Das Glück auf Gleis 7 (eBook)
416 Seiten
Blanvalet Verlag
978-3-641-27274-6 (ISBN)
Jeden Morgen um 5:18 Uhr nimmt Emma den Zug von Brighton nach London. Sie liebt das Pendeln, denn es gibt ihr Zeit zum Nachdenken. Zum Beispiel über ... Tyler. Mit ihm ist Emma seit neun Jahren zusammen und das überwiegend glücklich - bis er sie dieses eine Mal betrog. Sie hat ihm verziehen, doch seit einigen Tagen zweifelt Emma. Hat ihr Freund etwa doch Geheimnisse vor ihr?
Jamie lebt in Brighton und will so schnell wie möglich nach London ziehen, denn das Pendeln geht ihm auf die Nerven. Er denkt dabei zu viel nach. Zum Beispiel über ... den neuen Job im Verlag seines Vaters. Der hat lange darauf gewartet, dass Jamie in seine Fußstapfen tritt, und diese Erwartungen machen Jamie Angst. Höllische Angst.
Jeden Morgen um 5:18 Uhr treffen Emma und Jamie im Zug aufeinander. Dem höflichen Geplänkel folgen immer ernstere Gespräche - bis die beiden merken, dass sie füreinander weitaus mehr sein könnten als nur eine Zufallsbekanntschaft ...
Anne Sanders lebt in München und arbeitet als Autorin und Journalistin. Zu schreiben begann sie bei der »Süddeutschen Zeitung«. Als Schriftstellerin veröffentlichte sie unter anderem Namen bereits erfolgreich Romane für jugendliche Leser. Die Küste Cornwalls begeisterte Anne Sanders auf einer Reise so sehr, dass sie spontan beschloss, ihren Roman »Sommer in St. Ives« dort spielen zu lassen. Dieser eroberte die Herzen der Leserinnen und wurde zum Bestseller. Auch »Mein Herz ist eine Insel« und »Sommerhaus zum Glück« waren große Erfolge.
1
Emma
Kennen Sie Brighton? Dieses quirlige Städtchen an der Südküste Englands? Mit seinen bunten Häuserfassaden, den angesagten Shops, mit seinem ewig feuchten Kiesstrand? Es ist das bekannteste Seebad des Landes, heißt es. Es gibt eine Seebrücke, das Gerippe einer Seebrücke und einen Aussichtsturm, der es ermöglicht, beides aus einer hundertdreiundsiebzig Meter hohen Vogelperspektive zu betrachten.
Fragen Sie den Reiseführer, ist Brighton das London am Meer. Fragen Sie meine Mutter, ist es der Ort all derer, die gern etwas ausgefallener leben – und nicht zu genau dabei beobachtet werden wollen. Für mich bedeutet Brighton Heimat. Aufwachen zum Geschnatter der Seevögel. Nachmittage mit Freundinnen am Pier. Es bedeutet Sonnenuntergänge am Strand und erste Küsse auf dem Riesenrad. Es bedeutet, die Bäckerin im Viertel zu kennen und den Mann hinter dem Postschalter, und auf dem Weg zum Bahnhof der alten Mrs. Granton über die Straße zu helfen, weil das mit dem Laufen in jüngster Zeit immer schwieriger geworden ist. Es bedeutet, die Liebe seines Lebens bereits in der Schule zu finden.
Vor sechsundzwanzig Jahren wurde ich, Emma Brook, in Brighton geboren und kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben. Weshalb das mit dem Pendeln kein Problem für mich darstellt. Ehrlich nicht. Ich habe mich wissentlich, freiwillig und gern darauf eingelassen, jeden Morgen an jedem Werktag der Woche in den Zug zu steigen, um nach London zu fahren und meiner Arbeit nachzugehen, weil ich es nicht übers Herz bringe, mein beschauliches Leben in meiner Lieblingsküstenstadt aufzugeben. Es macht mir nichts aus. Ich stehe gern früh auf. Bevor der Zug um fünf Uhr achtzehn aus dem Bahnhof in Richtung Norden rollt, habe ich mir bereits eine Stunde Yoga einverleibt sowie den Podcast zum Thema Wie bringe ich mehr Effizienz in meinen Alltag.
Das war natürlich ein Scherz. Alles andere aber ist wahr.
Ich arbeite seit viereinhalb Jahren bei Ten to Twelve im Westen von London und schaffe es nach wie vor nur knapp, den Zug zu erwischen, einen Kaffee in der einen, ein Croissant in der anderen Hand. Damit lasse ich mich in den Sitz fallen, bevorzugt in den mit der Nummer 86, gleich rechts hinter dem Einstieg in den letzten Wagen, unmittelbar vor der Kofferablage. Eine Platzreservierung ist in der Regel nicht notwendig, zumindest nicht so früh am Morgen, und eben weil es so früh ist, habe ich den Doppelsitz in vier von zehn Fällen sogar für mich allein. Ich hoffe sehr, heute ist auch so ein Tag. Bitte, lieber Gott des Zugverkehrs, mach, dass ich mich einfach in diesen freien Sitz fallen lassen, die Lider schließen und für einen Moment vergessen kann, was diese Augen gestern Abend sehen mussten.
Es fing auffallend harmlos an. Meine Schwester Amy und ich kamen wie immer ausgehungert von einem Abendessen bei den Eltern zurück, als Amys Freundin Carly uns beim Kühlschrankplündern erwischte. Carly ist klein, burschikos, forsch, aber herzlich, sie studiert Sozialpädagogik und arbeitet nebenher für einen Verein, der mit einem mobilen Spielbus Kinder auf Veranstaltungen bespaßt. Weil dieser Job allerdings nur halb so viel Geld abwirft, wie er Carly Vergnügen bereitet, jobbt sie die restliche Zeit in einem Pub namens Crab Shack, das folglich für uns alle zu so etwas wie einem zweiten Wohnzimmer geworden ist – ein reichlich abgewracktes, aber was soll’s. Carly ist außerdem nie glücklicher über ihre Schichten im Crab, als an den Tagen, an denen meine Eltern zum Essen einladen.
»Was gab es diesmal?«, fragte sie also.
»Gefüllte Aubergine.«
»Möchte ich wissen, womit die gefüllt war?«
»Möchtest du nicht.« Amy griff sich den Käse, während ich in der Schublade nach Crackern suchte, und anschließend versammelten wir uns um den runden Küchentisch, auf dem Carly bereits Schnapsgläser verteilt hatte. Sie reihten sich um eine Flasche Gin, die so kalt war, dass das Kondenswasser an ihr perlte, und ich dachte: Bravo, Carly! Du kennst unsere Mutter beinah genauso gut wie Amy und ich.
Womit ich vollkommen falschlag. Also, nicht mit Carlys Wissen um unsere Familie, zu der sie längst gehört, Amy und sie sind immerhin seit fast zwei Jahren ein Paar. Doch die Annahme, sie könnte uns den Schnaps wegen des zuverlässig ungenießbaren Essens meiner Eltern hingestellt haben, die traf zumindest an diesem Abend nicht zu. Was Carly antrieb, hatte nichts mit Verdauungsproblemen zu tun, das würde ich wenige Minuten später erfahren.
Ich bestrich einen Cracker mit Frischkäse. »Rose dachte, es sei eine gute Idee, die Hafergrütze mit Biss zu servieren«, erklärte ich Carly.
»Und Ben«, fuhr Amy fort, »ist inzwischen dazu übergegangen, alles in einen Saft zu pressen, was sich in seinem Garten tollt – heute war es der Kohlrabi.«
Tatsächlich. Kohlrabi. Lassen wir das kurz mal sacken.
In der Zwischenzeit möchte ich gern erklären, weshalb sich meine Eltern – Rose und Ben Brook – von ihren Töchtern mit Vornamen ansprechen lassen. Die beiden sind, sagen wir, speziell. Und ziemlich biegsam. Meine Mutter ist im April achtundsechzig geworden und ein Abbild von Patti Smith, die alternde, hagere Version. Mein Vater, vierundsechzig Jahre, verfügt über deutlich mehr Rundungen, aber er ist auch einen halben Kopf kleiner als meine Mum. Gemeinsam betreiben sie eines der ältesten Yoga-Studios in Brighton, in dem sie nach wie vor selbst unterrichten. Sie sind gechillt, gelassen, gütig, äußerst esoterisch versiert, der gelegentlichen Verwendung von Cannabis nicht abgeneigt. Sie sind das wandelnde Hippie-Klischee und beneidenswert unkompliziert. Ist es nicht tragisch, wie anstrengend unkompliziert manchmal sein kann? Anstrengend, aber auch sehr, sehr liebenswert?
Vor achtundzwanzig Jahren, meine Mutter war vierzig, mein Vater sechsunddreißig Jahre alt, kam ihr bester Freund und Trauzeuge bei einem Autounfall ums Leben. Seine Frau starb ebenfalls. Meine Eltern waren Paten der kleinen Amy, ein Adoptivkind aus Äthiopien, damals vier, und selbstverständlich nahmen sie sie bei sich auf. Sie war das Kind, das meinen Eltern bis dahin verwehrt geblieben war – was sie nicht daran hinderte, es weiterhin zu versuchen. Hier möchte ich bitte nicht ins Detail gehen müssen, sagen wir einfach: Es gibt einen Grund, weshalb es mich gibt.
Ich bin also ein absolutes Wunschkind. Mehr noch, ich wurde von meinen Eltern heiß ersehnt, was sie mich in jedem Augenblick ihres verrückten Lebens spüren lassen. Das heißt selbstverständlich nicht, dass sie Amy weniger lieben. Womöglich ist sogar das Gegenteil der Fall, nachdem meine große, schöne, exotische Schwester sich liebend gern bereit erklärt hat, mit ins Yoga-Studio-Business einzusteigen, im Gegensatz zu mir. Man mag es kaum glauben, aber wenn ich mich vorbeuge, schaffe ich es nicht einmal, mit den Fingerspitzen meine Zehen zu berühren. Mit herabschauenden Hunden, nicht wackelnden Bäumen oder fließenden Sonnengrüßen sollte man mich also besser verschonen.
Wie bin ich noch mal darauf gekommen? Ach ja, Rose und Ben. Amy nannte unsere Eltern immer schon beim Vornamen, und ich habe diese Tradition fortgeführt. So einfach ist es manchmal.
Womit wir wieder beim Kohlrabi wären.
»Vielleicht«, sagte Carly, während sie nacheinander die Schnapsgläser mit Gin füllte, »solltet ihr dort erst wieder auftauchen, wenn die Tomaten reif sind.«
»Da sagst du was.« Amy hob eins der Gläser, prostete uns zu und kippte den Schnaps weg.
Ich tat es ihr gleich, mit der überwältigenden Ahnung, dass ein Glas nicht ausreichen würde, um den Klumpen Getreide in meinem Magen in seine Bestandteile zu zersetzen.
Unsere Eltern sind vielerlei Dinge, gute Köche sind sie nicht. Was schon an sich ein Drama ist, wenn man bedenkt, welch nicht gerade unbeträchtliche Rolle die Ernährung neben dem Sport in ihrem Leben spielt. Erst ging es nur darum, auf Fleisch zu verzichten, dann auf sämtliche tierischen Produkte. Nach diesem Vorsatz lebten Rose und Ben eine Zeit lang ayurvedisch und zurzeit eben makrobiotisch – was auch immer es damit auf sich hat.
»Was kommt als Nächstes?«, fragte Amy. »Rohkost?«
»Dann fallen zumindest diese pampigen Eintöpfe weg, die immer aussahen, als seien sie schon verdaut.« Ich schüttelte mich.
»Schnaps?« Carly hielt mir die Flasche hin.
»Du bist der Teufel, weißt du das? Sich erst mit vorgeschobener Arbeit drücken und uns hinterher abfüllen.« Ich betrachtete sie aus schmalen Augen, die zerzausten, halblangen Haare, den unschuldigen Rehblick. Und natürlich griff ich trotzdem nach der Flasche. »Morgen ist Montag. Ich muss früh raus.«
»Klar. Du musst immer früh raus. Trotzdem denke ich, du solltest noch einen Schnaps trinken.«
»Das kann auch nur eine Studentin Schrägstrich Kellnerin sagen. Unsereins … ach, was soll’s.« Ich trank also den Schnaps. Und erst als ich das leere Glas absetzte, fiel mir auf, dass Carly gar nicht mehr grinste und auch nichts mehr sagte und stattdessen seltsame Blicke mit meiner Schwester tauschte.
»Was?« Ich sah von einer zur anderen. »Was hab ich jetzt wieder verpasst?«
»Ähm«, begann Carly zögerlich, »was hat eigentlich Tyler an diesem Wochenende gemacht?«
»Tyler?«
Und so nahm das Drama seinen Lauf.
»Er hat Besuch von einem Freund aus Glasgow«, sagte ich. »Ted oder Greg oder Fred. Ich kenne ihn nicht. Er ist bei irgendeiner...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
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ISBN-10 | 3-641-27274-2 / 3641272742 |
ISBN-13 | 978-3-641-27274-6 / 9783641272746 |
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