Goldene Zeiten im Inselsalon (eBook)
448 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-25797-2 (ISBN)
Die hübsche, sensible Lissy macht in den Goldenen Zwanzigern auf Norderney eine Lehre im familieneigenen Friseursalon. Schon immer fühlt sie eine unbestimmte Sehnsucht, ihr fehlt etwas, das sie nicht benennen kann. Glamour und Elend liegen in diesen Jahren im Seebad nah beieinander. Lissys Mutter Frieda spezialisiert sich auf Bubiköpfe, ihre Freundin Grete hilft bedürftigen Kindern. Lissy aber wird das Inselleben zu eng. Nach ihrer Lehre darf sie in einem führenden Salon Berlins arbeiten, um sich den Feinschliff zu holen. Dort genießt sie ein ausgelassenes freies Leben und begegnet dem charismatischen Ivo Sartorius ...
Die Norderney-Saga von Sylvia Lott:
Die Frauen vom Inselsalon
Sturm über dem Inselsalon
Goldene Jahre im Inselsalon
Neue Träume im Inselsalon: in Vorbereitung
Die freie Journalistin und Autorin Sylvia Lott ist gebürtige Ostfriesin und lebt in Hamburg. Viele Jahre schrieb sie für verschiedene Frauen-, Lifestyle- und Reisemagazine, inzwischen konzentriert sie sich ganz auf ihre Romane, die regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste zu finden sind. Bei der Recherche zu einem ihrer Romane faszinierte sie die glanzvolle und wechselhafte Geschichte Norderneys und die Idee entstand, eine vierbändige Saga zu schreiben. Diese Reihe spielt rund um einen Friseursalon auf Norderney während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Frieda
Norderney, Februar 1920
Als Frieda am Morgen nach ihrer Hochzeitsnacht erwachte, glaubte sie einen Moment lang, sie befände sich auf dem Fischerboot ihres Vaters. Doch der vermeintliche Wellenschlag gegen schwankende Planken war in Wirklichkeit das Pulsieren ihres Blutes. In ihrem Schädel pochte es, sie hatte einen Riesenkater. Vorsichtig öffnete sie die Augen und blinzelte auf die andere Seite. Gott sei Dank – sie lag allein im Bett. Ihr frisch angetrauter Ehemann Paul hatte sich wie vereinbart, ohne sie zu bedrängen, für den Rest der durchfeierten Nacht in sein Zimmer zurückgezogen.
Sie setzte sich mit dem Rücken gegen das Betthaupt und stöhnte auf, weil nun wahre Wellenbrecher durch ihren Kopf krachten. Auf dem Nachttisch stand ein Glas Wasser, das sie gierig austrank. Allmählich beruhigten sich die schmerzenden Wogen. Frieda schloss erneut die Augen, dachte an die Ereignisse des Vortags und musste lächeln.
Geschafft! Sie durfte zufrieden sein. Der Inselsalon Fisser war gerettet. Sie brauchte keine Angst mehr zu haben, dass sie, ihre zehnjährige Tochter Lissy und ihre Schwiegermutter Jakomina demnächst auf der Straße stehen würden.
Ohne einen Friseurmeister hätten sie den Betrieb schon im kommenden Monat schließen müssen. Da sie es sich aber finanziell nicht leisten konnten, eine teure Fachkraft einzustellen, war es ihr wie ein Wink des Schicksals erschienen, als sie vier Monate zuvor in der Friseurzeitung eine ungewöhnliche Anzeige entdeckt hatte: Friseurmeister wünscht die Bekanntschaft einer Dame mit eigenem Friseursalon zwecks baldiger Heirat.
Rasch hatte sie geantwortet und bald darauf einige Auskünfte über den Kandidaten, einen Mann namens Paul Merkur, eingeholt. Er kam aus Lüneburg, war wie sie selbst dreißig Jahre alt und unversehrt, obwohl er vier Jahre als Soldat an der Westfront gedient hatte. Der elterliche Friseurbetrieb in Lüneburg hatte im letzten Kriegsjahr Insolvenz anmelden müssen, und seine Verlobte Rosemarie war schwanger geworden von einem älteren Bierbrauer. Im November hatte Frieda ihn zu einer Probearbeitswoche in den Inselsalon nach Norderney eingeladen. Sie hatte ihn in einem der Fremdenzimmer ihrer Eltern untergebracht, wo er, ohne es zu ahnen, die Charakterprüfung durch ihre Mutter, Meta Dirks, bestanden hatte. Seine fachlichen Leistungen waren ebenfalls überzeugend gewesen, und so hatte Frieda ihm am Ende der Probewoche ihre Bedingungen für eine Verbindung unterbreitet.
Auf jeden Fall wollte sie nach der Eheschließung im Salon weiterarbeiten, bei wichtigen Entscheidungen gefragt werden und gleichberechtigt mitbestimmen. Da sie ihren Beruf liebte und weiter ausüben wollte, wünschte sie vorerst keine Kinder. Nach der entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegszeit wollte sie endlich das Leben genießen – und an Weiterbildungskursen sowie Frisurenwettbewerben auf dem Festland teilnehmen. Sowohl aus Freude an der Herausforderung als auch weil sie hoffte, die eine oder andere Auszeichnung zu erhalten. Damit würde sich der Inselsalon weiterhin als der führende unter Norderneys Friseurläden behaupten können.
Vor dem Krieg hatten zur Stammkundschaft des Salonbegründers, ihres vor einem Jahr an der Spanischen Grippe verstorbenen Schwiegervaters Fritz Fisser, einheimische Honoratioren und vornehme Kurgäste beiderlei Geschlechts gehört, darunter kein Geringerer als der damalige Reichskanzler Bernhard von Bülow. Jeden Sommer pflegte er ihren Salon zu beehren. Frieda hatte ihm die Fingernägel manikürt, der Prinzipal sich um Haupthaar, Bartschnitt und Rasur gekümmert. Es galt also, einen Ruf zu verteidigen und ihn an die neue Zeit anzupassen.
Ihr erster Mann Hilrich Fisser, der 1916 an der Ostfront gefallen war, hatte ihr leider – obwohl sie die Leidenschaft für alles, was mit Haarkunst zusammenhing, verband – die Teilnahme an Fortbildungen und Wettbewerben nicht erlaubt.
Frieda sackte langsam tiefer und ließ den Kopf zurück aufs Kissen sinken. Sie zog die Decke hoch bis über beide Ohren, als könnte sie so die Gedanken verscheuchen, die sich ihr nun aufdrängten. Erinnerungen an ihren schönen, eleganten blonden Hilrich.
Sie hatten sich gemocht, geschätzt, ja, auch liebgehabt. Als Backfisch hatte sie sogar leidenschaftlich für ihn geschwärmt. Seiner heiteren, liebenswürdigen Art war es zu verdanken, dass der Inselsalon immer noch eine besondere Strahlkraft besaß. Der Kitt ihrer Ehe war jedoch ein doppeltes Geheimnis gewesen. Sie hatten einander versprochen zu schweigen. Darüber, dass ihre Tochter Lissy nicht sein leibliches Kind war. Und darüber, dass er in Wahrheit Männer liebte statt Frauen.
Ihr im Alltag recht harmonisches Verhältnis hatte erst Risse bekommen, als Hilrichs Wunsch nach einem Sohn immer dringlicher geworden, sie jedoch noch nicht bereit gewesen war. Eines Abends hatte er sich stark alkoholisiert gegen ihren Willen »sein Recht genommen«.
Körperlich war die Nacht folgenlos geblieben, seelisch nicht. Die Wut, der Ekel, das Gefühl der Demütigung und Hilflosigkeit, die sie durchlitten hatte, wirkten nach. Etwas in ihrer Beziehung war unwiederbringlich zerstört worden.
Aus diesem Grund enthielt der Ehevertrag, den Paul neulich bei einem Notar in der Stadt Norden hatte unterschreiben müssen, auch ausdrücklich die Klausel: Die Erfüllung ehelicher Pflichten setzt das Einverständnis beider Eheleute voraus. Gott, was hatte es sie für Überwindung gekostet, dieses Thema überhaupt zur Sprache zu bringen! Aber es war ihr gelungen. Und Paul hatte sich, sogar ohne große Überredungskunst ihrerseits, einverstanden erklärt.
In der vergangenen eisigen Februarnacht hatte er sie bei Mondschein auf dem schneebedeckten Rasen im Garten umarmt, gewärmt und geküsst, was ihr nicht unangenehm gewesen war. Doch dann hatte er ziemlich abrupt aufgehört und geflüstert, weiter ginge es erst, wenn sie ihn anflehen würde. In seinen Augen hatte sie ein kleines amüsiertes Glitzern beobachtet. Phh! Was der sich einbildete! Sie war nicht die Spur verliebt in diesen Kerl aus Lüneburg, der keinen Pfennig auf der Naht hatte.
Grete, ihre beste Freundin, die als einziger Mensch all ihre Geheimnisse kannte, verstand nicht, dass sie ihr Jawort ganz ohne Liebe gegeben hatte. Dabei war es ja nicht so, dass Frieda keine romantischen Gefühle kannte. Aber das Quantum, das ihr für dieses und mindestens zwei weitere Leben zur Verfügung stand, hatte sie bereits für den Mann aufgebraucht, der Lissys leiblicher Vater war. Fortan würde es ihr genügen, sich an den Liebesgeschichten anderer zu erfreuen. Vielleicht gelang es ihr deshalb so gut, Verliebte zusammenzuführen. Jedenfalls sagte man ihr nach, sie habe ein Talent zum Verkuppeln. Aber sie war eben auch Realistin, zumindest, soweit es ihr eigenes Leben betraf. »Es ist schon viel gewonnen, wenn ein Mann seine Frau nicht einschränkt, sondern sie einfach machen lässt«, hatte sie Grete zu erklären versucht.
Und was ist das gestern Nacht gewesen?, fragte sie sich. Als Paul ihr von der Tanzfläche aus zugezwinkert und wie sie, beschwingt von den schönen Aufregungen des Tages und schon reichlich beschwipst, auf einmal gedacht hatte: Na, das wollen wir doch mal sehen, wer hier wohl noch wen anfleht! Nein, das war ohne Bedeutung gewesen. Von einer solchen Stimmung fühlte sie sich an diesem Morgen himmelweit entfernt. Darum ging’s ja auch überhaupt nicht.
Frieda spürte Übelkeit aufsteigen. Hoffentlich hatte sie sich nicht zu viel zugemutet. Plötzlich wurde ihr erschreckend klar, dass sie gerade alles riskierte – für die Familie, den Salon und ihren Traum, sich in ihrem Beruf als Friseurin zu vervollkommnen. Es konnte durchaus schiefgehen. Was, wenn sich ihr neuer Ehemann als Tyrann, Nichtsnutz oder Nervensäge entpuppte? Wie sollten sie eigentlich ihre Abende verbringen? Vielleicht würden sie nur in der Stube sitzen, voller Anspannung oder gelangweilt, und sich nichts zu sagen haben.
Nein, nein, redete Frieda sich selbst Mut zu, du hast doch Menschenkenntnis. Jetzt ist erst mal wichtig, in diesen stürmischen Zeiten nicht unterzugehen. Alles andere wird sich finden. Du bist unter einer Glückshaube auf die Welt gekommen, vergiss das nicht, das wird dir auch diesmal helfen.
Wieder blitzten vor ihrem geistigen Auge Bilder vom Vortag auf. Sie sah Paul und sich im geschmückten Pferdeschlitten mit Glöckchenklang unter einem strahlend blauen Himmel auf der Promenade am Meer vorübergleiten. Wie märchenhaft schön der schneebedeckte Strand im Sonnenlicht geglitzert hatte … Und dann fiel ihr die Überraschung des Tages ein – ihr Lieblingsbruder Dodo war zurückgekehrt! Unverletzt aus der britischen Gefangenschaft in Scapa Flow. Die Familie hatte ihn nach seiner Rückkehr einige Tage lang versteckt gehalten, um ihn als das schönste Hochzeitsgeschenk zu präsentieren. Wie wunderbar!
Sie streckte sich. Auf einmal schienen alle Beschwerden wie weggeblasen. Dodo ging es gut, er lebte jetzt wieder mit ihnen auf der Insel. Frieda warf die Decke zur Seite und stand auf. Sorgfältig machte sie sich im Bad zurecht. Sie kämmte den flachsblonden Bubikopf, den Pony, kniff sich in die Wangen, gab einen Hauch Rouge darauf, puderte dezent die Stupsnase und tupfte etwas rosafarbene Lippenpomade auf den Mund. Sie nahm einen frisch gestärkten weißen Friseurkittel aus dem Schrank, um ihn nach dem Frühstück überzuziehen. Die Georgette-Bluse, die sie zu einem grauen Rock trug, schimmerte in sanftem Rosé. Dieser Farbton brachte das helle Blau ihrer Augen zum Strahlen. Hoffentlich wirkt es auch heute, dachte sie, als sie ins Erdgeschoss hinunterging.
In der großen Küche mit Gartenblick,...
Erscheint lt. Verlag | 22.2.2023 |
---|---|
Reihe/Serie | Die Norderney-Saga |
Norderney-Reihe | Norderney-Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2023 • Anne Jacobs • Berlin • beste Freundinnen • Bubikopf • Der Dünensommer • deutsche Familiengeschichte • Die Frauen vom Inselsalon • Die Inselfrauen • Die Tuchvilla • eBooks • Elbleuchten • Familiensaga • Frauenromane • Frauenunterhaltung Neuerscheinung 2023 • Freundinnen • Friseursalon • Frisuren • Gisa Pauly • historische familiensaga • Historische Liebesromane • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • Hochsteckfrisuren • Inselroman • Lehre • Lehrjahre • Liebesromane • Miriam Georg • Mutter-Tochter-Beziehung • Neuerscheinung • Norderney-Saga • Nordseeroman • Reichshauptstadt • Seebad • Spiegel-Bestseller-Autorin • Strand • Streit • Sturm über dem Inselsalon • Sylt Saga |
ISBN-10 | 3-641-25797-2 / 3641257972 |
ISBN-13 | 978-3-641-25797-2 / 9783641257972 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,8 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich