Wie der Falke fliegt (eBook)
528 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46581-3 (ISBN)
Maggie Stiefvater, geboren 1981, wurde mit ihrer Nach dem Sommer-Trilogie sowie dem Roman Rot wie das Meer international bekannt und von der Presse gefeiert. Die Spiegel-Bestsellerautorin lebt mit ihrer Familie in den Bergen Virginias. Zuletzt verzauberte ihre Raven Boys-Reihe tausende Leser*innen.
Maggie Stiefvater, geboren 1981, wurde mit ihrer Nach dem Sommer-Trilogie sowie dem Roman Rot wie das Meer international bekannt und von der Presse gefeiert. Die Spiegel-Bestsellerautorin lebt mit ihrer Familie in den Bergen Virginias. Zuletzt verzauberte ihre Raven Boys-Reihe tausende Leser*innen.
1
Kreaturen jeglicher Art schliefen ein.
Am dramatischsten traf es die Katze; ein schönes Tier, wenn man Katzen mochte, mit einem zarten Gesicht und langem Fell, fluffig wie Zuckerwatte. Sie war eine Schildpattkatze, was bedeutete, dass es sich mit ziemlicher Sicherheit um ein Weibchen handelte, denn die charakteristische Dreifarbigkeit setzte für gewöhnlich zwei X-Chromosomen voraus. Möglicherweise war diese Regel jedoch nicht von Relevanz hier draußen in Kerry, in diesem beschaulichen Häuschen, von dem so gut wie niemand wusste. Hier walteten andere Kräfte als bloß die der Natur. Vielleicht war die Schildpattkatze nicht mal eine Katze. Sie war katzenförmig, aber das galt schließlich auch für so manche Geburtstagstorte.
Sie hatte mit angesehen, wie er getötet worden war.
Sein Name war Caomhán Browne gewesen. War es noch immer. Wie ein gutes Paar Stiefel hielten Namen sich oft länger als ihre Besitzer. Man hatte sie gewarnt, er könne gefährlich sein, und tatsächlich hatte er ihnen alles entgegengeschleudert, was ihm in die Hände fiel, nur nicht das, was sie fürchteten. Ein Beistelltischchen. Einen drallen kleinen Fernsehsessel mit verblichenem Blümchenmuster. Einen Stapel Designmagazine. Einen Flachbildschirmfernseher von bescheidener Größe. Er war sogar mit dem Kruzifix von der Flurwand auf Ramsay losgegangen, was Ramsay in erster Linie amüsant gefunden hatte. Heiliger Bimbam, war sein einziger Kommentar gewesen.
Eine der Frauen trug edle Lammleder-Stilettoboots, die eine nicht unwesentliche Menge Blut abbekommen hatten. Einer der Männer neigte zu Migräne und spürte, wie die Traummagie erste Anzeichen einer Aura an den Rändern seines Blickfelds aufflimmern ließ.
Am Ende hatten Lock, Ramsay, Nikolenko und Farooq-Lane sowohl Browne als auch die Katze in der urigen Küche des irischen Feriencottages in die Ecke gedrängt, weshalb Browne zu seiner Verteidigung nichts als ein dekorativ an die Wand genagelter Reisigbesen und die Katze blieben. Der Besen war zu nichts zu gebrauchen, nicht mal zum Fegen, die Katze schon eher, wenn man sie geschickt warf. Allerdings waren nur die wenigsten Menschen geschickte Katzenwerfer und Browne gehörte nicht dazu. Der Moment, in dem ihm das dämmerte, war deutlich zu erkennen.
»Bitte tun Sie den Bäumen nichts«, sagte er.
Sie schossen. Mehrmals. Munition war billig, ein Schnitzer dagegen konnte einen teuer zu stehen kommen.
Die Schildpattkatze konnte von Glück reden, dass sie mit dem Leben davonkam, denn sie hockte direkt hinter Browne. Und die Durchschlagkraft von Pistolenkugeln ist schließlich allgemein bekannt. Doch alles, was das Tier traf, war Blut. Es stieß einen gespenstischen Zornesschrei aus. Plusterte seinen Schwanz zur Flaschenbürste auf und anschließend den Rest seines Zuckerwattefells. Und dann warf es sich auf die Angreifer, denn ob man es glaubt oder nicht, die Schnittmenge zwischen wurfbereiten Katzen und Menschen beläuft sich auf einhundert Prozent.
Für den Bruchteil einer Sekunde schien alles darauf hinzudeuten, dass eine der anwesenden Personen in Kürze eine Katze am Leib tragen würde.
In dem Moment jedoch ging ein letzter Schauder durch Browne und er regte sich nicht mehr.
Die Katze fiel zu Boden.
Ihr Körper klatschte mit einem unverwechselbaren Laut auf die Holzdielen: das charakteristische, vielschichtige Fllompp eines leblosen Knochensacks, wie es sich mit keinen Mitteln der Welt reproduzieren lässt. Genau dieses Geräusch machte die Katze und blieb ebenfalls liegen. Anders als in Brownes Fall jedoch hob und senkte, hob und senkte, hob und senkte sich weiter ihre Brust.
Sie war so unerklärlicher- wie unnatürlicherweise eingeschlafen.
»Was für ’n kranker Scheiß«, merkte Ramsay an.
Durch ein Fenster über der kleinen weißen Spüle hatte man Blick auf eine sattgrüne Weide mit drei zotteligen Ponys, die im aufgewühlten Matsch am Tor standen. Sie waren halb auf die Knie gesunken, gegeneinandergekippt wie Saufkumpane nach einer durchzechten Nacht. Zwei Ziegen brachten noch ein fragendes Meckern heraus, ehe sie dasselbe Schicksal ereilte. Auch Hühner waren zu sehen, die, längst eingeschlummert, als bunte Häufchen das Grün der Weide sprenkelten.
Caomhán Browne war etwas, was die Regulatoren als Zed bezeichneten. Folgendes machte einen Zed aus: Manchmal, wenn er aus dem Schlaf erwachte, hielt er etwas in den Händen, wovon er geträumt hatte. Daher war die Katze, wie schon vermutet, gar keine Katze. Sondern bloß ein katzenförmiges Objekt, das Brownes Bewusstsein generiert hatte. Und wie alles Lebendige, was Browne herbeigeträumt hatte, konnte auch sie nicht fortbestehen, wenn er tot war.
»Wir sollten uns die Uhrzeit notieren, für alle Fälle«, sagte Nikolenko.
Alle wandten sich wieder ihrer Beute zu, oder ihrem Opfer, je nachdem, als wie menschlich man Browne betrachten wollte. Farooq-Lane warf einen Blick auf ihr Handy und tippte eine Nachricht.
Dann machten sie sich auf die Suche nach dem anderen Zed.
Dunkle Wolken überzogen den Himmel und tauchten die Hügelkuppen ringsum in Schatten. Die kleine Farm war von einem Wäldchen umschlossen. Hübsche, moosbewachsene Bäume, doch das Vibrieren der Luft war hier sogar noch spürbarer als zuvor in der Hütte. Das Problem war nicht, dass ihnen in dieser Atmosphäre das Atmen schwerfiel. Sondern das Denken. Oder vielmehr: nicht zu viel zu denken. Langsam wurden sie alle ein bisschen nervös; hier draußen wirkte die Bedrohung so viel greifbarer.
Der andere Zed versuchte nicht mal, sich zu verstecken. Lock fand ihn mit verstörend leerem Blick auf einem Baumstumpf hockend.
»Ihr habt ihn umgebracht, oder?«, fragte der Zed. »Ach, du«, fügte er dann hinzu, als Farooq-Lane neben Lock trat.
Irgendein kompliziert-vertrauter Austausch vollzog sich zwischen dem Zed und Farooq-Lane.
»Es muss nicht so enden«, sagte Farooq-Lane. Sie erschauderte. Aber nicht vor Kälte. Nicht vor Angst. Das hier war einfach einer von diesen Momenten verheerender Unausweichlichkeit. »Du musst bloß mit dem Träumen aufhören.«
Lock ließ ein Räuspern vernehmen, wie um einzuwenden, dass die Sache so simpel nun leider auch nicht sei, sagte aber nichts.
»Ach ja?« Der Zed spähte hoch zu Farooq-Lane. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf sie gerichtet, als wären die anderen gar nicht da. Was wohl nur fair war, schließlich war ihre gesamte Aufmerksamkeit auch auf ihn gerichtet. »Dann sterbe ich genauso. Von dir hätte ich mehr Einsicht erwartet, Carmen.«
Lock hob seine Pistole. Er sprach es nicht aus, aber dieser verdammte Zed jagte ihm eine Scheißangst ein, und zwar unabhängig von dem, was er getan hatte. »Dann haben Sie Ihre Wahl getroffen.«
Ramsay hatte unterdessen seine Benzinkanister aus dem Kofferraum des Mietwagens geholt. Darauf hatte er sich schon den ganzen Tag gefreut. Kraftstoff. Dann wollen wir mal kräftig Stoff geben, dachte er, grinsend über seinen lahmen Witz. Jetzt verströmte das Wäldchen einen krebserregend süßlichen Benzingeruch und Ramsay versetzte dem letzten Kanister einen Tritt Richtung Cottage. Möglicherweise gehörte er zu den Katzenwerfern unter den Menschen.
»Wir müssen die Straße im Auge behalten, während es brennt«, sagte Lock. »Na los, bringen wir’s hinter uns.«
Der Zed musterte sie matt interessiert. »Leute, warum ich, ist mir ja klar. Aber Browne? Der war doch noch ein Welpe. Wovor habt ihr eigentlich Angst?«
»Jemand kommt«, sagte Lock. »Jemand kommt, um der Welt ein Ende zu setzen.«
Hier draußen, in diesem summenden Wald, klangen Dinge wie »der Welt ein Ende setzen« nicht nur realistisch, sondern sogar äußerst wahrscheinlich.
Ein Galgenlächeln verzerrte das Gesicht des Zeds. »Ich dachte, das wärt ihr.«
Lock schoss. Mehrmals. Es war ziemlich eindeutig, dass die erste Kugel ihren Zweck erfüllt hatte, aber Lock machte so lange weiter, bis die Scheißangst nachließ. Während die Schüsse durch das Tal hallten, plumpste irgendwo tiefer im Wald etwas mit demselben Geräusch zu Boden wie zuvor in der Küche die Katze. Nur schwerer. Alle waren froh, dass dieser Traum eingeschlafen war, bevor sie ihm begegnen konnten.
Nachdem wieder Stille eingekehrt war, wandten sich sämtliche Überlebende Carmen Farooq-Lane zu.
Ihre Augen waren fest zugekniffen, ihr Gesicht zur Seite gedreht, als wäre sie selbst auf eine Kugel gefasst gewesen. Ihre Lippen bebten, aber sie weinte nicht. Allerdings wirkte sie plötzlich jünger. Normalerweise präsentierte sie sich so glatt und businessmäßig – Leinenanzüge, Haarknoten –, dass ihr Alter schwer zu schätzen war. Man sah nichts als die beherrschte, erfolgreiche Geschäftsfrau. Dieser Moment jedoch ließ ihre Fassade einstürzen und entlarvte sie als die Frau Mitte zwanzig, die sie war. Es war keine schöne Erkenntnis. Man hatte das Bedürfnis, ihr schleunigst eine warme Decke umzulegen, um ihr ihre Würde zurückzugeben. Wenigstens konnte nun niemand mehr ihre Loyalität infrage stellen; sie steckte genauso tief drin wie sie alle und hatte die Sache eisern durchgezogen.
Lock legte ihr väterlich die Hand auf die Schulter. »Beschissene Situation«, brummte er mit seiner tiefen Stimme.
Schwer zu sagen, ob Farooq-Lane sich dadurch getröstet fühlte.
Dann wandte Lock sich an die anderen. »Sehen wir zu, dass wir hier fertig werden.«
Ramsay entzündete ein Streichholz. Damit steckte er zuerst eine Zigarette für Nikolenko und dann eine für sich an. Erst danach, kurz bevor die Flamme ihm die Finger versengte, schnippte er das Hölzchen ins benzingetränkte Gestrüpp.
Der Wald begann zu...
Erscheint lt. Verlag | 2.11.2022 |
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Reihe/Serie | Dreamer-Trilogie | Dreamer-Trilogie |
Übersetzer | Jessika Komina, Sandra Knuffinke |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Adam Parrish • Albträume • All Age Fantasy • Bestseller Autorin • Call Down the Hawk • Call Down the Hawk deutsch • Carmen Farooq-Lane • Declan Lynch • Dreamer Trilogie Band 1 • Dreamer Trilogy • Dreamer Trilogy deutsch • Fantasy Bücher Erwachsene • Fantasy Jugendbücher • Fantasy junge Erwachsene • Fantasy Magie • Fantasy Reihe • Fantasy Romane • fantasy romane für erwachsene • Fantasy Romantik • Fantasy Saga • Fantasy Serie • Geträumte • Jägerin • Jordan Hennessy • Kunst • Kunstfälschung • LGBT Fantasy Buch • LGBTQ • LGBTQ Bücher • LGBTQ Romane • Maggie Stiefvater deutsch • Maggie Stiefvater Dreamer Trilogie deutsch • Maggie Stiefvater dreamer trilogy deutsch • Maggie Stiefvater raven boys • Magie • Matthew Lynch • Prophezeiung • Queer • Raven Boys • Romane LGBT • roman magie • Romantische Fantasy • Ronan Lynch • Träume • Träumer • unheimliche und phantastische Geschichten • Untergang der Welt • Urban Fantasy • Vorhersage • Was die Spiegel wissen • Wen der Rabe ruft • Wer die Lilie träumt • Wie Eulen in der Nacht • Wo das Dunkel schläft • young adult fantasy |
ISBN-10 | 3-426-46581-7 / 3426465817 |
ISBN-13 | 978-3-426-46581-3 / 9783426465813 |
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Größe: 4,7 MB
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