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SOHN oder: Orwellsche Odyssee -  S. Pomej

SOHN oder: Orwellsche Odyssee (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
316 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7557-7556-0 (ISBN)
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Was hat es mit den jungen Männern auf sich, die ohne Erinnerung in einer ländlichen Gemeinde auftauchen? Sind sie Opfer eines Experiments oder Agenten einer fremden Macht mit dem Auftrag zur Unterwanderung? Reto will sich Gewissheit darüber verschaffen und macht sich mit dem letzten Neuankömmling, den er Sohn nennt, auf eine Reise ins Unbekannte. Dabei treffen sie obskure Gestalten und erleben gefährliche Abenteuer. Die gemeinsame Odyssee nimmt ein erstaunliches Ende.

S. Pomej hat aus Interesse an der menschlichen Natur Psychologie studiert und lässt die erlernten Störungen plus eigener Erfahrung mit kranken Zeitgenossen, die immer wieder unerwünscht auftauchen, in spannende Bücher und Kurzgeschichten sowie lustige Comics einfließen. Website: https://pomej.blogspot.com/

1_Der Zwölfte


Heute kam schon wieder einer an, dem jede Erinnerung fehlt. Im wahrsten Sinne des Wortes ein Fremdkörper in unserer Gemeinde. Durchschnittlicher Junge, höchstens 20, mit pubertärem Teint, blond, schlank, ohne Schuhe, in einen grauen Overall gekleidet. Seine großen goldbraunen Augen sahen hilflos von einem zum andern und er versuchte vergeblich, mit seinen Lippen erklärende Worte zu formen.

"Ganz ruhig, du begreifst später, was mit dir passiert ist, setz dich erst einmal", sagte ich und nickte ihm zu. Dann prüfte ich seine Fußsohlen. Wie die andern vor ihm zeigten sie rote Schwielen. Er musste also länger über unwegsames Gelände gelaufen sein, womöglich die ganze Nacht. "Wie heißt du?"

Betrübt schüttelte er den Kopf.

"Woran kannst du dich erinnern?"

Man konnte ihm deutlich anmerken, wie er sich beim Nachdenken abmühte. Mit einer bleichen Hand fuhr er sich in einer Geste der Verzweiflung durch das fettige Haar. Seine Stirn legte sich in Falten, ohne dass sein junges Gehirn ihn zu einem Ergebnis brachte. Ausatmend schüttelte er wieder den Kopf. Wir standen noch abwartend um ihn herum. Leider vergeblich. Die Hunde kamen erst jetzt neugierig näher, diesmal hatten sie bei der Ankunft des Fremden nicht angeschlagen, was mich verwunderte. Das Alphatier fing zu knurren an.

"AUS", befahl ich.

Und wieder ist es morgens passiert. Kaum, dass die Sonne aufgegangen ist und den klaren Himmel erst orange, danach hellblau gefärbt hat, kam er hier an und nun guckte er, als sähe er zum ersten Mal menschliche Wesen. Immerhin Wesen, deren Sprache er verstand. Unsere beiden großen Schäferhunde ignorierten ihn merkwürdigerweise, während sie bei den anderen, die vor ihm zu uns kamen, immer geschnüffelt und gebellt haben. Nur der Dobermann, der geknurrt hatte, stellte die Nackenhaare seines Fells auf. Meine Frau und ich nahmen den blonden Burschen mit in unser Haus, die andern aus unserer Kommune gingen an die Arbeit. Jokubus zwinkerte mir noch vielsagend zu, während seine drei Brüder noch etwas murmelten, was wie ein Fluch klang. Der Blonde sah ihnen kurz nach, aber ohne eine Gefühlsregung.

Unser Haus inmitten des idyllischen Dorfes schien ihm zu imponieren, anerkennend sah er es vom Dach bis zu den Stufen, die zur Haustür führten, an.

"Das habe ich mit meinen eigenen Händen gebaut", ließ ich ihn wissen.

Er nickte beeindruckt.

"Und der Hilfe einiger Werkzeuge", vervollständigte meine Frau. Ihr rotes Kleid kombiniert mit ihrem schwarzen Haar verlieh ihr ein kämpferisches Aussehen.

Scheu betrat er unser Badezimmer, dessen weiße Fliesen ihn vielleicht an ein Krankenhaus erinnerten. Während er sich duschte, bereitete meine Frau alte Kleidung von mir für ihn vor. Ich brachte ihm eine weiße Unterhose, eine blaue Drillichhose und ein blau-schwarz kariertes Hemd sowie ein Paar graue Socken und bequeme Schuhe mit schwarzen Schnürsenkeln hinein. Auf ein frisches Handtuch platzierte ich Schwielensalbe und Mullbinden aus unserem reich bestückten Apothekerschränkchen. Skeptisch betrachtete ich ihn kurz durch den Plastikvorhang mit den großen Seesternen darauf. Er stand mit nach oben gerichtetem Gesicht und auf den Kopf gelegten Händen unter der Dusche, eine kleine Dampfwolke hatte sich über ihm gebildet. Das Wasser prasselte wie heftiger Regen auf ihn hinab, was er zu genießen schien nach seiner staubigen Reise. Ganz automatisch nahm ich seinen Overall mit hinaus und meine Frau suchte darin nach einem Label, fand jedoch keines. Genau wie bei den anderen zuvor konnte nicht festgestellt werden, woher die Kleidung stammte. Ich wies sie an, ihm Nahrung zur Auswahl in der Küche vorzubereiten.

Sollte ich wieder alle der Kommune über seine Ankunft verständigen, überlegte ich, ließ es dann doch bleiben. Diejenigen, die ihn gesehen hatten, würden den anderen schon Bescheid sagen. Unsere Ärztin, Frau Dr. Grenstad, konnte bei seinen Vorgängern keine physischen Verletzungen finden, die gewöhnlich für eine Amnesie verantwortlich gemacht werden konnten, also würde es bei dem hier auch nicht anders sein. In dem Moment, wo wieder ein neuer Junge in unsere kleine Gemeinde kam, wurde das Leben ein wenig komplizierter. Und ich wollte eigentlich ein einfaches ungestörtes Landleben haben. Wenn die anderen, die vor ihm kamen, auch bisher noch keinen Ärger gemacht hatten. Das konnte sich mit diesem Exemplar schnell ändern. Kaum, dass er das Wasser abgedreht hatte, begab ich mich in die Küche.

Meine Frau Sherisa nahm mich am Arm und flüsterte mir verschwörerisch zu: "Ist dir schon aufgefallen, dass immer, wenn einer bei uns auftaucht, die Planeten eine bestimmte Konstellation zeigen?"

"Ehrlich gesagt ist mir noch nicht einmal aufgefallen, dass du dich für die Konstellation der Planeten interessierst, meine Liebe."

"Immer bei Vollmond, wenn der Mars im achten Haus steht, erscheint so ein Bursche mit verlorenem Gedächtnis", eröffnete sie mir. "Ich begebe mich abends oft auf einen der umliegenden Hügeln und beobachte den Sternenhimmel. Ich weiß auch über Astrologie bescheid."

"Soso."

"Das könnte doch ein Zeichen sein."

"Ein Zeichen? Für wen?"

"Na, für uns doch wohl", sagte sie mit sanftem Nachdruck. "Außerdem hat er nach nichts gerochen. Nicht einmal nach Schweiß."

"Ja, merkwürdig."

"Wir sollten vorsichtig sein, es werden immer mehr."

"Immerhin machten uns die anderen bisher noch keine Schwierigkeiten", gab ich zu bedenken.

Mit dem ihr eigenen Fleiß hatte sie in der kurzen Zeit ein Omelett aus Eiern, Pilzen und Kräutern gezaubert, Apfelmus und gerösteten Speck sowie frittierte Kartoffelscheiben. Gerade schnitt sie ein großes Stück dunkles, selbst gebackenes Brot ab und legte es neben den Teller. Mit einem schon viel optimistischeren Ausdruck kam er zu uns, präsentierte sich fast stolz in seinen neuen Kleidungsstücken und setzte sich nach meinem kurzen Handzeichen an den Tisch. Er roch immer noch nach nichts, was hieß, dass er das Tannennadel-Duschgel meiner Frau nicht verwendet hatte. Sein blondes Haar wirkte nun duftig und er sah in seiner Gesamterscheinung gleich viel gepflegter aus.

"Alles für mich?", fragte er beinahe ungläubig, was mir zeigte, dass er bisher wohl nicht verwöhnt worden war.

"Sicher, bedien dich nur!", ermunterte ihn Sherisa.

"Danke!"

Es war immer spannend zu sehen, wonach sie zuerst greifen. Zu 90 % immer zum ungesunden Speck und den frittierten Kartoffelscheiben. Auch er verzehrte beides mit knuspernden Geräuschen. Dann brach er sich ein Stück des frischen Brotes ab und tauchte es in den Becher voll Milch, den ihm meine Frau neben seinen Teller stellte.

"Ich muss wieder zurück."

Das war neu, dass einer, noch bevor er uns alle kennenlernte, einfach zurück wollte.

"Aber du bist doch gerade erst gekommen", erinnerte ich ihn. "Von dem Teil des Landes, den wir scherzhaft Amnesia nennen."

"Amnesia? Nie gehört. Waren Sie schon mal da?"

"Zu gefährlich", gab ich zu, "von denen, die sich dorthin aufgemacht haben, ist keiner je wieder zu uns zurückgekommen."

"Das heißt doch nicht, dass es dort gefährlich ist", meinte er frech. "Das kann auch heißen, dass es dort so schön ist und sie deswegen dort geblieben sind."

"So? Und warum bist DU dann hergekommen?"

"Nur, weil ich nicht mehr weiß, wie es dort ist. Ich weiß nicht einmal, was sich unter den Wurzeln meiner Haare abspielt."

"Was suchst du bei uns?", fragte meine Frau ihn streng.

"Suchen?" Sein Blick wanderte kurz ins Leere, dann wieder in meine Augen. "Ja, vielleicht gehöre ich zu einer Suchmannschaft."

"Er redet auf einmal militärisch, das passt auch zu seiner Kleidung", raunte sie mir zu. "Reto, er und die vor ihm wollen uns sicher unterwandern. Wir sollten ihn-"

"Was?", fragte der Blonde, der sie nicht verstanden hatte.

"Ach, nichts!", herrschte sie ihn an.

Genauso streng wie sie fragte ich ihn: "Wenn du zu einer Suchmannschaft gehörst, so wie all die andern, die schon vor dir zu uns gekommen sind, wen oder was hat dann der Erste gesucht?"

"Andere sind schon vor mir hier angekommen?" Seine Augenbrauen hoben sich, drückten grenzenloses Erstaunen aus.

"Warst du immer allein oder im Verband mit anderen?"

"Ich glaube, ich bin allein gewesen", murmelte er nachdenklich, ehe er laut sagte: "Darf ich die andern sehen?"

"Komm mit!"

Willig folgte er mir zu dem Häuschen gleich neben der Kirche, wo seine Vorgänger alle untergebracht waren, und äußerte auf dem Weg eine kluge Überlegung: "Sie sagten, wen oder was der Erste gesucht hat? Was, wenn der Erste gar nicht der Erste war, sondern der Zweite. Und der Erste ging auf dem Weg hierher irgendwie verloren?"

"Gar nicht so dumm, was du da sagst."

"Ich habe zwar vieles vergessen, aber ich weiß einiges."

"Nur nicht den Grund, der dich zu uns trieb, was? Wir sind nur eine kleine rustikale Kommune."

"So? Sieht von oben größer aus."

Von oben? Was meinte er damit? Hat er unser Gebiet schon überflogen oder stand er auf einem der umgebenden...

Erscheint lt. Verlag 2.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
ISBN-10 3-7557-7556-5 / 3755775565
ISBN-13 978-3-7557-7556-0 / 9783755775560
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