Deckname Dogwood. Erinnerungen an Alfred Schwarz (eBook)
myMorawa von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-140-1 (ISBN)
Erich Cibulka (geb. 1963) lebt in Wien und arbeitet seit 2007 als Unternehmensberater, Speaker und Autor an der Schnittstelle von Wirtschaft, Militär und Politik. Er ist Wirtschaftspsychologe, Lehrbeauftragter an mehreren Akademien und (Fach-)Hochschulen und Offizier im Range eines Brigadier. Davor war er viele Jahre Personaldirektor großer Unternehmen und Mitglied verschiedener Aufsichts- und Beiräte. Er war hoher Funktionär der Wirtschaftskammer Österreich, langjähriger Verhandlungsführer bei Kollektivvertragsverhandlungen und ist fachkundiger Laienrichter am Arbeits- und Sozialgericht Wien.
Teil 1: Onkel Fredi – die 1970er-Jahre
Der „Geldscheißer“
In meinem Geburtsjahr 1963 begannen auch die Planungen für den Bau der ‚Transalpinen Ölleitung‘ (TAL) von Triest durch Tirol nach Bayern. Ein Konsortium der größten Erdölfirmen der Welt – ENI, BP, ESSO und SHELL – griff die Idee des venezianischen Finanzmanagers Marco Barnabò für diese Pipeline auf. Die Bechtel Corporation konnte binnen vier Monaten eine Machbarkeitsstudie durchführen. Bereits 1964 begannen die Bauarbeiten, die im Juni 1967 abgeschlossen wurden.
Die Pipeline führt über insgesamt 465 Kilometer von Triest nach Lenting bei Ingolstadt und in weiterer Folge über 287 Kilometer nach Karlsruhe. Sie überquert und untertunnelt auf diesem Wege die Alpen und kommt an der italienisch-österreichischen Grenze bei Kötschach-Mauthen nach Österreich. An der österreichisch-bayerischen Grenze bei Kufstein gelangt die Pipeline nach Deutschland. 1970 wurde die TAL bei Würmlach um die Abzweigung der Adria-Wien-Pipeline zur Raffinerie in Schwechat erweitert.
Die Baukosten betrugen 192 Millionen US-Dollar. Damit galt das Bauprojekt als eine der größten Investitionen durch private Geldgeber in der damaligen Zeit, für die ein Konsortium aus 83 Banken eingerichtet wurde. Und so kamen Fredi Schwarz und mein Vater, Karl Cibulka, in Kontakt. Karl begann nach der Matura im Jahr 1958 ein Studium an der Hochschule für Welthandel. 1961 brach er dieses jedoch ab und begann bei der Creditanstalt-Bankverein (CA-BV) in der Kassa-Abteilung in der Schottengasse und später in der Filiale am Parkring am Schalter zu arbeiten.
Die Creditanstalt war nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht und wurde 1956 durch die Ausgabe von so genannten Volksaktien – zu 40 Prozent – teilprivatisiert. Sie war vor allem im Geschäft mit Großkunden aktiv. Außerdem widmete sie sich der Finanzierung des eigenen Industriekonzerns, der Beteiligungen an wichtigen österreichischen Unternehmen umfasste – wie zum Beispiel Wienerberger, Steyr Daimler Puch, Donau Chemie, Lenzing, Semperit und Universale Bau. Ab der Mitte der 1960er-Jahre wandte sich die Bank verstärkt dem Privatkundengeschäft zu. Zehn Jahre später rangierte die Creditanstalt unter den hundert größten Banken der Welt. 1997 wurde diese – mit großen politischen Wehen – von der Bank Austria, die ihrerseits aus einer Fusion von Zentralsparkasse und Länderbank entstanden war, erworben und 2002 zur Bank Austria Creditanstalt (BA-CA) fusioniert. In dieser war ich dann später selbst als Personaldirektor für über 30.000 Mitarbeiter in Österreich und zwölf Ländern in Zentral- und Osteuropa (CEE) tätig. Es waren ambivalente Gefühle, als ich diesen Posten antrat und die ersten Male mein Büro in der Vorstandsetage in der Schottengasse aufsuchte. Einerseits war mein Job neu und unbekannt, aber andererseits kannte ich das Gebäude doch bereits seit meiner Kindheit und es wirkte vertraut auf mich.
Mein Vater konnte sich nämlich relativ rasch hocharbeiten. Er absolvierte einen Lehrgang zum Bankfachmann, leistete dann 1965 seinen Grundwehrdienst beim Bundesheer als Einjährig-Freiwilliger ab und wurde 1966 in die Abteilung Exportfinanzierung im Hauptgebäude am Schottentor versetzt. Sein damaliger Chef, Kurt Elendner, beauftragte ihn, den Kontakt zu Alfred Schwarz zu halten. Elendners Sohn, Rainer (27.12.1960 – 16.06.2017), beneidete ich in Kinderjahren um seine Ritterrüstung und später traf ich ihn als Offizier bei einem Seminar an der Militärakademie wieder.
Schwarz war in den späten 1960er-Jahren bereits ein alter Fuchs in der Geschäftswelt. Karl war noch nicht einmal dreißig Jahre alt und erst am Beginn seiner Karriere. Im Zusammenhang mit der Pipeline ergab sich kein konkretes Geschäft. Aber man blieb in Kontakt. Fredi Schwarz hinterließ den Eindruck, dass er es nicht nötig hatte, Geschäfte zu machen. Und schon gar nicht unter Zeitdruck. Es war wohl auch eine Ära, als man sich für die Pflege von Kontakten und den Aufbau von tragfähigen Netzwerken viel mehr Zeit nahm.
In unserer Familie genoss er höchste Wertschätzung. Wenn er gelegentlich zu Hause anrief – damals gab es nur Festnetz-Telefonie –, wusste ich sofort, dass er es war. Denn meine Mutter Isolde verfiel sofort in ein Hochdeutsch, das sie sonst im Alltag nicht verwendete, und das daher für mich ziemlich aufgesetzt und verstellt klang. Ich habe mich darüber gerne lustig gemacht, wie es eben Kinder machen, um ihre Eltern zu ärgern. Er repräsentierte vieles, was meinen Eltern erstrebenswert galt – gute Bildung, souveränes Auftreten und kultivierte Umgangsformen. Und außerdem wirkte er finanziell völlig unabhängig. Dazu trug auch eine Erzählung bei, die die Herkunft seines Wohlstands erklären sollte. So soll er 1928, als Mustafa Kemal in der Türkei eine Schriftreform durchgeführt und die arabische Schrift durch ein neues türkisches Lateinalphabet ersetzt hatte, Schreibmaschinen, die er günstig aus einer Konkursmasse erworben hatte, im großen Stil exportiert haben. Allein die Nachfrage in der öffentlichen Verwaltung der Türkei wäre enorm und seine Gewinnspanne dementsprechend groß gewesen.
Er war also im Vergleich zu meiner Familie steinreich, wahrscheinlich auch objektiv, aber darüber kann ich nur spekulieren. Bei meinen besten Schulfreunden hatte er jedenfalls den Spitznamen ‚Geldscheißer‘. Das klingt zwar nicht sympathisch. Aber es bezeugte große Ehrfurcht und auch Respekt. Denn in unserer Familie wurde jeder Schilling dreimal umgedreht.
Eineinhalb Jahre nach mir kam meine Schwester Ingrid zur Welt. Durch einen Chromosomendefekt ist sie körperlich und geistig behindert. Abgesehen von den schwerwiegenden psychischen Herausforderungen dieses Schicksalsschlages musste meine Mutter nach der Karenzzeit ihre Arbeit endgültig aufgeben und kümmerte sich nur noch um uns Kinder und den Haushalt. Das war in den 1960er-Jahren nicht sehr ungewöhnlich, aber für meinen Vater als jungen Alleinverdiener war das sicher eine große Last und eine hohe Verantwortung.
In meinem ersten Lebensjahr wohnte ich mit meinen Eltern in einem Zimmer bei meiner Urgroßmutter – im Gemeindebau in Meidling. Der Urgroßvater hieß Franz und war bereits verstorben. Auf dem Tisch in der Küche stand ein Foto von Franz Jonas, dem Bürgermeister von Wien und späteren Bundespräsidenten. Das war ihr ‚Franzl‘, mit dem sie ihre Gedanken austauschte und lebhaft diskutierte.
Dann wurde eine Eigentumswohnung in einem Neubau in Favoriten gekauft. Sie hatte 50 m2 mit zwei Zimmern, Küche, Bad und WC. Ein Zimmer diente als Wohnzimmer und mit der ausziehbaren Couch als Schlafzimmer der Eltern. Das zweite Zimmer war das Kinderzimmer und Esszimmer. Damals hatten in den Altbauten in Wien viele so genannte Bassena-Wohnungen noch Gang-WC und bestenfalls Fließwasser in der Küche, aber jedenfalls kein Badezimmer. Die Wohnung war also bereits ein großer Aufstieg, aber durch die Kreditfinanzierung auch eine hohe Belastung. Überhaupt hatten meine Eltern gegenüber meinen Großeltern bereits viel erreicht. Sie waren die Ersten in der Familienchronik, die 1958 die Matura abgelegt hatten. Eine Matura war damals vom gesellschaftlichen Stellenwert zumindest vergleichbar mit einem Bachelor-Studium der heutigen Zeit. Und sie galt während des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders als Einstiegskarte in ein gutes Leben. Die Großeltern väterlicherseits führten ein kleines Kürschnergeschäft in der Leopoldstadt und wohnten in einem Gemeindebau auf der Fischerstiege in der Inneren Stadt. Der Großvater mütterlicherseits war gelernter Elektriker und arbeitete bei der Baugesellschaft Wibeba. Von 1949 bis 1954 war er für den „Linksblock“ (Kommunistische Partei Österreichs und Linkssozialisten) Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Gemeinderates. Die Großmutter war sogar Schneidermeisterin, übte den Beruf aber nur in familiärer und nachbarschaftlicher Hilfe aus. Sie wohnten in der so genannten Gartenstadt am Grünen Berg in Meidling, wo allerdings durch den zunehmenden Autoverkehr die Idylle rasch verloren ging.
Das einfache und sparsame Leben zeichnete sich auch dadurch aus, dass grundsätzlich zu Hause gekocht und gegessen wurde. Fleisch gab es höchstens am Wochenende. Der Besuch eines Gasthauses war, wenn er vielleicht einmal im Jahr aus Anlass einer Familienfeier stattfand, etwas ganz Herausragendes. An den Wochenenden fanden regelmäßig Ausflüge in die Umgebung von Wien statt – Wienerwald, Lainzer Tiergarten, Laxenburg, Grüner Prater, Überschwemmungsgebiet an der Donau und Lobau. Immerhin hatten wir einen alten VW Käfer, den Klecksi. Seinen Namen erhielt er nach dem Kinderhörspiel „Klecksi – der kleine Tintenfisch“ und wegen seiner verwaschenen Farbe, die irgendwo zwischen dunkelblau und violett lag. In der Volksschule hatte ich zuerst einen Tretroller und...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
ISBN-10 | 3-99139-140-6 / 3991391406 |
ISBN-13 | 978-3-99139-140-1 / 9783991391401 |
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