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Weimar unter Palmen - Pacific Palisades (eBook)

Die Erfindung Hollywoods und das Erbe des Exils
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
272 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60212-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Weimar unter Palmen - Pacific Palisades -  Thomas Blubacher
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Von Glamour und großen Geistern Wo man ab 1911 im modernsten Filmstudio Amerikas Western drehte und 1922 das größte christliche Zentrum der Welt errichten wollte, versammelten sich nach 1933 emigrierte KünstlerInnen und Intellektuelle wie Thomas Mann, Vicki Baum und Lion Feuchtwanger. Sie machten Pacific Palisades zu einem »Weimar unter Palmen«. Dieses Buch erzählt die dort bis heute lebendige Geschichte des deutschsprachigen Exils, entwirft ein farbenfrohes Sittengemälde Hollywoods und nimmt uns mit auf eine Reise zu diesem besonderen Ort. 

Thomas Blubacher, 1967 in Basel geboren und promovierter Theaterwissenschaftler, ist als freier Autor und Bühnenregisseur in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA tätig. Er publizierte mehrere Bücher, u.a. Biografien über die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, Gustaf Gründgens, Ruth Landshoff und Ruth Hellberg. Neben seiner »Gebrauchsanweisung für Kreuzfahrten« liegen bei Piper auch seine »Gebrauchsanweisung für das Tessin« und »Gebrauchsanweisung für Bali« vor. Er ist bereits mehr als 60 Mal auf Schiffen aller Größenordnungen in über hundert Länder gereist. Zuletzt erschien bei Piper »Weimar unter Palmen - Pacific Palisades«.

Thomas Blubacher, 1967 in Basel geboren und promovierter Theaterwissenschaftler, ist als freier Autor und Bühnenregisseur in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA tätig. Er publizierte mehrere Bücher, u. a. Biografien über die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, Gustaf Gründgens, Ruth Landshoff und zuletzt Ruth Hellberg. Neben seiner »Gebrauchsanweisung für Bali« liegt bei Piper auch seine »Gebrauchsanweisung für Kreuzfahrten« vor. 2002 war er Stipendiat der »Villa Aurora« und verbrachte mehrere Monate im kalifornischen Pacific Palisades.

Ein wahres Schloss am Meer


Die Luft ist frühlingshafte 22 Grad mild, es riecht nach Bougainvilleen und frisch geschnittenem Gras. Kolibris schwirren durch den blühenden Garten der Villa Aurora. Bei mir zu Hause in Basel zeigt das Thermometer jetzt, im Januar 2002, zehn Grad minus. In New York, wo ich einen Zwischenstopp eingelegt habe, um in der Public Library für mein Projekt zu recherchieren, die erste Biografie der 1935 ins amerikanische Exil gegangenen Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, war es in den letzten Tagen kaum wärmer. Von meinem Fenster blicke ich vorbei an einem schattenspendenden Eukalyptusbaum und zwei hohen, dünnen Palmen, wie sie das bekannte Straßenbild von Los Angeles prägen, auf die Bucht von Santa Monica, deren Lichter nachts funkeln, und auf den spiegelglatten, offenbar wirklich stillen Ozean. Hier, im unmittelbar am Meer gelegenen Stadtteil Pacific Palisades, ist von der berüchtigten dicken Dunstglocke der Stadt der Engel nichts zu sehen.

Die im spanischen Kolonialstil erbaute Villa, in der ich drei Monate lang als writer-in-residence wahrlich residieren darf, wirkt unscheinbar vom Paseo Miramar aus, einer Serpentinenstraße, die sich, kurz bevor der Sunset Boulevard auf die Küste stößt, rechter Hand den steilen, von Büschen bewachsenen Hügel hinaufwindet. Von der schmalen Pforte mit der Hausnummer 520 führt eine Treppe hinab zu einem mit Azulejo-Mosaiken versehenen Patio. Erst drinnen und von der Südseite her eröffnet sich die imposante Dimension: 14 Zimmer mit 622 Quadratmetern Wohnfläche, die sich über drei Etagen erstrecken, auf einem 1765 Quadratmeter großen Grundstück. »Ein wahres Schloss am Meer«,[1] staunte Thomas Mann, und Hermann Kesten bemerkte ironisch: »So sollten Schriftsteller wohnen, […] mit zwanzig Zimmern, mit 11 Tausend Büchern […], einem hügeligen Park mit zwei Acres, einer Sekretärin und einer Frau, die kocht, gärtnert, bäckt, chauffiert und dem großen Dichter aufs Ergebenste dient, was für ein Leben.«[2] Jetzt wohne also ich dort, zusammen mit einer kasachischen Komponistin und einem österreichischen Filmemacher, ohne Sekretärin und Frau natürlich, aber der Garten wird von Juan gepflegt, die famose Betty hält unsere Zimmer in Ordnung – die beiden sind aus Mexiko und Guatemala immigriert –, und unter der Woche kümmern sich Joachim und Claudia im Büro um sämtliche Wünsche. In der Tat: Was für ein Leben.

Vor 60 Jahren war die Villa Aurora einer der wichtigsten Treffpunkte europäischer und amerikanischer Intellektueller. Zu Marta und Lion Feuchtwangers Gästen zählten neben Thomas Mann dessen Bruder Heinrich, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Bruno Frank, Franz Werfel mit Gattin Alma Mahler-Werfel, Arnold Schönberg und Kurt Weill, Ludwig Marcuse und Max Horkheimer, Charles Laughton, Peter Lorre, Ingrid Bergman und Charles Chaplin. Jetzt schlafe ich in Lion Feuchtwangers Bett. Der Schreibtisch, an dem ich arbeite, gehörte einst Franz Werfel. Er saß daran, als sein Herz zu schlagen aufhörte und er von seinem Drehsessel auf den Boden sank. Viele Jahre später wurden Werfels Möbel ebenso in die Villa Aurora gebracht wie ein mäßig bequemes Sofa Hanns Eislers. Auf dem Blüthner-Flügel von Ernst Toch spielt meine Mitstipendiatin, deren künstlerische Kompromisslosigkeit von der Presse gerühmt wird, nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur für uns, leicht konsumierbare Songs von Mariah Carey, aufmerksam beobachtet von Toch, dessen von Gustav Mahlers Tochter Anna geschaffene Büste auf einem Sims steht. Daneben zeigt eine weiße Schrift auf grünem Grund den Weg ins Exil. Heiner Müller, der 1995 als erster Gast die frisch renovierte Künstlerresidenz sozusagen trockenwohnte, machte mithilfe von Tesafilm aus dem »Exit« des Notausgangzeichens ein »Exil«. Das Exil als Notausgang, der Notausgang ins Exil. Die 34-registrige Unterhaltungsorgel, die erst noch wieder nutzbar gemacht werden wird, stand von Anfang an hier; einst diente ein solches Instrument als Statussymbol wie später ein Swimmingpool. Hanns Eisler intonierte darauf anlässlich von Feuchtwangers Einzug Üb’ immer Treu und Redlichkeit.

Auch 22 000 Bände aus Feuchtwangers letzter Bibliothek sind in der Villa Aurora geblieben, nur die 8000 wertvollsten Bücher, darunter eine Nürnberger Chronik aus dem Jahr 1493, hat man in der University of Southern California untergebracht. In einer Vitrine werden Feuchtwanger-Memorabilien aufbewahrt: ein Medikamentenfläschchen, ein Brieföffner, Papierscheren, ein Tintenfass, ein Tintenlöscher, eine Lackschatulle, ein kleines Metallkästchen und das Große Bundesverdienstkreuz, mit dem Marta Feuchtwanger 1966 geehrt wurde. Auf einem Zettel kann man in Feuchtwangers Handschrift lesen: »Ich bin ein deutscher Schriftsteller, / Mein Herz schlägt jüdisch, / Mein Denken gehört der Welt.« Doch wie in einem Museum fühlen wir uns in der Villa Aurora keine Sekunde. Nur als wir ein in die Jahre gekommenes Schnapsglas fallen lassen, durchzuckt uns der beschämende Gedanke, dass es mit ziemlicher Sicherheit Marta gehörte und vielleicht schon Einstein oder Brecht daraus getrunken haben.

Ihre Geister lassen uns in Frieden. Die großen Namen, die uns begegnen, sind andere. Pacific Palisades, das mit seinen 27 000 Seelen wie eine beschauliche Kleinstadt wirkt, mit drei Supermärkten, sieben Tankstellen, keinem Kino, aber immerhin einer bis spätabends geöffneten Buchhandlung im überschaubaren, bezeichnenderweise »The Village« genannten Zentrum, ist der Wohnort der Reichen und Berühmten. Michael Douglas, Nicole Kidman und Arnold Schwarzenegger sollen hier leben, höre ich, Anthony Hopkins, Sylvester Stallone und Whoopi Goldberg. Tatsächlich sitzt Tom Hanks im Starbucks-Café, wo ich einen Americano trinke, und an der Kasse von Gelson’s wartet Steven Spielberg. Aufgrund seiner abgeschiedenen Lage bietet Pacific Palisades ausreichend Privatsphäre. Anders als in Beverly Hills fahren durch die Straßen keine Busse auf stargazing tour, mit Neugierigen, die die Palazzi der Prominenz ablichten wollen und aufgeregt in jedem Gärtner eine Celebrity vermuten, auch Paparazzi lauern nur selten auf Beute. Wer hier wohnt, hat ohnehin regelmäßig mit Menschen, die die meisten nur von der Leinwand kennen, zu tun, sei es beruflich, sei es beim Elternabend in der Schule.

In einem Nachbarhaus der Villa, in das wir Stipendiaten eingeladen werden, um dort beim unbezahlbaren Blick über das Lichtermeer von L. A. den von einem mexikanischen Dienstmädchen servierten Kaviar in für uns gleichfalls unbezahlbaren Mengen zu löffeln – ein beinahe surreales Erlebnis –, bemühe ich mich um den sozial erforderlichen Small Talk mit einer jungen Frau, die neben mir auf der Couch lümmelt. Ich lobe die bis hin zum passenden Coffee Table Book konsequent balinesische Einrichtung. Meine Gesprächspartnerin bedankt sich, als hätte ich ihr ein Kompliment gemacht, und tatsächlich zeichnet Constance für das interior design verantwortlich. Das alles sei noch ganz neu, viele Häuser würden alle paar Monate anders möbliert und umdekoriert, zurzeit kümmere sie sich um das Anwesen von Sharon Stone. Als ein anderes Mal die Rede auf Tom Cruise kommt, fragt mich Doug, ein arrivierter junger Dramatiker, der gerade an einem Stück über den einst mit Francesco von Mendelssohn befreundeten Pianisten Vladimir Horowitz arbeitet und bei dem ich einige der interessantesten Künstler von L. A. kennenlerne – die meisten links, jüdisch und schwul –, ganz lapidar, ob ich den Megastar treffen möchte: »Shall I call him?« Viel wichtiger ist mir, dass ich Mickey Rooney kennenlernen darf, der vor fast einem Menschenleben, vor 67 Jahren, in Max Reinhardts A Midsummer Night’s Dream den Puck spielte.

Schon lange vor meiner Ankunft habe ich gelesen, dass Alfred Döblin einst über die »furchtbare Gartenstadt«[3] jammerte und Vicki Baum monierte, man könne nicht zu Fuß unterwegs sein, ohne sich verdächtig zu machen – was Thomas Mann indes nicht vom täglichen Spaziergang durch die Palisades abhielt. Also miete ich einen tomatenroten Mitsubishi, und schon bald habe ich mich nicht nur an den anfangs für mich beängstigenden Verkehr auf den vielspurigen Highways gewöhnt, sondern auch daran, fast täglich Strecken zurückzulegen wie sonst nicht in Wochen. Autofahren ist in Los Angeles eine Lebensform. Den linken Arm aus dem auf Knopfdruck heruntergefahrenen ...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Schlagworte Alfred Döblin • Babylon Film • Bertolt Brecht • Buch • Bücher • Emigration • Emil Ludwig • Erika Mann • erzählte Geschichte • Exil • Exilanten • Exilliteratur • Franz Werfel • Hanns Eisler • Hedy Lamarr • Heinrich Mann • Hollywood • Klaus Mann • Komponisten • Künstler • Lion Feuchtwanger • Los Angeles • Marten Koslek • Max Horkheimer • Max Reinhardt • Musiker • Pacific Palisades • Philosophen • Regisseure • Salka Viertel • Schriftsteller • Theatermacher • Thomas Mann • Vicki Baum • Weimarer Republik
ISBN-10 3-492-60212-6 / 3492602126
ISBN-13 978-3-492-60212-9 / 9783492602129
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