Das Haus Zamis 53 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-4117-0 (ISBN)
Aus der Dämonenvita des Michael Zamis
Sieben Tage und Nächte bin ich durchmarschiert, nur unterbrochen von kurzen schwarzmagischen Meditationen, um aufzutanken. Vor mir taucht ein Dorf auf. Bisher habe ich jede größere Ansammlung von Häusern bewusst gemieden - und nein, ich suche fürwahr die Menschen nicht. Doch ich weiß, wo immer es Menschen gibt, existieren unter ihnen die Dämonen.
Die Schwarze Familie.
Meine Familie.
Coco hat Dolorus unschädlich gemacht und einen Hinweis auf einen weiteren Tungusku-Splitter erhalten, der helfen könnte, den Bann über Wien aufzuheben. Auf dem Weg nach Zwickau liest sie erneut in der Vita ihres Vaters - und bemerkt zu spät, dass Traudel Medusas Wagen von dämonischen Kräften manipuliert wird. Auf einmal findet sie sich in einem schwarzen Tunnel wieder, der in eine andere Dimension zu führen scheint ...
1. Kapitel
Unser Vater hat uns über unsere Herkunft aufgeklärt und auch erzählt, was es mit der Schwarzen Familie auf sich hat, zu der wir uns zusammengeschlossen haben. Unser Oberhaupt ist Asmodi, der Fürst der Finsternis, aber nur die mächtigsten Sippen stehen in direktem Kontakt zu ihm.
Auf meinem siebentägigen Marsch ist mir mein Ziel immer bewusster geworden: Ich möchte Asmodi dienen. Ich möchte mächtig werden und eine einflussreiche Sippe gründen. Und ist es vermessen, den Gedanken zu hegen, selbst in ferner Zukunft den Thron der Finsternis besteigen zu wollen?
Doch zuvor muss ich beweisen, dass meine Kräfte denjenigen meiner Widersacher überlegen sind. Rasputin wird der Erste sein, der meine neue Macht zu spüren bekommen wird.
Doch ich denke nicht nur an zukünftige Kämpfe. Ich bin neugierig auf meine Familie. Ich will sie alle kennenlernen, die Vampire, Werwölfe, Hexen und anderen Geschöpfe der Nacht. Zwar habe ich schon in St. Petersburg mit einigen von ihnen Bekanntschaft gemacht, aber nie daran gedacht, in ihnen potenzielle Verbündete zu sehen.
Ich verweile vor einem Hutgeschäft. Ein Hutgeschäft in dieser Gegend kommt mir einigermaßen grotesk vor. Aber dann entdecke ich in dem Schaufenster neben modischem Zierrat auch praktische Fellmützen, Handschuhe und dergleichen Accessoires mehr, die vor der strengen Kälte schützen.
Meine große Gestalt spiegelt sich in dem Schaufenster. Ich sehe aus wie jemand – nun, exakt wie jemand, der einen siebentägigen Gewaltmarsch hinter sich hat. Meine Wangen sind hohl, meine Augen liegen in tiefen Schattenseen.
Ich schaue durch die Scheibe hindurch an meinem Spiegelbild vorbei in den Laden. Eine einzige Frau steht dort hinter der Kasse. Sie hat mich ebenso erspäht wie ich sie. Sie wirkt erschrocken.
Ich begebe mich zur Tür, drücke die Klinke hinunter und trete ein. Ein harmonisch klingendes Glockenspiel empfängt mich. Ich verziehe das Gesicht. Meine Zuneigung gilt eher der disharmonischen Musik.
Ich erinnere mich an einen verrückten Komponisten, den ich vor Jahren getroffen habe. Er hat eine Musik entwickelt, die so schrecklich in den Ohren der Menschen klang, dass es mir ein reines Vergnügen war, ihr zuzuhören. Er nannte sie Zwölftonmusik und sprach von einer großen Erfindung. Weil die Menschen in Russland seine Musik verabscheuten, entschloss er sich, nach Wien auszuwandern, in die Stadt, in der einst Mozart gewirkt hatte. Auch auf mich übt diese Stadt eine besondere Anziehung aus. Ich habe schon viel von ihr gehört. Ich weiß nicht, was aus dem fremden Musikus geworden ist, aber vielleicht werde ich eines Tages ebenfalls nach Wien reisen und ihn ausfindig machen.
Die Verkäuferin hinter der Theke schaut mich ängstlich an. Ich bin sicher, wenn sie könnte, so würde sie vor mir zurückweichen. Doch direkt hinter ihr befindet sich eine Regalwand. Wahrscheinlich wirke ich auf sie wie ein sibirischer Waldgeist.
Sie ist hübsch. Jung. Höchstens zwanzig. Ihr schwarzes Haar trägt sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr Kleid schmiegt sich um einen fraulichen Körper. Der Busen hebt und senkt sich unter ihrer aufgeregten Atmung.
Mir wird bewusst, dass ich lange keine Frau mehr gehabt habe. Mein abschätzender Blick, in dem wahrscheinlich so etwas wie Gier lodert, macht sie noch ängstlicher. Ich vermag ihre Angst nachgerade zu riechen. Doch sie braucht keine Furcht zu haben. Ich bin mir bewusst, dass es mir nicht die geringste Befriedigung verschaffen würde, ihr etwas anzutun. Mein Hunger ist anderer Natur.
»Guten Tag«, sage ich. »Verzeihen Sie einem weit gereisten Wanderer, dass er einfach so hier hereinschneit. Ich bin auf dem Weg nach St. Petersburg.«
Sie atmet sichtlich auf, entspannt sich und erwidert den Gruß.
»Ich habe seit sieben Tagen keine Menschenseele mehr gesehen«, fahre ich fort. »Der Lichtschein in Ihrem Geschäft ist der erste, den ich erblicke. Keine Angst, ich will keine Almosen. Aber können Sie mir sagen, wo ich hier für eine Nacht unterkommen kann? Ich zahle gut!«
»Es tut mir leid, Herr, aber es gibt kein Hotel in Novograd. Die letzte Herberge hat vor zwei Wochen geschlossen.«
»Aber irgendwo wird es doch einen Ort geben, an dem ich übernachten kann«, wundere ich mich. »Ich bin auch mit einem Stall zufrieden, wenn nur der Strohballen trocken und weich ist.«
Sie verschränkt die Arme, ihre Gesichtszüge wirken plötzlich abweisend. »Es gibt hier keinen Stall. Sie müssen zum nächsten Ort wandern. Er ist nur drei Fußstunden entfernt.«
Ich könnte sie jetzt mit einem Wimpernschlag vernichten. Ich könnte sie zwingen, alles für mich zu tun. Mich für eine Nacht aufzunehmen, wäre noch das Geringste. Doch ich spüre hinter ihrer schroffen Art ihre Angst. Ich spüre ein Geheimnis. Sie interessiert mich. Ich beschließe, Novograd erst wieder zu verlassen, wenn ich dieses Geheimnis ergründet habe.
Ich nicke, gebe mich scheinbar geschlagen und verabschiede mich. Noch während ich mich umdrehe, höre ich sie fragen: »Wie heißen Sie?«
»Mein Name ist Mikhail Zamis«, höre ich mich antworten. Jetzt hat sie mich doch verblüfft. Offenbar ist ihre Neugierde größer als ihre Angst. »Warum wollen Sie das wissen?«
»Nur für den Fall, dass sich jemand nach Ihnen erkundigt. Wenn Sie verloren gehen ...«
»Sie meinen, wenn mir auf dem Weg zur nächsten Stadt etwas passiert?«
Sie nickt, schweigt aber und wendet sich ihren Hüten zu. Abermals will ich es dabei bewenden lassen, als mir noch etwas einfällt. Eigentlich wäre es Zufall, aber ich will die Frage dennoch stellen: »Ist vor zwei Jahren ein Mann namens Rasputin hier durchgekommen?«
Sie wankt zurück, bekreuzigt sich, das Gesicht aschfahl. Dann fällt sie in Ohnmacht.
Als sie wieder erwacht, schaut sie mich mit großen, ängstlichen Augen an. Sie will schreien, aber ich beruhige sie. »Es ist alles in Ordnung«, sage ich so sanft, wie es mir möglich ist. Dabei verfluche ich mich im Stillen. Ich benehme mich wie ein Mensch! Immer noch ...
Ich habe sie in das Hinterzimmer getragen und auf ein Bett gelegt. Anscheinend wohnt sie hier. Es ist bescheiden und karg eingerichtet, mit kaum mehr als dem Nötigsten. Ich habe den Ofen angezündet und für eine behagliche Wärme gesorgt. Sogar Tee habe ich gekocht.
Sie beruhigt sich allmählich. Dann spricht sie. »Entschuldigen Sie, aber als Sie diesen Namen erwähnten ... Er hat alles Leid in Novograd verursacht. Bevor er kam, war dies ein blühendes Dorf. Ich lebte bei meinen Eltern und Geschwistern in ihrem großen Haus. Jetzt wohnen dort die Ratten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis niemand mehr hier ist ...«
»Was ist passiert? Und was hat Rasputin damit zu tun?« Diesmal fällt sie nicht in Ohnmacht. Sie sagt: »Ich kann Sie nicht zwingen, Novograd zu verlassen. Meinetwegen also bleiben Sie, auf Ihre eigene Verantwortung.«
Als ich sie verlasse, schließt sie hinter mir ab. »Klopfen Sie dreimal, dann weiß ich, dass Sie es sind, Mikhail«, verabschiedet sie mich. Ich weiß mittlerweile ihren Namen, Sabinija, doch viel mehr weiß ich nicht über sie. Sie schweigt beharrlich. Einmal ertappe ich mich dabei, dass ich sie hypnotisieren will, um das Geheimnis zu ergründen, aber meine Vermutung, dass Rasputins Einfluss auf das Mädchen zu groß ist, bestätigt sich. Also muss ich es auf andere Weise versuchen.
Obwohl mich Sabinija gewarnt hat, will ich noch einmal einen Rundgang durch Novograd machen.
Der Schneefall ist heftiger geworden. Überall entlang der Hauptstraße blitzen die erleuchteten Schaufenster der Geschäfte wie die Perlen an einer Kette. Auch ein Rathaus, eine Schule und ein Wirtshaus mache ich aus. Im Gegensatz zu den Wohnhäusern wirken diese wenigstens lebendig.
Meine Schritte lenken mich in das Wirtshaus. Unwillkürlich muss ich daran denken, dass ich, nachdem ich das letzte Mal eines betreten habe, eine Reihe ungewöhnlicher Abenteuer erlebte. Das war in Brsk.
Ich öffne die Tür zum Schankraum. Zwei Dutzend Köpfe wenden sich mir zu. Männer, Frauen und Kinder. An meinen Schuhen kleben Schnee und Eis, aber das stört mich nicht.
»Schnell, schließen Sie die Tür!«, ruft der eilig herbeilaufende Wirt. An seinem Blick erkenne ich, dass es nicht die Kälte ist, die er fürchtet. Die ganze Situation kommt mir immer mehr wie damals in Brsk vor, als die Grüne Pest wütete.
Die Männer und Frauen weichen zurück, als ich näher trete. Allmählich werde ich wütend. »Habe ich die Pest an mir?«, schreie ich. »Ich bin sieben Tage und Nächte gewandert und will nichts weiter als ein Quartier!«
»Wir haben kein Quartier«, antwortet der Wirt.
»Warum feiert ihr nicht? Es ist der letzte Abend des alten Jahres. Warum geht ihr nicht einfach nach Hause zu euren Familien?«
»Heute geht niemand nach Hause«, flüstert einer der Gäste, ein alter Mann mit einem zu zwei Zöpfen geflochtenen Bart. Er ist betrunken. Speichel rinnt aus seinen...
Erscheint lt. Verlag | 25.10.2022 |
---|---|
Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-4117-8 / 3751741178 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4117-0 / 9783751741170 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,8 MB
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich