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Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
1056 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-25715-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit -  Karl Ove Knausgård
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Ist das menschliche Leben wirklich das Zentrum der Welt?

»Ich liebe dieses Buch. Es liegt eine solche Zärtlichkeit in dieser Geschichte.« Dagens Nyheter

»Literarische Magie!« Aftonbladet

Woher kommt es, das Leben, und was bedeutet es eigentlich? Um diese beiden Fragen kreist der neue Roman von Karl Ove Knausgård - der in einem inneren Zusammenhang zu seinem letzten Buch 'Der Morgenstern' steht. Was ist geschehen, bevor dieser unerklärliche, weithin sichtbare Stern am Himmel auftauchte und anscheinend sämtliche physikalische Regeln außer Kraft setzte?

Alles beginnt 1986 im Süden Norwegens. Der junge Syvert Løyning kehrt vom Militärdienst zu seiner Mutter und seinem Bruder ins Haus der Familie zurück. Im fernen Tschernobyl ist gerade ein Atomreaktor explodiert, Norwegen selbst wird von einer Regierungskrise erschüttert. Syvert weiß nicht wirklich, wohin mit sich. Was hält die Zukunft für ihn bereit? Eines Nachts träumt er von seinem toten Vater, und ein unheimliches Gefühl beginnt sich in ihm festzusetzen: sein Vater will ihm eine Botschaft übermitteln. Aber welche könnte das sein? Ratlos beginnt er sich die nachgelassenen Sachen von ihm genauer anzuschauen. Und muss schließlich feststellen, dass es ein anderes Leben gab, das sein Vater führte. Eines, das bis in die Sowjetunion führt.

Ein Leben, das mit der russischen Wissenschaftlerin Alevtina zu tun hat, die viele Jahre später an einem Wochenende mit ihrem Sohn nach Samara reist, um den achtzigsten Geburtstag ihres Vaters zu feiern, und da noch nicht weiß, dass sie bald Besuch aus Norwegen bekommen wird. Und mit ihrer alten Freundin Vasilisa, einer Lyrikerin, die ein Buch über einen eigenwilligen und alten Zug der russischen Kultur schreibt: den Glauben an ein ewiges Leben ...

Karl Ove Knausgård wurde 1968 geboren und gilt als wichtigster norwegischer Autor der Gegenwart. Die Romane seines sechsbändigen, autobiographischen Projektes wurden weltweit zur Sensation. Sie sind in 35 Sprachen übersetzt und vielfach preisgekrönt. 2015 erhielt Karl Ove Knausgård den WELT-Literaturpreis, 2017 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, 2022 nahm er in Kopenhagen den Hans-Christan-Andersen-Literaturpreis entgegen. Er lebt in London.

Der Flughafenbus stand mit laufendem Motor und eingeschalteten Scheinwerfern im strömenden Regen vor der kleinen Ankunftshalle. Ich hastete zu ihm, legte den Rucksack in den offenen Gepäckraum, stieg ein und setzte mich auf einen der hintersten Sitze. Ich kannte den Fahrer, der rauchend unter dem Vordach stand, in dem grauen, unförmigen Anzug der Busgesellschaft, es war der Vater von Eva, einem Mädchen aus meiner alten Klasse. Er sah auf den Parkplatz mit all den Autodächern hinaus, während er die glühende Zigarette mit der Hand abschirmte.

Ich überlegte, woran er wohl dachte. An den Sonntagsbraten mit Rosenkohl? Dass kein Mensch Rosenkohl mochte, aber alle ihn machten? Oder täuschte sein Aussehen? Dachte er auf seinen vielen Busfahrten an versaute Sachen?

Er war so schwer, dass der Bus leicht schaukelte, als er den Fuß auf das Trittbrett setzte. Ich zählte zum Spaß die Fahrgäste, es waren nicht viele, mich eingerechnet zehn. Alle saßen schweigend und verstreut auf ihren Sitzen. Einer von ihnen, ein Typ in meinem Alter, aber mit viel längeren Haaren, hatte einen Kopfhörer aufgesetzt. Das Geräusch, das daraus drang, hörte sich an wie das Summen von Bienen oder so.

Mit dem Geldgürtel, der von seiner Hüfte hing, ging der Fahrer den Mittelgang hinauf, um Fahrkarten zu verkaufen. Als er vor mir stehenblieb, reichte ich ihm einen Tausender.

»Hast du es nicht kleiner?«, fragte er.

»Nein, tut mir leid«, antwortete ich.

Er sah mich an, schaute aber sofort weg, als ich seinem Blick standhielt, und begann, in den Geldscheinen in seiner Tasche zu blättern. Die Krempe seiner Schirmmütze war nass und glänzte im Licht der Lampe an der Decke direkt über ihm.

»Den kann ich nicht wechseln«, sagte er.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte ich.

»Na ja, du darfst diesmal umsonst fahren.«

»Danke«, sagte ich.

Kurz danach ließ er den großen Motor an, schaltete und fuhr vom Flughafengelände. Ich holte den Kopfhörer aus der Seitentasche meines Anoraks und setzte ihn auf, drehte die Kassette im Walkman um und drückte auf Play. Van Halens erste Platte war darauf und als sie lief, traten der Asphalt, die Straßenlaternen, der Flughafenzaun und das schwache Motorengrollen in den Vordergrund, während die Landschaft aus Bäumen, Felskuppen, Flussläufen und Sandstränden sich irgendwie zurückzog wie etwas aus einer Wirklichkeit zweiten Grades.

Vor vier Monaten war ich das letzte Mal zu Hause gewesen. An Weihnachten, ich hatte Heimaturlaub gehabt, die Stadt war voller Bekannter gewesen, und ich war jeden Abend ausgegangen. Jetzt war April, die allermeisten befanden sich in Oslo oder Bergen oder Trondheim, und ich war aus dem Militärdienst entlassen worden. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, mir ein paar Monate Zeit zu lassen, um darüber nachzudenken, was ich in Zukunft machen wollte, aber als der Bus nun die Steigung hinter der Brücke hinauffuhr und die Ebene am Rand des Stadtzentrums vor uns auftauchte, ahnte ich, dass ich mich vor allem langweilen würde. Wie sollte ich mir die Tage vertreiben?

Lange schlafen konnte ich vergessen, zumindest, wenn ich Mutters Vorwürfe vermeiden wollte. Eine Woche lang würde sie vielleicht Ruhe geben, es als eine Art wohlverdienter Ferien betrachten, aber danach würde sie meckern. Ich hörte innerlich ihre Stimme, die Art und Weise, wie sie manchmal meinen Namen rief, als würde sie gleichzeitig ein Urteil fällen.

Wir hielten an einer Ampel. Ich hob die Knie, presste sie gegen die Rückenlehne vor mir und rutschte auf dem Sitz nach unten. Direkt vor dem Fenster stand ein Radfahrer mit einem Fuß auf der Erde und dem anderen auf der Pedale. Seine leichte Regenjacke blähte sich im Wind wie eine Tüte.

Entweder langgezogen und fordernd – Syy-yvert! –, oder kurz und scharf – Syvert! – so klang mein Name aus ihrem Mund. Dass ich genauso hieß wie Vater, schwang auch mit. Jedenfalls bildete ich mir das ein. Fest stand, dass sie noch immer wütend auf ihn war, weil er gestorben war und alles ihr überlassen hatte.

Vor dem Narvesen-Kiosk am Busbahnhof hing eine Clique Jugendlicher herum, ansonsten waren kaum Menschen unterwegs, als ich den Platz überquerte, um den Bus zu wechseln. Ich probierte den gleichen Trick wie vorhin beim Fahrer, aber er zählte wortlos neun Hunderter und einen Fünfziger ab, gab sie mir, ehe er den Rest des Wechselgelds aus seinem Apparat drückte, zusammen mit der kleinen, quadratischen, blassgelben Fahrkarte.

Ein paar Sekunden, bevor der Bus losfuhr, kam Gjert angerannt. Ich erkannte ihn sofort. Wir hatten all die Jahre in derselben Mannschaft gespielt, sowohl Handball als auch Fußball, deshalb war sein gedrungener, kräftiger, etwas kantiger Körper für mich unverwechselbar.

Er blieb vor dem Busfahrer stehen, zog eine Monatskarte aus dem Portemonnaie, zeigte sie, ging nach hinten, löste dabei mit der einen Hand den Knoten an seiner Kapuze und zog sie mit der anderen zurück.

»Du fährst jetzt auch mit dem Bus?«, fragte ich. »Hast du den Lappen verloren, oder was ist los?«

Er blieb stehen und grinste.

»Syvert«, sagte er. »Bist du auf Urlaub?«

»Nein, heute entlassen worden«, antwortete ich.

»Gratuliere«, sagte er und setzte sich vor mich, lehnte sich mit dem Oberkörper ans Fenster und legte ein Bein auf beide Sitze.

»Ach, ich weiß nicht«, sagte ich. »Hätte eigentlich noch gut ein paar Monate weitermachen können.«

»Du warst Koch, stimmt’s?«

»Ja.«

»Gute Stellung.«

»Ja.«

Die Tür wurde geschlossen, der Bus fuhr über den leeren Platz zur Ampelkreuzung neben dem Bahnhof.

»Hast du den Lappen verloren?«, fragte ich.

»Ach was. Aber ich habe einen Unfall gebaut.«

»Bekommst du keinen Mietwagen?«

»Die Karre zu reparieren, kostet mehr, als ich dafür bezahlt habe. Ich schaue mich gerade nach einem neuen um.«

»Verstehe«, meinte ich.

»So sieht es aus«, sagte er. »Und was hast du jetzt so vor?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Aber du bleibst eine Weile zu Hause?«

»Denke schon.«

»Dann komm doch zum Training.«

»Ja?«

»Morgen Abend.«

»Warum nicht«, sagte ich.

»Aber ruf Terje vorher an und frag ihn, ob das in Ordnung geht. Außerdem muss ich dich warnen. Wir haben einen neuen Trainer. Einen Dänen. Mads. Bei ihm wird viel geredet.«

»Geredet?«

»Ja, Theorie.«

»Theorie?«

»Taktik. Er bringt sogar Tafeln zum Training mit.«

Wir plauderten die halbe Stunde, die der Bus nach Hause brauchte. Gjert wohnte zwei Kilometer entfernt, in einer Siedlung aus den Siebzigern, während wir in einem Haus aus den Dreißigern lebten, erbaut von meinem Großvater auf dem, was damals noch der Hof seiner Eltern gewesen war. Wir leben gewissermaßen in den Resten einer alten Zeit, hatte ich viele Male gedacht. Die meisten anderen aus meiner Klasse in der Grund- und Gesamtschule waren Zugezogene, wenn auch nicht von weit her, während es etwa zehn bis zwanzig Prozent so ging wie mir, sie hatten Eltern, die einer anderen Generation anzugehören schienen als die Eltern der Siedlungskinder, es war, als gäbe es etwas in der Zeit, was wir hier nicht richtig mitbekommen hatten. Gjert hing dazwischen, denn wir waren tatsächlich verwandt, entfernt, obwohl er in der Siedlung aufgewachsen war. Das zeigte sich jetzt; während die anderen von dort weggezogen waren, und sei es auch nur in die Stadt, war er geblieben.

Er hatte rötliches Haar, in der Farbe, die von den Engländern »ginger« genannt wird, blaue Augen mit einem kalten Blick, einen breiten Mund, aber schmale Lippen. Er lachte gern, war aber nicht der Typ, der Witze riss, er war weder eloquent noch fantasievoll, wurde aber allseits respektiert, obwohl er meistens nicht viel Aufhebens von sich machte. Es war verflucht schwer, gegen ihn zu spielen, denn er warf sich in die Tacklings und Duelle, als hätte er nichts zu verlieren. Auch ich war kräftig, ehrlich gesagt kräftiger als er, und bestimmt zwanzig Zentimeter größer, aber ich war ein ruhigerer Typ. Er wurde wütend, wenn wir ein Tor kassierten, schrie manchmal den Schiedsrichter an, wenn er falsch oder feige gepfiffen hatte, und verlor gelegentlich die Beherrschung und holte von den Beinen, wen auch immer er bestrafen wollte.

»Schrecklich, wie gut gelaunt du bist«, sagte ich, als wir uns der Stelle näherten, an der er aussteigen würde. »Hast du etwa eine Freundin gefunden?«

»Ja, habe ich«, sagte er und sah plötzlich im Bus nach vorn.

»Machst du Witze?«, sagte ich.

»Nein«, antwortete er.

»Wer ist sie? Jemand, den ich kenne?«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich bin ihr Silvester bei einer Fete auf der anderen Seite der Stadt begegnet.«

»Kommt sie von da?«

Er nickte.

»Wie alt ist sie?«

»Sechzehn.«

»Sieh einer an«, sagte ich. »Also auf dem Gymnasium? Oder?«

»Berufsschule.«

»Hat sie auch einen Namen?«

»Bente.«

Als ich aus dem Bus stieg und auf unser Haus zuging, hatte es aufgehört zu regnen. Es lag etwa hundert Meter weiter am Waldrand, am Ende eines schmalen Kieswegs, der nass und voller Pfützen war, deren Oberfläche vom Wind gekräuselt wurden, der vom unsichtbaren, aber dennoch immer spürbaren Meer kommend über die Ebene heranströmte.

Eine schwache Unruhe breitete sich in mir aus, als ich das Licht in den Fenstern sah. Ich...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2023
Übersetzer Paul Berf
Sprache deutsch
Original-Titel Wolves of Eternity / Ulvene fra evighetens skog
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Apokalypse • Bestseller aus Norwegen • Der Morgenstern • eBooks • Ewiges Leben • internationaler Bestseller • Lyrik • Marina Zwetajewa • morgenstern-serie • Neuerscheinung • Norwegen • Preisgekrönter Autor • Roman • Romane • Romanzyklus • Russland • SPIEGEL-Bestseller • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Tschernobyl • Umwelt
ISBN-10 3-641-25715-8 / 3641257158
ISBN-13 978-3-641-25715-6 / 9783641257156
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