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Mein anarchistisches Album (eBook)

Eine persönliche Erkundung der Geschichte des Anarchismus

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
220 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76705-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein anarchistisches Album - Eva Demski
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Gott will es so. Der Staat will es so. Dein Vater will es so. Warum aber ist da ein Oberes, Unsichtbares, das mir sagt, was ich zu tun, zu lassen, zu denken, zu glauben, was ich zu arbeiten und wen ich zu lieben habe? Der Anarchismus setzt uns auf ein politisches und philosophisches Karussell, von dem man nicht weiß, wann es anhält. Der Anarchismus gibt sich nicht zufrieden mit dem, was ist. Er will das Ende von Gewalt und von Herrschaft. Er will ein Leben vor dem Tod.
Eva Demski hat die spannende Geschichte des Anarchismus durchstreift - und die zahllosen Ausprägungen, in denen sie ihm begegnet ist, gesammelt. Sie erinnert an Bakunin, Mühsam und Emma Goldman, erzählt von anarchistischen Uhrmachern des 19. Jahrhunderts, von fortschrittlichen Fürsten und Entdeckerinnen wie Isabelle Eberhardt; sie entdeckt fast vergessene Dichterinnen und Dichter und versucht, den Sisi-Mörder Lucheni zu begreifen. Aus Porträts, Ortsterminen, Alltagsbeobachtungen, Pamphleten und Liebeserklärungen ist so ein buntes Album mit Momentaufnahmen aus vielen Epochen entstanden - und man staunt darüber, was man mit dem Buchstaben A alles anfangen kann.



Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet.

EXLIBRIS


Dieses Album habe ich aus reinem Vergnügen zusammengetragen, ohne Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder Vollständigkeit, nur, um herauszufinden, was mich an dieser gesetzlosen Bande seit über einem halben Jahrhundert bezaubert und bei wem von ihnen ich gelernt habe und noch lerne. Es ist der Versuch, eine politische Strömung, mit all ihren Farben, ihrem Geschmack, eben das Libertäre, zwischen zwei Buchdeckel zu kriegen, obwohl ich von vornherein weiß, dass es nicht zu fassen ist. Wie es gelesen werden soll? Es wäre unanarchistisch, mit einer Gebrauchsanweisung daherzukommen. Meine Entdeckerfreude oder Wiederentdeckerfreude soll einfach weitergegeben werden. Eine besondere Rolle spielen die Bilderfundstücke, nach ihnen zu suchen war und ist ein nachdenklicher Spaß.

Genau genommen gibt es gar keinen Anarchismus, ein -ismus ist etwas Abgeschlossenes, eine Doktrin, ein Das-ist-jetzt-die-unumstößliche-Wahrheit, der einzige Weg ins Licht. Ebendarum geht es nicht. Sondern um Menschen, die über Wege zur Freiheit nachdachten und -denken, mühsam zwischen Ideologien hindurch, die dabei zu tausend verschiedenen Schlüssen kamen und sie nicht selten im Lauf ihres Lebens wieder in Frage stellten.

Auch das Wort politische Strömung kann man nicht ohne weiteres als Bild verwenden. Es geht eher um ein Delta mit tausend Nebenarmen, mächtigen und fast unsichtbaren. Was kann man im digitalen Zeitalter von alldem übernehmen? Wie geht Freiheit? Wie kommt man dazu, sie sich mehr als alles andere zu wünschen, obwohl sie sehr anstrengend ist? Versteht die Generation Smartphone überhaupt den Wunsch nach ihr oder den nach Autonomie?

Jahrzehntelang, inmitten von politischen Umbrüchen und verblüffenden Richtungswechseln, sowohl von Personen als auch von Systemen, konnte ich mich an den vermeintlich Haltlosen immer festhalten, und immer fand ich bei ihnen einen Satz, eine Geschichte oder einen Widerspruch, der mich weiterbrachte. Vor allem Widersprüche waren wichtig: Die verschiedenen Heilsgewissheiten, die sich nicht davor scheuten, alles abzumähen, was wild wuchs und sich nicht leicht bändigen ließ, waren mir immer unheimlich gewesen, ob sie nun nach Weihrauch, nach Politbüro, Geld oder Waffen rochen.

Man findet libertäre Gedanken in den sonderbarsten Ecken, es kann ein Kinderbuch, ein Wirtschaftsbericht oder ein Song sein. Vieles kann Spuren von Anarchie enthalten. 

Deswegen möchte ich ein paar Albumblätter mit vergessenen, verkannten und verführerischen Ereignissen und Menschen füllen, vielleicht machen sie Lust, weiterzusuchen. Das Netz ist erstaunlich reich an Informationen, Antiquariate, auch die analogen, können wahre Fundgruben sein. Das magische Aufblitzen im eigenen Hirn: Das hat genau so schon mal jemand vor mir gedacht! Und er hat’s viel besser ausgedrückt, als ich’s könnte!

ist genauso beglückend wie die Erkenntnis:

So hab ich das noch nie gesehen, auf die Idee wäre ich von allein nie gekommen!

Vor Jahrzehnten hat Hans Magnus Enzensberger einen Gedichtband in die Welt geschickt, der Mausoleum hieß. Er ist unter vielen anderen eins meiner Lebensbücher geworden, nicht zuletzt wegen des großen Bakunin-Gedichts, das er unter dem Titel M.A.B. in seiner wundervollen Grabkammer aus Papier versteckt hat. Auf den komme ich später noch, ohne ihn geht’s nicht.

Zunächst aber: Vielleicht muss man alle paar Jahrzehnte eine Art Mausoleum aufmachen, in dem aufs Neue die besucht werden können, die zu Staub zerfallen sind. Die man aber vielleicht dringender braucht, als man denkt, zur Wahrheit führen oft zugewucherte Pfade. Von manchen Freiheitsliebenden sind nicht einmal mehr die Namen bekannt, das gilt besonders für Anarchisten. Oder haben Sie schon mal von Voltairine de Cleyre gehört? Voltairine! Allein der Name!

Libertäre werden schnell vergessen oder so dämonisiert, dass sie für links und rechts gleichermaßen als Schreckgespenst herhalten können.

Die Revolution steht am Anfang ihrer Aufgaben. Ihr Mittel ist Wahrheit, Festigkeit und Entschlossenheit, ihr Ziel Sozialismus, Gerechtigkeit und Kultur.

Das sagte Erich Mühsam, in München, nach dem Ersten Weltkrieg, am Beginn des kurzen Traums der Räterepublik. Und fügt hinzu, dass man nicht auf Parteiprogramme und akademische Lehren pochen solle. Er vertraute auf den guten Geist, der seinen Weg finden werde. So was überlebt man nicht lang, das gilt für viele Länder auf dieser Erde bis zum heutigen Tag.

Mit allergrößtem Respekt spricht Mühsam von den Parias, Huren, Landstreichern und Künstlern, bei denen allein der wahre revolutionäre Geist noch zu finden sei. Alle anderen befänden sich bereitwillig auf dem Weg zu Bourgeoisie und Kapital. Das klingt nach einer anarchistischen Verklärung des Lumpenproletariats, aber die wäre so falsch wie Zigeunerromantik. Für Mühsam waren Parias Menschen, die begriffen haben, was sie zufrieden, vielleicht sogar glücklich macht und was zum Leben notwendig ist. Das kann für den einen Schnaps und für die andere Opernarien sein, es gibt auf beides ein Recht und es steht erst einmal niemandem zu, Wünsche zu verurteilen. Ein sich stetig vergrößerndes Aktiendepot gehört gemeinhin nicht zu den vernünftigen Menschenwünschen. Was hätte man auch davon. Die Meinung der Gesellschaft schert Außenseiter nicht, also kann sie ihnen auch nichts anhaben. 

Ich habs mein Lebtag nicht gelernt, mich fremdem Zwang zu fügen, schreibt Erich Mühsam – und an anderer Stelle über den Tod, dessen Gewissheit es immer mitzubedenken gelte, als Voraussetzung eines wirklich freien Lebens. Ich habe mich oft gefragt, ob Investmentbanker oder Softwaremilliardäre nicht über ihre Endlichkeit nachdenken. Steve Jobs wäre doch da ein guter Anlass gewesen. Auf die Idee hatte mich ein kluger Aufsatz von Peter Gauweiler gebracht, den er im August 2018 in der FAZ publiziert hat: Alternative zum Weltuntergang. Sein Ansatz ist durchaus libertär, wobei ich vorher nie gedacht hätte, dass ich einmal seinen Namen und das Wort libertär in Verbindung bringen würde. Gauweiler macht sich in dem Text Gedanken über die Kreuzzüge und deren verhängnisvolle Folgen bis zum heutigen Tag, er plädiert für politische Lösungen, die auf Überschaubarkeit setzen und nicht auf die Zwänge der Globalisierung. Er sieht sehr deutlich die Gefahren der Kranken Riesen, wie der anarchistische Philosoph Leopold Kohr die Diktatur des Übermäßigen, Übergroßen genannt hatte. Es lohnt sich, an der Stelle beherzt nachzugraben – liberal, konservativ, libertär – und unter die Begriffe zu schauen. Was ist vereinbar, und wie könnte das gehen? Wie sehen Kompromisse aus, die das Leben der Menschen besser und autonomer werden lassen könnten? Wie kriegt man es hin, dass möglichst viele das selber wollen, ohne dass irgendein Bürokrat ihnen Steaks, Plastikbecher oder Steinwüsten anstatt Pflanzen im Garten per Gesetz verbietet? Wie könnte man dem Charme der Vernunft einen möglichst freien Weg bahnen? Und wie sieht es aus, mit dem Recht auf Unvernunft, aus der ja durchaus Glück entstehen kann?

Aus den Memoiren eines Revolutionärs des Fürsten Kropotkin kann man lernen, wie einer, der seine Klasse verlässt und das nicht aus Herablassung oder Sendungsbewusstsein tut, sondern aus Neugier, von fremden Lebensweisen lernt. Weil er als Internatsschüler die Volkswirtschaft studiert, auf eigene Faust, und mit den Lehren der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestattet, entschließt er sich, Zahlen nicht mehr in Büchern zu suchen, sondern auf den Bauernmärkten seiner russischen Heimat. Er arbeitet nicht mit Tinte, sondern mit unzähligen Tassen Tee, und möchte, anders als die wenigen Gutwilligen seiner Kaste, nicht lehren, sondern lernen. Noch Jahrzehnte später amüsiert er sich über seine sozialistischen Freunde, die Arbeiter und Bauern mit einer künstlichen Arbeiter- und Bauernsprache zu beeindrucken versuchten.

In den Zeiten der Studentenrevolte ist mir das am widerwärtigsten gewesen – dieser Drang, Menschen, von deren Leben man keine Ahnung hatte, beibringen zu wollen, wie sie zu leben und was sie zu denken hätten. Die unfassbare Hochnäsigkeit der reinen...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • Anarchie • Baader • Bakunin • bücher neuerscheinungen • Der kurze Sommer der Anarchie • Duruti • eberhardt • Europa • Frankfurt • Gelbwesten • George-Konell-Preis 2018 • Goldmann • Hausbesetzer • Häuserbesetzung • Insurrektionalismus • Joschka Fischer • Lucheni • Meinhof • Militanz • Mühsam • Neuerscheinungen • neues Buch • Palästina • Pflasterstrand • Preis der Frankfurter Anthologie 2008 • RAF • Stalinismus • Startbahn • Terrorismus • Tiger Lillys • Westend • Zweiter Juni
ISBN-10 3-458-76705-3 / 3458767053
ISBN-13 978-3-458-76705-3 / 9783458767053
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