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Fridas Tote

(Autor)

Buch | Softcover
252 Seiten
2022
Ashera Verlag
978-3-948592-85-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fridas Tote - Nena Siara
CHF 22,90 inkl. MwSt
Frida Kahlo wird als Eule wiedergeboren. Kaum hat sie sich im Kronberger Park eingenistet, endet die erste Nacht mit einer Leiche unter ihrem Baum. Plötzlich taucht Carlos, eine Eule aus dem Nachbarbaum auf, der Frida magisch anzieht. Während zahlreiche Personen einen Leichenbesuch abstatten, und entweder alle oder keiner etwas mit der Verstorbenen zu tun haben will, kommen sich die beiden näher. Von ihrem Baum aus beobachten sie Szenen, die sich nach und nach zu einem Netz von Beziehungen rund um die Tote spinnen. Frida verwandelt diese in ein Kunstwerk voller Witz und Realität und bringt dabei auf bizarre Art und Weise den Mörder ans Tageslicht.

Eine Krimi-Komödie über die Ignoranz von Tod und der Idee, ihn als belustigendes, surreales Kunstwerk zu sehen.

Irgendetwas hatte mich aus meinem kurzen Schlaf gerissen. Hatte die Kastanie etwa gewackelt? Die zerhackten Fleischstücke lagen mir schwer im Magen und wollten verdaut werden. Mein Instinkt forderte mich auf, der Irritation nachzugehen und meine Höhle zu verlassen. Ich schüttelte mein Federkleid und hüpfte schlaftrunken an den Rand meiner Behausung. Das Gulasch aus Mäusen, Kröten und einer Baby-Blindschleiche lag wie ein Klumpen in meiner Bauchhöhle. Kein schöner Gedanke, alles im nächsten Moment zu erbrechen. Ein tiefer Atemzug half dabei, den Fleischeintopf in Schach zu halten. Erst jetzt roch ich die ersten Düfte des Spätsommers, die morgens und abends über dem Park lagen. Eine Brise verdorbenes Laub, Moose, Pilze, die sich ihren Weg durch die feuchte Erde bahnten. Der zweite Herbst meines Lebens war im Anflug und ich freute mich, ihn in meinem neuen Dasein zu genießen. Endlich hatte sich mein Magen beruhigt und ich warf einen Blick auf die Umgebung. Nirgendwo war die Ursache für das Wackeln des Baumes zu entdecken. Kein Bagger weit und breit. Keine Kinder, die im Baum saßen. Gerade wandte ich mich wieder meiner Höhle zu, als mein Blick auf den Boden unter mir fiel. Ich erstarrte. Tote Augen fixierten mich, als wollten und könnten sie sprechen. Schrien nach Hilfe, die zu spät kam. Mir lief es eiskalt das Federkleid hinab und ich schiss spontan erregt vom Ast. Bingo, genau auf ihr linkes Auge. „Guten Morgen, Frida. Na, hast du die Tote auch schon entdeckt?“ Die quirlige Stimme von Wilson, dem vier Monate alten Steinkauz aus der Nachbarschaft, wirkte wie ein Schlag auf den Kopf. „Hey, Señor neunmalklug. Schlafen brave Eulen nicht um diese Uhrzeit?“, fragte ich, um ihn an unsere Schlafzeiten zu erinnern. „Ich bin eine anständige Eule, aber um neunmalklug zu sein, muss man seine Zeit für Recherchen und Beobachtung nutzen“, plapperte er hochgestochen und hatte mich eins zu null geschlagen. „Hast Recht, Wilson“, meinte ich und gähnte. Ich war zu müde, um mich mit ihm anzulegen. Wilson war eine lästige kleine Eule, die von Baum zu Baum hüpfte und den Eulen im Park mit seinem altklugen Gerede gehörig auf den Zeiger ging. Da seine Familie, wie ich schnell erklärt bekommen hatte, seit Generationen im Viktoriapark ansässig war, traute sich niemand, die nervige Misteule zu verjagen. Dass unter mir, wie ich jetzt registrierte, am Fuß des Stammes meiner Kastanie, eine tote Frau lag, bedeutete, dass ich Klugscheißer-Wilson an der Federbacke hatte. Carajo - Verdammt. Da ich ohnehin keinen Schlaf bekommen würde, hüpfte ich zwei Stämme weiter nach unten und betrachtete den leblosen Fleischklops, der sich anders als das Gulasch im Bauch noch in einem Stück zeigte. Die Frau lag auf dem Rücken, die Beine gerade ausgestreckt. Ihre Arme lagen rechts und links neben ihr, als würde sie nach einem anstrengenden Vinyasa Flow Workout in der Yogaendentspannung Shavasana Frieden finden. Okay – Frieden hatte sie auch jetzt. Nur würde sie nicht mehr von dem schmalen Wiesenstreifen zwischen den beiden Büschen, die auf der Rückseite des Stammes angrenzten, aufstehen können. Vom Rundweg aus, der nur wenige Meter von dem Baum entlanglief, konnte man die Tote kaum sehen. Ihr Körper lag eingekesselt im Grün der Büsche, nur von oben optimal zu erkennen. Mein Blick fiel auf die roten Würgemale an ihrem Hals, die wie Blutmale blinkten. Erinnerungen an Schmerz und Leid aus meinem mexikanischen Frida-Leben sprühten wie Funken aus der Vergangenheit. Freiwillig war sie nicht in den Tod gegangen. Sie war eine junge, durchtrainierte und ansehnliche Frau, selbst der Tod hatte daran nichts ändern können. Die perfekt geflochtenen, braunen Zöpfe lagen wie eine Schlange um ihr zartes Gesicht mit seinen kristallblauen Augen. Dem einen, das andere war ja vollgekackt. Am Ende ihrer schlanken Beine, die in einer engen, schwarzneongrünen Yogahose steckten, trug sie schwarze Turnschuhe. Gezeichnet von einem grünen NikeZeichen. Was man in Kronberg nicht alles über Marken lernte. Madame Sexy-Sportbombe wäre zu meiner Frida-Lebenszeit verboten gewesen, aber die Gesellschaftsregeln hatten sich im Laufe der Jahrzehnte enorm verändert. Frauen wie diese konnten ihren geschmackvollen Stil ausleben, es sei denn, sie wurden von X kurzfristig stranguliert und an einer Kastanie zurückgelassen. Vielleicht auch von Y. Ich flatterte auf den Boden und beäugte sie von allen Seiten. Wilson folgte mir wie ein Miniaturschatten. Wortlos, was mal eine Ausnahme war. War er krank? Diese kleine Eule hatte die amüsante Angewohnheit, den Kopf um neunzig Grad zu drehen, wenn er sich etwas genauer ansah, was urkomisch und unheimlich aussah. In dieser Pose stand er neben der Leiche, von der ein leichter Duft von Schweiß und Sex ausströmte. „Sie stinkt“, konstatierte mein Minischatten und drehte seinen Kopf wieder senkrecht. „Ja, sie riecht nach Schweiß und Se...“ Ich brach ab. Die Sexualerziehung wollte ich seiner Mutter überlassen. „Nach Sex. Ich weiß schon. Ist die Fortpflanzungsmethode bei Menschen und Tieren. Riecht salzig“, erklärte er mir nüchtern. Salzig. Was für ein Detail. Dass es verdammt Spaß machte, verletzen oder töten konnte, emotional oder gar körperlich, ergänzte ich nicht. „Meinst du, sie war das Opfer eines Gewaltverbrechens oder einer Vergewaltigung mit tödlichem Ausgang, dem heftiger Sex vorausging?“ Wow. Diesem Steinkauzschatten brauchte ich wohl nichts mehr zu erklären. Was hatte er nur für eine Mutter, die ihn derart aufklärte? Ich beschloss in diesem Moment, Wilson nur noch bedingt als Schulkind anzusehen. Zudem musste ich mir eingestehen, dass ich die Tote um die Sex-Tatsache beneidete. Weniger um den Tod. Wenn ich meine beiden Leben miteinander verglich, so war eins klar: In meinem jetzigen Leben tötete ich so viel, wie ich in meinem letzten vögelte. Halleluja! Was würde ich darum geben, diesen Aspekt zu tauschen. „Ist alles möglich.“ Ich beäugte die Tote erneut. Jetzt fiel mir bald eine Feder aus dem Kleid. Ich kannte sie, verdammt. Es war die Frau, die gestern Abend, als ich auf der Platane saß und das Glitzern der Skyline betrachtete, aus dem Schulgebäude gelaufen und schnurstracks in einem Auto verschwunden war. War ihr nicht ein zweites gefolgt? Heilige Scheiße. Möglicherweise saß ihr Mörder in dem Fahrzeug, und ich hätte ihr Ableben verhindern können. Las tonterías Humbug! Es ließ sich nicht jedes Leben retten. Wenn es jemand wusste, dann ich. „Die kenne ich“, meinte Wilson. „Sie läuft montags, mittwochs und samstags durch den Park. Immer zur selben Zeit. Wenn meine Mutter ihre Jagd beendet, schläft sie relativ schnell ein. Das ist der Moment, in dem ich mir noch eine Minute gönne und den Sonnenaufgang beobachte. Ich kann die Uhr danach stellen. Die Tote dreht immer dieselbe Runde. Sie hat aber immer etwas anderes an.“ „Die Tote mit dem zugekackten Auge“, ergänzte ich und grinste. Wilson grinste nicht. Der kleine Professor war in seinem Alter schon viel zu professionell, als sich dem Spaß des Lebens hingeben zu können. „Wilson. Komm sofort nach Hause“, rief es aus der Ferne und erstaunlicherweise zuckte der Miniaturschattenprofessor zusammen. Es gab also etwas oder jemanden, vor dem der Klugscheißer Respekt hatte. Na also. „Sorry, Frida. Ich flieg dann mal los. Halte mich auf dem Laufenden. Wegen der Toten“, sagte er wie ein fordernder Polizist. Ich nickte. „Wegen der vollgekackten Toten“, korrigierte er und erbarmte sich zu einem Grinsen. Dann erhob sich der Winzling eines Steinkauzes und ließ sich vom Grün der Baumkronen verschlucken. Mein Alleinsein hielt nicht lange an. Aber diesmal erfreute die Stimme mein Herz. „Hey, Frida? Was machst du hier unten?“ Ich wandte meinen superdrehbaren Kopf knappe zweihundertsiebzig Grad. Von dieser Fähigkeit war ich von Anfang an begeistert. Manchmal machte ich mir einen Spaß daraus und drehte mich wiederholt in alle Richtungen. Ohne, dass mir schwindlig wurde. Dazu tippte ich mit der Kralle auf den Stamm und wippte zusätzlich. Wahrscheinlich sah das ziemlich bescheuert aus. Oder rattenscharf. Das Tempo meines Herzschlags beschleunigte sich, als ich in zwei honigfarbene Augen blickte, die mich regelmäßig um den Verstand brachten. Carlos, ein wiedergeborener Stierkämpfer, saß auf dem Ast über mir und schenkte mir sein verführerisches Lächeln. Er wohnte auf dem Baum nebenan, war ein Jahr vor mir geboren und heißer als mexikanische Salsasoße. Hola, die Waldeule! „Siehst du nicht, dass hier eine Tote liegt?“, lautete meine Gegenfrage, die mal wieder etwas zu schnippisch rüberkam. Verdammt. Carlos brachte mich noch an den Rand des Wahnsinns. Statt mich anzubaggern, machte er einen auf guter Freund. Aber mich juckte es seit meiner Erkenntnis, fruchtbar zu sein, zwischen dem Federkleid. Mittig. Olé. Wie immer lächelte er mild, was so viel wie „Ich verzeihe dir deinen Tussi-Ton“ hieß. „Yepp. Sieht tot aus. So tot wie die Stiere in der Arena. Ermordet. Sieht man sofort“, konstatierte er lässig und ich lag gleich nieder, vor weichen Fußkrallen. Eine Sekunde später sprang er lässig vom Baum, begleitend durch einen kraftvollen Flügelschlag. Es wirkte auf mich, wie das Protzen eines Porschefahrers. Aber, es erzielte seine Wirkung. Diese Eule machte mich willenlos. In alle Richtungen außer seiner. „Sie ist nicht, wie ich damals, von einem Stier durchbohrt worden, aber ihr Tod war sicher auch nicht angenehm. Meinst du, sie hatte es verdient? So wie ich?“ Carlos glaubte an Fügung. Er hatte mit dem Leben der Tiere gespielt und ihren Todeskampf Schaulustigen zum Fraß vorgeworfen. Stimmt. Er war ein Scheißkerl gewesen, und er hatte es vielleicht auch verdient zu sterben. Aber konnte er nicht irgendwann mit seinem vorherigen Leben abschließen? In dem Punkt war ich ihm mit meiner Erkenntnis voraus. Zwölf Monate neues Leben lagen hinter mir und ich hatte bereits nach dem ersten Ästeln die Vorzüge der neuen Freiheit begriffen. Diese Wiedergeburt war ein Neuanfang. Man musste ihn leben, ohne nach hinten zu schauen. Die Vogelfreiheit war ein Lottogewinn. Trotz des nächtlichen Killeranteils in uns. Irgendwann wünschte ich mir für Carlos dieselbe Einsicht. Wenn es nicht mit seriöser Erkenntnis ging, dann vielleicht mit Humor?

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Crime Time ; 5
Zusatzinfo Szenentrenner
Verlagsort Deutschland
Sprache deutsch
Maße 125 x 190 mm
Gewicht 270 g
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Cosy Crime • Frida Kahlo • Krimi • Regiokrimi
ISBN-10 3-948592-85-3 / 3948592853
ISBN-13 978-3-948592-85-1 / 9783948592851
Zustand Neuware
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