Die Aventüren der Bonnie Bahookie (eBook)
300 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98937-4 (ISBN)
Carmen Capiti veröffentlicht seit 2014 Romane und Kurzgeschichten in allen Genres der Phantastik. Die Schweizerin liebt die Berge und die Natur und war Gründungsmitglied sowie für fünf Jahre Präsidentin des Vereins Schweizer Phantastikautor:innen.
Carmen Capiti veröffentlicht seit 2014 Romane und Kurzgeschichten in allen Genres der Phantastik. Die Schweizerin liebt die Berge und die Natur und war Gründungsmitglied sowie für fünf Jahre Präsidentin des Vereins Schweizer Phantastikautor:innen.
Alte Schachteln
Glenna öffnete die Tür gekonnt mit ihrem Ellenbogen und trat in das Esszimmer. Der kleine Raum beherbergte sechs Tische, allesamt lieblich dekoriert mit Stickdeckchen und künstlichen Blumen, und gut die Hälfte davon war besetzt.
Glenna setzte die Teller mit Eiern, Speck, gebackenen Bohnen, Black Pudding und was sonst zu einem vollwertigen irischen Frühstück gehörte vor dem norwegischen Pärchen ab.
»Bitte sehr, ihr Lieben. Braucht ihr noch etwas?«, fragte sie und legte mütterlich die Hand auf die Schulter der jungen Frau.
Diese erwiderte die Geste mit einem strahlenden Lächeln.
»Vielen Dank, Frau Alexander. Alles perfekt.«
»1975«, erklang eine etwas raue Frauenstimme vom Nebentisch. »Da haben wir das Stewart-Haus eröffnet, mein Mann und ich. Es war schon immer Edwards Traum gewesen. Ein eigenes Bed and Breakfast – Gott hab ihn selig. Also haben wir es einfach gemacht.«
Glenna drehte sich schmunzelnd um. Die Gäste am runden Tisch hingen an den Lippen der älteren Frau, die unter ihnen saß. Ein junger Mann schien etwas sagen zu wollen, aber sie ließ es nicht so weit kommen.
»So waren wir damals. Eine Idee im Kopf und zack! – waren wir Besitzer dieses kleinen Häuschens.«
Zack von wegen, dachte sich Glenna.
Edward musste erst eine Krebsdiagnose kriegen, bevor sie sich ihren Traum endlich erfüllt hatten.
»1991 ist mein liebster Edward dann von uns gegangen. Genau in dem Jahr ist Glenna in unser schönes Dorf gezogen und glücklicherweise wusste sie, wie man den Kochlöffel schwingt. Ganz im Gegensatz zu mir. Eins führte zum anderen. Seither führen also wir beiden alten Schachteln das Stewart-Haus.«
»He«, warf Glenna ein und stemmte die Hände in die Hüften. »Sprich von dir selbst. Ich bin gerade mal knackige achtzig.«
Die Gäste lachten, und Glenna zwinkerte ihnen zu. Ein warmer Fleck rührte sich auf ihrem Rücken und bewegte sich langsam von der Mitte hin in Richtung ihrer rechten Schulter.
»Untersteh dich«, zischte sie, ohne ihr Lächeln zu unterbrechen.
Sie nahm einen der Teekrüge auf dem Tisch, wog ihn in den Händen und nahm ihn an sich.
»Ich bringe euch mal frischen Tee«, sagte sie und ging damit zurück in die Küche.
Während sie den Kessel mit Wasser füllte, bewegte sich der warme Fleck weiter über ihre Schulter, sodass er auf ihrer Brust zu liegen kam.
Sie stellte den Kessel auf den Herd und schob ihr grünes Seidenfoulard etwas zur Seite, sodass sie sich selbst in das faltenreiche Dekolleté blicken konnte. Quer darüber prangte in schwarzer Farbe die Tätowierung eines thailändischen Drachen. Wer ganz genau hinsah, mochte das leichte Hin- und Herzucken seiner Barthaare erkennen.
»Willst du etwas sagen, Jamie?«, fragte sie spitz.
›Käme mir nicht in den Sinn, Bonnie.‹
Das lange Maul bewegte sich passend, und die Worte waren physikalisch hörbar, aber über eine Mimik verfügte der Drache nicht wirklich. Trotzdem spürte Glenna sein Schmunzeln förmlich.
»Die Achtzig ist nicht so weit weg von der Wahrheit, wie du tust.«
›Ich tue gar nichts‹, protestierte er. ›Achtzig, hundertsiebzehn … Die Menschen machen immer so ein Brimborium um diese paar läppischen Jährchen. Ich sehe da keinen Unterschied.‹
Sie drapierte das Halstuch wieder über ihrem Ausschnitt, sodass niemand die wandernde Tätowierung sehen konnte.
»Na also«, sagte sie und nahm das kochende Wasser vom Herd.
›Ich zweifle nicht an der Achtzig, Bonnie‹, fuhr Jamie fort. ›Das tut hier niemand, immerhin siehst du danach aus. Wovon ich nicht ganz überzeugt bin, ist das knackig.‹
»Elender Charmeur«, brummte Glenna zynisch – konnte ein Schmunzeln ihrerseits aber nicht unterdrücken – und füllte das Wasser in die Teekanne.
Eine Stunde später hatten die Gäste das Haus für ihre Tagesausflüge verlassen oder ausgecheckt, und Glenna kümmerte sich um die Küche, als Dorothy eintrat.
Ihre kleine eingefallene Gestalt war fest eingepackt in mehrere Lagen, und obendrüber trug sie eine hässliche knallgelbe Daunenjacke, dazu ein kariertes Tuch, das sie sich um den Kopf gebunden hatte, und Handschuhe.
»Haben wir September in Irland oder Hochwinter im tiefen Sibirien?«, fragte Glenna und wischte sich die nassen Hände an der Schürze ab.
»Sei froh, dass du noch ein paar Fettreserven hast, Glenna.« Das Halstuch bewegte sich über Dorothys Lippen, und ihre Brille beschlug an den Rändern vom Wasserdampf der Geschirrspülmaschine. »Wenn du mal so alt bist wie ich, bist du dankbar für jedes Gramm Isolation.«
Glenna öffnete das Schränkchen, wo sie den Stoffbeutel mit dem alten Brot verstaut hatte.
»Grüß die Schwäne von mir«, sagte sie und reichte ihn Dorothy.
»Sie sind schon richtig groß. Vor wenigen Wochen waren sie acht pelzige Flauschbällchen, jetzt haben sie ganz lange Hälse.«
Dorothy redete weiter, hatte die Küche aber bereits verlassen, und die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
Glenna schüttelte lächelnd den Kopf.
Dorothy war alles, was man sich für eine Witwe in dem Alter erhoffen konnte. Für eine normalsterbliche Witwe in dem Alter zumindest.
Eine wohlige Wärme breitete sich in Glennas Brust aus. Seit fünfundzwanzig Jahren hatte es keinen Tag gegeben, an dem sie die Energie, die dem dünnen, zerbrechlichen Körper innewohnte, nicht bewunderte.
Glenna betrachtete die langen knochigen Finger ihrer Hand, die durch den Abwasch noch runzliger aussahen als sonst. Dann schnalzte sie mit der Zunge und beeilte sich, den Rest der Arbeit zügig hinter sich zu bringen. Sie hängte die Schürze an ihre Stelle zum Trocknen und verließ die Küche auf der anderen Seite in Richtung Treppenhaus.
Im Dachgeschoss holte sie den Schlüsselbund hervor, den sie an einer Kette um ihren Hals trug, und öffnete mit dem größten der drei Schlüssel die Tür zu ihrer eigenen kleinen Wohnung.
Die nächsten Stunden gehörten ganz ihr.
Zuerst nahm sie sich Zeit, in ihrer kleinen Küche die perfekte Tasse Tee zu kochen. Loser Assam, drei Minuten lang gezogen mit einem Fingerbreit Milch in der Tasse, ohne Zucker oder Honig.
Während sie beobachtete, wie das Wasser langsam die Farbe der Teeblätter annahm, löste sich die Anspannung in ihren Schultern, und Ruhe breitete sich in ihr aus. Sie füllte den Tee in die vorbereitete Tasse, legte zwei selbst gebackene Biskuits auf ein Tellerchen und trug beides auf einem Serviertablett in einen kleinen fensterlosen Raum.
Sie stellte das Tablett auf das Beistelltischchen in der Mitte des Raumes und wandte sich dann nochmals um, um die Tür hinter sich zu schließen. Automatisch berührte sie kurz das ausgeblichene Plakat der rothaarigen Schönheit an der Innenseite der Tür, dann trat sie an das Bücherregal mit den Dutzenden in Leder gebundenen Büchern. Jedes davon trug eine Jahresprägung, angefangen im Jahr 1923 bis hin zum aktuellen Jahr 2017.
Sie fuhr mit ihren Fingern über die Buchrücken und zog aus einem reinen Bauchgefühl das Buch mit der Beschriftung 1928 aus dem Regal.
Damit setzte sie sich in den Sessel, dessen lederne Armlehnen bereits rissig waren, und schlug es irgendwo in der Mitte auf.
»Oh«, sagte sie, als sie den ersten Eintrag sah, und ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer.
›Was? Was ist? In welchem Jahr sind wir?‹, fragte Jamie.
Sie legte die Finger auf ihre Lippen und kicherte leise.
»1928. Der ›Bal des Quat’z’Arts‹ in Paris.«
›Ah, davon habe ich gehört. Muss ganz schön hoch hergegangen sein auf diesen Bällen.‹
»Kann man so sagen«, sagte Glenna und legte den manikürten Nagel ihres Zeigefingers auf das Datum vom 29. Juni 1928.
›Du warst da? Wie das? Ich dachte, der Ball sei nur für die Studenten der vier Künste?‹
»Ach, Jamie«, sagte Glenna etwas tadelnd. »Fragst du mich das wirklich? Die unwiderstehliche magische Bonnie Bahookie?«
Sie lehnte sich im Sessel zurück und begann vorzulesen.
»Der morgendliche Umzug nach dem Ball hat sein Ende vor der Oper...
Erscheint lt. Verlag | 26.5.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | 1920er Jahre Irland • Abenteuer • Contemporary Fantasy • Ewiges Leben • Fantasy Bücher • Fantasy Romance Bücher • Fantasy Romane ab 16 Jahren • Fantasy Romane für junge Frauen • Feen • Goldenen 20er • Hard Liquor • Irland • Irland buch • Magie • magisches Getränk • Romane für junge Erwachsene • Romantasy • Urban Fantasy • Whiskey |
ISBN-10 | 3-492-98937-3 / 3492989373 |
ISBN-13 | 978-3-492-98937-4 / 9783492989374 |
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