Geschichte Italiens (eBook)
127 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75055-7 (ISBN)
Nach dem Untergang des Römischen Reichs waren die Apenninenhalbinsel und Sizilien politisch und kulturell fragmentiert, bis sich um das Jahr 1000 ein neues Bewusstsein dafür herausbildete, was 'Italien' ist: das Land der Urbanität, kulturell veredelt durch die Nähe zur Antike, durch die Alpen geschützt vor der Barbarei der Germanen. In dieser Zeit des beginnenden Zusammenwachsens setzt Volker Reinhardts kleine 'Geschichte Italiens' ein. Er beschreibt, wie Stadtrepubliken, Fürstentümer und der Kirchenstaat, oft im Bunde mit äußeren Mächten, um die Vorherrschaft in Italien kämpften und sich in dieser Konkurrenz eine einzigartige Hochkultur herausbildete, die wiederum das Gefühl der italienischen Einheit und Überlegenheit nährte. Im 19. Jahrhundert wurde die politische Einigung im Zeichen einer großen Geschichte zu einer Mission, die die Anhänger des Risorgimento beflügelte und die der Faschismus zur Errichtung einer Diktatur missbrauchte. Heute ist Italien zerrissen zwischen Nord und Süd, Rechtspopulisten und Linken, aber gerade dadurch ist die Sehnsucht nach innerer Einheit und Abgrenzung nach außen übergroß. - Das bewährte Standardwerk wurde für die vorliegende fünfte Auflage überarbeitet und aktualisiert.
<i>Volker Reinhardt</i>, geb. 1954, ist Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Bei C.H.Beck erschienen von ihm u. a. "Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens" (2019), "Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt" (2. Aufl. 2018) sowie in C.H.Beck Wissen "Geschichte Roms" (3. Aufl. 2019), "Die Medici" (5. Aufl. 2013) und "Die Renaissance in Italien" (4. Aufl. 2019).
II. Italien im späten Mittelalter
Der Aufstieg Roms von der Hirtensiedlung an den sieben Hügeln zum Zentrum des mittleren und dann zur Vormacht ganz Italiens vom 14. bis 3. Jahrhundert v. Chr., Italien erst als Mittelpunkt, dann als ein Teil des römischen Imperiums unter anderen, nach dessen Zerfall im Westen ab 476 Invasion und Königreich der Ostgoten, Einfall, Ansiedlung und Herrschaftsbildung der Langobarden ab 568, ihre Unterwerfung durch die Karolinger im 8. Jahrhundert, die ottonische Eroberung Oberitaliens wiederum zwei Jahrhunderte später, das Normannenreich des 11. und 12. Jahrhunderts im Süden, die anschließende staufische Herrschaft: Etappen der Geschichte auf italienischem Boden, gewiss, aber auch Geschichte Italiens?
Metternichs italienische Patrioten empörende Bemerkung, Italien sei nichts als ein geographischer Begriff – seit wann ist sie nachweislich falsch? Anders gefragt: Seit wann ist Italien so weit Nation, dass sich eine Geschichte Italiens erzählen lässt? Seit es über die rudimentäre Abgrenzung vom barbarischen Rest der Welt hinaus ein geschärftes Bewusstsein für die Eigenart, die Eigenständigkeit, das eigene Schicksal, seit es ein emotional hochbefrachtetes Italien in den Köpfen gibt – nicht in vielen, aber in herausragenden, produktiven, die Nation mit präzisen Konturen versehenden Köpfen.
Auch diese Kopfgeburt der Nation vollzog sich nicht schlagartig, doch treten im 14. Jahrhundert herausragende Geburtshelfer auf: An der Verdichtung der Nation zu einer in sich geschlossenen Vorstellungswelt haben Dichter-Humanisten wie Francesco Petrarca (1304–1374) großen Anteil. Die innere Geschlossenheit, die Harmonie und Perfektion des gedachten, geträumten, erträumten Italien kontrastierte um 1380 auf das Heftigste mit der Uneinheitlichkeit, mit der Zersplitterung und Unfriedfertigkeit auf dem Boden Italiens, auf dem harten Boden der politischen Tatsachen.
Konturen der politischen Landkarte
Epochengrenzen sind überwiegend Konventionen, Memorierungshilfen. Zwischen dem spätmittelalterlichen und dem frühneuzeitlichen Italien stechen bei allem langsam vonstattengehenden Wandel ausgeprägte Kontinuitäten ins Auge. So stammte der 1730 verstorbene Papst Benedikt XIII. Orsini aus einer Familie, die schon von 1277 bis 1280 den Stuhl Petri besetzte und in den nachfolgenden fünfhundert Jahren nicht nur in Rom, sondern auch im südlichen Italien einen Machtfaktor ersten Ranges darstellte; sein im selben Jahr gewählter Nachfolger Klemens XII. Corsini konnte als Ruhmestitel nicht nur einen Heiligen des 14. Jahrhunderts (Andrea Corsini, gest. 1374), sondern noch viel weiter zurückreichende Ämtertraditionen in Florenz vorweisen. Auch und gerade in den Republiken des 18. Jahrhunderts, in Venedig, Genua, Lucca, trugen die führenden Familien der engsten Machtzirkel Namen, die seit Jahrhunderten auf patrizischen Prunkgrabmälern prangten – untrügliche Zeichen dafür, dass sich in Italien Führungsschichten nach verschiedenen Ergänzungs- und Verschmelzungsprozessen früh, schon im 14. Jahrhundert, weitgehend abgeschlossen hatten. Wer in den nächsten vierhundert Jahren sozial und politisch aufsteigen wollte, hatte den Weg durch das Nadelöhr der nützlichen Beziehungsnetze zu beschreiten.
Kontinuität prägte nicht nur die Eliten, sondern auch die Staatenlandschaft. Die Grobgliederung der politischen Landkarte von 1380 war, gleichsam im Gegenlicht, dreieinhalb Jahrhunderte später durchaus noch erkennbar: im Norden bis einschließlich der Toskana einst wie jetzt das zum Heiligen Römischen Reich gehörige und damit der Lehenshoheit des Kaisers unterstehende Königreich Italien. Daran angrenzend von Bologna im Nordosten bis kurz vor Gaeta im Südwesten der Kirchenstaat als politisches Gebilde eigener Art unter der Herrschaft des Papstes, der über das im Süden anschließende Königreich Sizilien die Lehenshoheit beanspruchte.
Sowohl 1380 als auch 1730 war die Hoheit des Reichs im Norden Italiens Fiktion und lebendiger Bezugspunkt zugleich. Seit dem Tod Friedrichs II. im Jahr 1250 hatte kein Kaiser mehr über längere Zeit unmittelbare Herrschaft in Italien ausgeübt – und doch blieb das Reich als Legitimation und Recht stiftende Instanz, auch als indirekter Machtfaktor präsent. So erwarb die Republik Venedig, selbst seit Jahrhunderten der Reichshoheit entwachsen, für ihre auf dem italienischen Festland gewonnenen Gebiete 1523 formell die Rechte vom Kaiser. Und auch die Signori, obwohl als Einzelherrscher durch ausdrückliche Machtübertragung formell legitimiert, zahlten dem Reichsoberhaupt im 14. und 15. Jahrhundert riesige Summen für Markgrafen- und Herzogstitel. An Nischenplätzen zwischen den – Kaiser und Reich de facto längst entzogenen – oberitalienischen Machtblöcken aber bestanden kleinere adelige Herrschaften fort, bis ins 18. Jahrhundert dem Reich lehenspflichtig und ihm zugleich für ihr Überleben verpflichtet.
Die wichtigsten Steine des politischen Mosaiks von 1380 waren dreieinhalb Jahrhunderte später trotz mancher Dynastiewechsel oder Verfassungsumbauten durchaus wiederzuerkennen: Im Nordosten die Adelsrepublik Venedig, 1380 noch mit bescheidenem Festlandbesitz, seit dem 15. Jahrhundert im Westen bis Bergamo und Brescia, im Süden bis nördlich von Ferrara ausgreifend, im Inneren de jure vom Adel als Ganzem regiert, de facto von dessen (einfluss)reichsten Familienzweigen dominiert, seit dem 16. Jahrhundert überwiegend auf die Behauptung des Status quo gerichtet, aber bis weit ins 18. Jahrhundert hinein lebensfähiger als gemeinhin geschildert.Westlich davon erstreckte sich das Herrschaftsgebiet der Visconti, die sich seit 1395 mit dem (für eine horrende Summe vom Kaiser erworbenen) Titel der Herzöge von Mailand schmückten – um diese Zeit auf dem Weg zu einer oberitalienischen Hegemonie, die nicht von Dauer sein würde. Ab 1450 unter der Nachfolgedynastie der Sforza, wurde die lombardische Metropole ab 1499 für drei Dutzend Jahre die am heißesten umkämpfte Stadt Europas. Danach für mehr als anderthalb Jahrhunderte Teil des spanischen Imperiums, geriet das Herzogtum Mailand als willenloses Faustpfand europäischer Kabinettspolitik Anfang des 18. Jahrhunderts unter österreichische Herrschaft.
Die immer enger verflochtenen und stärker abgegrenzten einheimischen Eliten huldigten den neuen Herren und blieben bestehen, d.h., sie behielten ihren beherrschenden Einfluss auf der lokalen Ebene – bis ab etwa 1770 ein schärferer (Reform-)Wind wehte.
Stärkste Macht im Westen und zugleich an der äußersten Peripherie der italianità waren die Grafen (ab 1416 Herzöge) von Savoyen, die eine in Piemont regierende Seitenlinie seit dem späteren 14. Jahrhundert erst kontrollierten und dann (1418) beerbten, 1413 das angrenzende Gebiet der Markgrafen von Saluzzo eingliederten und als nächstes die Markgrafschaft Montferrat ins Visier nahmen, die sie, durch schwere dynastisch-politische Krisen im 16. Jahrhundert zurückgeworfen, allerdings erst Anfang des 18. Jahrhunderts gewannen. Im Spanischen Erbfolgekrieg nach atemberaubendem Macht- und Schlachten-Roulette aufseiten der Sieger wurde der fähigste italienische Herrscher der Zeit, Herzog Vittorio Amedeo II., durch den Frieden von Utrecht (1713) König von Sizilien. Doch diese Neuerwerbung lag zu fern und war zu andersartig; so blieb einige Jahre später nur der Tausch gegen das politisch bedeutungsarme und wirtschaftlich rückständige, aber einen Königstitel liefernde Sardinien: Etappen einer langsamen, aber über Jahrhunderte mit äußerster Zähigkeit verfolgten Expansion und inneren Konsolidierung eines Mittelstaates, der bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts höchstens am Rande italienischer Kulturentwicklung stand – von einer ihm später angedichteten «italienischen Mission» ganz zu schweigen.
Südlich anschließend, von Ventimiglia bis Portovenere reichend, lag die Republik Genua: wegen ihrer Turbulenzen zwischen den herrschenden Clans seit jeher berüchtigt, nach Befriedungsphasen ab 1528 im 18. Jahrhundert wieder zunehmend instabil, im 16. und 17. Jahrhundert führender Finanzplatz des Mittelmeeres, mit schmalem, immer wieder durch kommunale und feudale Privilegien durchbrochenem und politisch wenig gegliedertem Territorium.
An Genua grenzte die Republik Lucca mit ihrem winzigen Gebiet. Anfang des 14. Jahrhunderts unter der Führung des – von Niccolò Machiavelli in einer ebenso roman- wie thesenhaften Biographie gewürdigten – Castruccio Castracani gegen Florenz siegreich, überlebte diese Republik als von wenigen Familien beherrschter Freistaat durch kluge Diplomatie und mangels Bedeutung bis in die Zeit Napoleons; im...
Erscheint lt. Verlag | 14.1.2020 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Historische Romane | |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte | |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Schlagworte | Geschichte • Italien • Kultur • Mittelalter • Moderne • Neuzeit • Politik • Staat • Südeuropa • Verfassung |
ISBN-10 | 3-406-75055-9 / 3406750559 |
ISBN-13 | 978-3-406-75055-7 / 9783406750557 |
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