Das Haus Zamis 37 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-3190-4 (ISBN)
Vom Fenster des Rittersaales erblickte der Graf Guy de Guedelon die Gestalt am Burgtor. Es war die Verwalterin, die sich auf den Heimweg machte. Er eilte hinaus.
»Herr Graf, haben Sie mich erschreckt!«
»Aber, aber«, sagte er schelmisch tadelnd, und sein runzliges, weiß gepudertes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. »Bin ich denn so zum Fürchten?« Galant verbeugte er sich, gab ihr einen Handkuss - und sog dabei ihre Wärme, ihre Lebenskraft in sich auf!
Als die Verwalterin kraftlos davongetorkelt war, sah der Graf ihr unbefriedigt nach. Er wusste, was seine eigene Schwäche zu bedeuten hatte. Er musste unbedingt für einen Nachkommen sorgen.
2. Kapitel
»Wir haben ernsthaft miteinander zu reden«, hatte Vater gesagt. Seine gepresste, unheilschwangere Stimme machte mir klar, dass es diesmal nicht mit einer Strafpredigt getan sein würde.
Meine Lage war verdammt brenzlig.
Das Gefühl, in die Enge getrieben zu sein, bestätigte sich dadurch, dass mein Vater und mein Bruder Georg mich in den Keller führten. Vater ging voran, Georg bildete den Abschluss. Als wollten sie mich in die Zange nehmen, mich an einer Flucht hindern. So war es natürlich nicht wirklich, denn solche Vorsichtsmaßnahmen hatten sie nicht nötig. Dadurch erzeugten sie zusätzlichen psychologischen Druck auf mich.
Ich konnte nicht einfach davonlaufen. Wohin hätte ich auch fliehen können? Ich hätte nicht die geringste Chance gehabt, überhaupt nur die Straße zu erreichen – es sei denn, ich hätte mich in den rascheren Zeitablauf fallen lassen. Aber diese Möglichkeit hatten sie sicherlich einkalkuliert und vorgesorgt. Wenn ich es versuchte, würde die Strafe nur umso schlimmer sein.
Ganz zu schweigen davon, dass ich nicht die Kraft zum Davonlaufen hatte. Meine Beine waren wie aus Gummi, und mir war ganz schlecht vor Angst. Ich wusste selbst nicht, was mit mir los war. Ich fühlte mich schlapp, als sei ich während der Nacht von einem schrecklichen Alb gequält worden, der mich zusätzlich in seinen Bann geschlagen und mir die Lebensenergie ausgesaugt hatte.
So fürchtete ich mich jetzt ganz erbärmlich vor dem, was da auf mich zukommen musste – obwohl ich inzwischen doch eigentlich eine selbstbewusste junge Hexe war und kein Problem damit hatte, mich hin und wieder den Anweisungen meines Vaters zu widersetzen.
Ein Blick über die Schulter in Georgs Gesicht bestätigte mir, dass auch er keinen Pardon kennen würde. Ausgerechnet Georg, von dem ich noch am ehesten Verständnis erwartet hätte. Aber es sah ganz so aus, als würde mein Bruderherz mein Vertrauen wieder einmal kolossal enttäuschen.
Wir erreichten den Meditationsraum im Keller, der ausschließlich wichtigen Beschwörungen vorbehalten war. Er war ganz in Schwarz gehalten: schwarze Kerzen, deren fahler Schein kaum Licht spendete, und schwarze, erdrückende Wände, die keine Helligkeit aufkommen ließen. Von hier aus knüpften die Zamis ihre Kontakte zu verbündeten Dämonen, um politische Entscheidungen zu treffen. Hier wurden Schicksale entschieden und Todesurteile gefällt. Und Verbannungen ausgesprochen.
War es das, was mich erwartete? Ein Ausschluss aus der Zamis-Sippe und der Schwarzen Familie generell? Das würde mich nicht besonders hart treffen, denn ich hatte mir schon immer gewünscht, keine Hexe zu sein und als normale Frau unter Menschen zu leben.
Doch mit Verbannungen aus der Schwarzen Familie gingen andere Strafen Hand in Hand. Körperliche und geistige Verstümmelungen zum Beispiel. Und davor hatte ich schreckliche Angst. Ich wollte nicht zum verkrüppelten, wahnsinnigen Freak werden.
Ich redete mir ein, dass ich vielleicht eine Chance hatte, mich aus dieser Misere herauszuwinden. Ich war entschlossen, jede Gelegenheit zu nützen, die sich mir dazu bot. Aber dann war da wieder diese seltsame Schwäche, die jeden Widerstand von vornherein erstickte.
Vielleicht würde Vater doch nicht so gnadenlos sein und zu härtesten Maßnahmen greifen. Ich hoffte es für mich.
Michael Zamis, mein Vater, setzte sich, mit dem Rücken zur Wand, an das eine Kopfende des mit schwarzem Samt überzogenen Tisches, in dessen Mitte die unverzichtbare Glaskugel stand. Georg nahm ihm gegenüber am anderen Ende Platz. Mir blieb nur der dritte Stuhl auf der der Wand zugewandten Längsseite. Ich fühlte mich in die Enge getrieben.
Es herrschte eine Weile lang grausames Schweigen, in der nur mein schwerer Atem zu hören war. Die Übelkeit wurde mit jeder Sekunde schlimmer. Was hatte ich zu erwarten?
»Du hättest eine härteste Bestrafung verdient, Coco«, sagte Vater schließlich mit gestrenger Stimme, aber ohne mich anzusehen.
Wofür? Was hatte ich getan?
War es etwa immer noch die Geschichte mit den Fluchtafeln, die er mir anhängen wollte?
Mein Vater starrte auf die Glaskugel in der Mitte des Tisches. Er fuhr fort: »Du hast in letzter Zeit den Namen unserer Familie immer wieder in Verruf gebracht. Ich will darauf verzichten, deine Verfehlungen im Einzelnen aufzuzählen, denn du weißt selbst, was du dir alles herausgenommen hast. Wir haben immer wieder Nachsicht mit dir walten lassen, weil du von unserem schwarzen Blut bist. Aber damit ist jetzt endgültig Schluss!«
Das hatte er schon oft gesagt, aber ich spürte, dass es ihm diesmal so ernst war wie nie zuvor.
Ich hatte den Blick gesenkt und zitterte vor banger Erwartung. Es war nicht gut für mich, Schwäche zu zeigen. Eine richtige Hexe sollte in jeder Lebenslage Standhaftigkeit beweisen. Auch im Angesicht des Todes. Aber ich konnte gegen den Schüttelfrost einfach nicht ankommen.
»Wir Zamis können es uns nicht mehr leisten, dass du unseren Ruf durch deine Eskapaden schädigst«, fuhr mein Vater mit unerbittlicher Strenge fort. »Darum haben wir einen Beschluss gefasst, der allen Beteiligten zugutekommen soll. Dir, weil diese Verfügung eine erzieherische Maßnahme für dich darstellt. Aber in erster Linie der Familie, der du so großen Schaden zugefügt hast.«
Und was war mit den guten Taten? Hatte ich nicht oft genug die Familie aus brenzligen Situationen gerettet, wenn die Machtgelüste meines Vaters uns wieder mal in große Schwierigkeiten gebracht hatten?
Ich wollte hinausschreien, dass ich mich ungerecht behandelt fühlte, aber kein Wort kam über meine Lippen.
Vater stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und verschränkte die Hände ineinander. Dabei sah er mich zum ersten Mal direkt an. Es war kein Zorn oder gar Hass in seinem Blick, aber er brannte sich mir gnadenlos in die Augen. So sah mein Vater immer drein, wenn er zu allem entschlossen war. Was immer er, in Beratung mit meinem Bruder Georg, gegen mich beschlossen hatte, er würde es ohne Rücksicht durchsetzen.
»Du sollst wissen, dass diese Maßnahme nicht primär als Strafe für dich gedacht ist«, fuhr er mit gleichbleibend eiskalter Stimme fort; es war nicht die Spur eines Gefühls darin. »Sieh es als Wiedergutmachung an der Familie. Die Zamis haben in letzter Zeit einiges an Reputation eingebüßt. Die anderen Wiener Familien werfen uns Führungsschwäche vor, und Asmodi ist geneigt, ihnen in dieser Sache zuzustimmen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil wir ihn offen angegriffen haben ... was leider fehlgeschlagen ist.«
Und diesen Angriff hattest du geplant!, wollte ich ihm entgegenrufen, doch wieder blieb ich stumm.
»Wir haben dem Herrn der Finsternis damit nur einen Grund geliefert, uns zu demütigen. Und dein anmaßendes Verhalten, Coco, hat Asmodi und unseren Feinden weitere Munition geliefert.«
Ich wünschte, Vater würde endlich zur Sache kommen. Ich fragte mich auch, warum er all das zur Sprache brachte, was mir ohnehin sattsam bekannt war – und warum er es noch dazu falsch darstellte. Doch nicht, um sich zu rechtfertigen! Mir erschien es eher so, dass er alle meine Verfehlungen nur aufzählte, um mich auf die Höhe der Bestrafung vorzubereiten.
»Wie auch immer«, sagte er, und es klang, als wolle er zu einem Abschluss kommen, »die Familie hat beschlossen, dich mit einem altehrwürdigen Dämon zu vermählen.«
Altehrwürdig!, dachte ich entsetzt. Das klang stark nach Tattergreis, und es weckte in mir unangenehme Erinnerungen an meine Kindheit.
In meinem Kopf hämmerte es: alt – alt – alt!
Georg schob Vater die Kristallkugel zu, und der umfasste sie mit beiden Händen am Standfuß. Dabei murmelte er unverständliche Beschwörungen.
Ich nahm alles nur unbewusst wahr, es war mir auch egal, was um mich herum ablief. Denn ich hatte keinen Einfluss darauf, konnte die zu erwartenden Schrecken nicht von mir abwenden.
Die Erinnerung übermannte mich. Ich war noch sehr jung gewesen, als Vater mich zu meinem Patenonkel Graf Cyrano von Behemoth geschickt hatte. Dieser sollte mich zu einer richtigen Hexe ausbilden. Aber alles, was ich unter seiner Obhut gelernt hatte, war, ihn zu hassen.
Cyrano von Behemoth war ein hässliches altes Ekel. Statt mich Hexenkünste zu lehren, hatte er mich seelisch gequält und mich für geringste Verfehlungen harter Bestrafung unterzogen. Doch das alles wäre noch zu ertragen gewesen, wenn er nicht auch noch zudringlich geworden wäre. Seine sexuellen Belästigungen waren schlimmer als alles andere gewesen.
Dieser hässliche Lustgreis hatte keinen Zweifel daran gelassen, wie »süß«, »knackig« und »begehrenswert« er mich, die ich noch ein unschuldiges Kind war, fand. Und zum Abschied, als ich dieser Hölle endlich entfliehen durfte, hatte er gemeint, dass er mich eines Tages schon noch kriegen würde.
»Dein Vater würde einer solchen Verbindung nicht im Wege stehen!« Diese seine Worte hallten mir jetzt durch den Kopf.
Und wen sonst als dieses unappetitliche...
Erscheint lt. Verlag | 15.3.2022 |
---|---|
Reihe/Serie | Das Haus Zamis |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-3190-3 / 3751731903 |
ISBN-13 | 978-3-7517-3190-4 / 9783751731904 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich