Der zweite Sohn (eBook)
424 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-77268-3 (ISBN)
Als Ivan Novak beim Leeren seiner Mülltonnen im Westen Sydneys erschossen wird, will seine Familie Rache, vor allem sein Vater Milan, Chef eines Gangsterclans. Es ist ein Job für den zweiten Sohn, Ivans jüngeren Bruder Johnny.
Aber Johnny ist kein Killer, und er liebt seine Frau Amy und den gemeinsamen Sohn Sasha. Amy stellt ihm ein Ultimatum: Entweder er steigt aus dem Kreislauf der Gewalt aus, oder sie verlässt ihn und nimmt Sasha mit.
Hin- und hergerissen zwischen der Loyalität zu seinem Vater und der Liebe zu seiner Frau, plant Johnny den Coup seines Lebens. Er entwickelt einen brillanten Plan, der die Rachegelüste seines Vaters befriedigen und es ihm, Amy und Sasha ermöglichen soll, endlich dem Würgegriff seiner Clan-Familie zu entkommen und woanders ein neues Leben zu beginnen. Doch wenn der Plan scheitert, riskiert Johnny, alles zu verlieren ...
Loraine Peck war Porträtmalerin und Assistentin eines Magiers in Sydney. Nachdem sie einmal zu viel in zwei Hälften gesägt wurde, wechselte sie zum Blackjack an der Goldküste. Barkeeperin und Hummerverkäuferin in den USA führten zu einem Job in der Filmindustrie, bevor sie eine Karriere im Marketing in Australien, dem Nahen Osten, Asien und den USA einschlug. <em>Der zweite Sohn</em> ist ihr erster Roman. Loraine Peck und ihr Mann pendeln zwischen Sydney und der Gold Coast.
AMY
Es überrascht und erleichtert mich, dass Sasha sich nicht daran erinnert, letzte Nacht aufgewacht zu sein. Mich weinend, seinen Vater verstört und das Wohnzimmer voller Polizisten gesehen zu haben. Ich muss noch einmal von vorn erklären, was passiert ist. Er soll nicht aus dem Fernsehen von Ivans Tod erfahren, aus irgendeinem Bericht über kroatisch-serbische Bandenkriege. Was, wenn er von einem Kind in der Schule gefragt wird, warum sein Onkel erschossen wurde? Novak ist nicht gerade ein Allerweltsname in Sydney.
»Gestern Abend ist etwas sehr Trauriges passiert. Dein Onkel Ivan ist ums Leben gekommen.«
Er macht sich über einen Spiegeleitoast her und versucht zu verstehen, was ich gesagt habe.
»Dann kommt er Weihnachten nicht zu uns?«, fragt er, als wäre Ivan in Urlaub gefahren.
»Nein, Sash. Er ist jetzt im Himmel.« Sasha geht auf eine katholische Grundschule, wo der Himmel auf dem Lehrplan steht. Aber wenn es einen solchen Ort tatsächlich gibt, wird man Johnnys Bruder mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht reinlassen.
»Onkel Ivan hat versprochen, zur Weihnachtsaufführung zu kommen. Ich bin doch ein Astronaut. Er hat es versprochen.«
Sasha starrt mich aus verwirrten blauen Augen an.
Okay, es wird seine Zeit brauchen. Er ist zehn, bisher ist niemand gestorben, den er kannte.
»Er wollte dich nicht enttäuschen. Manchmal passieren Dinge, die wir nicht unter Kontrolle haben. Das weißt du doch, Sash.«
Sasha schaut auf sein Ei hinunter, die Augen sind hinter dem blonden Pony verborgen. Er muss zum Friseur. Er sieht aus wie ich, nicht wie Johnny, kein bisschen kroatisch. Aber er hat das Temperament seines Vaters. Er spricht nur, wenn er etwas zu sagen hat, sein freundliches Wesen scheint immer durch. Er schüttelt sich die Haare aus dem Gesicht, als stiege er gerade aus einem Swimmingpool, seine Miene verrät Verwirrung. Trotzdem streckt er die Hand herüber und tätschelt meine. Mein Sohn tröstet mich. Ich könnte zusammenbrechen und losheulen. Irgendwie bewirkt seine Geste, dass ich mich mit alldem noch einsamer fühle.
Im Auto, auf der zehnminütigen Fahrt zur katholischen All-Saints-Grundschule im Liverpooler Zentrum, reden wir noch ein wenig darüber.
»Wie ist Onkel Ivan gestorben, Mum?«
Ich wusste, dass die Frage irgendwann kommen würde. Ich gebe eine Antwort, von der ich glaube, dass er sie verstehen kann.
»Es ist erschossen worden. Du weißt, wie gefährlich Waffen sind, Sash, es könnte also ein Unfall gewesen sein. Die Polizei versucht herauszufinden, was passiert ist.«
Das scheint ihn für den Augenblick zufriedenzustellen. Hoffentlich halten ihn die Vorbereitungen für die Aufführung in drei Wochen auf Trab.
In der Kiss-and-Ride-Zone herrscht das übliche Chaos. Autos kommen und fahren ab, genervte Eltern treiben ihre Kinder an, manche von den Kleineren weinen. Sasha ist zur Tür hinaus, noch ehe ich den Mini zum Stehen gebracht habe. Er schlängelt sich um kleinere Kinder herum, seine langen Beine wechseln abrupt die Richtung wie bei einem Querfeldeinrennen. Dann hält er kurz inne, dreht sich um und winkt. Kein Lächeln. Vielleicht beginnt er es langsam zu begreifen.
Meine Hände liegen taub auf dem Lenkrad. Ich sitze im Wagen vor dem Haus von Johnnys Eltern und kann mich nicht erinnern, wie ich hierhergekommen bin. Ich versuche, meinen Atem zu kontrollieren und mich zu konzentrieren. Alle paar Sekunden trifft die Erkenntnis mich neu, unsere veränderte Realität schwirrt mir durch den Kopf – Ivan ist tot. Von einem Moment auf den anderen. Wahrscheinlich hat er nichts gespürt. Es gibt vermutlich schlimmere Arten zu sterben.
Wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte, wäre Ivan dann noch am Leben? Er war Johnnys Held, nicht meiner. Aber ich wollte auch nicht, dass er stirbt, oder?
Nachdem ich heute Nacht bestätigt hatte, dass Johnny den ganzen Abend bei mir zu Hause gewesen war, bat Detective MacPherson ihn um Unterstützung bei der schwierigen Aufgabe, seinen Eltern Milan und Branka die Todesnachricht zu überbringen. MacPherson ist kein Idiot. Ich würde auch lieber Johnny als Puffer dabeihaben. Milan hat seinen üblen Ruf nicht umsonst. Er ist grausam. Er hasst Cops, und ich wette, das beruht auf Gegenseitigkeit. Im Augenblick ist Johnny immer noch bei Branka und Milan. Jetzt, wo Sasha in der Schule ist, muss ich an seiner Seite sein. Aber ich mache keine Anstalten, aus dem Wagen zu steigen. Ich klappe die Sonnenblende herunter und schiebe die Abdeckung des Spiegels beiseite. Ein bleiches Gesicht mit rot geränderten blauen Augen starrt mich an. Ich klappe die Sonnenblende wieder hoch und schaue lieber in Brankas Garten.
Als Branka und Milan im Jahr 1980 nach Australien kamen, haben sie dieses eingeschossige, rot verklinkerte Haus am Rand eines Vororts von Liverpool gekauft. Ich frage mich, was die Nachbarn gedacht haben, als die Novaks damals hergezogen sind. Nach einem einzigen Blick auf Milan hätten meine Eltern ein »Zu verkaufen«-Schild an ihren Gartenzaun gehängt.
Kurz vor unserer Hochzeit, vor zwölf Jahren, haben Johnny und ich uns ein ganz ähnliches Haus drei Blocks entfernt gekauft. Wie die meisten anderen Häuser in dieser ruhigen Wohngegend hat es eine dreigeteilte Fassade und eine Doppelgarage. Vor dem Haus befindet sich eine Rasenfläche und dahinter ein Garten mit Schatten spendenden Eukalyptusbäumen. Oh, und ein Swimmingpool.
Ivans Haus liegt drei Blocks entfernt in der anderen Richtung. Wir alle wohnen hier in derselben Gegend von Liverpool. Ich weiß, dass so etwas für die meisten europäischen Familien normal ist, aber manchmal finde ich es klaustrophobisch.
Im Kontrast zu den Nachbargrundstücken ist der Vorgarten vor dem Haus von Johnnys Eltern zur Straße hin mit einer kniehohen, weißgestrichenen Reihe Hohlblocksteine begrenzt. Vor der niedrigen Mauer wirft ein Jacarandabaum mit purpurfarbenen Blüten seinen Schatten, dahinter teilen sich abgestützte Tomatenpflanzen, farbenfrohe Gemüsesorten und Brechbohnen an Spalieren die Fläche. Es gibt kein Tor, nur eine Lücke zwischen den Steinblöcken. Ein Weg aus Betonplatten windet sich zu den drei Stufen, die zu einer kleinen Veranda vor der Haustür hochführen. Abgesehen von einem kleinen rechteckigen Rasenstück hinter dem Haus, das in dem Jahr angelegt wurde, als ich mit Sasha schwanger war, ist das ganze Grundstück ein einziger Gemüsegarten. Brankas Reich. Das rechteckige Rasenstück war ihr Geschenk an mich, damit Sasha einen Platz hatte, wo er krabbeln und später herumlaufen konnte, wenn wir zu Besuch kamen. Brankas Nutzgarten ist etwas Besonderes.
In diesem Augenblick erscheint das runde Gesicht der Frau im Küchenfenster. Ich kann nicht länger warten. Als ich aus dem Wagen steige, trifft mich die Hitze wie ein schwerer, feuchter Schlag.
Bereitwillig lasse ich mich von den Düften des Gartens einhüllen, als ich über die Risse in den Betonplatten gehe. Wie immer quietscht die Fliegengittertür, als ich sie aufdrücke und den düsteren Flur betrete. Links liegt die Tür zu Brankas strahlend gelb gestrichener Küche.
Milan und Johnny sitzen zusammengesunken am langen Holztisch, als hätten sie sich seit Stunden nicht mehr bewegt. Zwei riesenhafte Männer mit der Statur von Rugbystürmern. Haselnussbraune Augen und lockige dunkle Haare, in Milans Fall von grauen Strähnen durchzogen. Markante Augenbrauen und dazwischen kräftige, gerade Nasen. Sie sehen einander so ähnlich, dass ich jetzt schon weiß, wie Johnny in zwanzig Jahren aussehen wird. Beide Gesichter wenden sich mir zu. Johnny begrüßt mich mit so etwas wie einem Lächeln, Milan mit einem hässlichen, finsteren Blick. Er hat mich nie gemocht. Ich weiß nicht genau, warum. Weil ich kein braves, kroatisches Mädchen bin?
Johnny steht auf und nimmt mich in den Arm. Milan bleibt sitzen und dreht den Kopf leicht weg, als ich mich zu einem Kuss hinunterbeuge. Er ist der körperlich...
Erscheint lt. Verlag | 7.3.2022 |
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Übersetzer | Stefan Lux |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Second Son |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Bestseller bücher • buch bestseller • Ehre • Familie • Familiendrama • Gewalt • Krimi-Bestenliste • Krimi-Bestseller • Liebe • Loyalitätskonflikt • Mord • neues Buch • Rache • Schuld • ST 5229 • ST5229 • suhrkamp taschenbuch 5229 • Sydney |
ISBN-10 | 3-518-77268-6 / 3518772686 |
ISBN-13 | 978-3-518-77268-3 / 9783518772683 |
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