Ein Mann namens Ove (eBook)
480 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-29946-0 (ISBN)
Fredrik Backman ist mit über 20 Millionen verkauften Büchern einer der erfolgreichsten Schriftsteller Schwedens. Sein erster Roman »Ein Mann namens Ove« wurde zu einem internationalen Phänomen; die Verfilmung mit Rolf Lassgård war für zwei Oscars nominiert, es gibt zudem ein Remake mit Tom Hanks. Auch Fredrik Backmans folgende Romane eroberten die obersten Ränge der Bestsellerlisten in Deutschland, Schweden, den USA und vielen anderen Ländern. Sein Werk wurde bisher in 46 Sprachen übersetzt und zu großen Teilen verfilmt. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Solna bei Stockholm.
Kapitel 2
Ein Mann namens Ove dreht eine Kontrollrunde durch die Siedlung
Es war fünf vor sechs am frühen Morgen, als Ove und die Katze das erste Mal aufeinandertrafen. Die Katze mochte ihn von Anfang an nicht. Was absolut auf Gegenseitigkeit beruhte.
Ove war wie immer zehn Minuten zuvor aufgestanden. Er verstand die Leute nicht, die verschliefen und es darauf schoben, dass der »Wecker nicht geklingelt habe«. Ove hatte in seinem ganzen Leben noch keinen Wecker besessen. Um Viertel vor sechs wachte er auf, und dann begann sein Tag.
Er hatte die Kaffeemaschine angestellt und genau die Menge eingefüllt, die er zusammen mit seiner Frau an jedem Morgen in den letzten vier Jahrzehnten, in denen sie in der kleinen Reihenhaussiedlung gewohnt haben, getrunken hat. Ein Löffel pro Tasse und einen extra für die Kanne. Nicht mehr und nicht weniger. Das konnte ja heute keiner mehr, richtigen Kaffee kochen. Genau wie man heute auch nicht mehr mit der Hand schreiben konnte. Heute hatte man nur noch Computer und Espressomaschinen. Und wohin bewegte sich eine Gesellschaft, in der keiner mehr vernünftig mit der Hand schreiben und Kaffee kochen konnte? Wohin? Das fragte sich Ove.
Während seine richtige Tasse Kaffee durchlief, zog er die blaue Hose und die blaue Jacke an, fuhr in die Holzclogs, steckte die Hände in die Hosentaschen, so wie es ein Mann mittleren Alters tat, der ständig darauf gefasst sein musste, von einer durch und durch unfähigen Umwelt enttäuscht zu werden, und machte sich auf seine Kontrollrunde durch die Siedlung. So wie jeden Morgen.
In den anderen Reihenhäusern war es noch still und dunkel, als er aus der Tür ging. Hätte man sich denken können. In diesem Viertel gab es wirklich niemanden, der sich die Mühe machte, früher aufzustehen als nötig, das kannte Ove. Hier wohnten heutzutage ja nur Selbstständige und andere unzuverlässige Typen.
Die Katze saß mit gleichgültiger Miene mitten auf dem Weg zwischen den Häusern. Oder was man so Katze nennen konnte. Sie hatte nur noch einen halben Schwanz und ein Auge. Und hier und da fehlten ihr ganze Fellstücke, als hätte jemand faustdicke Büschel herausgeschnitten. Deshalb konnte von einem ganzen Katzenvieh eigentlich kaum die Rede sein, fand Ove.
Er stapfte ein paar Schritte auf sie zu. Die Katze erhob sich. Ove blieb stehen. Da standen sie und musterten sich ein paar Augenblicke lang gegenseitig, wie zwei potenzielle Raufbolde spätabends in einer Kneipe auf dem flachen Land. Ove spielte mit dem Gedanken, einen seiner Holzclogs nach ihr zu werfen. Die Katze sah aus, als verfluche sie die Tatsache, dass sie selbst keine Holzclogs besaß, um sie zurückzuschleudern.
»Schsch!«, brüllte Ove so plötzlich, dass die Katze zusammenfuhr.
Sie machte einen Schritt zurück. Sah den 59-Jährigen von oben bis unten an, betrachtete seine Holzclogs. Dann zuckte sie leicht, drehte sich um und trottete von dannen. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte Ove schwören können, dass sie erst noch die Augen verdreht hatte.
»Blödes Vieh«, dachte er und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Zwei Minuten vor sechs. Zeit, in die Gänge zu kommen, damit sich nicht die ganze Kontrollrunde wegen des Katzenviehs verschob. Das wäre ja noch schöner.
So marschierte er also den Weg zwischen den Häusern entlang bis hoch zum Parkplatz, wie jeden Morgen. Machte halt vor dem Schild, das den Autoverkehr innerhalb der Wohngegend untersagte. Trat ein bisschen provokativ gegen den Pfosten, auf dem es befestigt war. Nicht weil er schief stand oder so, sondern weil es nie schaden konnte, die Dinge zu kontrollieren. Und Ove war so ein Mann, der den Zustand von Dingen überprüfte, indem er dagegentrat.
Dann ging er auf den Parkplatz und lief alle Garagen ab, um zu kontrollieren, ob irgendwo nachts eingebrochen worden war oder etwa Vandalen Feuer gelegt hatten. Nicht dass das hier in der Siedlung schon einmal vorgekommen wäre. Aber Ove hatte ja auch nie einen seiner Inspektionsgänge ausgelassen. Zur Kontrolle zog er dreimal am Griff seines eigenen Garagentores, hinter dem sein Saab stand. Genau wie jeden Morgen.
Danach drehte er eine Runde über den Besucherparkplatz, auf dem man höchstens 24 Stunden stehen durfte, und notierte auf einem Block, den er in seiner Jackentasche trug, jedes einzelne Kennzeichen. Verglich dann mit seinen Notizen vom Vortag. Jedes Mal, wenn dasselbe Kennzeichen an zwei Tagen nacheinander in Oves Notizblock auftauchte, ging er nach Hause, rief die Zulassungsstelle an und verlangte die Informationen über den Halter des Fahrzeugs, und dann rief er den Betreffenden an und informierte den Betreffenden, dass der Betreffende ein unfähiger Blödmann sei, der keine Schilder lesen könne. Nicht dass es Ove wirklich interessierte, wer auf dem Besucherparkplatz stand. Natürlich nicht. Aber hier ging es ums Prinzip. Wenn »24 Stunden« auf dem Schild stand, dann hat man das zu akzeptieren. Denn wo kämen wir hin, wenn jeder nach Lust und Laune überall parkte? Das wäre ein heilloses Chaos, das war Ove klar. Überall nur noch Autos.
Aber heute standen keine Fahrzeuge unrechtmäßig auf dem Besucherparkplatz, also setzte Ove seine Notizen beim täglichen Abstecher zum Wertstoffraum fort. Im Grunde war das gar nicht sein Ding, von Anfang an hatte er lautstark gegen diesen Blödsinn protestiert, den die neu zugezogenen Typen in der Versammlung durchgeboxt hatten, nämlich dass jedes kleine Stückchen Abfall sortiert werden musste. Aber wenn es nun beschlossene Sache war, dass man den Müll trennen sollte, dann musste das auch jemand kontrollieren. Nicht dass jemand Ove damit beauftragt hätte, aber wenn nicht Männer wie Ove in solchen Angelegenheiten selbst die Initiative ergriffen, dann würde die Anarchie über alles siegen. Ove wusste das. Dann läge überall Müll herum.
Er trat gegen die Mülltonnen. Fluchte und angelte ein Glas aus dem Glascontainer, murmelt so was wie »Nichtsnutze« und schraubte den Metalldeckel ab. Schmiss das Glas zurück in den Glascontainer und den Metalldeckel in den Metallsammelbehälter.
Als Ove noch Vorsitzender des Eigentümervereins war, kämpfte er hartnäckig darum, dass der Wertstoffraum kameraüberwacht wurde, damit man sichergehen konnte, dass niemand »Müll falsch entsorgte«. Zu seinem Ärger erhielt Oves Vorschlag nicht die Mehrheit der Stimmen, weil die anderen Nachbarn fanden, dass sie dabei »kein gutes Gefühl« hätten und es außerdem lästig sei, die ganzen Videos zu archivieren. Und das, obwohl Ove jedes Mal wiederholte, dass der, der keinen »Dreck am Stecken« habe, sich vor der »Wahrheit« nicht fürchten müsse.
Zwei Jahre später dann – Ove war als Vorsitzender des Eigentümervereins abgewählt worden (was Ove immer als »den Putsch« bezeichnet, wenn er davon spricht) – kam die Frage erneut auf den Tisch. Offenbar gab es nun so eine neumodische Kamera, die von Bewegungsmeldern aktiviert wurde und ihre Bilder direkt ins Internet stellte. Das erklärten die neuen Vorsitzenden ihren Mitgliedern im Viertel in einem forschen Brief. Mit der Kamera könne man sowohl den Wertstoffraum als auch den Parkplatz überwachen, um Vandalismus und Einbruch vorzubeugen. Und darüber hinaus löschten sich die Videoaufnahmen selbstständig nach 24 Stunden, um die »Integrität der Anwohner« zu wahren. Es war ein einhelliges Abstimmungsergebnis nötig, um die Kameras zu installieren. Ein einziges Mitglied stimmte dagegen.
Ove traute dem Internet nämlich nicht. Er betonte es auf »net«, obwohl seine Frau ihn dann immer korrigierte und erklärte, man betone das Wort auf »Inter«. Und dieses »Inter-NET« würde Ove erst überwachen, wenn er selbst tot im Müll läge, das merkte der Vorstand bald. Und deshalb wurde aus den Kameras nichts.
Die täglichen Kontrollrunden waren sowieso besser. Da wusste man doch gleich, wer hier zugange war, und hatte einen Überblick. Das musste wohl jeder einsehen.
Als er also mit seiner Wertstoffrauminspektion fertig war, schloss er die Tür ab, so wie jeden Morgen, und drückte die Klinke zur Kontrolle noch dreimal. Dann drehte er um und sah auf einmal ein Fahrrad, das von außen an die Wand des Fahrradschuppens gelehnt stand. Obwohl ein großes Schild mit der Aufschrift »Fahrräder abstellen verboten« klar und deutlich genau darüberhing. Neben dem Fahrrad hatte einer der Nachbarn einen handgeschriebenen, bösen Zettel hingehängt: »Hier ist kein Fahrradparkplatz! Können Sie keine Schilder lesen?« Ove murmelte etwas wie »Idioten«, öffnete den Fahrradschuppen und hob das Fahrrad sauber in eine Reihe. Schloss dann wieder ab und kontrollierte den Türgriff dreimal.
Dann riss er den Zettel von der Wand. Er hatte nicht übel Lust, beim Vorstand einen Antrag einzureichen und zu fordern, dass man dort ein ordentliches »Plakatieren verboten«-Schild anbrachte. Die Leute meinten offenbar, man könnte heutzutage durch die Gegend ziehen und überall seine Schmähzettel aufhängen. Diese Wand war doch verflixt nochmal kein Schwarzes Brett.
Dann ging Ove den kleinen Weg zwischen den Häusern zurück. Machte vor seinem eigenen Haus halt, beugte sich zu den Pflastersteinen seines kleinen Weges hinunter und schnüffelte an den Fugen. Pisse. Es stank nach Pisse. Und nach dieser Beobachtung ging er zurück in sein Haus, schloss hinter sich die Tür ab und trank seinen Kaffee.
Als er damit fertig war, kündigte er telefonisch das Abonnement seiner Tageszeitung und seinen Telefonanschluss. Reparierte die Mischbatterie im kleinen Badezimmer. Montierte neue Schrauben am Griff der Terrassentür in der Küche. Ölte die Holzarbeitsplatte ein. Räumte die Kisten auf dem Dachboden zur Seite. Sortierte das...
Erscheint lt. Verlag | 14.12.2022 |
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Übersetzer | Stefanie Werner |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | En Man som heter Ove |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2022 • Anspruch und Humor • Bestseller aus Schweden • Bücher • eBooks • Ein Mann namens Otto • Jonas Jonasson • Neuerscheinung • Roman • Romane • Schweden • Tom Hanks |
ISBN-10 | 3-641-29946-2 / 3641299462 |
ISBN-13 | 978-3-641-29946-0 / 9783641299460 |
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