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Gesammelte Gedichte (eBook)

1971-2022

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
1120 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-77216-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gesammelte Gedichte - Jürgen Becker
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Zu Jürgen Beckers 90. Geburtstag am 10. Juli 2022 erscheint diese Sammlung sämtlicher zwischen 1971 und 2022 erschienenen Gedichtbände, mit einem umfangreichen Nachwort von Marion Poschmann. Der Band enthält alle Gedichte, dazu Collagen und Bilder von Rango Bohne und Fotos von Boris Becker.
»Jürgen Beckers Werk verfolgt mit eindrucksvoller Konsequenz die Zeitstruktur individueller Wahrnehmung, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in der genauen Beobachtung alltäglicher Begebenheiten, aber auch in den Bewegungen der Erinnerung. So entsteht wie nebenbei eine Chronik der Bundesrepublik, von der Erfahrung des Krieges über die Wiedervereinigung bis hin zum Smartphonezeitalter. Die Gedichte zeigen uns als geschichtliche Wesen, voll innerer Brüche, immer am Rand des Unbekannten, Unüberschaubaren, Verschwindenden.« Marion Poschmann

<p>Jürgen Becker wurde 1932 in Köln geboren und verbrachte dort seine Kindheit. Während der Kriegs- und Nachkriegsjahre, zwischen 1939 und 1947, lebte er in Erfurt. Nach Aufenthalten in Osterwieck/Harz und Waldbröl kam er 1950 nach Köln zurück. 1953 Abitur. Nach kurzem, abgebrochenem Studium begann er seine Existenz als freier Schriftsteller; seinen Lebensunterhalt bestritt er jahrelang mit wechselnden Tätigkeiten, als Arbeiter und Angestellter, als Werbeassistent und Journalist. Er arbeitete für den WDR und in den Verlagen Rowohlt und Suhrkamp. Zwanzig Jahre lang, bis 1993, leitete er die Hörspielredaktion des Deutschlandfunks.</p> <p>Große Aufmerksamkeit fand Jürgen Becker mit seinem ersten Prosabuch <i>Felder</i> (1964); die beiden folgenden Bücher <i>Ränder</i> (1968) und <i>Umgebungen </i>(1970) festigten seinen Ruf als Verfasser experimenteller Literatur. Zugleich wirkte er mit seinen ersten Hörspielen (<i>Bilder, Häuser, Hausfreunde</i>) am Entstehen des »Neuen Hörspiels« mit. In seinem 1971 veröffentlichten Fotobuch<i> Eine Zeit ohne Wörter</i> verschmolz er seine literarische Arbeit mit dem visuellen Medium. Die künstlerischen Grenzüberschreitungen der Avantgarde hatte er 1965 bereits mit dem Band <i>Happenings</i> dokumentiert, einer Gemeinschaftspublikation mit dem Happening-Künstler Wolf Vostell.<br /> In den Siebziger- und Achtzigerjahren konzentrierte sich Jürgen Becker auf die Lyrik. Die in dieser Zeit entstandenen Gedichtbände - darunter <i>Das Ende der Landschaftsmalerei</i> (1974), <i>Odenthals Küste</i> (1986), <i>Das Gedicht der wiedervereinigten Landschaft</i> (1988) - platzierte die Kritik in die obersten Ränge der zeitgenössischen Poesie. Gleichzeitig schrieb Jürgen Becker weiterhin Hörspiele und die beiden Prosabücher <i>Erzählen bis Ostende</i> (1980) und <i>Die Türe zum Meer</i> (1983). Dazu korrespondierte er weiterhin mit dem visuellen Medium: <i>Fenster und Stimmen </i>(1982), <i>Frauen mit dem Rücken zum Betrachter</i> (1989), <i>Korrespondenzen mit Landschaft </i>(1996) entstanden nach Collagen seiner Frau, der Malerin Rango Bohne, <i>Geräumtes Gelände</i> (1995) nach Bildern seines Sohnes, des Fotografen Boris Becker.<br /> Wende und Wiedervereinigung wirkten entscheidend auf das Schreiben Jürgen Beckers ein. Die Wiederentdeckung der Orte und Landschaften zwischen Elbe und Oder, Rügen und Thüringer Wald motivierten seine Gedichtbände <i>Foxtrott im Erfurter Stadion</i> (1993) und <i>Journal der Wiederholungen</i> (1999),...

Fragment aus Rom


hier,

  wo immer das ist: das ist jetzt die Frage

(jetzt immer): was ist und was drankommt,

                    hier

ist jetzt … /

     neuerdings wieder nachts,

in diesen Träumen, diesige weiße Pisten

und plötzlich die heiße Last der Luft,

                  Miami

wirklich, wie

       zehn, täglich, Zypressen vor Augen,

Quadrat-Himmel drüber. Luft.

Brauchbarer Blick zum Ausruhn, wie jetzt,

in der heißen Stille

         von hier

fortgehen

                  kommt

der ganze Sommer noch (?)

Kein Sommer gewesen; gesagt vor zehn Jahren

unter einem Teerdach, kalt und naß, mit Löchern

von Krähen … (gewesen.

gesagt. geblieben.)

         und seither

das Fortgehen aus dem weißen Haus unter den Pappeln

du bist immer fortgegangen

ein Kind

     und weiter

fort

  flog er zum ersten Mal

            und weiter

wechselt die Häuser:

lebt jetzt in anderen Städten

Immer unterwegs so

           – Regionalismus, den Hut

setz ich mir wieder auf, wenn ich ganz alt bin;

nun fragt eine Rivista an: Roma

ha un ruolo nel suo nuovo libro?

Zunächst Zypressen.

Kiesweg.

Katze kommt vom Dach nicht runter.

Beppino und Poststreik.

Ich will eine Eidechse sein.

Wasserstreik.

Im Winter haben wir ganz schön gefroren.

Krieg der Ateliers.

Quasi Reihenhausidyll.

Frauen. Kinder. Wäscheleinen.

Mauer ums Ganze, den Park.

und in dieser Stille … kann man (Ehrengast)

nur sagen von einer gewissen Schwerhörigkeit an;

elezioni communali:

           ‌ im Dröhnen, wochenlang,

der Lautsprecherkämpfe schläfts sich schlecht

in unserer Lorbeer-Kolonie;

Hammer & Sichel

sah ich erst wieder, ganz legal,

auf der

    ‌Piazza Bologna

           kreisen

mit Horst-Wessel-Lied die Fiats 500 des MSI.

Gestern: ist

eine Verdunklungslandschaft – Ich

halte sie unvollkommen besetzt

mit meinen Thyssenhütten, Fahrrädern;

dem Jahrgang 40 soll ich mal singen

von Zarah Leander

und sagen was Dienst war und

Menschenfressen-Spiel

im Grünen Herz meines Landes,

              Gestern:

ist eine Totenkopf-Heimat:

             ich verzichte,

hisse Eimer

     (im lebendigen Kopf

ein Speicher mit all dem Früheren voll).

Das Haus im Forst steht weit entfernt.

Die Fahrräder der Kinder

liegen wahrscheinlich umgefallen auf dem Gartenweg.

Die Gartentür steht wahrscheinlich wieder offen.

Die Terrasse müßte um diese Vormittagszeit

von der Sonne hell beschienen sein.

Möglicherweise alles nicht.

Was passiert denn.

Angst vor dem Möglichen.

             vota (Sotrop

schreibts in seine Bilder, wenn

er nicht eben einen lupft oder schnackt

bei Bianchi); wochenlang (wieder; im Dröhnen …)

in unserem unpolitischen Herrenpark

pickt Remo (weiße Tauben, blöd und fett, morgens

dazwischen im Mais) nach den votierbaren Programmen

vom Himmel; der Himmel

wird Werbefläche hier, ewig (heißt es, wie alles), und

Remos Kokeleien machen nichts

vom Krankheits-Dunst über Nordrhein-Westfalen;

und was da flattert (friedlich, faul),

sind nicht die Uhus von Gelsenkirchen –

(denk dran [aber Du schreibst ja im Brief]:

an unseren Wahlnachtjammer in St. Pauli.)

's ist im Wind:

      ist alles was man hier weiß

                   Du

weißt noch, September letztes norddeutsches Jahr,

in dieser Schnapsnacht, als unser Berliner Zampano

die letzte SchlechterVerliererSzene schmiß, sodaß

die christlichen Bildschirme grinsten, sodaß

ich nachher ins Kissen biß und

gelähmt lag –

        Du

weißt nicht: wie ich mit schrieb, sagte

                  verändern

(einst)

   – gelähmt

        weiß ich nicht und mache weiter:

es geht ja weiter

       entschieden unentscheidbar,

das weißt Du,

        daran halte ich nicht fest

im Zweifel / nur im Zweifel

bin ich nicht und halte doch still, nur

den Zweifel, sonst nichts, im Rücken

sage ich weiter verändern, frage ich

wie aber was –

       Du weißt nicht,

ich kann es Dir nicht sagen,

              Du weißt noch,

September, daß ich gelähmt lag und

still war,

     ‌ bis jetzt

        nicht

in Ruhe gelassen

        – hier –

in der Ruhe der Insekten und Statute (denn

weiter die Geräuschanlagen im Kopf): pluralisiere

ich mich weiter.

        ‌ Stimmen. Wohin

er geflogen ist, und in welchen Städten

wir leben. Mit Statussymbol. Vergammelt. Aus

öffentlicher Hand. Fulltimejob. Che gioia vivere.

Diese Lippen auf Lippen. Alle Augen unterwegs.

Ein Ohr in der Gruga-Halle, eins

in der Brandung vor Big Sur. Sie schliefen

in Zelten und Jugendherbergen. Im Park

in meinem Pavillon … verträume ich …

glückliche Stunden.

         Und via Grammatik

verteilt man sich weiter und der Kopf ist

noch immer ein Globus

           ‌(Miami

erst wirklich zum Beispiel) (Wirklich auch

Mister John Faulks: »Sucht Erdöl in der Nordsee.

Studiert Wahltrends in England. Baut Staudämme

in Malaysia. Ohne London zu verlassen.«).

                    Ohne

Wirkliches zu verlassen (mit Zucker und Löschpapier

für die Reise) entfernen wir uns

in (: ich weiß ich verschleiße) wirkliche Luft,

Landkartenträume, neue Gegend –

...

Erscheint lt. Verlag 19.6.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
Schlagworte Abbildungen • Alltag • alltäglich • Bewegungen • Bilder • BRD • Bremer Literaturpreis 2021 • Bundesrepublik • Chronik • Collage • DDR • Deutsche Einheit • Deutschland • Erinnerung • Fotos • Geburtstag • Gedichtband • Gedichtbände • Gedichte • Gedichtsammlung • Georg-Büchner-Preis 2014 • gleichzeitig • Gleichzeitigkeit • illustriert • Individuell • Joseph-Breitbach-Preis 2023 • Kalter Krieg • Krieg • Lyrik • Lyrisch • Mauer • Mauerfall • mit Illustrationen • Mitteleuropa • Nachkriegszeit • neues Buch • Poesie • poetisch • Sammlung • Smartphone • Technologie • Ungleichzeitig • Ungleichzeitigkeit • Verschwinden • Wahrnehmung • Wende • Wiedervereinigung • Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2013 • WORTMELDUNGEN-Literaturpreis 2021 • Zeitgeschichte • Zeitstruktur • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-518-77216-3 / 3518772163
ISBN-13 978-3-518-77216-4 / 9783518772164
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