Krawall und Kekse (eBook)
256 Seiten
Arche Literatur Verlag AG
978-3-03790-148-9 (ISBN)
Shirley Jackson, 1916 in San Francisco geboren, arbeitete nach dem Studium für den ?New Yorker?. Die 1948 dort erschienene Kurzgeschichte ?The Lottery? machte sie schlagartig berühmt, ihr erster Roman ?The Road Through the Wall? erschien im selben Jahr. Jacksons Werk wird vor allem dem Horrorgenre zugerechnet, zu den bekanntesten Büchern zählen die mehrfach verfilmten Romane ?Spuk in Hill House? und ?Wir haben schon immer im Schloss gelebt?. Zu Lebzeiten war Shirley Jackson auch als Chronistin ihres Familienlebens bekannt. ?Krawall und Kekse? erschien 1953 in den USA und wurde ein landesweiter Bestseller. Die deutsche Ausgabe offenbart nicht nur Jacksons großes Erzähltalent, sie rückt nun auch hierzulande die beeindruckende Person Shirley Jackson in den Fokus - eine Frau, die entgegen den Widerständen ihrer Zeit in den Rollen als Mutter von vier Kindern, Ehefrau und zugleich als Autorin von 17 Büchern brillierte. Auf die Frage, wie sie das geschafft habe, sagte sie in einem Interview einmal: »Das frage ich mich auch.« Shirley Jackson starb 1965 im Alter von 48 Jahren.
Shirley Jackson, 1916 in San Francisco geboren, arbeitete nach dem Studium für den ›New Yorker‹. Die 1948 dort erschienene Kurzgeschichte ›The Lottery‹ machte sie schlagartig berühmt, ihr erster Roman ›The Road Through the Wall‹ erschien im selben Jahr. Jacksons Werk wird vor allem dem Horrorgenre zugerechnet, zu den bekanntesten Büchern zählen die mehrfach verfilmten Romane ›Spuk in Hill House‹ und ›Wir haben schon immer im Schloss gelebt‹. Zu Lebzeiten war Shirley Jackson auch als Chronistin ihres Familienlebens bekannt. ›Krawall und Kekse‹ erschien 1953 in den USA und wurde ein landesweiter Bestseller. Die deutsche Ausgabe offenbart nicht nur Jacksons großes Erzähltalent, sie rückt nun auch hierzulande die beeindruckende Person Shirley Jackson in den Fokus – eine Frau, die entgegen den Widerständen ihrer Zeit in den Rollen als Mutter von vier Kindern, Ehefrau und zugleich als Autorin von 17 Büchern brillierte. Auf die Frage, wie sie das geschafft habe, sagte sie in einem Interview einmal: »Das frage ich mich auch.« Shirley Jackson starb 1965 im Alter von 48 Jahren. Nicole Seifert, geboren 1972, lebt als Autorin und Übersetzerin in Hamburg. Sie hat u. a. Sarah Moss, Shari Shattuck, Daisy Goodwin, Phil Rickman, Katie Arnold, Julia Strachey und Torrey Peters ins Deutsche übertragen. 2021 erschien ihr Buch Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt, in dem sie die Position von Frauen und Autorinnen im Literaturbetrieb untersucht. 2024 folgte »Einige Herren sagten etwas dazu«. Die Autorinnen der Gruppe 47. Seifert ist außerdem Herausgeberin der Reihe rororo Entdeckungen, in der Romane vergessener Autorinnen erscheinen.
Eins
Unser Haus ist alt und laut und voll. Als wir einzogen, hatten wir zwei Kinder und rund fünftausend Bücher; ich schätze, wenn wir irgendwann aus allen Nähten platzen und ausziehen, werden wir zwanzig Kinder und locker eine halbe Million Bücher haben; außerdem haben wir ein Sortiment an Betten und Tischen und Stühlen und Schaukelpferden und Lampen und Puppenkleidern und Schiffsmodellen und Pinseln und buchstäblich Tausende Socken. So leben wir jetzt, mein Mann und ich, unfreiwillig, als wären wir in einen Brunnen gefallen und hätten, da wir sowieso nicht mehr herauskommen, beschlossen, dass wir genauso gut bleiben und einen Stuhl und einen Tisch und irgendeine Lampe aufstellen können. Aber obwohl das jetzt unser Leben ist und wir es nicht anders kennen, ist es gelegentlich verblüffend, vielleicht sogar unerklärlich für Menschen, die nicht die absolute Gewissheit kennen, gleich im Dunkeln auf eine kaputte Zelluloidpuppe zu treten. Ich wüsste nicht, wie ich lieber leben würde, außer ohne Kinder und ohne Bücher, geräuschlos in einem Apartmenthotel, in dem für einen sauber gemacht und das Essen hochgeschickt wird und man nichts tun muss, außer auf dem Sofa liegen und – wie gesagt, ich wüsste nicht, wie ich lieber leben würde, ich musste aber, alles in allem, auch ziemlich viele Kompromisse machen.
Manchmal sehe ich mir all das Zubehör unseres Lebens an – Brottüten, Schreibmaschinen, kleine Teile, die irgendwo zugehören – und staune über die Komplexität der Kultur, mit der wir uns umgeben. Ich frage mich, ob wir froh wären, wenn all das abgeschafft würde und wir nur auf das Notwendige zurückgeworfen wären (Kaffeebecher, Schreibmaschinen, die wirklich nötigen kleinen Teile, die irgendwo zugehören), und dann – das passiert normalerweise im Frühling – fange ich an, Sachen wegzuwerfen, und es stellt sich heraus, dass wir zwar aufs Angenehmste ohne die kleinen Teile, die irgendwo zugehören, leben können, dass aber praktisch sofort neue kleine Teile auftauchen. So funktioniert vermutlich Fortschritt. Es können neue kleine Teile hergestellt werden, wenn nicht schneller, als sie von Sachen abfallen, dann jedenfalls schneller, als ich sie wegwerfen kann.
Ich erinnere mich an den Vormittag vor langer Zeit, als unser Vermieter anrief. Unser Sohn Laurie war dreieinhalb, unsere Tochter Jannie war sechs Monate alt, ich hatte das Mittagessen fast fertig und die Windeln gewaschen, zusammen mit den Hemdchen und den Nachthemden und den Lätzchen und den Baumwolldecken, und alles hing zum Trocknen auf der Leine (und egal, was andere sagen, das ist die Arbeit eines Vormittags, wenn man bedenkt, dass ich außerdem Brownies gebacken und den Müll rausgebracht hatte), und dann rief der Vermieter an. Er war ein netter Mann, väterlich, deshalb erkundigte er sich erst mal nach meiner Gesundheit und nach der Gesundheit meines Mannes, und dann fragte er, wie es unserem Jungen ginge. Und dem Baby? Und als ich sagte, es gehe uns allen gut, sagte er, gut, uns sei sicher bewusst, dass unser Mietvertrag auslaufe? Ich sagte, nein, wir hätten eigentlich nicht gewusst, dass unser Mietvertrag auslaufe. Und da sagte er, nun, er hätte angenommen, wir hätten in letzter Zeit mal in den Vertrag geguckt, und ich fragte mich, ob das vielleicht das Blatt Papier gewesen war, das Laurie zerrissen und aufgegessen hatte, und sagte, es sei tatsächlich eine Weile her, seit wir zusammengesessen und unseren Vertrag durchgelesen hätten. Das sei ja schlecht, sagte er. Ist es das, sagte ich. Denn, sagte er mit sanfter Stimme, die Wohnung sei an jemand anders vermietet worden. Nach einer Pause sagte ich, vermietet? An jemand anders? Dann lachte ich und sagte, und was sollen wir machen – umziehen? Er sagte, ja, genau das sollten wir tun.
»Natürlich«, fuhr er fort, »könnten wir auch zwangsräumen, wenn wir wollten.«
»Wirklich?« Ich dachte an Briefe an den Präsidenten, in denen wir uns auf das Wohlergehen unserer zwei kleinen Kinder beriefen. »Uns wäre aber lieber, Sie zögen einfach aus«, sagte er.
»Aber wohin denn?«
Er lachte herzlich. »Fragen Sie mich was anderes«, sagte er. »Wohnungen sind heutzutage ganz schön schwer zu finden.«
»Wir können uns ja mal umhören«, sagte ich zweifelnd. Briefe, dachte ich, ihn verklagen für das Stück Putz, das meinem Mann auf den Kopf gefallen ist, während er sich rasierte: Anwälte.
»Wir planen die Übergabe um den ersten Mai rum«, sagte er.
»Heute ist der fünfundzwanzigste März«, sagte ich.
»Richtig«, sagte er. »Die Miete ist bald fällig.« Wieder lachte er.
Am nächsten Tag bekamen wir ein Schreiben, über dem »Kündigung und Aufforderung zur Räumung« stand. Ich zog in Erwägung, siedendes Öl aus dem Fenster zu schütten und die Türen mit dem Esstisch zu verbarrikadieren. Was uns beide noch wütender machte, war, dass wir überhaupt nicht die Absicht gehabt hatten, den Mietvertrag zu verlängern, wir hatten vage ins Auge gefasst, umzuziehen, sobald wir etwas anderes gefunden hätten. »Allein die Vorstellung«, sagte ich entrüstet zu meinem Mann, »diese Wohnung an jemand anders zu vermieten, ohne die kaputte Stufe zu reparieren. Die auf der Treppe.«
»Hinterlass den Neuen eine Nachricht wegen der Kakerlaken«, riet mein Mann. Er riet außerdem energisch davon ab, aus irgendeinem unklaren Grund Klage zu erheben (das Stück Putz? Das Radio der Nachbarn?), und sagte, meine Schulter tätschelnd, er wüsste, wie wichtig es mir schon die ganze Zeit gewesen sei, eine neue Wohnung zu finden.
Wir träumten davon, nach Vermont zu ziehen, in eine Stadt, in der sich ein befreundetes Paar niedergelassen hatte, das uns begeisterte Berichte schickte von den Bergen und den im eigenen Garten spielenden Kindern und sauberem Schnee und selbst gezogenen Mohrrüben, und jetzt sah es plötzlich extrem danach aus, als würden wir entweder nach Vermont ziehen oder in ein Zelt im Park. Ich rief ein halbes Dutzend Makler an, und alle lachten so herzlich, wie unser Vermieter gelacht hatte. »Haben Sie nicht irgendwelche Verwandte, zu denen Sie ziehen können?«, fragte einer von ihnen.
Am Ende machten wir, zwei kühne Abenteurer, uns auf in unerforschtes Gebiet, ließen die Kinder bei ihren Großeltern und stiegen am Bahnhof mit unseren Koffern und unseren Überschuhen in einen Zug, ein Spähtrupp auf dem Weg in die Kleinstadt, wo unsere Freunde lebten, wo die Berge so hoch waren und der Schnee so sauber. Das mit dem Schnee war, wie wir feststellten, zweifellos richtig. Unsere Stadtüberschuhe verschwanden beim Aussteigen bis zum Anschlag, und während der drei Tage, die wir dort waren, hatten wir beide permanent feuchte Füße und kleine schmelzende Eisstückchen an den Strümpfen hängen.
Gut war, dass es viele, viele freie Häuser gab. Das hörten wir von einer Dame namens Mrs. Black, einer mütterlichen alten Person, die in einer benachbarten großen Stadt lebte, aber, wie sie selbst betonte, jedes Haus und jede Familie im ganzen Staat kannte. Sie zeigte uns ein Haus, das sie das Bassington-Haus nannte und das perfekt für uns und unsere Bücher und unsere Kinder gewesen wäre, hätte es über irgendeine Art von Wasserrohren verfügt.
»Rohre kann man ja leicht verlegen«, erklärte uns Mrs. Black. »Bauen Sie welche ein, und Sie haben ein richtig schönes Haus.«
Mein Mann trat im Schnee nervös von einem Fuß auf den anderen. »Na ja«, sagte er, »damit kommen wir zum … na ja … Thema Geld.«
Mrs. Black zuckte mit den Schultern. »Wie viel werden Rohre schon kosten? Sie stecken tausendzweihundert, vielleicht tausendfünfhundert Dollar rein und haben ein richtig schönes Haus.«
»Also, wissen Sie, wenn wir tausendfünfhundert Dollar hätten, könnten wir auch eine Hausverwaltung –«, fing mein Mann an, und ich fiel ihm schnell ins Wort. »Vergessen Sie nicht, Mrs. Black, dass wir mieten wollen.«
»Mieten, wirklich?«, sagte Mrs. Black, als beweise das endgültig, dass wir zweifelhafte Gestalten waren, die sich aus reinem Vergnügen Häuser ansahen. »Also, ich an Ihrer Stelle, mit kleinen Kindern und allem, ich würde kaufen.«
»Aber das Geld –«, sagte mein Mann.
»Geld?«, sagte Mrs. Black verächtlich. »Zwei-, dreitausend Dollar.« Sie überlegte. »Andererseits«, sagte sie fröhlich, »wenn man es selbst macht – Rohre einbauen, ein bisschen malern, vielleicht das ein oder andere reparieren –, ließen sich die Kosten bestimmt deutlich senken.«
Sie sah bei diesen Worten direkt meinen Mann an, und er lächelte vage und nickte, für diesen kurzen Moment offenbar angetan von der Vorstellung, die Rohre selbst zu verlegen. »Überschlagen Sie mal«, fuhr Mrs. Black fort, »Sie stecken zwei-, dreitausend Dollar rein, Sie kriegen von Henry Andrews eine Ersthypothek, damit Sie das ein oder andere ausbessern können – dafür brauchen Sie nur den Nachweis, dass es Ihnen gehört, und vielleicht ein bisschen Eigenkapital, Henry Andrews kann Ihnen das genauer sagen. Steuern natürlich. Versicherung werden Sie haben wollen, und dann noch Heizung und Elektrik, vielleicht kriegen Sie ja Bill Adams dazu, die Klempnerarbeiten für weniger zu machen, weil das Haus der Schwester seiner Frau gehört, und das war’s schon. Zehn, fünfzehn Jahre, und Sie haben ein richtig schönes Haus, und es gehört Ihnen. Andersrum würden Sie immer noch Miete zahlen.«
»Aber das Geld –«, sagte mein Mann.
Mrs. Black fuhr nahtlos fort. »Andererseits gefällt Ihnen vielleicht auch das Haus von den McCafferys....
Erscheint lt. Verlag | 21.9.2022 |
---|---|
Übersetzer | Nicole Seifert |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alltag • Amerika • Bestseller • Familie • Familienchaos • Hausfrau • Klassiker • Mutterschaft • Rollenverhältnis • Work-Life-Balance • Wor-Life-Balance |
ISBN-10 | 3-03790-148-9 / 3037901489 |
ISBN-13 | 978-3-03790-148-9 / 9783037901489 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,1 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich