen Publikationen und diversen Anthologien veröffentlicht. Darüber hinaus verarbeitet er seine Texte teilweise zu Soloprogrammen, mit denen er deutschlandweit unterwegs ist. Einige seiner Bücher wurden dramatisiert oder verfilmt. Frank Goosen lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Bochum. Zuletzt erschien sein Band über »The Beatles« in der KiWi-Musikbibliothek (2020).
2 Nirvana oder: Das riecht hier nicht nach Teen Spirit
Das Café Dahlbusch war geöffnet, aber Fränge war nirgendwo zu sehen, dafür stand Peggy hinterm Tresen. Förster fand es erstaunlich, dass sie hier noch arbeitete, obwohl sie der Grund dafür gewesen war, dass die Uli sich vor einem Jahr von Fränge getrennt hatte. Fränge hatte mal gesagt, dass Peggy mittlerweile so etwas wie eine zweite Geschäftsführerin sei und er einfach nicht auf sie verzichten könne. Darüber hinaus laufe da aber nichts mehr.
Als Förster hereinkam, schäumte Peggy gerade Milch auf, und er fragte sich, wieso diese Milchaufschäumdüsen immer so laut düsen mussten wie ein Kampfjet. An den Tischen die übliche Samstagmittag-Klientel, Pärchen, deren Kinder zwischen den Stühlen herumwuselten, zum Glück alle ohne Ball, dachte Förster, da konnte nichts passieren, dazu ein paar Gestalten, die aussahen, als wäre das Frühstück ihre letzte Mahlzeit, bevor sie in ihre Särge sanken, um fit zu sein für die nächste Nacht.
Als Peggy mit der Schäumerei fertig war und die weiße Masse auf die zwei Schalen mit Kaffee verteilte, die auf dem Tresen standen, trat Förster näher und fragte sie, wo Fränge sei, und sie antwortete, das würde sie auch gerne wissen, hier sei der Teufel los, sie habe schon versucht, ihn anzurufen, aber da gehe nur die Mailbox ran (was Förster auch schon festgestellt hatte), eigentlich müsste sie mal hoch zu seiner Wohnung, aber sie komme hier nicht weg.
»Kein Problem«, sagte Förster, »ich werde es mal oben versuchen, aber ich muss dir sagen, dass er heute nicht arbeiten kann, selbst wenn er da ist.«
Peggy blies sich eine Strähne ihres pechschwarzen Haares aus der Stirn, und Förster konnte schon verstehen, warum sie im letzten Jahr für Fränge so eine Versuchung gewesen war, aber herrje, mit fünfzig musste man nun auch nicht mehr jeder Versuchung nachgeben. Fränge hätte wahrscheinlich entgegnet, dass er, als das mit Peggy losgegangen sei, noch neunundvierzig gewesen sei.
»Hat er wieder Mist gebaut?«, fragte sie. »Der ist bestimmt versackt. Das ist in den letzten Wochen immer schlimmer geworden.«
»Ich gehe mal nach oben«, sagte Förster, weil er das jetzt nicht mit Peggy diskutieren wollte.
Förster schob sich an ihr vorbei und ging durch die kleine Küche ins Treppenhaus. Nachdem Fränge Bäckerei Konditorei Café Dahlbusch (dass er nicht wusste, welchen Artikel man davorsetzen sollte, machte Förster wahnsinnig) von seinen Eltern übernommen hatte, hatte er die beiden Wohnungen im ersten Stock zusammengelegt und war dort mit der Uli eingezogen. Seine Eltern hatten ihm vorgeschlagen, doch lieber ihre eigene, von vornherein viel größere Wohnung im zweiten Stock zu nehmen, da sie ja in eine kleinere in einem anderen Stadtteil gezogen waren, aber Fränge hatte damals gesagt, das wäre, als würde man wieder in sein Kinderzimmer ziehen, egal wie viel man renovierte, da könne man auch gleich zurück in den Mutterleib. Förster hatte das verstanden, er selbst konnte sich auch nicht vorstellen, wieder in dem Flachdach-Bungalow zu leben, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte und den seine Eltern vermieteten, seit sie fest in das Haus in Südfrankreich gezogen waren, das sie sich in den Neunzigern als Feriendomizil gekauft hatten.
Förster klingelte und wartete. Nichts passierte. Er klingelte noch einmal, dann klopfte er und legte ein Ohr an die Tür. Nichts. Er klingelte und klopfte erneut, diesmal lauter und ausdauernder, und schließlich verstieg er sich sogar dazu, »Aufmachen, Polizei!« zu rufen, worauf er eine Stimme von oben hörte, die rief: »Echt, Alter? Bullerei?«
Förster trat ans Treppengeländer und blickte nach oben, wo der Kopf von Lukas zu sehen war, dem IT-Studenten, der manchmal im Café Dahlbusch kellnerte und mit drei anderen in der alten Dahlbusch-Wohnung wohnte, weil Fränge meinte, eine Studi-WG im Haus sei eine feine Sache, nicht zuletzt weil das potenzielle, auch kurzfristig greifbare Arbeitskräfte für die Kneipe bedeutete.
»Nein, Lukas, alles in Ordnung.«
»Hallo, Förster. Ich dachte schon, ich müsste jetzt das ganze Dope ins Klo schmeißen.«
»Nicht nötig. Ich kriege nur den Fränge nicht wach. Aber vielleicht ist der auch gar nicht zu Hause.«
»Doch, doch. Der ist gegen sechs Uhr hier aufgetaucht, das war nicht zu überhören. Und ich glaube, der war nicht alleine.«
»Okay, dann wird er ja irgendwann aufmachen.«
»Hat mich gewundert, denn sonst kommt der immer alleine nach Hause. Voll wie ein Eimer, aber alleine. Manchmal hört man ihn schon im Hausflur weinen.«
»Danke für die Info, Lukas.«
»Wenn noch mal so was ist, sag lieber: Aufmachen, Feuerwehr. Polizei, da kriegt man ja einen Schreck fürs Leben!«
Drogenrazzia ist also schlimmer, als wenn das Haus in Flammen steht, dachte Förster, wandte sich wieder der Tür zu und rief: »Fränge, mach auf, ich weiß, dass du da bist!« Irgendwann ging dann die Tür auf und eine Frau in einem Nirvana-T-Shirt blinzelte ihn an. Mindestens vierzig Jahre Leben sowie die letzte Nacht hatten sich in ihren Gesichtszügen unter dem aschblonden Haaransatz verewigt.
»Förster, bist du das?«
Die kennt mich?, dachte er. Wieso kennt die mich?
»Was macht dein Vater? Wie geht es ihm?«
Mein Vater? Wieso kommt die jetzt mit meinem Vater?
»Du sagst ja gar nichts.«
»Das ist Fränges T-Shirt«, brachte er heraus.
»Ja«, sagte die Frau. »Ich war nie ein großer Nirvana-Fan.«
»Das ist alt, das Shirt«, sagte Förster, »nicht bloß auf Vintage gemacht oder so. Das hat der Fränge seit den Neunzigern.«
»Hab ich mir aus dem Schrank genommen, als er eingeschlafen war. Der hat ja nichts mehr mitbekommen. Ich wollte nicht in meinen Klamotten schlafen. Oder … ganz ohne. Ist nicht mein Ding. Du hast keine Ahnung, wer ich bin, oder?«
»Doch, doch«, sagte er, »ich komme nur gerade nicht drauf.«
»Kathrin. Borgemeister. Ich habe bei deinem Vater promoviert.«
Jetzt fiel es Förster wieder ein. Sein Vater war ganz begeistert von ihr gewesen, so sehr, dass Försters Mutter ihn damit aufgezogen hatte.
»Kathrin, genau!«, sagte Förster. »Ich erinnere mich noch …«
»An die Party, ja, ich weiß. Mann, war ich blau.«
»Du hast meinem Vater eine große Freude gemacht, als du zu Sympathy for the Devil so eskaliert bist.«
»Eskaliert? Förster, du hast ja deinen Finger am Puls der Zeit!«
Das läuft hier in eine völlig falsche Richtung, dachte er, ich bin nicht hier, um mit einer ehemaligen Doktorandin meines Vaters über die Rolling Stones oder über Jugendsprache zu plaudern, sondern um einen meiner zwei besten Freunde davor zu bewahren, von seiner Exfrau filetiert zu werden. Was nicht ganz stimmte, denn Fränge und die Uli hatten nie geheiratet, ganz abgesehen davon, dass ihr Zorn Fränge weniger zusetzen würde als die Enttäuschung seines Sohnes, denn dem hatte er für heute etwas versprochen.
»Ist dein Vater immer noch so ein beinharter Stones-Fan?«
»Ja, sicher. Ist denn der Hausherr zugegen?«
»Komm rein und überzeug dich selbst.«
Er ging gleich durch zum Schlafzimmer, das Fränge auch als Büro diente, stellte mit einem Seitenblick in die Küche fest, dass es dort aussah wie bei Oscar Madison vor dem Einzug von Felix Unger, The Odd Couple, dachte er, schöner Film, sollte man mal wieder anschauen, Jack Lemmon und Walter Matthau, ein unschlagbares Team, aber auch die TV-Version mit Jack Klugman und Tony Randall gefiel ihm, doch das war wieder so eine Gedankenschleife, die ihn vom Eigentlichen wegführte. Das Eigentliche lag bäuchlings, nur mit einer Unterhose bekleidet, in einem zerwühlten Bett mit grauer Bettwäsche und schwarzen Laken. Speichel hatte sich unter Fränges Mund auf dem Kopfkissen gesammelt.
»Ich habe auf dem Sofa geschlafen«, sagte Kathrin, die sich fix angezogen hatte und jetzt einen knielangen Rock und ein ärmelloses Top trug.
Der Kleiderschrank im Bauernhaus-Stil, den die Uli vor Jahren auf einem Flohmarkt erstanden hatte, musste ziemlich leer sein, die meisten von Fränges Klamotten schienen auf dem Boden zu liegen. Das Zimmer sah aus wie die Höhle eines sehr unordentlichen Teenagers, aber, dachte Förster, nach Teen Spirit riecht das hier nicht.
Es dauerte ewig, bis er Fränge wach bekam, und das Erste, was der sagte, noch bevor er die Augen aufschlug, war: »Du willst schon gehen? Ich dachte, wir drehen noch eine Runde!«
Kathrin Borgemeister lachte. »Wir haben doch schon die erste nicht gedreht!« Sie sah Förster an und fuhr fort: »Da ist nichts gelaufen. Er war zu blau. Außerdem hat er gesagt, er würde nie wieder eine andere Frau als seine eigene anrühren.«
Kathrin hob ihre Handtasche auf und sagte, Förster...
Erscheint lt. Verlag | 9.2.2023 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Brocki • Erwachsenwerden • Förster • Fränge • Frank Goosen • Fußball • Fußballmannschaft • Jugendroman • Kein Wunder • Kicker • mein Förster • Ruhrgebiet • Unterhaltung • Woanders ist auch scheiße |
ISBN-10 | 3-462-31120-4 / 3462311204 |
ISBN-13 | 978-3-462-31120-4 / 9783462311204 |
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