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Ein Paar, ein Tandem und 15.000 km nach Indonesien (eBook)

Was wir auf unserer Reise durch 22 Länder über uns und die Welt erfahren haben

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
320 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-29434-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Paar, ein Tandem und 15.000 km nach Indonesien - Antonia Merz
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Antonia und Daniel kündigen ihre Jobs, um bei alten Freunden in Indonesien eine Pizza zu essen - ohne dafür zu fliegen. Auf dem Tandem reisen sie über den Balkan, die Türkei, Georgien, Aserbaidschan, den Iran, fast alle Stan-Länder, China und Südostasien. Was sie erwartet? Eine Welt, die sich ihnen öffnet. Mit all ihren Reizen, ihren Wundern und Begegnungen. Und all ihren Härten, Ungerechtigkeiten und Strapazen.

Was macht es mit zwei Menschen, die glauben einander zu lieben, stundenlang denselben Rhythmus zu treten? Und dabei so exponiert zu sein, wie nur möglich. Auf einem Tandem, für jeden sicht- und berührbar, nie für sich allein. Antonia nimmt uns mit auf die Reise. In ihrem eigenen Kopf. Wir dürfen teilhaben - an den widersprüchlichen Gefühlen, den Herausforderungen, aber vor allem an all dem Glück, das uns berührt.

Antonia Merz, geboren 1985, hat die Welt bereist - auch mit dem Flugzeug - bis ihr Studium der Nachhaltigkeit und die Arbeit in einer NGO sie unter anderem das Fliegen aufgeben lassen. Reisen finden jetzt per Tandem oder Zug statt, meist von Basel in der Schweiz aus, wo sie lebt und arbeitet. Antonia blogt auf wanderwonder.de.

1 GOOD NIGHT, BABY


Ich schlage die Augen auf und blicke in totale Dunkelheit. Ich bekomme kaum Luft. Es ist heiß. Ich spüre die feuchten Stellen auf meinem Rücken. Ein Geräusch lässt mich erstarren. Ich kann nicht sagen, was es ist, und lausche angestrengt. Vielleicht kommt es wieder.

Erst jetzt nehme ich die anderen Geräusche wahr. Als wäre ich aus der Stille des Wassers aufgetaucht. Mit einem Schlag sind alle meine Sinne hellwach. Meine Augen starren weit aufgerissen in tiefe Dunkelheit. Daniel atmet gleichmäßig neben mir. Der Schlafsack, der an mir klebt, raschelt bei der kleinsten Bewegung. Ich versuche, meine schnelle Atmung in den Griff zu bekommen. Mich überkommt die Ahnung, dass etwas nicht in Ordnung ist. Mein frisch erwachtes Selbst ist in Alarmbereitschaft und lauscht – da ist es wieder! Ein glucksender, röhrender Laut, der durch die verwundbare Zeltwand dringt. Zu groß für einen Frosch, zu tierisch für einen Menschen, zu grotesk für ein gesundes Tier. Ein Hirsch würde nicht auf sich aufmerksam machen, sondern still hoffen, dass das seltsame rote Ding, das aussieht wie ein großer Stein und so komisch riecht, ihn noch nicht entdeckt hat. Also muss es ein Raubtier sein. Etwas, das scharfe Zähne hat. Ich denke an den Hirten in Georgien, der uns von den Bären erzählt hat. Aber in einem anderen Tal. Wir sind erst heute nach Aserbaidschan eingereist und direkt in diese abgelegene Gegend gefahren. Wir konnten noch mit niemandem über wilde Tiere reden. Ob sich Bären hier auch wohlfühlen?

Wir sind mitten im Nichts und schutzlos. Seit acht Uhr abends ist kein Auto mehr auf der nahen Schotterpiste gefahren, ich kenne keine Notrufnummer, und die nächsten Nachbarn wohnen sicher zwei Kilometer entfernt. Ich zwinge mich wieder, meine Atmung zu kontrollieren, ziehe meinen Arm aus dem Schlafsack und stupse Daniel an. Der ist sofort hellwach und setzt sich auf. Da ist es wieder.

»Was ist das?«

»Keine Ahnung.«

Ist es nur eines oder sind es mehrere? Ich verfluche die Tatsache, dass uns gerade heute das Pfefferspray verloren gegangen ist.

Wieder ein Röhren. Ich setze mich ebenfalls auf und wir besprechen flüsternd, was wir tun sollen. Das Messer ist in der gelben Tasche und die ist am Tandem, unerreichbar für uns. Daniel hat einen großen Ast zwischen Innen- und Außenplane des Zelts bereitgelegt. Für den Fall, dass das Rudel Straßenhunde, das uns am Tag begegnet ist, nachts auf die Idee kommen sollte, uns einen Besuch abzustatten.

»Ich geh raus.« Ich stelle mir vor, wie er die Außenplane des Zelts öffnet und ein vor Tollwut schäumender Straßenköter ihn anfletscht. Wenn es mehrere sind, haben wir schlechte Karten. Daniel setzt die Stirnlampe auf, knipst sie an und öffnet langsam den Reißverschluss des Zelts, während er den Holzknüppel umfasst.

Ein kühler Schwall Luft lässt mich erschaudern. Sein Rücken versperrt mir die Sicht nach draußen, aber direkt vor dem Zelt scheint das Vieh nicht zu sitzen. Ich kauere hellwach und angespannt hinter ihm.

»Und? Und?« Mein ganzer Körper ist im Fluchtmodus. Gänsehaut überzieht die feuchten Stellen und jeder meiner Muskeln ist angespannt. Daniel zwängt sich aus dem Zelt und richtet sich auf. Ich schiebe meinen Kopf vorsichtig durch die frei gewordene Öffnung. Daniel leuchtet in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen ist. Wir blicken in zwei reflektierende Augen, ungefähr sechs Meter vom Zelt entfernt! Einen Moment verharren wir still. Dann schlägt Daniel mit dem Stock hart auf den Boden. Das Etwas macht sich davon.

»Was war das?« Ungefähr so groß wie ein großer Fuchs oder ein kleines Reh. Und definitiv etwas mit scharfen Zähnen.

Ein Gefühl von großer Zuneigung für Daniel überkommt mich und die Anspannung löst sich teilweise. Ich schäle mich aus meinem viel zu warmen Hochtourenschlafsack und sauge die kühle Nachtluft, die weiter durch die offene Zelttür hereindringt, ein. Wir legen uns wieder hin und versuchen, die Anspannung abzuschütteln. Es wird eine unruhige Nacht.

***

Als ich das nächste Mal die Augen aufschlage, blicke ich in die golden erhellte Kuppel des Zelts. Die Nacht ist überstanden. Ich muss grinsen. Denn die Geschichte ist so alt wie die Menschheit: Dunkelheit ist uns unheimlich und lässt so manches größer erscheinen als es ist. Die totale Dunkelheit ist ungewohnt, man muss sich mehr auf seine anderen Sinne verlassen. Nachts (in einem Zelt) kommt einem jedes Geräusch lauter vor. Man hat Angst. Angst, verletzt oder gar getötet zu werden. Es ist ein ungewohntes Gefühl für uns behütete Mitteleuropäer, die wir sonst in unseren massiven Häusern und weichen Betten nächtigen. Meist umgeben von Nachbarn und einem Telefonanschluss in der Nähe, mit dem man leicht Hilfe holen kann. Nie fällt es mir leichter, realistische Worst-Case-Szenarien zu entwickeln, als nachts, in völliger Dunkelheit in einem Zelt, nur durch eine dünne Nylonschicht getrennt von dem Draußen. Die Angst grätscht sofort in meine rationalen Überlegungen. Diese Angst ist eigentlich unser Freund. Sie soll uns schützen, sie warnt und weckt uns, wenn etwas nicht planmäßig verläuft, und gibt uns die Kraft, körperlich über uns hinauszuwachsen, wenn es nötig ist.

Ich muss an die letzte Nacht denken, die ich vor mehr als drei Monaten in meinem eigenen Bett verbracht habe. Die war auch etwas unruhig. Aber anders.

***

Ich höre Daniel neben mir tief und gleichmäßig atmen. Meine Sinne sind hellwach. Ich bleibe still liegen und versuche die Zeit auszudehnen. Dies sind die letzten Stunden, die ich in dieser Wohnung verbringen werde. Zumindest für die nächsten Monate.

Ein Jahr davor. Wir sitzen an einem Sonntagmorgen beim gemütlichen Frühstück nebenan im Wohnzimmer, als Daniel zum wiederholten Mal das Thema »Nach Indonesien fliegen« auf den Tisch bringt.

»Ich will den Ort sehen, an dem du ein Jahr lang gelebt hast.« Das war, bevor wir uns kennengelernt haben und bevor ich beschlossen habe, keine Langstreckenflüge mehr zu buchen. So wie ich mir andere kleine und größere Aufgaben stelle, um herauszufinden, ob es wirklich so schwer ist, einen für Mutter Erde verträglichen Lebensstil zu führen. Das Ganze ist ein Prozess, der bis zu diesem Zeitpunkt ungefähr bereits sieben Jahre andauert. Ich arbeite für eine Umweltschutzorganisation und das Wissen, das ich über den Zustand unserer Erde angesammelt habe, lässt mir keine andere Wahl: Fliegen fällt aus. Daniel kennt das Spiel schon. Schließlich haben wir die letzten sechs Jahre miteinander verbracht. Na ja, mehr oder minder. Zuerst war ich nämlich noch in Hamburg und habe Praktika und meinen Nachhaltigkeits-Master gemacht, während er seinen Master in Informatik abgeschlossen und den ersten Job begonnen hat. Erst drei Jahre später sind wir dann zusammen in diese Wohnung gezogen und konnten ausprobieren, ob wir uns auch noch lieben, wenn wir am selben Ort leben.

Hat ganz gut funktioniert. Trotzdem lässt Daniel die Idee, nach Indonesien zu reisen, nicht los. An diesem Morgen ist er irgendwie hartnäckiger.

»Dann lass uns hinlaufen, wenn du nicht fliegen willst.« Ich stelle mir kurz vor, einen riesigen Rucksack durch die Welt zu schleppen, und spüre es in meinem unteren Rücken ziepen.

»In den Bergen wandern – mega! Aber durch die Welt pilgern zu Fuß? Nein, danke.« Wir lachen über die Idee, werden aber still, als uns der naheliegende Gedanke kommt, den Daniel zuerst ausspricht:

»Radeln?« Daniel ist begeisterter Radsportler, mit Team, Trikot, Wettkämpfen und rasierten Waden. Und ich finde es auch ganz nett, mir den Fahrtwind bei einer leicht abschussigen Fahrt ins Gesicht wehen zu lassen. Aber …

»… dann muss es ein Tandem sein! Ich schnaufe dir doch nicht hinterher, während du locker flockig über die Berge ziehst!« Ich will nicht immer das Gefühl haben, dass er auf mich warten muss. Auch wenn Daniel mir das nie vorwerfen würde.

Daniel fährt so routiniert Rad wie er atmet. Ich hingegen bin schon am Rande des Wahnsinns, wenn wir zusammen Rennrad fahren und ich gleichzeitig lenken und daran denken muss, die Schuhe aus den Pedalen auszuklicken, wenn ich anhalte.

Wir nehmen betreten einen Schluck aus unseren Kaffeetassen und blicken uns fragend an.

»Echt jetzt?« Ich denke darüber nach, was wir uns in Konstanz alles aufgebaut haben, all die Beziehungen zu lieben Menschen, die engen Kontakte. Ich denke an meinen Job bei Filme für die Erde in der Schweiz, den ich liebe, und an das Team. So was ist nicht leicht zu finden. Und ich denke an meine Mami. Die mich schon wieder für ein Jahr gehen lassen müsste. Aber na ja, wir haben das schon zweimal geübt. Einmal direkt nach dem Abi, als ich meine Koffer für acht Monate Brasilien packte, und eben für Indonesien.

»Echt jetzt!« Wir stoßen mit unseren Kaffeetassen an und versprechen einander, dass wir das machen werden.

»Dann schau ich gleich mal, wie eine mögliche Route aussehen könnte.«

»Lass uns Nana und Matze besuchen. Wir brauchen eh viele Kohlenhydrate nach so einem Ritt und die machen die beste Pizza in Yogyakarta.« Matze kenne ich vom Indonesischstudium, mittlerweile ist er als ausgebildeter Koch in die Pizzeria seiner indonesischen Frau Nana eingestiegen.

Ich hebe den Zeigefinger, um die wichtigste Bedingung noch einmal zu unterstreichen:

»Und es wird nicht geflogen! Nicht zwischendrin und nicht auf dem Rückweg!« Daniel nickt ergeben.

Stunden später präsentiert er mir eine mögliche Route:

»Über den Balkan in die Türkei, von dort durch den Iran und ein...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2023
Zusatzinfo mit 8-seitigem vierfarbigen Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Reisen Reiseberichte
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ISBN-10 3-641-29434-7 / 3641294347
ISBN-13 978-3-641-29434-2 / 9783641294342
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