Im Zweifel für das Monster (eBook)
432 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-26422-2 (ISBN)
Daniel Becker ist Anwalt, und er ist moralisch flexibel genug, dass ihm eine steile Karriere vorgezeichnet ist. Bis ihn ein echtes Monster dazu bringt, es vor einem übernatürlichen Gericht zu verteidigen. Zu seiner eigenen Überraschung ist Daniel erfolgreich, und sein Monsterklient gilt von nun an als unschuldig. Doch damit scheint das Schicksal von Daniels Karriere besiegelt zu sein. Nicht nur, dass sehr seltsame Gestalten in seiner Kanzlei auftauchen, die ebenfalls seine Hilfe wollen. Der monströse Richter verlangt auch von Daniel, dass er die wahren Schuldigen aufspürt - und macht deutlich, dass Versagen keine akzeptable Möglichkeit ist ...
Lachen, bis der Anwalt kommt. Monstermäßig gut!
Royce Buckingham, geboren 1966, begann während seines Jurastudiums an der University of Oregon mit dem Verfassen von Fantasy-Kurzgeschichten. Sein erster Roman »Dämliche Dämonen« begeisterte weltweit die Leser*innen und war insbesondere in Deutschland ein riesiger Erfolg. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt Royce Buckingham in Bellingham, Washington. Er arbeitet zurzeit an seinem nächsten Roman.
Anwaltsleben
Ich bleibe stehen und blicke zum Belltown Tower hinauf. Der moderne Monolith aus Glas und Stahl erhebt sich hoch in den dunklen, erwachenden Himmel von Seattle wie eine Rakete, die im Morgengrauen starten soll. Er ragt hinter dem neuen Biodome von Amazon auf, der wie eine bunte Glasmütze für King Kong aussieht. Der trostlose alte Betonbunker der Stadtverwaltung, ein Stiefkind der Architektur, stammt aus den siebziger Jahren und hat schon bessere Tage gesehen. Er hockt – ein Wort, das passenderweise das Bild eines im Wald scheißenden Bären heraufbeschwört – leer und ungenutzt meinem Turm gegenüber und ist mir eine Mahnung, dass ich mich glücklich schätzen kann, hoch oben über den Bausünden der Stadt in einem Wolkenkratzer zu arbeiten. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als ich ihn mit meiner Schlüsselkarte betrete.
Im Aufzug nach oben verkündet der Lauftext auf einem Computerbildschirm die Nachrichten des Tages. Börsenzahlen. Schusswaffentote. Verrücktes Zeug, das unser Präsident verzapft hat. Ich beachte es nicht. Wenn ich mich nur noch für ein Jahr zusammenreißen und mich auf die Arbeit konzentrieren kann und wenn es mir gelingt, die anderen erfolgshungrigen Mitarbeiter auszustechen – vor allem zwei von ihnen –, bin ich ein gemachter Mann.
»Guten Morgen, Mr Becker.«
Das ist Miriam. Empfangsdame. Verlässlich. Professionell. Hat einen Magister in Dichtung oder Kinderliteratur oder einen ähnlich nutzlosen Abschluss, der als Vorbereitung auf die Arbeit als überqualifizierte Sekretärin dient. Ich habe sie mal in einem Café im Queen-Anne-Viertel gesehen, als sie ein Gedicht vorgetragen hat. Drei andere Schriftsteller heuchelten Interesse, während sie sich Latte reinzogen und darauf warteten, dass sie an die Reihe kamen, um ihre eigenen hochtrabenden Sonette, rätselhaften Haikus und unanständigen Limericks vorzulesen oder was sie sonst in ihre kleinen Ledernotizbücher geschmiert hatten, die sie in den verschwitzten Händen hielten. Heute Morgen nickt Miriam mir zu, als ich vorbeigehe. Das bedeutet, dass ich vor meinen beiden Erzrivalen zur Arbeit erschienen bin. Die zwei sind nicht direkt Feinde. Das heißt, Bricklin vielleicht doch. Sie hat meine Recherchen mal »aus Versehen« durch den Schredder gejagt, und ein andermal hat sie mir die falsche Adresse für meine Beförderungsfeier genannt, sodass ich zu spät gekommen bin und alle Partner eine Stunde lang warten ließ. Ich habe zwar keine eindeutigen Beweise, aber einen durchaus begründeten Verdacht …
Heute bin ich der Erste im Büro. Ich gehe an Pearsons riesiger Drehtür vorbei, damit sie mich auch wirklich sieht. Pearson ist eine Partnerin. Bei der Tür handelt es sich um eine Sonderanfertigung aus dem Holz eines alten Schiffes. Wenn ich morgens nicht der Erste bin, schleiche ich mich an ihrem Büro vorbei, damit sie sich nicht sicher ist, ob ich der Erste oder der Zweite oder, Gott behüte, der Dritte war.
»Hi, Caroline.« Ich winke Pearson zu. Sie grummelt. Ich wurde zur Kenntnis genommen. Das reicht mir. Heute gewinne ich.
Ich komme an Fiona vorbei. Sie ist unsere externe Weiterbildungsberaterin in Sachen Ethik. Sie lächelt mich an und tut so, als wäre nichts zwischen uns. Es stimmt – man kann es nicht als Beziehung bezeichnen –, aber wir kennen den praktischen Wert des anderen und respektieren uns gegenseitig für die harte Arbeit, die wir sowohl in unserem jeweiligen Beruf als auch im Schlafzimmer ihrer Penthousewohnung leisten, wo wir nach Kräften ethische Bedenken ignorieren, wann immer es der Terminkalender erlaubt. Wir passen gut zusammen – sie hat einen Abschluss in Unternehmensphilosophie von der UCLA und kleidet sich wie ein Nordstrom-Model für Business Outfits, während ich das Zeug zum Partner habe, nur ohne Wohlstandsbauch. Wie immer sieht sie tipptopp aus. Ich muss unbedingt in meinen Terminplan schauen und sie anrufen, wenn ich eine Lücke entdecke.
Mein Tee wartet auf mich. Er ist noch heiß. Kleine Dampfwölkchen steigen zur Decke empor wie Rauch aus einem acht Zentimeter Einschussloch. Ich hebe die Tasse und trinke. Fettarme Milch und zwei Löffel Zucker. Perfekt. Der erste Koffeinstoß durchströmt mich. Ich brauche das, um mein Gehirn in Gang zu bringen. Juristisches Denken erfordert Konzentration und Energie. Es ist anstrengende geistige Arbeit, wie ein zehnstündiges Schachspiel gegen sich selbst. Jeden Tag. Mit einer halben Stunde Mittagspause.
Ich setze mich auf meinen Stuhl und schaue aus meinem Fenster über die Stadt, die berühmt ist für die Space Needle, Bigfoot, hundertzweiundfünfzig Regentage im Jahr, Microsoft, Amazon, Google und ein Dutzend weiterer boomender Technikfirmen, die jedes freie Grundstück bebauen. Ihre Kräne heben die Skyline von Seattle zu neuen Höhen und treiben die Grundstücks- und Immobilienpreise dermaßen nach oben, dass sie normale Menschen verdrängen. Ich bin kein normaler Mensch. Ich bin Rechtsanwalt.
Ich verdiene sechsstellig und lebe auf einem Hausboot auf dem Lake Union. Meine Anzüge sind maßgeschneidert, ich könnte jeden Monat ein anderes Auto fahren, wenn ich wollte, und ich arbeite im Stadtzentrum bei Fury, Styles, Anderson und bla, bla, bla, toter Partner, toter Partner etc. Es ist eine große Kanzlei mit großen Mandanten. Wir haben 1999 den Prozess um den Einsturz des Kingdome-Stadions geführt, als während der Nationalhymne ein busgroßer Teil des Daches auf die Gastmannschaft der Boston Red Sox fiel und die gesamte Startaufstellung auslöschte – das Team hat geklagt, die Familien haben geklagt, selbst die traumatisierten Fans haben geklagt, nachdem ihre Kinder mit ansehen mussten, wie ihre Lieblingsspieler an der ersten Baseline zerschmettert wurden. Sehr unschön, das alles. Wir kümmern uns außerdem um sämtliche Datenschutz-Streitsachen von Lookbook, und wir haben den Verkauf der Space Needle an Bi-Di abgewickelt, den neuesten Technikgiganten. Wie ich schon sagte, große Sachen.
Nur die Top-Kandidaten schaffen es in die großen Kanzleien von Seattle – die besten fünf Prozent der Juraabsolventen, die in ihrer Jugend zu den besten fünf Prozent der Collegeabsolventen gehört haben. Die besten Jurapraktikanten bei Fury und Styles werden als Mitarbeiter übernommen, und die besten Mitarbeiter werden schließlich Partner. Sie haben die Spitze der Karriereleiter erreicht, so wie ich. Na ja, fast. Nach fünfzehn Jahren mit Fünfzig-Stunden-Wochen, langen Wochenenden im Büro und Tausenden von juristischen Schriftstücken stehe ich kurz davor, Partner zu werden. Es ist der Höhepunkt meines Lebenswerks. Ich habe im Wesentlichen zwei Ziele im Leben, und bei Fury und Styles Partner zu werden ist eins davon.
»Guten Morgen, Phil.«
Ich spreche, ohne aufzuschauen, weil ich weiß, dass unser Praktikant wie ein wachsames kleines Erdhörnchen in meiner Tür steht. Er hält die Hände wie eifrige Pfoten vor der Brust. Phil ist Student der Politikwissenschaften an der Universität von Winnipeg und hofft – berechtigterweise –, für das Jurastudium zugelassen zu werden. Er wohnt auf dem Capitol Hill im Herzen der LGBT-Gemeinschaft. Kleidet sich fast so gut wie ich, obwohl er nicht mehr besitzt als zwei Anzüge von der Stange, fünf taschenlose Sporthemden und ein Sammelsurium von Vintage-Krawatten aus Secondhandläden, die bei ihm tatsächlich gut aussehen.
»Wie ist Ihr Tee?«
»Perfekt. Falls wir dich nicht einstellen sollten, hast du eine große Zukunft als Barista vor dir.« Ich beobachte sein Gesicht und warte auf eine Reaktion. Nichts. Er ist die Gelassenheit in Person.
»Damit verdiene ich mir am Wochenende was dazu.«
»Bezahlen wir dir nicht genug?«
»Ich bin freiwilliger Praktikant.«
»Und jeden Penny wert.« Er lässt sich immer noch nicht aus der Ruhe bringen. Phil wird von mir grundsätzlich verarscht. Nicht so schlimm, dass er eine Klage wegen Belästigung am Arbeitsplatz einreichen würde, aber genug, um ihn davon abzubringen, Anwalt zu werden. Er ist einfach zu nett für das konfliktreiche Leben eines Anwalts.
»Ich habe für Sie die Wettbewerbsverbotsklauseln recherchiert«, sagt er.
»Langweilig.« Ich setze mich und rolle auf meinem Ballstuhl vor und zurück. »Aber notwendig. Hast du eine Liste der Möglichkeiten erstellt, sie zu umgehen?«
»Ja. Es gibt zwölf legale und eine illegale Methode, die aber anwendbar ist, wenn wir unsere Mandanten davon überzeugen können, ohne ihnen dazu zu ›raten‹.« Bei dem Wort »raten« malt er mit den kleinen Fingern Anführungszeichen in die Luft.
»Ganz großartig, aber ich werde es als meine Idee verkaufen müssen. Das verstehst du doch, oder?«
»Ja.«
Immer noch ungerührt. Was für ein toller Junge. »Gut, dann lass die Liste hier und geh. Ich muss eine Stunde meiner Zeit nur für die Durchsicht deiner Recherchen in Rechnung stellen.«
»Sie brauchen meine Arbeit nicht zu prüfen. Sie wissen, dass alles stimmt.«
Das tue ich. Er ist äußerst gewissenhaft. »Ja, aber ich bin für dich zuständig. Ich bin moralisch verpflichtet, deine Recherchen zu überprüfen, wenn ich für einen Jungen vom College die Kosten eines Anwaltsgehilfen in Rechnung stellen will. Außerdem wird auf deiner Arbeit mein Name stehen.«
Marlin Goucher sucht sich diesen Moment aus, um wie ein Rhinozeros in mein Büro gestampft zu kommen. Er bleibt nicht an der Tür stehen, um bedeutungslosen Smalltalk mit mir zu machen oder mit seinen Streberkindern zu prahlen – sie gehen auf die Northwestern University in Chicago und das Whitman College in Walla Walla –, daher weiß ich, dass sein Besuch einen ernsten Anlass hat. Das ist...
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2022 |
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Reihe/Serie | Monsteranwalt Daniel Becker | Monsteranwalt Daniel Becker |
Übersetzer | Hans Link |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Monster Lawyer |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | 2022 • Anwalt • Ben Aaronovitch • benedict jacka • Dämliche Dämonen • eBooks • Fantasy • Fiese Finsterlinge • Gericht • Halloween • Hexen • Holly Black • Humorvolle Fantasy • lustig • lustige • Mord • Mürrische Monster • Neuerscheinung • Ritual • Schwarze Magie • Spiderwick • Urban Fantasy • Verbrechen |
ISBN-10 | 3-641-26422-7 / 3641264227 |
ISBN-13 | 978-3-641-26422-2 / 9783641264222 |
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