Das Glück in den Wäldern (eBook)
496 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491572-2 (ISBN)
Patricia Koelle ist eine Autorin, die in ihren Büchern ihr immerwährendes Staunen über das Leben, die Menschen und unseren sagenhaften Planeten zum Ausdruck bringt. Bei FISCHER Taschenbuch erschienen, neben Romanen und Geschichten-Sammlungen, die Ostsee- und Nordsee-Trilogie, die Inselgärten-Reihe sowie die Sehnsuchtswald-Reihe. Neu erscheint gerade ihre Glückshafen-Reihe.
Patricia Koelle ist eine Autorin, die in ihren Büchern ihr immerwährendes Staunen über das Leben, die Menschen und unseren sagenhaften Planeten zum Ausdruck bringt. Bei FISCHER Taschenbuch erschienen, neben Romanen und Geschichten-Sammlungen, die Ostsee- und Nordsee-Trilogie, die Inselgärten-Reihe sowie die Sehnsuchtswald-Reihe. Neu erscheint gerade ihre Glückshafen-Reihe.
Bei diesen Geschichten ist das Besondere dieser Detailreichtum [...]. Da gibt es immer diesen Bezug zur Natur, du hast das Gefühl du wandelst selbst über Moos.
Magische Momente, die verzaubern.
ein großer Lesegenuss
1
Alles war so voller Licht! Der weiche Dunst über den Wiesen und dem Bodden, die ersten zarten Blätter in den Birken am Waldrand – die Welt war nach der letzten verregneten grauen Zeit von einem Tag auf den anderen wie verzaubert. Immer mehr Krokusse öffneten sich unter dem Sanddornbusch, an dem bunte Tassen leise im Wind schaukelten. Versonnen stupste Franzi einen hellgrünen Henkelbecher mit Vergissmeinnichtmuster an, um ihn noch mehr in Bewegung zu bringen.
Frühlingsfarben! Sie hatte sich so danach gesehnt, und nun wurden sie um sie herum wieder Wirklichkeit. Der Wind hatte endlich gedreht. Statt des kalten, scharfen Nordwinds der letzten Wochen kam er nun aus dem Süden. Sanft und lau strich er um die Hausecken und trug vom Meer her durch den Wald einen Duft nach Wärme, Neuanfang und Blüten bis in den Garten. Und jetzt hatte sie sogar ein kleines Wunder entdeckt! Franzi hatte schon eine ganze Weile vor dem Baum mit den baumelnden Tassen gestanden und sie zufrieden betrachtet, bevor ihr aufgefallen war, dass ganz oben in einer davon eine Blaumeise begonnen hatte, ein Nest zu bauen. An diese Möglichkeit hatte sie nie gedacht.
»Guten Morgen! Dieser erstaunliche Anblick sieht so einladend aus. Könnte ich eventuell …«
Franzi fuhr zusammen, dann unterbrach sie den Fremden hastig, indem sie eine Hand hob und den Zeigefinger der anderen auf ihren Mund legte. Eindringlich zeigte sie nach oben. Sie wollte auf keinen Fall, dass das winzige, scheue Wesen gestört wurde.
Sie hatte den Mann nicht kommen sehen, so versunken war sie in ihre plötzliche Frühlingshochstimmung gewesen. Er musste ein Feriengast sein, sie hatte ihn hier noch nie bemerkt. Nun blickte er leicht amüsiert und betreten erst auf sie, dann nach oben. Die Verlegenheit wich einem Lächeln, er legte ebenfalls einen Finger auf die Lippen und nickte. Franzi winkte ihn um die Hausecke herum.
»Guten Tag! Entschuldigung. Ich wollte nur nicht, dass wir die Meise verjagen. Was wollten Sie sagen? Möchten Sie frühstücken?«
»Ja, das war mein spontaner Einfall. Hella Fuchs hat mir neulich Ihr Café empfohlen, ich soll Sie von ihr grüßen. Haben Sie denn schon geöffnet?«
»Ja, selbstverständlich. Sie kennen Hella?«, fragte Franzi interessiert. Die alte Dame wohnte nicht weit weg und war ihr ans Herz gewachsen. Hella hatte ihr schon oft einen guten Rat geben können, denn sie war hier auf dem Darß aufgewachsen, anders als Franzi, die noch nicht lange auf der Halbinsel Fuß gefasst hatte.
»Ich habe bei ihr die frei gewordene Stelle als Pfleger angetreten«, erklärte er. »Sie wissen sicher, dass mein Vorgänger nach Kanada gegangen ist.«
»Ach, wie schön, dass Hella jemanden gefunden hat. Wo waren Sie denn vorher tätig? Haben Sie sich schon eingelebt?«
Hoffentlich war er nett zu Hella und ihrem Partner Quentin und behutsam im Umgang mit ihnen.
Sie schätzte ihn auf ein paar Jahre älter als sie selbst, etwas über vierzig vielleicht. Er hatte erstaunlich grüne Augen. Und die blickten wieder amüsiert.
»Entschuldigen Sie meine Neugier«, fügte sie hastig hinzu. »Aber ich mag Hella sehr, und sie ist doch recht gebrechlich geworden.« Sie streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Franzi. Mein Lebensgefährte Matteo und ich führen gemeinsam das Café.«
Sein Händedruck war fest und warm. »Lian. Ja, danke. Ich habe früher schon einmal am Meer gelebt. Damals war es die Nordsee. Jetzt, dachte ich, ist mal die Ostsee dran.«
»Ich verstehe. Ich habe auch schon an vielen Orten gearbeitet, das bringt die Gastronomie ja so mit sich. Jetzt hoffe ich, endlich zu bleiben. Setzen Sie sich doch! Was ist Ihnen lieber, drinnen oder draußen? Es ist noch kühl, aber …«
»… draußen ist es am schönsten«, beendete er den Satz für sie und nahm an einem der rustikalen Holztische Platz. »Unbedingt! Die Atmosphäre Ihres Gartens ist unwiderstehlich. Warum haben Sie denn das Café gerade hier eröffnet?«
Franzi schob ihm die Speisekarte hin. »Der Wald hier gefällt uns«, sagte sie. »Ich bin in einem Wald aufgewachsen. Und von diesem hier hatte ich einmal Gutes gehört. Ist beides lange her.«
Sie zupfte ein paar welke Primeln ab, während er las.
»Ich hätte gern ein Käsebrötchen und ein Schinken-Rührei-Brötchen«, entschied er. »Und einen Kaffee, bitte.«
Franzi verschwand hinter dem Tresen und machte sich daran, die Brötchen zu belegen. Dabei fingen ihre Gedanken an zu wandern. Die Entdeckung, dass die Blaumeise ein Nest baute, und das ausgerechnet in einer Tasse, hatte ihr den Tag gerettet. Es war ihr heute Morgen ausgesprochen schwergefallen, aus den Federn zu kommen. Das war für sie so ungewöhnlich, dass sie darüber ein wenig erschrocken war. Als sie jedoch begriffen hatte, was der Vogel da oben anstellte, war sie auf einmal überschwänglich glücklich gewesen. Der Tassenbaum hatte sich auf jeden Fall als eine gute Idee erwiesen.
Als Matteo und sie das Haus gepachtet hatten, war auf dem völlig verwilderten Grundstück überwältigend viel zu tun gewesen. Sie waren auch jetzt längst noch nicht fertig, aber es sah schon deutlich gemütlicher aus.
Franzi hatte es damals nicht übers Herz gebracht, den abgestorbenen Busch, der so knorrig gewachsen war, einfach abzusägen. Stattdessen hatte sie daran nach und nach verschiedene Tassen, die im Alltagsbetrieb angeschlagen worden waren oder einen Sprung hatten, an farbigen Bändern aufgehängt. Sie waren ihre ganz persönliche Flagge, die sie hisste. Auch Beschädigtes ist etwas wert, zeigte sie damit, und sie meinte nicht nur die Tassen. Die bunten Akzente vor dem blauen Himmel füllten die kleinen leeren Stellen ihrer Vergangenheit mit Fröhlichkeit aus. Außerdem wirkte es wie ein Werbeschild für das Café, das jetzt Franzis Hafen hieß.
Matteo hatte voller Überzeugung mitgemacht, aber es war zuerst ihr Traum gewesen.
Die Tassen am Baum fingen zuverlässig die Aufmerksamkeit der vorübergehenden Feriengäste ein und auch die mancher Einheimischer. Die Menschen blieben stehen, entdeckten dabei die bequemen, aus Europaletten und dicken Kissen gebauten Sitze neben blühenden Büschen. Sie kamen herein, um zu frühstücken oder einen Imbiss zu genießen, dazu gern ein freundliches Gespräch. Nach einer Weile hatten die Stammgäste begonnen, ihre eigenen angeschlagenen Tassen mitzubringen und aufzuhängen. Schließlich gesellten sich sogar Teekannen hinzu.
Seit Franzi neuerdings dabei war, im Café das alte Geschirr zu ersetzen, waren wieder mehr von ihren eigenen Sachen in den Baum gekommen. An jedem Stück hingen Erinnerungen, dar-um waren sie zu schade zum Wegwerfen. Aber auf das neue Geschirr war sie stolz. Es bedeutete, dass sie mit dem Betrieb vorankamen. Diese Teller und Tassen, für die sie von den Kunden Komplimente bekam, hatte ihre Freundin Nele eigenhändig getöpfert. Sie trugen ein Muster aus Baumsilhouetten, das ausdrucksvoll und lebendig wirkte und perfekt zur Einrichtung und zur Landschaft passte. Nele stand mit ihrer Töpferei noch am Anfang und probierte vieles aus, daher konnte sie Franzi die nicht perfekt gewordenen Stücke zu einem sehr günstigen Freundschaftspreis überlassen.
Franzi mochte gerade dies, dass auch hier jede Tasse, jeder Teller einen eigenen Charakter besaß, da ein wenig schief war, dort einen Fleck hatte. Unvollkommen wie die Menschen, denen sie Frühstück servierte. Vor allem wie sie selbst.
Die Tasse, in der jetzt die Meise brütete, hatte sie im ersten Betrieb während ihrer Ausbildung aus dem Papierkorb gerettet. Sie war damals schon angeschlagen gewesen, aber sie hatte Franzi, die zu jener Zeit die unerfahrene Küchenhilfe gewesen war, durch viele anstrengende Jahre begleitet. Jetzt führten Matteo und sie ein eigenes Lokal. Manchmal konnte sie es immer noch nicht fassen. Neuerdings boten sie sogar einige kleine Mahlzeiten an.
Als sie kurz darauf mit der Bestellung an Lians Tisch trat, sah sie, dass ihr Gast sehr gründlich zu sein schien, denn er studierte immer noch die Rückseite der Karte, auf der einige Worte über das Café und darunter das Impressum standen. Wenn er seine Pflegetätigkeit ebenso sorgfältig ausübte, war Hella in guten Händen.
»Franzi T. Michelly und Matteo Martens«, las er. »Wofür steht das ›T‹? Oh, das sieht aber lecker aus. Vielen Dank!«
»Für Terra«, beantwortete sie seine Frage verblüfft, weil sie ihr noch nie zuvor jemand gestellt hatte. Das »T« war ihr wichtig, ihr persönlicher Glücksbringer, aber sie hatte nicht gedacht, dass es jemandem auffallen würde.
»Terra? Erde? Wie ungewöhnlich. Wie kam es denn dazu?«
»Meine große Schwester heißt Luna, also Mond«, erklärte Franzi. »Mein Vater sagte, Mond und Erde halten sich gegenseitig im Gleichgewicht, das würde er sich für uns auch wünschen. Aber meine Mutter wollte, dass ich einen ganz normalen Namen bekomme, weil sie ihm schon bei Luna nachgegeben hatte. Daher Franzi. Franziska. Haben Sie auch Geschwister?«
»Nein.« Er legte die Karte beiseite und goss Milch in seinen Kaffee. »Und? Hat es funktioniert? Das mit dem Gleichgewicht, meine ich?«
Franzi sah zu Boden. »Nein. Nicht lange. Ich habe keinen Kontakt mehr zu meiner Schwester«, sagte sie leise. »Schon eine Ewigkeit nicht.«
Es war ein so herrlicher Morgen gewesen. Und dann kam ein Fremder daher und traf mit ein paar lässigen Worten zielgenau ihren wunden Punkt. Die...
Erscheint lt. Verlag | 29.3.2023 |
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Reihe/Serie | Sehnsuchtswald-Reihe | Sehnsuchtswald-Reihe |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Achtsamkeit • Entschleunigung • Entspannen • Familie • Freundschaft • Geschenk für Frauen • Gespensterwald Nienhagen • Inselgärten-Reihe • Liebe • Naturschutz • Nordsee-Trilogie • Osterempfehlungen • Ostern • Ostsee • Ostsee-Trilogie • Patricia Koelle • Wald |
ISBN-10 | 3-10-491572-5 / 3104915725 |
ISBN-13 | 978-3-10-491572-2 / 9783104915722 |
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