Skandinavische Mutprobe (eBook)
236 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-9789-4 (ISBN)
Katja Roßkamp ist mit ihrem Mann, zwei Kindern und zwei Kaninchen im Sommer 2021 nach Norwegen ausgewandert. Ihre neue Heimat hat sie in einem typisch roten Holzhaus am Rande einer Kleinstadt im Süden Norwegens gefunden.
Verliebt in Skandinavien
Wer hatte sie nicht schon einmal gehört? Die Geschichten von Menschen, die ihr Glück in anderen Ländern und Orten der Welt suchten: Auswandern als Verwirklichung des großen Traumes mit großem Erfolg oder mit kläglichem Scheitern und Unglück in Schrift und Bildern, in Romanen oder beliebten Serien? Klassischerweise zog eine vierköpfige Familie in ein anderes Land, in einen anderen Sprachraum, in ein neues Schulsystem, in ein neues Zuhause und in ein neues Berufsumfeld. Dies traf bei uns – wenn überhaupt – nur halb zu. Nicht dass wir nicht auch eine vierköpfige Familie waren und wir uns nicht auf ein Abenteuer in einem anderen Land eingelassen hatten. Aber wir erlebten doch einige entscheidende Unterschiede.
Fernweh und skandinavische Namen
Natürlich zog man nicht in ein Land, in das man sich nicht schon seit langer Zeit verliebt hatte. So war es auch bei mir und meiner Familie. Mit dem Blick einer rosaroten Brille und Schmetterlingen im Bauch war unsere Sehnsucht auch nach stetigen Besuchen und beruflichen Projekten meines Mannes Michael über 15 Jahre hinweg ebenfalls aus Emotionen gewachsen. Wir liebten die landschaftliche Weite, die Naturbelassenheit, die wunderschöne abwechslungsreiche Natur aus Schären, Inseln, weich umspülten Steinlandschaften in den Küstengebieten des Skagerraks, endlos bewaldete oder schneebedeckte Berglandschaften und das horizontale Farbspiel der kühlen Blautöne in Kombination mit tiefen Grün- und Naturtönen, durchgespickt mit schneeweißen oder strahlend gelben, blauen oder typisch roten Holzhäusern.
Inspiriert von diesen Bildern hatten wir für unsere Kinder in den beiden Schwangerschaften lange nach passenden Namen aus dem skandinavischen Sprachraum gesucht. Für unseren heute 14-jährigen Sohn hatten wir den Namen Sverre gefunden, den wir vor 15 Jahren einem 55-jährigen Geschäftspartner meines Mannes abgeluchst hatten. Dieser Name war in Süddeutschland – soweit wir wissen – einzigartig. Sverre hatte sich aber auch in den Jahren nach seiner Geburt etlichen Verständnisfragen der vor allem älteren Generation in unserem 3000 Einwohner kleinen schwäbischen Wohnort stellen müssen. Seit seinem Kindergartenalter hatte er feststellen müssen, dass er seinen Namen auf mehrmalige Nachfrage sogar in Silben sprechen oder gar buchstabieren musste. Nicht selten hatten zunächst ich und später Sverre die skandinavische Herkunft seines Namens erklärt, damit so manch einer dem kleinen Kind auch glaubte, dass er seinen eigenen Namen richtig aussprechen und später buchstabieren konnte. Bei neuen Bekanntschaften war dies schon stets zur Gewohnheit geworden und nicht zuletzt im Zuge des Homeschoolings und Onlineunterrichts hatte die Mathematikreferendarin der achten Klasse meinen Sohn sogar zu aller Belustigung als »die Sverre« aufgerufen. Unser Sohn war zum Glück schon als kleiner Bub selbstbewusst und gelassen und mit all seinen Mitmenschen außerhalb der Kernfamilie geduldig und verständnisvoll gewesen. Dies hatten wir ihm unter anderem deshalb groß angerechnet, weil wir in der Alltagsgesellschaft von Schule und Beruf erkennen mussten, dass auch in Norwegen dieser Name, vergleichbar mit Franz und Ernst in Deutschland, eher der älteren Generation zugeschrieben wird. So war das herzliche Aufnehmen unseres Sohnes in der Vergangenheit bis hin zur Gegenwart dann doch seiner angenehmen Persönlichkeit geschuldet.
Jeder kann sich denken, dass wir wenige Jahre später bei der Geburt unserer Tochter diese Geschichte nicht hatten wiederholen wollen. Doch war ich bei dem ersten Besuch im Naturkundemuseum der Landeshauptstadt Stuttgart am Löwentor vor der Wand der Fossilien nahezu sprachlos gewesen, als insgesamt drei kleine Mädchen im Alter eines laufenden Meters innerhalb von zehn Minuten von ihren Müttern jeweils mit Ronja angesprochen worden waren. Auch der Fakt, dass die beiden anderen Mütter auf die rechtschreibliche Genauigkeit ihrer individuellen Namensgebungen »Ronia« und »Ronya« hingewiesen hatten, hatte mich nur schwer von meinen Gedanken abgelenkt, dass unsere Tochter ein Schülerinnenleben lang eins der Kinder mit einem notwendigen Zusatz wie einer Zahl oder dem Nachnamen bei der Ansprache über sich ergehen lassen müsste.
Meine Befürchtung war jedoch bis jetzt weder in Deutschland noch in Norwegen eingetroffen. Ronja war und ist ein populärer Name in Schweden, nicht in Norwegen.
Teilzeitfamilienglück
Die gesammelten Erfahrungen der letzten 15 Jahre bei den Aufenthalten in Norwegen waren durchweg positiv. Auch ein längeres Verweilen in Norwegen konnte ich mir schon lange vorstellen, da mein Mann Michael bereits vor der Geburt unseres Großen in der südlichen Küstenstadt Kristiansand mit über 50 000 Einwohnern in der Region Agder gearbeitet hatte. Als Tunnelbauingenieur war er in den Ausbau der neuen Autobahn E18 involviert gewesen. Das Ausbauprojekt der Verbindung von Kristiansand nach Grimstad Richtung Oslo, ein Zusammenarbeitsprojekt einer deutschen und einer dänischen Baufirma, hatte dabei nicht nur meinem Mann, sondern auch unserem Sohn gefallen. Sverre hatte mehr Zeit seiner ersten beiden Lebensjahre auf diesem riesigen Spielplatz mit Dutzenden vier Mann hohen Kipplastern, gewaltigen Bohrmaschinen, gigantischen Kränen sowie unzähligen Sprengungen mehrerer Tunnel durch massives Felsgestein entlang der Küste als anderswo in Norwegen verbracht und jeder Besuch auf dieser riesigen Baustelle hatte ihn sehr glücklich gemacht.
Mehr als zehn Jahre später hatten wir uns ein Leben zwischen dem Norden und der Mitte Europas perfekt eingerichtet. Wir pendelten zwischen unserem Haus in Deutschland und den im klaren skandinavischen Stil eingerichteten Mietwohnungen in Norwegen. Ersteres war von einer hiesigen und vor allem verlässlichen Baufirma Stein auf Stein nach individueller Planung gebaut worden. Es stand mit einem wunderschönen Garten hangabwärts gerichtet am Rande einer kleinen Gemeinde. Der traumhafte Ausblick über Ort, Tal, Hänge und Obstwiesen war unbezahlbar. Hoch im Norden waren die verschiedenen und geräumigen Wohnungen in Stavanger und bei Ålesund an der Westküste Norwegens, in einer Stadt südlich von Oslo und in der schwedischen Hauptstadt Stockholm unser zweites Zuhause. Sie waren meist vom Vermieter vollmöbliert an Michael vermietet worden und wir fühlten uns an jedem dieser Orte sehr wohl.
Urlaub in der Natur Norwegens
Unsere nun mittlerweile vierköpfige Familie konnte sich in den letzten Jahren regelmäßig sehen, denn Michaels Arbeit ließ alle zehn Tage eine viertägige Abwesenheit Michaels von seiner Baustelle zu. Routiniert flog er wöchentlich mit den zwei bekanntesten Fluggesellschaften Nordeuropas, mit Cityhoppern oder anderen passenden Flugzeugtypen, und landete in Stuttgart für die gemeinsame Familienzeit. Bahn oder Leihwagen überbrückte gewöhnlich den Weg bis nahezu vor die Haustür zu uns ins Grüne. Dabei sammelten sich so viele Flugmeilen an, dass das Reisen über den Wolken vor allem bei den von und nach Stuttgart nötigen Zwischenlandungen in Amsterdam oder Kopenhagen sehr ansprechend durch die silberne und später goldene Kundenkarte in den ruhigen und sehr angenehm eingerichteten Lounges mit kleinen Aufmerksamkeiten vom Fingerfoodbüfett und mit Getränken versüßt werden konnte. Auch die Stromversorgung der digitalen Geräte war dort an jedem Einzelplatz gewährleistet, was wiederum das Arbeiten in den Wartezeiten ermöglichte. So konnte Michael An- und Abreisetage, wenn der Flug in den späten Abend- oder frühen Morgenstunden stattfand, als fast normale Arbeitstage nutzen.
Glücklicherweise ließ zu jener Zeit auch meine Arbeit das rege Reisen in den vielen Ferienwochen zu. In fast allen Ferien besuchten wir dann wiederum die Baustellen und lernten auch die Umgebung und vor allem den Süden Norwegens im Inland – eher abseits der touristischen Hauptrouten – wie den Eidfjord und die Ebenen des Hardangervidda kennen. Besonders gerne stapften wir ausgiebig auf den unzähligen markierten und digital in der am meisten verbreiteten Wander-App kartierten Wegen. Bei diesen Halbtages- oder Tagestouren folgten wir vor allem dem roten Toder wenigstens den zuverlässig rot markierten Felsen und Bäumen in der Gegend rund um Stavanger. Wanderwege von mehreren hundert Metern Höhenunterschied und Gipfelerlebnisse mit Ausblick über tiefe Täler und Hügelketten bis in die blauen Fjorde oder bis hinunter zur Nordsee gefielen uns am besten. Manchmal badeten wir im kristallklaren Wasser der unzähligen und meist mit eiskaltem Schmelzwasser gefüllten Höhenseen. Das war natürlich noch nichts gegen den eisbadenden Norweger. Aber einsame Naturerlebnisse mit Freiheitsgefühl und die Weitläufigkeit waren ganz nach unserem Geschmack. Hätten Sehschärfe und Sicht einen Blick über mehr als 500 Kilometer gen Westen zugelassen, hätten wir die jungsteinzeitlichen Monumente auf den nördlich vom schottischen Festland liegenden Orkney Islands betrachten können. Stattdessen schweifte unser Blick über die...
Erscheint lt. Verlag | 4.5.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-7562-9789-6 / 3756297896 |
ISBN-13 | 978-3-7562-9789-4 / 9783756297894 |
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