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Old Country – Das Böse vergisst nicht (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2023
432 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-29362-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Old Country – Das Böse vergisst nicht - Matt Query, Harrison Query
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Harry, ein Afghanistan-Veteran, der mit einer PTBS zu kämpfen hat, und seine Frau Sasha können ihr Glück kaum fassen: Ihr Angebot für eine kleine Farm in Idaho wurde angenommen! Die Nachbarn: Auf der einen Seite ein Nationalpark, auf der anderen Seite Dan und Lucy, ein älteres Ehepaar, mit dem sie sich auf Anhieb gut verstehen. Die beiden leben seit Jahrzehnten in dieser Gegend, und bei ihrem ersten Besuch erklären sie den Neulingen allerhand: Wie sie die Apfelbäume im Garten richtig zuschneiden, wie man einen Zaun aufstellt, der so stabil ist, dass ihn die Hirsche aus dem Nationalpark nicht niedertrampeln - und wie man mit dem bösen Geist fertig wird, der seit Menschengedenken in diesem Tal wohnt ...

Matt Query ist in Boulder, Colorado, geboren und aufgewachsen. Als Anwalt befasst er sich mit Umweltthemen wie Wasserrechten, Ressourcen, öffentliche Landnutzung und Jagd- und Fischereifragen. Zusammen mit seiner Frau Sonya, seinem Hund, über hundert Schafen, Hühnern und Bienen lebt er auf einer kleinen Farm im Süden Oregons.

1


HARRY


»Tja, als ich das erste Mal einen Menschen getötet habe, waren es eigentlich zwei. Mehr oder weniger gleichzeitig, oder direkt hintereinander, mit ein paar Sekunden Abstand dazwischen.«

Im Geiste der radikalen Ehrlichkeit schlief mein linkes Bein ein, während ich diese Worte sprach. Ich wollte mein Gewicht nicht verlagern oder sonst irgendwas tun, das als Unbehagen oder Angst gedeutet werden könnte. Ich dachte mir, dass ich hier bin, um genau auf solche Dinge untersucht zu werden: in einem Moment der Offenheit nervös zu werden, eine körperliche Reaktion, die meine wahren Gefühle verrät.

»Das war 2010 in Afghanistan, ganz am Anfang der Operation Muschtarak, während der Schlacht um Marjah. Ich bin mit meinem Trupp auf einer Böschung oberhalb einer Straße in Stellung gegangen. Es war nur eine kleine Anhöhe, vielleicht zwei Meter über Straßenniveau, überall lagen alte Autoreifen und sonstiger Müll herum. Wir haben nur die Straße gesichert und auf weitere Befehle gewartet. Mein Kumpel Mike war bei mir, wir waren zwanzig Meter vor den anderen aus unserem Trupp. Der Rest von unserem Zug war weiter hinten, auf der anderen Seite der Böschung. Der Großteil unserer Kompanie war auch in der Nähe, aber wir waren noch damit beschäftigt, den nächsten Teil des Vorstoßes vorzubereiten.«

Und verflucht, hat es in der Stadt gestunken. Brennende Abfälle, Ziegenscheiße, Schweiß und all das.

»Und plötzlich sehen wir diese zwei Typen, sie kommen von links und rennen die Straße hinauf, direkt auf die T-Kreuzung vor uns zu.« Ich mache mit den Händen ein T-Zeichen.

»Der vordere der beiden hatte eine Kalaschnikow, der andere war gerade am Funkgerät und hatte eine große … Tasche dabei, einen Rucksack, er hing über seiner Schulter und war randvoll mit abgefeuerten Panzerfäusten. Beide sahen aus wie Ende zwanzig, oder Anfang dreißig vielleicht, jedenfalls älter als ich.

Im ersten Moment konnte ich nicht glauben, was ich da sah. Östlich von uns tobte ein fettes Feuergefecht, genau in der Richtung also, aus der die Typen gerannt kamen. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie habe ich geglaubt, wenn wir Taliban begegnen, dann welchen, die auf dem Weg zu einem Gefecht sind. Ich habe Mike angestoßen und so was geflüstert wie: ›He, sind das Talis?‹ Er war genauso überrascht wie ich. Ich meine, wir haben sofort gewusst, dass das welche von den Bösen sind, aber wir konnten es einfach nicht glauben. Wir waren schon über ein Jahr hier, bevor die Sache mit Marjah losging, und hatten noch nie bewaffnete Kämpfer gesehen, die keine zweihundert Meter von uns entfernt einfach die Straße entlanglaufen. So was bekommt man da drüben nur sehr selten zu Gesicht. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Wichser immer weit, weit weg, wenn wir ihnen begegnet sind, haben unsere Patrouille unter Feuer genommen oder so was. Aber das war … ein echter, direkter Kontakt, verstehen Sie? Ich hab geglaubt, ich halluziniere.«

Ich nickte und setzte ein überraschtes Lächeln auf, als ich den Satz zu Ende sprach.

»Als sie die Straße erreichten, die wir von der Böschung aus überwachten – sie bog nach links ab, also weg von uns –, haben sie sich hinter ein Autowrack geduckt, hundert oder höchstens hundertzehn Meter weit weg. Aus der Richtung, aus der sie gekommen sind, also dem Feuergefecht, von dem sie wahrscheinlich gerade abhauen wollten, waren sie nicht zu sehen, aber für uns saßen sie wie auf dem Präsentierteller. Ich meine, ich konnte sie beide komplett sehen, ich musste mich kaum bewegen, um sie im Fadenkreuz zu behalten. Mike und ich, wir waren so geschockt, dass wir dahockten wie die Vollidioten und sie durch unsere Zielfernrohre begafft haben, vollkommen sprachlos, wahrscheinlich ganze zehn Sekunden lang. Und dann, ich weiß nicht genau, was mich zum Handeln bewegt hat, aber ich glaube, der nähere der beiden hat zu mir raufgeschaut oder zumindest in meine Richtung, also habe ich sie einfach … beide erschossen. Zuerst den mit der Kalaschnikow, dann den neben ihm mit dem Rucksack voller Panzerfäuste. Und beide Schüsse waren Volltreffer. Ich meine, die beiden waren schließlich … direkt vor mir. Hundert Meter sind keine Entfernung, die Kerle haben das Zielfernrohr praktisch komplett ausgefüllt, es war wirklich nicht schwer.«

Ich legte mit voller Absicht eine Pause ein und sah ihm in die Augen. Vergiss nicht, ernst zu nicken, rief ich mir ins Gedächtnis. »Sie waren beide auf der Stelle tot.«

Ich erinnerte mich, dass ich den ersten Kerl direkt unterhalb des Genicks getroffen habe und wie er einfach vornüber aufs Gesicht gefallen ist. Er hat nicht einen Muskel bewegt, um sich abzufangen oder dergleichen, hat seine Kalaschnikow nicht losgelassen, sondern sich einfach mit der Visage voraus auf die Straße gelegt. Wahrscheinlich wäre er k.o. gegangen, wenn er nicht schon tot gewesen wäre. Ich glaube, ich habe ihm durch die Wirbelsäule geschossen. Der andere sah seinen Kumpel vollkommen perplex an, nach dem Motto Was zum Teufel machst du da?, und dann habe ich ihm in die Brust geschossen. Als die Kugel einschlug, hat er das Funkgerät fallen gelassen und sich in einem Reflex mit beiden Händen hinter dem Rücken abgestützt, damit er nicht umfällt. Er sah aus, als würde er auf einem Handtuch am Strand sitzen, und schaute vollkommen verwirrt drein, als ich das zweite Mal auf ihn schoss. Meine Gedanken wanderten zu einem weiteren Kerl, den ich ein paar Wochen später tötete, er war älter, ein grauhaariger Krieger. Ich habe sein Gesicht danach noch oft vor mir gesehen, öfter als die der anderen. Ein Gesicht, das genauso beiläufig wie unausweichlich von Gewalt kündete.

Ich sah Dr. Peters an, der unmerklich nickte. »Was fühlen Sie, wenn Sie diese Erinnerung mit mir teilen, Harry?«

»Nun ja …« Ich blickte einen Moment zu Boden, versuchte, mein bestes aufrichtig-nachdenkliches Gesicht aufzusetzen, dann sah ich wieder ihn an. »Nichts wirklich Besonderes, wenn ich die Geschichte einfach nur erzähle. Ich glaube, das Erste, was mir dazu einfällt, ist mein Kumpel Mike, der damals dabei war. Ich hab ihn seit ein paar Jahren nicht mehr gesprochen … Ich hoffe, es geht ihm gut.«

Peters nickte. »Haben Sie je bemerkt, dass diese Erinnerung, diese Erfahrung, sich ungebeten in Ihre Gedanken drängt oder in Ihre Träume? Kommt sie manchmal über Sie, auf eine Art oder zu einem Zeitpunkt, den Sie als überraschend oder unpassend empfinden?«

Ich achtete darauf, auch über diese Frage scheinbar ein paar Sekunden nachzudenken. »Nein, eigentlich nicht.«

Peters nickte, wartete darauf, dass ich noch mehr sagte. Viele Seelenklempner drängen in so einem Fall mit einem Können Sie mir mehr darüber erzählen?, aber Peters ließ die Frage einfach offen und gab mir dadurch das Gefühl, dass meine Antwort unvollständig war. Und anscheinend hat es funktioniert, denn ich habe tatsächlich weitergeredet.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Erinnerung auf eine Weise auftaucht, die mich überrascht oder stört. Sie ist wie jede andere Erinnerung. Ich fühle mich nicht schuldig deshalb, falls Sie das meinen. Diese Kerle hätten mich erschossen, wäre der Spieß umgedreht gewesen. Es macht mir wirklich nichts aus, davon zu erzählen oder über die anderen Menschen zu sprechen, die ich getötet habe. Wenn jemand mich nach diesen Dingen fragt, erzähle ich sie gerne, aber ich … Sie wissen schon, fange nicht von mir aus damit an, solange ich nicht gefragt werde.«

Peters nickte. Sein Gesichtsausdruck sagte mir, dass ich die richtige Antwort gegeben hatte. Oder dass er zumindest nicht tiefer nachbohren würde.

»Nun, Harry, wir sind bereits weit über die Zeit.«

Ach was, Doc? Mir ist vollauf bewusst, dass wir weit über die Zeit sind, und das schon seit exakt zweiundzwanzigeinhalb Minuten. Ich sah trotzdem auf meine Uhr und spielte den Überraschten. »Oh, ja, ich schätze, ich sollte dann wohl besser gehen.«

Peters stand auf und ging zu seinem Schreibtisch. Er nahm einen braunen Umschlag zur Hand und reichte ihn mir.

»Ich habe Ihnen hier ein paar Informationen über die Veteranenfürsorge in Idaho zusammengestellt. Wir haben Kliniken und Einrichtungen in Pocatello, Twin Falls und natürlich in Boise. Ich weiß, all das Gerenne kann einem ganz schön auf die Nerven gehen, aber ich hoffe aufrichtig, dass Sie mit der Therapie weitermachen und sich jemanden suchen, mit dem Sie ein gutes Vertrauensverhältnis aufbauen können. Es ist wirklich wichtig. Auch wenn Sie erst seit einem Monat bei mir waren, sollen Sie wissen, dass Sie immer mit mir reden können, sei es am Telefon oder per Videochat. Ich werde immer einen Weg finden, mir Zeit für Sie zu nehmen. Zögern Sie nicht, sich zu melden.«

Ich stand auf, nahm den Umschlag entgegen und nickte. »Das werde ich, Dr. Peters. Ich weiß Ihre Zeit wirklich zu schätzen. Mit Ihnen kann man gut reden.« Der Doc schenkte mir ein gepresstes Lächeln und wir schüttelten Hände.

»Ich finde es großartig, was Sie und ihre Frau vorhaben, Harry. Ich bin so froh, dass Sie und Sasha eine Möglichkeit gefunden haben, das Leben zu verwirklichen, von dem sie immer geträumt haben. Ganz im Ernst: Ich beneide Sie. Nicht viele Menschen bekommen die Gelegenheit, einer solchen Leidenschaft nachzugehen. Ich weiß, dass es Ihrer beider Traum ist, und ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg bei der Verwirklichung. Ich habe keinen Zweifel, dass Sie beide dort aufblühen werden.«

Ich bedachte ihn mit einem Lächeln. »In Denver wird es einfach zu voll, und wenn das...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2023
Übersetzer Michael Pfingstl
Sprache deutsch
Original-Titel Old Country
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2023 • böser Geist • Buch zum Film • eBooks • Farm • Heimsuchung • Horror • Netflix • Neuerscheinung • PTBS • Stephen King • USA
ISBN-10 3-641-29362-6 / 3641293626
ISBN-13 978-3-641-29362-8 / 9783641293628
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