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Blutiger Schnee (eBook)

Syndicat Berlin

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
448 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3033-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blutiger Schnee - Michael Jensen
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Opium fürs Volk.

Berlin im aufregenden Jahr 1925. Die Sass-Brüder, ehemals Kleinkriminelle, die sich ganz nach oben gearbeitet haben, planen den nächsten Coup. Mit einem chinesischen Partner wollen sie Opium in die Hauptstadt bringen. Ihre Rechnung scheint aufzugehen. Der Stoff wird ihnen förmlich aus den Händen gerissen, doch immer wieder werden Überfälle auf ihre Transporte verübt. Offenbar sind auch andere Kreise an den Drogen interessiert. Und dann taucht auch noch ein zwielichtiger Politiker auf, der von Franz Sass Informationen will und auch vor Erpressung nicht zurückschreckt. Seine Name: Joseph Goebbels ... 

Ein Roman über die berühmteste Verbrecherbande Berlins - und zugleich ein packendes Bild über Deutschland in den zwanziger Jahren. 



Michael Jensen wurde im Norden Schleswig-Holsteins geboren. Im Hauptberuf ist er als Arzt tätig und interessierte sich früh für jüngere deutsche Geschichte und deren Folgen für die Nachkriegsgeneration. Für sein literarisches Schreiben hat er ein Pseudonym gewählt. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg und im Kreis Schleswig-Holstein. Bisher sind zwei Romane über die Sass-Brüder erschienen: »Blutgold« und »Blutige Stille«. Im Aufbau Taschenbuch sind außerdem seine Kriminalromane »Totenland«, »Totenwelt« und »Totenreich« lieferbar. Mehr zum Autor unter www.autor-jensen.de.

Prolog


Shanghai, August 1923

Suchowljanski war beeindruckt. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass Brutalität und Grausamkeit ewige Konstanten des Daseins waren, die überall auf dieser Welt in die Gleichungen zwischenmenschlicher Beziehungen einflossen. Und hier in der Hafenstadt am Delta des Jangtse erhielt der junge Mann eine weitere Lektion. Man konnte einem unvermeidlichen Schicksal jammernd und wimmernd entgegentreten. Oder aber mit letzter Würde und stolzem, wenn auch sinnlosem Trotz.

Der Chinese, der vor ihm auf einem Stuhl saß, starb langsam. Tief in seinen Augen war zwar die Qual zu erkennen, die er in dieser langen, letzten Minute seines Lebens durchlitt. Die Äderchen der Bindehaut füllten sich wie Krampfadern, schwollen zu kleinen Strängen, einige platzten. Die Pupillen verengten sich. Aber kein Laut kam über die Lippen des Mannes. Er wehrte sich nicht, dabei war er nicht einmal gefesselt. Lediglich sein Brustkorb verkrampfte sich in dem reflexhaften Versuch, doch noch Luft in die Lungen zu saugen.

Männer sind doch überall auf der Welt gleich, dachte Mejer Suchowljanski fasziniert. Niemand wollte winselnd und um sein Leben bettelnd abtreten. In Europa wie in Asien galten die Ideale vom Heldentod in der Schlacht. Der Kapitän, der von der Brücke seines untergehenden Schiffes seine zornige Faust ein letztes Mal der See entgegen reckte. Japanische Adlige, die sich eher mit dem Schwert entleibten, als einen Gesichtsverlust zu erdulden. Dass letztlich doch der Großteil jämmerlich und unehrenhaft an Krankheit, Auszehrung oder auf dreckigen Schlachtfeldern verreckte, tat diesem Wunschbild offenbar keinen Abbruch.

Und nun dieser einfache Händler. Er trug den Drachen auf der Schulter. Als Warnung für jeden chinesischen Beamten, sich nicht mit der Gesellschaft der Drei Harmonien anzulegen. Und am Unterarm war das tätowierte Dreieck zu sehen. Mit den Schriftzeichen für Himmel und Erde. Er wurde durch einen kräftigen Burschen, der hinter seinem Opfer stand, mit dem traditionellen Hóng Sı- Dài, dem Roten Band, stranguliert.

»Er hat sich durch ein Geständnis und seine Reue die Gnade verdient, nach der ehrenhaftesten der Fünf Alten Strafen gerichtet zu werden«, erklärte Shen Li in gutem Englisch.

Sein Gast erschauderte, ließ sich jedoch nichts anmerken. Die Fünf Strafen. Er wusste, die schrecklichste Art war das Häuten bei lebendigem Leib. Da erschien das Strangulieren in der Tat als ein gnädiges Sterben. Beide Männer beobachteten eine Zeit lang stumm den Todeskampf des Mannes.

»Aber Ihr fragt gar nicht, was er getan hat, werter Herr Suchowljanski.«

»Man lernt in eurem Land schnell, nicht zu viele Fragen zu stellen. Wer fragt, ist unwissend. Wer unwissend ist, gilt als schwach und entbehrlich. Sagtet Ihr das nicht, Herr Shen?«

»Wären doch alle Gwáilóu derart verständnisvoll und weise wie Ihr.« Shen verbeugte sich und lächelte. »Ich werde es Euch dennoch verraten, damit Ihr seht, dass manche Fehler nicht geduldet oder verziehen werden können.« Der Chinese entblößte seinen Unterarm und zeigte dieselbe Tätowierung wie der Mann, der gerade erdrosselt wurde. Er nahm dessen Arm, und beide Zeichen berührten sich einen kurzen Moment.

»Seine Kraft geht auf mich über. Sein Verderbnis stirbt mit ihm«, sagte er und löste den kurzen Kontakt. »Ihr kennt das Zeichen, Herr Suchowljanski. Und Ihr wisst, dass wir die kleinste Gesellschaft in Shanghai sind.«

Suchowljanski nickte. Er war hier, um Geschäfte zu machen. Und die Geschäfte, die ihm vorschwebten, liefen in Asien sämtlich über Familien, Geheimbünde und Gesellschaften. Schnell hatte er begriffen, dass die Sa-nhéhuì, die Triaden, ihre Mitglieder mit Haut und Haar besaßen. Es gab bei ihnen kein Zurück mehr. Betrug, Untreue oder der Wunsch, sich loszusagen, bedeuteten den Tod. Shanghai wurde von der Roten Bande und der Grünen Bande beherrscht. Erstere arbeitete mit den Briten zusammen, letztere mit den Franzosen. Opium, Waffen, Seide, Rohstoffe, Staatsgeheimnisse. Man handelte mit allem, was Geld und Vorteile brachte. Für Neuankömmlinge wie Suchowljanski war da kein Platz. Er lief sogar Gefahr, als vermeintlicher Spitzel der anderen Seite in den Trögen der Schweinefarmen zu landen. Also hatte er sich gleich zu Beginn entschieden, einen Kontakt zur kleinsten Triade, der Liga des Himmels und der Erde aufzubauen. Sie bekam zwar bei den Absprachen der Familien nur die Brosamen, die vom großen Tisch abfielen. Aber nach Shens Andeutungen erwirtschaftete die Liga jährlich Gewinne in Höhe von immerhin dreihundert Tonnen Silber. Und sie suchte nun Möglichkeiten zu expandieren. Die beiden großen Triaden hatten ihrem Juniorpartner die Verlierer des Großen Kriegs in Europa als Operationsgebiete und Absatzmärkte zugesprochen: Russland, Deutschland, Österreich und die Balkanregion schienen ihnen für die eigenen Pläne zu uninteressant. Und genau hier hoffte Suchowljanski, sein Wissen gewinnbringend beisteuern zu können. Er stammte aus einer jüdischen Familie, die in dem seit Ewigkeiten umstrittenen polnisch-lettisch-russischen Grenzgebiet gelebt hatte. Er hatte dort immer noch Kontakte. Und seit seiner Auswanderung waren noch viele Verbindungen zu Italienern und Serben hinzugekommen.

Die beiden Männer beobachteten, wie doch noch ein letztes Aufbäumen durch den Körper des Verurteilten ging. Obwohl sich seine Augen verdrehten und der Kopf zur Seite sank, krampften die Arme, und die Beine zuckten nach vorn und hinten, so dass der Mann seine Schuhe verlor. Dann nässte er schließlich ein, und auch dieser finale Kampf endete. Der Henker zog weiter an dem Band und blickte nun zu Shen. Nach einigen Sekunden nickte dieser, und der tödliche Griff löste sich.

»Dieser Mann hat die Familien schändlich hintergangen. Und dadurch unsere Vereinbarungen mit Chang Hsiao Lin aufs Spiel gesetzt. Er hat Matrosen von englischen und holländischen Schiffen dafür bezahlt, für ihn kleinere Mengen Opium abzuzweigen. Nicht so viel, dass es uns wirklich hätte schaden können. Aber es geht um das Prinzip. Nun, da wir seine Komplizen kennen, werden wir sie einen nach dem anderen richten. Und sie werden nicht die Ehre haben, durch das Rote Band zu sterben.«

˚˚˚

Nur wenig später saßen Shen Li und sein Gast beim Tee. Der Balte war aus seiner Jugendzeit ganz andere – beinahe milde anmutende – Arten der Verhandlung gewohnt. Fäuste, Messer und Knüppel. Auf diese Weise wurde oft entschieden, wer am Abend einen vollen Bauch hatte und wer leer ausging. Letztlich siegte mal die eine Seite, mal die andere. Prellungen und gebrochene Nasen. Gegen die Methoden der Triade waren diese Konsequenzen nur Kinderkram. Aber Suchowljanski war bereit, Neues zu lernen. Im Umgang mit seinen Gegnern würde er in Zukunft ebenfalls jede falsche Zurückhaltung ablegen. Nur wer überlebte, konnte Recht behalten. Und hatte er doch Unrecht, dann war es egal. Andererseits schienen Reserviertheit und Gemeinschaft bei den Chinesen von einem hohem, moralischen Wert zu sein. Und er war fest entschlossen, nach seiner Rückkehr in die Heimat ebenfalls eine Art Familie aufzubauen. Eine Gesellschaft, in der wenige Männer die Strippen zogen, nach denen die anderen zu tanzen hatten. Er hatte gehört, dass auch in Italien die Banden derart organisiert waren. Und in Zukunft würde er die Drecksarbeit auch nicht mehr selbst erledigen.

»Die Zeit ist noch nicht reif«, meinte Shen Li. »Gerade erst bauen wir unsere Kontakte in Berlin und Wien auf.«

»Vielleicht könnte ich Euch beim Schutz der Transporte nützlich sein. Es sind gefährliche Zeiten, und Europa ist weit weg.«

»Verzeiht meine Direktheit, aber Ihr scheint mir recht jung, Herr Suchowljanski. Welche Erfahrung habt Ihr bei so etwas? Wie viele Männer könntet Ihr aufbieten?«

Suchowljanski spannte sich an. Er mochte es nicht, in die Schranken gewiesen zu werden. Die Welt seiner Kindheit war eng gewesen, und er hatte sich geschworen, dass es in Zukunft keine Grenzen mehr für ihn gab. Dass seine bisherige Expertise aus einer kleinen Autovermietung bestand, die er zum Whiskyschmuggel nutzte, musste in diesem Gespräch nicht interessieren. Whisky oder Opium. Automobile, Sklaven oder Schiffe. Was sollte ihn aufhalten?

»Ob ein Dutzend oder einhundert Männer«, erwiderte er. »Anwalt...

Erscheint lt. Verlag 15.11.2022
Reihe/Serie Die Brüder Sass
Die Brüder Sass
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Alexanderplatz • Alfred Hugenberg • Babylon Berlin • Berlin • Brigade Ehrhardt • Brüder Sass • Charité • Drogen • IG Farben • Jens Druwe • Joseph Goebbels • Kokainhandel • Nazis • NSDAP • Opium • Reichspräsident • Reparationen • Syndikat • Totenland • Verbrecherband • Verbrecherbande • Weimarer Republik • WeimarerRepublik
ISBN-10 3-8412-3033-4 / 3841230334
ISBN-13 978-3-8412-3033-1 / 9783841230331
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