Die Sirenen des Titan (eBook)
352 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-29718-3 (ISBN)
Der große Klassiker der modernen amerikanischen Science-Fiction Literatur, neu überarbeitet und mit einem Vorwort von Denis Scheck
Kurt Vonnegut (11.11.1922 - 11.04.2007) meldete sich nach seinem Biochemiestudium freiwillig zur U. S. Army und nahm 1944 an der Ardennenoffensive teil. Er geriet in Kriegsgefangenschaft und kam nach Dresden, wo man ihn und seine Mitgefangenen in einem Schlachthof unterbrachte. Die Bombardierung Dresdens verarbeitete Kurt Vonnegut später in seinem bekanntesten Roman »Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug«, der sich bis heute weltweit millionenfach verkauft. Nach seiner Befreiung und Rückkehr in die USA erschien 1952 sein erster Roman »Player Piano«, 1959 folgte »Die Sirenen des Titan«, der von Harry Rowohlt ins Deutsche übertragen wurde. Bis zu seinem Tod lebte und arbeitete Kurt Vonnegut in New York. Er starb am 11. April 2007 im Alter von 84 Jahren.
VORWORT
von Denis Scheck
Klappen Sie dieses Buch sofort zu! Stellen Sie es zurück ins Regal. Legen Sie aus der Hand. Halten Sie möglichst großen Abstand dazu. Denn dies ist eines jener raren Bücher, die Ihr Leben entscheidend und unwiderruflich zu verändern imstande sind. Wer nicht dazu bereit ist, seine Wertvorstellungen erschüttern, sein Moralempfinden auf den Kopf stellen, ja sein Leben komplett umkrempeln zu lassen, der sei vor der Lektüre von Kurt Vonneguts Die Sirenen des Titan nachdrücklich gewarnt.
Kurt Vonnegut und sein deutscher Übersetzer Harry Rowohlt sind zwei der populärsten und heißgeliebtesten Schriftsteller ihres Sprachraums. Sie sind dazu geworden, weil sie auf die Zumutungen der Welt mit Witz reagierten. Weil sie sich keinen Sand in die Augen streuen ließen. Weil sie den billigen Trost der gängigen Religionen zurückwiesen. Weil sie auch auf die Heilsversprechungen der Politik und Ideologien skeptisch reagierten. Weil sie gegen die Gebetsmühlen des Zeitgeists revoltierten und keine Wahrheiten ungeprüft zu übernehmen bereit waren. Ihre Vorbilder hießen Jonathan Swift, Voltaire und Mark Twain.
Ich hatte das Vergnügen, Harry Rowohlt und Kurt Vonnegut über Jahre persönlich zu kennen. Angesichts der Hunderte von Autorinnen und Autoren, denen ich seither begegnen durfte, verblüfft mich nach wie vor, wie sehr bei Harry Rowohlt und Kurt Vonnegut Mündlichkeit und Schriftlichkeit zusammenfielen. Beide besaßen einen unverkennbaren Sound. Beide sprechen ihre Leserinnen und Leser in ihren Texten unmittelbar an. Harry Rowohlt war auch privat ein genialer Stimmenimitator und Witzeerzähler; bei allen meinen Gesprächen mit Kurt Vonnegut beeindruckte mich am meisten die auffällige Übereinstimmung zwischen Vonneguts Art zu reden und seiner Art zu schreiben. Eine solche totale Kongruenz zwischen Gesprochenem und Geschriebenem ist mir seither nie wieder begegnet. Wie in den Kurzkapiteln seiner Romane lief fast alles, was Vonnegut erzählte, auf eine Pointe hinaus, die nicht selten im rauen, kurzatmigen Gelächter und Gehuste des Kettenrauchers unterzugehen drohte.
Ich begegnete Vonnegut zum ersten Mal in New York im Hotel Excelsior 1992; drei weitere Treffen fanden im Lauf des folgenden Jahrzehnts in seinem Haus in Manhattan auf der East 48th Street an der Fifth Avenue statt. Vonnegut war ein großer, schlanker Mann, der mit seiner dichten Lockenmähne, dem Schnurrbart und dem zerknautschten, faltenüberzogenen Gesicht aussah wie einer der schrulligen Typen auf Gemälden Norman Rockwells. Bei all meinen Besuchen brachte ich ihm eine Stange Pall Mall ohne Filter mit, die Zigarettenmarke, über die er in seinen Büchern immer wieder schrieb, das verhasst-geliebte Gift, mit dem er über fünfzig Jahre lang Selbstmord auf Raten beging. 1984 versucht Vonnegut, dessen Mutter sich im Alter von 56 Jahren am Muttertag 1944 das Leben genommen hat, ebenfalls mit einer Überdosis Tabletten, diesen Selbstmord zu beschleunigen – der erste einer Reihe von Suizidversuchen, ein gefundenes Fressen für die New Yorker Klatschpresse, ebenso wie die öffentlich zelebrierten Krisen in seiner zweiten, am 24. November 1979 geschlossenen Ehe mit der Fotografin Jill Krementz, mit der er, allen Auseinandersetzungen zum Trotz, bis zum Ende seines Lebens verheiratet bleibt. Noch sein Tod liefert Stoff für die Boulevardpresse. Vonnegut stolpert Mitte März 2007 beim Gassigehen über die Leine seines schneeweißen Malteserhündchens Flour und zieht sich auf der Treppe zu seinem Brownstonehaus eine schwere Kopfverletzung zu, an deren Folgen er vier Wochen später stirbt, ohne aus dem Koma zu erwachen. Auf derselben Treppe hatte er mir und einer Freundin einige Jahre zuvor in überraschend gut verständlichem Deutsch und mit einer hellen Baritonstimme zum Abschied deutsche Volks- und Studentenlieder vorgesungen: »Wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit«, »Am Brunnen vor dem Tore«, »Die Gedanken sind frei« …
»Ich bin Skeptiker, kein Zyniker, ich misstraue nicht den Motiven der Menschen, sondern ihrer Intelligenz.« Diesen Satz spricht Kurt Vonnegut schon bei unserer ersten Begegnung in mein Radiomikrofon, als ich ihn um ein paar Worte zum Aussteuern des Bandgeräts bitte. Mich verblüffte, wie unvermittelt er die Ebene des Smalltalks verließ, wie übergangslos er von Banalem zu Tiefsinnigem kam. Doch dieser abrupte Wechsel zwischen E und U hatte offenbar Methode. Dieser Registerwechsel war ein früh eingeübtes Mittel zur Erzeugung von Aufmerksamkeit, mehr noch, ein ehernes Erzählprinzip Vonneguts. Daraus resultiert ein Teil der bitteren Komik seiner Romane, nicht zuletzt von Die Sirenen des Titan. Im Original veröffentlicht Kurt Vonnegut diesen Roman 1959; es ist insbesondere in den Kapiteln über die Invasionsarmee auf dem Mars sein erster Versuch, über seine traumatisierenden Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg zu schreiben.
Für Vonnegut sind Die Sirenen Titan ein Durchbruch zu der Schreibweise, die sein gesamtes folgendes Werk charakterisiert: auf zahlreichen ineinandergreifenden Erzählebenen wird eine Geschichte berichtet, deren kosmologische Dimensionen alles irdische Geschehen relativieren. Es geht um den reichsten Menschen der Welt – die Ähnlichkeiten zwischen Malachi Constant und Elon Musk werden heutige Leserinnen und Leser verblüffen –, um einen weltraumfahrenden Ostküsten-Gentleman, dessen in einem Kokon von Vorrechten und Vorurteilen gefangene Ehefrau, dessen Hund, einen Krieg zwischen zwei Welten und nicht zuletzt um einen Außerirdischen namens Salo, der in grauer Vorzeit von seinem Heimatplaneten Tralfamadore den Auftrag erhält, eine wichtige Botschaft an den Rand des Universums zu befördern. Ich wäre ein Schuft, wenn ich Ihnen über die irrwitzigen Kapriolen der Handlung des vor Ihnen liegenden Romans mehr verriete. Aber es lohnt vielleicht zu fragen, wozu Kurt Vonnegut das Alien Salo und dessen Heimatplaneten Tralfamadore braucht. Tralfamadore liefert Vonnegut den Blick von außen, eine Perspektive, die es ihm erlaubt, jedweden Glauben an eine Zielgerichtetheit der menschlichen Geschichte ad absurdum führen zu können. Es ist das gleiche erzählerische Verfahren, das der große Misanthrop Jonathan Swift in Gullivers Reisen benutzt. Diese phantastischen Elemente sind bei Vonnegut jedoch nie Selbstzweck; so utopisch oder bizarr der Handlungsrahmen anmutet, seine Geschichten sind fest im Hier und Jetzt verankert, Referenzebene ist stets die Lebenswirklichkeit von heute. Es waren in erster Linie kommerzielle und weniger ästhetische Bedenken, die Vonnegut Einspruch erheben ließen, wenn man ihn als Science-Fiction-Autor bezeichnete. Nur weil er Technik zur Kenntnis nehme, so Vonnegut in einem Essay von 1965, werde er in das Schubfach »Science-Fiction« gesteckt, und da fühle er sich eben unwohl, zumal es für manche seriöse Literaturkritiker als Pissbecken herhalten müsse.
Lohnender als die Erörterung, welchen Platz Vonnegut im Kosmos der Science-Fiction einnimmt, ist die Frage, welches die prägenden biografischen Erfahrungen sind, die er in seiner Literatur verarbeitet. Bis Ende der 50er Jahre stehen in Vonneguts Erwerbsbiografie drei kurze Zwischenspiele als Saab-Autohändler, Englischlehrer und Werbetexter. Doch die neben dem Feuersturm von Dresden prägendste Erfahrung für den Schriftsteller erwartet ihn am 15. September 1958, als sein Schwager Jim Adams bei einem Zugunglück in der Newark Bay ertrinkt und seine Schwester keine vierundzwanzig Stunden später im Krankenhaus an Brustkrebs stirbt. Das Ehepaar Adams hinterlässt vier Söhne im Alter zwischen zwei und vierzehn Jahren, die Jane und Kurt Vonnegut bei sich aufnehmen – wodurch sich die Zahl der Kinder im Haushalt der Vonneguts von einem Tag auf den anderen auf sieben erhöht. Die Verarmung seiner Familie, der Selbstmord seiner Mutter, der Feuersturm von Dresden, die Absurdität des Todes seiner Schwester und seines Schwagers – das sind die Schlüsselerlebnisse, die Vonneguts Weltanschauung prägen. Fast scheint es, als hätte Vonnegut die folgenden Jahrzehnte damit verbracht, auf der Suche nach der richtigen Kombination die Mosaiksteine seiner bisherigen Lebenserfahrung in seinen Romanen immer wieder umzuordnen und neu zu gruppieren. Fest steht, erst jetzt macht er mit der künstlerischen Umsetzung dieser Erlebnisse zum ersten Mal Ernst und beginnt, alle Vorstellungen von Kohärenz, Linearität und Teleologie zu hinterfragen, auf die die Mehrzahl seiner Zeitgenossen angewiesen sind, um sich einen Sinn in ihrem Leben vorzugaukeln.
Im Herbst 1944 war der damals zweiundzwanzigjährige Kurt Vonnegut von der Army als Gefreiter im 423. Regiment der 106. Infanteriedivision nach Übersee geschickt worden. Soldat Vonnegut erlebt in der Schnee-Eifel die größte Niederlage der amerikanischen Armee im Zweiten Weltkrieg. Die Ardennenoffensive am 16. Dezember 1944 reibt Vonneguts Einheit binnen weniger Tagen restlos auf. Hinter den deutschen Linien gerät er am 19. Dezember in Kriegsgefangenschaft. Mitte Januar wählt man Vonnegut für ein Arbeitskommando aus und schickt ihn nach Dresden, wo er zunächst Trümmergrundstücke und Schutt von den Straßen räumen muss, bis man ihn mit einigen anderen Kriegsgefangenen zur Zwangsarbeit in einer Fabrik heranzieht, die Malzsirup für schwangere Frauen herstellt. Vonnegut wird wegen seiner Deutschkenntnisse – er hat einiges in der Familie aufgeschnappt und auf Drängen seines Bruders Bernard gegen seinen Willen zwei Jahre Deutsch als Fremdsprache auf der Highschool belegen müssen – als Dolmetscher ausgewählt.
Dresden ist die erste europäische Großstadt, die Vonnegut zu Gesicht bekommt. Den Architektensohn beeindrucken die prächtigen...
Erscheint lt. Verlag | 15.3.2023 |
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Übersetzer | Harry Rowohlt |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Sirens of Titan |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Schlagworte | 2023 • Amerikanische Literatur • diezukunft.de • Douglas Adams • eBooks • Klassiker • literarische Science-Fiction • Neuerscheinung • Per Anhalter durch die Galaxis • Schlachthof 5 • Science-fiction • Science-Fiction-Klassiker |
ISBN-10 | 3-641-29718-4 / 3641297184 |
ISBN-13 | 978-3-641-29718-3 / 9783641297183 |
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