Marie - Eine Reise (eBook)
100 Seiten
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-333-7 (ISBN)
Es trug sich zu, dass Marie nun schon den zweiten Sommer auf der Alm einige Kühe und Ziegen hütete. Sie war dort oben ganz auf sich allein gestellt. Manchmal schickte ihr Lehnsherr ein paar Knechte zu ihr auf die Alm, um Butter, Käse und geschlagene Milch zu holen. Einer der Knechte, Peter, machte ihr schöne Augen. Marie erwiderte seine Gefühle nicht.
Nie kam der Lehnsherr persönlich. War er doch froh, diese Magd, so weit als nur möglich aus der Stadt zu wissen. Er konnte sie nicht leiden. Er, er selbst wollte doch dem Fürsten gefallen! Er wollte vor ihm kniend ein Lob für seine Taten empfangen. Doch der Fürst sah ihn nicht. Lieber lachte er, wenn es die Zeit zuließ, mit der Magd Marie und sprach über dies und jenes mit ihr. Marie war dem Lehnsherrn und seinem Gefolge ein Dorn im Auge. Deswegen nahm er ihr die Arbeit am Hofe, die sie kannte und verbannte sie auf die Alm zum Hüten der Tiere. Hauptsache sie war weit weg und er musste sie nicht ständig vor Augen haben.
Marie wäre lieber am Hof bei ihren Eltern und ihren Freundinnen geblieben. Sie zwang sich in der Gegenwart zu leben, sich nicht durch Gedanken an die Vergangenheit von der Arbeit abzuhalten. Mit der Zeit fand sie sich mit der Einsamkeit der Bergwelt zu Recht. Musste sie doch früh aufstehen, die Tiere füttern und melken. Nach einer Morgenwäsche im eiskalten Bach fing sie jeden Morgen an die Milch zu Butter und Käse zu verarbeiten. Eine Geiß gab im Sommer in etwa so viel Milch, dass Käse im Gewicht eines ausgewachsenen Mannes hergestellt werden konnte. Diesen Käse umhüllte sie mit Bergkräutern. Das morgendliche Ritual, sich im eiskalten Bach zu waschen, war ihr wichtig. Die Menschen in der Stadt wuschen sich nicht, weil sie Sorge hatten, davon krank zu werden und letztendlich daran zu sterben. Hatten sie davor doch beobachtet, dass Babys, wenn man ihnen Wasser anstelle von Milch zu trinken gibt, daran sterben. Doch das klare Wasser aus den Bergen hatte nichts gemein mit dem brackigen Wasser der Stadt und es erfrischte jeden Morgen aufs Neue.
Die Ziegen mochte Marie besonders. Sie betrachtete die Tiere ausgiebig im morgendlichen Licht, wenn die aufgehende Sonne das Fell der Ziegen zum Leuchten brachte. Wie verzauberte Geschöpfe wirkten sie mit dem äußeren, von hinten angestrahltem Fell. Ihr Meckern holte sie regelmäßig aus ihren Tagträumen.
„Noch sieht man kaum, dass die Ziegen trächtig sind. Doch nach einer Tragezeit von rund fünf Monaten werden sie jeweils zwei entzückende Geißlein zur Welt bringen. Die Zeit des Säugens wird auch diesen Sommer wieder kurz und intensiv sein. Bald werden die Zicklein zu weiden und wiederkäuen beginnen.“ Marie liebte es, ihnen beim Springen zuzusehen und war stets beeindruckt wie trittsicher und schwindelfrei sie sich bereits nach kurzer Zeit fortbewegten.
„Sobald der Duft frischer Bergwiesen die Ziegenkinder im Stall erreicht, sind sie kaum zu halten. Sie wollen die Umgebung erkunden.“ Bei diesem Gedanken lächelte Marie. Sie wusste auch um die Empfindlichkeit der Ziegen gegenüber Regen. Wenn der Himmel noch ungetrübt in seinem herrlichen Blau erstrahlte und Marie dachte, dieses Wetter würde bis Abend anhalten, so reichte oftmals ein Blick zu den Ziegen. Suchten dieses –trotz strahlender Sonne – die Nähe des Stalles, so wusste Marie, dass es Regen geben würde. Eventuell sogar Unwetter. Bei diesen Hinweisen ihrer geliebten zotteligen Gefährten wurde es für Marie Zeit, die Kühe, die über diese Empfindlichkeit nicht verfügten, Richtung Stall zu treiben.
Bevor die Sonne im Zenit stand, gönnte sich Marie eine Pause. Danach fing sie einmal in der Woche die Ziegen ein, kämmte sie mit einem groben Kamm, um an die wertvolle Unterwolle zu gelangen. Diese reinigte sie und verspann sie zu einem Wollfaden. Sie hatte gehört, dass die Edelleute sich ihr Oberhemd aus dieser feinen Wolle weben ließen und diese Wolle besonders wärmend sei.
Nachmittags, wenn es Zeit war, dann lief sie, ein Lied summend, an den Waldesrand und pflückte Beeren. Auch Pilze bereicherten ihren Speiseplan.
Oft saß sie abends vor der Hütte, blickte gegen den Himmel und dachte an das lachende Gesicht, welches sie im Geiste damals gelegt hatte, als der Fürst sie am Feste ansprach. Sie vermisste die Gespräche mit ihm. Sie vermisste ihre gewohnte Umgebung. Dennoch hatte sie sich mit den Tieren, der Einsamkeit und der Natur arrangiert. Und sie war ein Bestandteil dieses Ensembles geworden. Trotz der Verbannung war sie innerlich zufrieden.
Tag ein Tag aus der selbe Rhytmus.
Eines Tages sah sie, dass sich eine Jagdgesellschaft oberhalb der Alm auf die Pirsch legte. Zwei Gämsen waren die Trophäen. Sie wartete bis die Jagdgesellschaft weitergezogen war und setzte sich mit einem Häferl kalter Milch vor die kleine Hütte. Sie genoss die Stille und schöpfte Kraft aus der Natur.
Da erblickte sie, weit oben am Rand der Weide, dort wo die Alm in Felsen überging, einen Mann. Er kam auf die Alm zu. Sie brauchte nicht lange, um an Haltung und Gang zu erkennen, dass es der Fürst war, der sich näherte. Ihr Herz hüpfte vor Freude. Rasch lief sie hinter’s Haus und wusch sich die Mühen des Tages ab, schlüpfte in ihr sauberes Kleid und nahm einen zweiten Becher kalte Milch mit vor die Hütte.
Es dauerte noch eine geraume Zeit, bis er die Hütte erreicht hatte. Abgesehen von seiner stolzen Körperhaltung war nichts Fürstliches an ihm zu erkennen. Er trug ein Hemd und eine knielange Hose – wie jeder andere Jäger auch und war von den Mühen der Jagd gezeichnet. Doch Marie wusste, dass sie sich nicht täuschte. So wartete sie, bis er sie ansprach. „Weib, ich komme von der Jagd und mich dürstet. Wäret Ihr wohl so freundlich und reichet mir einen Becher mit Wasser.“ „Mein lieber Jäger. So nehmt Platz. Trinkt die kühle Milch. Sie wird Euch wohl bekommen.“ Marie ließ den Fürsten im Glauben in ihm nur einen Jäger zu sehen. Legte er ja keinen Wert darauf, erkannt zu werden. Und er erkannte Marie nicht. Kein Wunder. War doch ihr Gesicht von der Sonne dunkelbraun. Und sie hatte seit ihrer Wiedergeburt mehr Speck an ihren Hüften.
Sie reichte ihm Brot, Käse und Speck.
„Sagt, wie kommt es, dass Ihr nicht mit den anderen Jägersleut’ ins Tal gestiegen?“
„Ach, mein Kind. Die Geschäfte. Ich nützte die Stunde zur Flucht und sagte den Kameraden listig, dass ich noch weitere Fährten suchen möchte. Doch es ist die Stille, die ich suche. Darf ich über Nacht hier weilen? Ich werde Euch den Lohn schicken.“
„Wenn dem Herrn diese kleine Hütte reicht, dann möge Er willkommen sein.“
Marie warf ein frisches Tuch über ihre Bettstätte, brachte frisches Heu zum Ruhen des Kopfes und klopfte die wollene Decke aus.
Sie wartete, bis der Fürst schlief und legte sich mit ihrer Decke zwischen Fürst und Ofen. Sie konnte nicht schlafen. Die Sterne und der Mond leuchten dem Fürsten den Weg in seine Träume. Sie konnte nicht genug bekommen, ihn liebevoll mit ihren Blicken zu streicheln. Da lag er, der Mann ihrer Träume, der Mann, den sie nie berühren würde dürfen. Er lag nur ein paar armlang entfernt von ihr. Wunderschön. Seine Lippen, seine Nase, seine Stirn, sein Haar und erst der maskuline Körper. Sie hatte ihn mehr vermisst, als sie es sich eingestanden hatte. Die Gespräche mit ihm. Seine Nähe. Sein Lachen.
Noch bevor das Schwarz den Himmel verließ und der Morgenröte wich, stand Marie auf, pflückte frische Beeren im Mondeslicht, molk das Vieh und deckte spärlich den Tisch vor der Hütte. Auch pflückte sie ein paar Wiesenblumen und stellte sie in einem Krug aus Ton auf den Tisch. Flink buk sie vier kleine Kuchen mit frischen Beeren, ließ sie auskühlen.
Erst durch den Geruch von angebratenem Speck erwachte der Fürst. Müde und gütig schaute er Marie an und bat sie, für kurze Zeit die Küche zu verlassen, da er sich ankleiden wollte.
Als Marie wieder die Küche betrat, konnte sie nicht anders und drückte dem erstaunten Fürst einen schnellen Kuss auf die Wange.
„Weib, wieso bist du so zügellos? Das schickt sich nicht.“
„Ich weiß, mein Fürst, aber Ihr habt mir so gefehlt!“
„Ah! Jetzt erst erkenne ich dich. Du bist’s! Marie! Sprich! Wie kommt’s, dass du führst hier ein so abgeschiedenes Leben in dieser kargen Hütte?“
„Mein Fürst, wie’s dazu kam, dass ich hier mein Glück zu finden gezwungen, lasst mich später berichten. Nun aber wenden wir uns dem Mahl zu.“ Man sah dem Fürsten die Freude an, dass ihn das Schicksal zu jener Alm geführt hatte, wo Marie war. Denn wenn er davor nach ihr schickte, erschien sie nie. Der Lehnsherr hatte immer eine Erklärung, weswegen sie gerade nicht zugegen gewesen war. Mit keinem Wort erwähnte der Lehnsherr die Alm und dass er Marie...
Erscheint lt. Verlag | 30.8.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-99139-333-6 / 3991393336 |
ISBN-13 | 978-3-99139-333-7 / 9783991393337 |
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