Wir Töchter von Sparta (eBook)
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46146-4 (ISBN)
Claire Heywood ist eine britische Autorin und Altertumswissenschaftlerin. Ihr Schreiben ist stark beeinflusst durch ihre Liebe zur griechischen Mythologie, ihr Wissen über antike Kulturen und ihre Faszination für die vergessenen Stimmen der Frauen. Wir Töchter von Sparta ist ihr erster Roman.
Claire Heywood ist eine britische Autorin und Altertumswissenschaftlerin. Ihr Schreiben ist stark beeinflusst durch ihre Liebe zur griechischen Mythologie, ihr Wissen über antike Kulturen und ihre Faszination für die vergessenen Stimmen der Frauen. Wir Töchter von Sparta ist ihr erster Roman. Katharina Naumann ist Autorin, Übersetzerin und freie Lektorin und lebt in Hamburg. Sie hat unter anderem Werke von Jojo Moyes, Anna McPartlin und Graham Norton übersetzt.
1
KLYTÄMNESTRA
Klytämnestra! Sei vorsichtig, Mädchen! Deine Spindel wackelt ja!«
Klytämnestras Blick wurde wieder klar, als sie ihren Namen hörte. Die Spindel vor ihr hüpfte auf und nieder, ihr sorgsam gesponnener Faden wurde ganz ungleichmäßig. Sie hielt sie mit der Hand an.
»Sieht dir gar nicht ähnlich, Nestra«, murmelte Thekla missbilligend und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Die Falte zwischen den Brauen ihrer Amme blieb, aber immerhin nannte sie sie wieder Nestra. Klytämnestra hatte ihren vollen Namen nie so recht gemocht – er war zu groß, zu sperrig –, aber sie mochte ihn noch weniger, wenn er tadelnd gesagt wurde. Es war ihre Schwester Helena, die begonnen hatte, sie Nestra zu rufen, als sie noch zu klein gewesen war, um den ganzen Namen auszusprechen, und seitdem war ihr die Abkürzung geblieben.
Helena saß jetzt neben ihr. Sie hatten den ganzen Nachmittag schon Wolle gesponnen. Klytämnestra hatte die ganze Zeit den Spinnrocken gehalten, jetzt schmerzte ihr Arm. Ihre Schwester sang vor sich hin und sah zu, wie ihre Spindel wirbelte und den Faden aufwickelte, und obwohl Helena eine schöne Stimme hatte, kannte sie den Text nicht ganz und wiederholte immer wieder die eine Strophe. Klytämnestra wünschte, sie würde aufhören.
Im Frauengemach war es halbdunkel, die Wände waren kahl, die Luft stickig. Als einer der Räume, die ganz im Inneren des Palastes lagen, hatte es keine Fenster, durch die das Tageslicht oder eine frische Brise hätten dringen können, um die dicke Luft zu verjagen. Es war Sommer, und die stehende Hitze wurde von den vielen Frauen und den Lampen und Fackeln im Gemach noch erwärmt, die ihre dunklen Köpfe und ihre weißen, arbeitenden Hände aufscheinen ließen.
Klytämnestras wollenes Kleid klebte an ihrem schweißnassen Rücken. Sie schaute über die Schulter zum am hellsten erleuchteten Winkel des Raumes. Dort standen die Webstühle, drei große hölzerne Rahmen mit halb fertigem Stoff darin. Nur an zweien von ihnen arbeiteten zurzeit die beiden kunstfertigsten Haussklavinnen. Klytämnestra schaute voller Bewunderung und Neid zu, wie sie die Schiffchen hin und zurück bewegten und Faden für Faden ihre schwierigen Muster aufbauten. Es war, als verfolgte sie einen hypnotisierenden Tanz oder das Spiel eines komplizierten Instruments.
»Weißt du«, hörte sie Theklas Stimme, »wir könnten es bald mit dem Weben versuchen.«
»Wirklich?«, fragte Klytämnestra, die sich vom Anblick der tanzenden Hände der Sklavinnen losriss.
»Du bist jetzt elf. In ein paar Jahren bist du verheiratet, und was wärst du für eine Ehefrau, wenn du nicht weben könntest?«
»Darüber würde ich mich sehr freuen«, erwiderte sie mit einem dankbaren Nicken. Am Webstuhl zu arbeiten, erschien ihr weit interessanter als das Spinnen.
Helena unterbrach ihren Gesang. »Darf ich auch weben?«
Klytämnestra verdrehte die Augen. Helena wollte immer das tun, was sie tat, obwohl sie zwei Jahre jünger war. Dabei hatte sie bisher nicht das geringste Interesse für den Webstuhl gezeigt.
»Ich glaube, du bist noch ein bisschen zu jung, Helena. Du wirst deine Chance schon früh genug bekommen.«
Helena zog einen übertriebenen Schmollmund und wandte sich abrupt wieder ihrem Spinnrocken zu. Klytämnestra wusste, dass sie den Grund für ihr Schmollen bald schon wieder vergessen haben würde. Ihr Gesicht würde sich entspannen, sobald die Bewegung der Spindel sie wieder in ihren Bann zog.
Die drei Frauen arbeiteten weiter, bis Thekla sagte: »Ich glaube, wir haben für heute genug gearbeitet. Geht ruhig los, ihr Mädchen, und sucht euch etwas zu essen.«
Klytämnestra unterbrach ihre Arbeit. »Können wir vor dem Abendessen nicht ein wenig draußen spielen? Es ist noch nicht dunkel. Ich halte es drinnen nicht den ganzen Tag aus.«
»Oh, ja, können wir?«, ließ Helena vernehmen.
Thekla zögerte. »Ich glaube schon«, seufzte sie. »Aber ihr müsst eine Sklavin mitnehmen, damit ihr nicht allein seid.«
»Aber wir sind doch zu zweit!«, protestierte Klytämnestra. »Es macht keinen Spaß, wenn jemand zusieht.« Sie sah Thekla bittend an, aber das Gesicht der Amme blieb unbewegt. »Na gut«, sagte sie schließlich und schnaubte verärgert. »Wir nehmen Agatha mit.« Das Mädchen lag altersmäßig zwischen ihr und Helena und war eine weit bessere Spielkameradin als die sauertöpfischen Begleiterinnen, die Thekla für sie ausgewählt hätte.
Die Amme schien noch nicht restlos überzeugt, nickte aber.
»Agatha! Wir spielen draußen, komm mit uns«, rief Klytämnestra durch den Raum, bevor es sich Thekla anders überlegen konnte. Das Sklavenmädchen schlurfte mit gesenktem Kopf zu ihnen herüber. Klytämnestra nahm Helena bei der Hand und ging zur Tür. Die drei waren schon im Flur, als Thekla hinter ihnen herrief: »Bleibt in der Nähe des Palastes! Wenn ihr zu lange draußen bleibt, werdet ihr braun wie die Ziegenhirten! Und wer soll euch dann heiraten?«
Die drei Mädchen verließen den Palast und schlenderten den Hügel zur Weide hinunter. Klytämnestra ging voran. Das Gras stand hoch, die trockenen Samen blieben an ihrem Gewand hängen, als sie hindurchstapfte. Das Laub der wenigen Bäume rauschte über ihren Köpfen, und sie freute sich über die frische Luft an ihren Armen nach der langen Zeit im Frauengemach. Sobald sie weit genug vom Palast entfernt waren, dass sie niemand mehr beobachten konnte, blieb sie stehen.
»Was sollen wir spielen?«, fragte sie die anderen beiden Mädchen.
»Ich bin eine Prinzessin«, antwortete Helena ohne Zögern. »Und Agatha kann meine Zofe sein.«
Agatha nickte schüchtern.
»Aber du bist eine Prinzessin«, versetzte Klytämnestra gereizt. »Willst du nicht so tun, als wärst du jemand anderes? Eine Hexe vielleicht? Eine Piratin oder ein Ungeheuer?«
»Nein. Ich bin immer die Prinzessin.«
»Na gut. Dann bin ich der König«, seufzte Klytämnestra. Sie hatte gelernt, dass es am einfachsten war, wenn man Helena ihren Willen ließ. Sonst begann sie zu weinen.
Helena schnaubte. »Du kannst doch gar kein König sein, Nestra. Du bist doch ein Mädchen!« Helena warf Agatha einen Blick zu, damit sie über ihre Bemerkung lachte. Agatha kicherte leise, presste die Lippen aber sofort wieder aufeinander, als Klytämnestra ihr einen tadelnden Blick zuwarf, und senkte den Blick zu Boden.
»Na gut. Du kannst die Prinzessin sein, Helena. Agatha, du bist die Zofe. Und ich bin die Amme.« Sie dachte einen Augenblick lang nach. »Aber ich bin eine Amme, die Zaubertränke herstellen kann«, fügte sie hinzu.
»Was spielt ihr?«
Die Stimme kam von hinten. Eine Jungenstimme. Klytämnestra wirbelte herum, um zu sehen, zu wem sie gehörte.
Der Junge schlenderte durch das hohe Gras auf sie zu und war jetzt nur noch ein paar Schritte von ihnen entfernt. Er war ein wenig älter als sie – hochgewachsen, aber noch ohne Bartwuchs. Er hatte langes, dunkles Haar und ein Lächeln, das Klytämnestra plötzlich ganz befangen machte. Sie hatte den Jungen vor ein paar Tagen mit seinem Vater im Palast ankommen sehen. Irgendein diplomatischer Besuch, nahm sie an, oder vielleicht waren die beiden auch nur auf der Durchreise. Es kamen und gingen ständig Leute, die auf dem Weg über die Berge oder von der Küste waren. Das Herdfeuer ihres Vaters brannte stets, aber sie hatten selten so junge Gäste. Die einzigen Jungen von edler Geburt in ihrer Nähe waren ihre Brüder, die Zwillinge Kastor und Pollux, aber die waren zu alt, um noch mit Helena und ihr zu spielen. Und Thekla sagte, es sei unziemlich für Prinzessinnen, mit Sklavenjungen zu spielen. Aber mit diesem Jungen konnten sie doch spielen, oder? Er war ja ein Gast.
»Ha-hallo«, sagte Klytämnestra. Ihre Zunge kam ihr plötzlich ganz dick vor. »Wir wollten gerade ein Prinzessinnen-Spiel spielen.« Sie schämte sich, wie kindisch das klang, und fügte hastig hinzu: »Das ist natürlich ziemlich albern, aber Helena wollte das unbedingt spielen. Wir können auch etwas anderes tun, wenn du mitmachen willst.«
Wieder dieses Lächeln. »Nein, ein Prinzessinnen-Spiel ist schon in Ordnung.«
Klytämnestra befürchtete, dass er sich über sie lustig machte, aber immerhin wollte er mitspielen. »Wie heißt du denn?«, fragte sie.
»Theseus. Mein Vater und ich kommen aus Athen.«
»Theseus«, wiederholte sie. »Na gut. Also, Helena wollte die Prinzessin sein, und Agatha – sie ist nur unsere Sklavin – wollte ihre Zofe spielen. Und ich bin eine Amme, die Zaubertränke mischen kann. Was willst du sein?«
»Ich bin ein fremder König. Ein großer Krieger.«
Klytämnestra lächelte, es freute sie, dass er so auf ihr Spiel einging. »Also, wie wäre es denn, wenn du Schiffbruch erlitten hättest und an unser Ufer geschwemmt worden wärst, und dann finde ich dich und heile dich mit einem Trank, und …«
Aber Theseus schien gar nicht mehr zuzuhören. Er hatte sich abgewandt und sah stattdessen Helena an.
»Du siehst wirklich wie eine Prinzessin aus, meine Dame«, sagte er und verneigte sich übertrieben. »Du hast das hellste Haar, das ich je gesehen habe.« Er hob eine Hand, als wolle er es berühren. »Es ist wie Feuer. Und deine Haut ist so weiß – wie das einer echten Dame. Ich wette, du wirst einmal so schön wie Hera selbst, wenn du ganz erblüht bist.«
Helena...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2022 |
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Übersetzer | Katharina Naumann |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
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ISBN-10 | 3-426-46146-3 / 3426461463 |
ISBN-13 | 978-3-426-46146-4 / 9783426461464 |
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