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Ich war das Mädchen aus Auschwitz (eBook)

Spiegel-Bestseller
Eine der letzten Überlebenden des Holocaust erzählt ihre Geschichte - Der SPIEGEL-Bestseller mit einem Vorwort von Sir Ben Kingsley und einem 8-seitigen Bildteil

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
Penguin Verlag
978-3-641-30026-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich war das Mädchen aus Auschwitz - Tova Friedman
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Das bewegende Schicksal einer der letzten Holocaustüberlebenden, die dem Schrecken als Sechsjährige dank der Liebe ihrer Mutter entkam - mit zahlreichen Abbildungen
»Ich habe überlebt. Damit einher geht die Verpflichtung gegenüber den anderthalb Millionen jüdischen Kindern, die ermordet wurden. Sie können nicht mehr sprechen. Also spreche ich für sie.«

Tova Friedman ist gerade einmal vier Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter in ein Konzentrationslager deportiert wird, mit sechs kommt sie nach Auschwitz-Birkenau. Was sie dort erlebt, wird sie ein Leben lang prägen: Unsagbares Leid, aber auch unerschütterliche Hoffnung und eine Liebe, deren Kraft Unvorstellbares leistet. Als eine der Wenigsten weiß sie, was es heißt, eine Gaskammer von innen gesehen zu haben und heute darüber berichten zu können. Was es bedeutet, sich zwischen den Toten zu verstecken, um selbst zu überleben. So erschreckend wie berührend und inspirierend erzählt sie davon, wie sie als Kind den Krieg erlebt, ihre Eltern nach dessen Ende wiederfindet und ihr Leben seither dem Kampf gegen das Vergessen widmet. Heute gehört Tova Friedman zu den engagiertesten Stimmen der Überlebenden und klärt nachfolgende Generationen über die Schrecken des Krieges auf - so auch auf TikTok, wo sie mit ihren Videos schnell zur viralen Sensation wurde.

Tova Friedman, geboren 1938, gehörte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zu den 50.000 jüdischen Kindern der polnischen Stadt Tomaszow Mazowiecki. Nach Ende des Krieges, während dessen sie mit ihrer Mutter nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, war sie eine der fünf Überlebenden unter diesen Kindern. Über ihre Erfahrungen im Krieg und im Lager spricht Tova Friedman regelmäßig, so etwa neben Frank-Walter Steinmeier, Polens Staatspräsident Andrzej Duda und Israels Präsident Reuven Rivlin bei der Gedenkveranstaltung des World Jewish Congress zum 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung, aber auch auf TikTok, wo sie mit ihren viralen Videos schnell zu großer Beliebtheit gelangte. Sie gehört heute zu den engagiertesten Stimmen gegen das Vergessen. Tova Friedman ist Psychotherapeutin und lebt in New Jersey.

1

Renn um dein Leben


Auschwitz II, bekannt als Vernichtungslager Birkenau,
deutsch besetztes Südpolen,
25. Januar 1945


Sechs Jahre alt


Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Keines der anderen Kinder in meiner Baracke wusste, was zu tun war. Der Lärm draußen war erschreckend. So etwas hatte ich noch nie gehört. So viel Schießen. Gewehrsalven und einzelne Schüsse. Eine Pistole und ein Gewehr machen unterschiedliche Geräusche. Ich hatte beides aus nächster Nähe erlebt. Gewehre krachten, Pistolen knallten. Das Ergebnis war das Gleiche: Menschen fielen zu Boden und bluteten. Manchmal schrien sie auf, manchmal ging es zu schnell, als dass sie noch ein Geräusch hätten machen können. Zum Beispiel, wenn man ihnen in den Hinterkopf oder Nacken schoss. Bei anderen Gelegenheiten schüttelten sie sich nur, krächzten und gurgelten. Das war das Schlimmste. Das Gurgeln. Meine Ohren hassten dieses Geräusch. Ich wollte, dass das Gurgeln aufhörte. Um ihretwillen und um meinetwillen.

Irgendwo außerhalb der Baracke gab es ein Krachen und Knallen und Ratatata, Ratatata Tata. Die schnellen Geräusche kamen von den Maschinengewehren. Auch sie hatte ich schon in Aktion erlebt. Ich wusste, welchen Schaden sie anrichteten, sie machten mir große Angst.

Die Glasscheiben klirrten in den Fensterrahmen, die sich über die gesamte Länge der Wand erstreckten, etwa drei bis viereinhalb Meter über meinem Kopf im Dachstuhl. Normalerweise klapperten die Scheiben vom Wind. Doch das hier war anders. Es war wie ein Sturm ohne Blitz. Klang wie ein Donnergrollen in der Ferne. Obwohl die Holzwände den Lärm draußen dämpften, schien es, als würden die Menschen in allen Baracken gleichzeitig stöhnen oder schreien. Alle Hunde im Lager knurrten und bellten, noch bösartiger als sonst. Diese Hunde! Diese Angst einflößenden, bösen Hunde!

Ich hörte die deutschen Wachen lauthals schreien. Ich verabscheute ihre kehlige Sprache. Wenn die Deutschen auch nur den Mund aufmachten, hatte ich schon Angst.

Ich hatte nie jemanden leise auf Deutsch sprechen gehört. Immer klang es grob und fremd, und fast immer war es mit Gewalt verbunden. So viele Worte, die sich im hinteren Teil der Kehle bildeten, hervorbrachen, knurrend und spuckend und zischend. Wie der elektrisch geladene Stacheldrahtzaun, hinter dem wir eingesperrt waren. Manchmal tötete dieser Zaun mit Stromschlägen einen Juden, der den Tod zu seinen eigenen Bedingungen suchte, nicht in der von den Nazis diktierten Weise. Doch viele Häftlinge wurden erschossen, bevor sie den Zaun erreichten.

An diesem Tag klangen die deutschen Stimmen wütender als sonst. Hörte sich so das Ende der Welt an? Der Krieg war näher als je zuvor. Auf einmal war es ein Krieg mit Soldaten, die sich gegenseitig bekämpften. Nicht mehr der Krieg, den ich erlebt hatte, in dem wohlgenährte Grobiane in grauen und schwarzen Uniformen hungernde Frauen und ältere Menschen zu Boden trampelten und ihnen in den Rücken oder den Kopf schossen. In dem Kinder in Gaskammern geschickt wurden und in winzigen, rußigen Flocken aus Schornsteinen flogen.

Ich wusste nicht, woher die Anspannung kam, die durch die groben Bretterwände sickerte. Ich blickte hinauf zur Reihe der Fenster. Von unten waren es schmale Schlitze. Der Himmel sah seltsam aus. Natürlich war es dunkel, es war ja tiefer Winter. Aber es schien noch dunkler als gewöhnlich. War da Rauch in der Luft? Fielen da Flocken zu Boden? Aber es waren nicht die üblichen Rußpartikel, sie schienen größer zu sein als sonst. Brannte es da draußen? Kamen die Flammen näher? Ein Funke würde genügen, und unsere Baracke würde zum Scheiterhaufen werden. Mein leerer Magen krampfte sich zusammen. Ich fühlte mich noch mehr eingesperrt als ohnehin schon.

Ich tat, was ich immer tat, wenn ich Trost brauchte: Ich kletterte auf die Wand aus roten Ziegelsteinen, die sich etwa 60 Zentimeter hoch über die gesamte Länge der Baracke erstreckte. Das Mäuerchen trennte die Reihen dreistöckiger Betten auf beiden Seiten voneinander. Die Ziegel speicherten die Wärme aus dem Ofen, der in der Mitte der Baracke stand. Selbst wenn das Feuer erloschen war, spendeten sie noch ein bisschen Wärme. Ich saß da und bewegte meine Zehen auf den Steinen, um ein Maximum an Behaglichkeit herauszuholen.

In meiner Baracke waren so viele Kinder, dass ich sie gar nicht zählen konnte. Vierzig, fünfzig, vielleicht sechzig. Die ältesten waren schon fast Teenager. Ich gehörte zu den jüngsten und kleinsten. Wir hatten alle verschmierte, schmutzige Gesichter und eingesunkene Augen mit dunklen Ringen darunter, weil wir nie genug Schlaf oder Essen bekamen. Die meisten von uns waren in Lumpen oder gestreifte Pyjamas gekleidet, die um die Knochen schlotterten. Einige Kinder trugen gestreifte Häftlingskleidung.

Niemand von uns wusste, was da draußen los war. An diesem Morgen hatte es keinen Appell gegeben. Plötzlich juckten die Zahlen auf meinem linken Unterarm. Zum ersten Mal, seit sie in mein Fleisch geschnitten worden waren, spielten sie keine Rolle. A-27 633 – die Identität, die mir die Nazis aufgezwungen hatten. An diesem Tag hatte ich nicht gehört, dass sie aufgerufen worden wären. Unsere Routine war unterbrochen. Hier war definitiv etwas Seltsames im Gange.

Man hatte uns auch nichts zu essen gebracht, wir waren hungrig. Normalerweise hätten wir uns für eine Kruste trockenes Brot und eine Schüssel mit lauwarmem Brei aufstellen sollen, der, wenn wir Glück hatten, Spuren von nicht identifizierbarem Gemüse enthielt. Der Hunger wühlte in unseren Eingeweiden.

Wie lange warteten wir schon? Ich hatte keine Möglichkeit, die Zeit zu messen, außer zu beobachten, wie das Tageslicht die Schatten in der Baracke hob und wie sie irgendwann zurückkehrten. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Sonne, wo auch immer sie sich befinden mochte, wieder so weit sank, dass es in der Baracke stockfinster wurde.

Ein Husten, Schniefen und Wimmern ging durch unsere Stockbetten. Trotz der eisigen Temperaturen stank es nach uringetränkten Decken und den Exkrementen in den überlaufenden Nachttöpfen. Einige Kinder wimmerten oder versuchten, die Tränen zu unterdrücken. Weinen war ansteckend. Es machte uns alle unglücklich. Wenn man zu weinen begann, fühlte man sich noch trauriger als sonst. Man fing an, darüber nachzudenken, wie schrecklich das Leben war, und dann konnte man nicht mehr aufhören. Ich machte da nicht mit. Ich habe nie geweint. Wenn mich das Schluchzen überkam, biss ich die Zähne zusammen und erhob mich darüber.

Mama hatte mich gelehrt, niemals zu weinen, egal, wie ängstlich oder schwach ich mich fühlte. Ich war noch ein Kind, aber ich kann mit Stolz sagen, dass ich einen starken Willen besaß.

»Wo ist die Blockälteste hin?«

»Ich hab sie heute noch nicht gesehen.«

»Ich hab sie schon seit gestern nicht mehr gesehen.«

»Sie ist nicht hier. Lasst uns nach draußen gehen.«

»Nein, wir dürfen nicht nach draußen!«

»Wenn sie uns erwischt, wird sie uns schlagen, und sie wird es den Deutschen sagen.«

Die Blockälteste war die verantwortliche Frau, die die Befehle der Deutschen ausführte. Sie war Jüdin, genau wie wir. Die Deutschen belohnten sie mit zusätzlichem Essen und einem eigenen Raum. Sie hatte einen ziemlichen Appetit. Mir kam sie stämmig vor, aber für Kinder sind ja alle Erwachsenen groß. Als Gegenleistung, weil sie die Drecksarbeit für die Nazis erledigte, konnte sich die Blockälteste ausstrecken und in Ruhe schlafen, ohne dass ihr jemand die Decke klaute oder ihr die Knie oder Ellbogen in den Rücken rammte.

Obwohl die Blockälteste uns Angst machte, um uns zu kontrollieren, verschaffte uns ihre Anwesenheit ein Gefühl von »Ordnung muss sein«, wie die Deutschen nicht müde wurden zu sagen. Natürlich hatte ich Angst vor der Frau. Aber ohne sie herrschte Chaos. Und was am schlimmsten war: Ohne sie gab es kein Essen.

Normalerweise waren alle Baracken verriegelt und verrammelt. Wann auch immer die Blockälteste verschwunden war: Sie hatte es so eilig gehabt, dass sie sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, uns zu zählen oder die Tür abzuschließen. Ich war versucht, mich nach draußen zu schleichen, aber der Lärm war zu beängstigend. Keines der Kinder wagte es, die Schwelle zu überschreiten. Es war, als würde uns ein Kraftfeld zurückhalten. Wir waren darauf konditioniert, Befehlen zu gehorchen, und konnten uns ohne sie nicht bewegen.

Plötzlich öffnete sich die Tür. Wir zuckten alle zusammen.

Eine Frau kam herein. Eine Frau, die ich nicht kannte. Sie sah schrecklich aus. Ihre Gesichtszüge waren durch Unterernährung verzerrt, ihr Gesicht kaum mehr als ein Schädel, über dem sich die pergamentdünne Haut spannte. Ihre Augen hatten sich in die Höhlen zurückgezogen. Aber ihr Körper war aufgedunsen. So etwas machte der Hunger mit den Menschen, er ließ ihr Fleisch anschwellen. Büschel dunkelbrauner Haare sprossen unter einem Stück Stoff hervor, das in einem vergeblichen Versuch, etwas Wärme zu behalten, zu einem Kopftuch gebunden worden war.

Die Frau sah mich an. »Tola!«, rief sie. »Da bist du ja, mein Kind!«

Erleichterung huschte über ihr Gesicht. Ihre straffen Wangenmuskeln entspannten sich, und ihre Augen funkelten. Die Stimme war schwach, aber vertraut, ebenso wie die traurigen grünen Augen und das leichte Lächeln. Ich erhob mich verwirrt von den Ziegelsteinen. Sie sah eher aus wie eine Vogelscheuche als wie ein Mensch. Sie klang wie meine Mama, aber war sie es auch wirklich?

Und was machte sie in meiner Baracke? Sie gehörte...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2023
Co-Autor Malcolm Brabant
Übersetzer Ulrike Strerath-Bolz
Sprache deutsch
Original-Titel The Daughter of Auschwitz
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 2023 • Anne Frank • Antisemitismus • Augenzeugenbericht • Auschwitz • Auschwitz-Birkenau • Autobiografie • Autobiografischer Roman • Befreiung • Biografie • Biographien • Booktok • Das Mädchen aus dem Lager • Das Tagebuch der Anne Frank • Der Tätowierer von Auschwitz • Die Bibliothekarin von Auschwitz • Drittes Reich • eBooks • Geschichte • Historische Romane • Holocaust • Holocaust Überlebende • Judenverfolgung • Jugendbücher ab 12 • Konzentrationslager • Lebensgeschichten Schicksal Bücher • mutige Frauen • Mutter und Tochter • Nationalsozialismus • Neuerscheinung • Romanbiografie • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Und doch ein ganzes Leben • Wahre GEschichte • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-30026-6 / 3641300266
ISBN-13 978-3-641-30026-5 / 9783641300265
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