Die Silberkammer in der Chancery Lane (eBook)
416 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44573-3 (ISBN)
Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter >Doctor Who<, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.
Ben Aaronovitch wuchs in einer politisch engagierten, diskussionsfreudigen Familie in Nordlondon auf. Er hat Drehbücher für viele TV-Serien, darunter ›Doctor Who‹, geschrieben und als Buchhändler gearbeitet. Inzwischen widmet er sich ganz dem Schreiben. Er lebt nach wie vor in London. Seine Fantasy-Reihe um den Londoner Polizisten Peter Grant mit übersinnlichen Kräften eroberte die internationalen Bestsellerlisten im Sturm.
Mittwoch Überraschung …
1 Airsoft
In der Regel bekommen wir die Leichen nicht zu sehen, wenn sie ganz frisch sind. Jedem modernen Polizisten wird eingebläut, dass seine oberste Pflicht – nach dem Schutz von Leib und Leben – darin besteht, den Tatort vor Verunreinigung zu bewahren. Das heißt, die erste Kollegin vor Ort lässt niemanden durch außer der Mordkommission. Und wenn die kommt, lässt sie niemanden durch außer der Spurensicherung.
Ganz sicher wollen sie alle nicht noch ein weiteres Expertenteam hinzurufen, es sei denn, es lässt sich einfach nicht vermeiden. Am allerwenigsten uns – die Einheit Spezielle Analysen, in der Met berüchtigt als Garant für abstrusen Scheiß, unerwartete gewaltsame Ereignisse und, ganz schlecht, niedrige Aufklärungsquoten. Schon gar nicht wollen sie das, wenn die betreffende Mordkommission bereits mit uns zusammengearbeitet hat.
DI Stephanopoulos stellte eine bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel dar.
Sie erwartete uns an einem nasskalten Mittwochmorgen im April vor dem Eingang der London Silver Vaults in der Chancery Lane, eine kräftige weiße Frau mit scharfen blauen Augen und von Natur aus finsterem Gesichtsausdruck – nahm ich jedenfalls an, denn einen anderen hatte ich nur selten an ihr gesehen. Er wurde noch etwas finsterer, als ich mit der neuesten Praktikantin des Folly im Schlepptau bei ihr ankam.
»Wer ist das?«, fragte sie.
»Danni Wickford«, sagte ich. »Sie macht den Kurs.«
Was bedeutete: den Grundkurs Falcon-Management, eine Intensiv-Rundtour durch die Welt der magischen Polizeiarbeit an der Seite meiner Wenigkeit, damit DCI Thomas Nightingale, mein Boss, und ich uns vertreten lassen konnten, wenn wir mal blaumachen wollten.
Magisches Zeug wird auf Polizeilich »Falcon« genannt, um einen beruhigend-euphemistischen Schleier über die garstige Fratze magischer Polizeiarbeit zu ziehen.
Danni Wickford war DC bei der Kriminalpolizei Kingston. In ihren Leistungsbewertungen kamen Ausdrücke wie »absolut zuverlässig« und »äußerst gewissenhaft« vor. Zuverlässig und gewissenhaft, das waren die Qualitäten, die das Falcon-Rekrutierungskomitee, das heißt, Nightingale und ich, als unabdingbar für Falcon-BeamtInnen festgelegt hatte. Danni war eine weiße Frau von nüchternem Äußeren, dünn, kleiner als ich, mit blauen Augen, einem spitzen Kinn und zu einem französischen Zopf geflochtenen dunkelbraunen Haaren. In Dagenham geboren und aufgewachsen, hatte sie einen lupenreinen Ostlondon-Akzent, aber wie ich konnte sie je nach Situation die ganze Skala von Mittelschicht über Cockney bis hin zu Multikulti-Slang abdecken.
Stephanopoulos schenkte ihr ein Nicken. »Passen Sie bloß auf, dass Sie da keine schlechten Angewohnheiten aufschnappen.«
»Ich werd mir Mühe geben«, sagte Danni.
Die London Silver Vaults waren ursprünglich zu genau jenem Zweck erbaut worden, den der Name vermuten ließ: um wertvolle Gegenstände wie Silber zu lagern. Ladenbesitzer schlossen dort nachts ihre wertvolle Ware ein, sicher verwahrt hinter meterdicken stahlverstärkten Mauern, und brachten sie tagsüber in ihre Läden hinauf. Irgendwann stellte dann ein vermutlich eher träge veranlagter Typ die Frage, warum sie all das teure, aber vor allem auch schwere Metallzeugs eigentlich Tag für Tag die Treppe rauf- und runterschleppten. Man könnte doch einfach die Kunden nach unten kommen lassen. Wäre überhaupt viel sicherer.
Also wurden die Silberkammern in Läden verwandelt, und voilà, fertig war die erste unterirdische Shoppingmall Londons. Erstaunlicherweise hatte ich noch nie davon gehört, und Danni hatte sich auf der Fahrt hierher auch erst mal auf dem Smartphone schlaumachen müssen. »Das ursprünglich darüber befindliche Haus wurde im Blitzkrieg von einer Bombe zerstört«, sagte sie. Was den neoklassizistischen Klotz samt pseudogeorgianischen Fenstern und bossierter Erdgeschossfassade erklärte, der jetzt dort stand.
Als Tatort waren die Silberkammern wenigstens leicht abzusichern. Ein marmorner Empfangstresen wachte über Haupttreppe und Aufzüge. Der zur Bewachung eingeteilte Kollege hatte lediglich den Durchgang von der Eingangshalle her mit blau-weißem Sicherheitsband absperren und den angestellten Securitymann von seinem Platz verjagen müssen. Jetzt saß dort der besagte Kollege, in einen Papieroverall gekleidet wie ein Türsteher in einer dystopischen Zukunft. Wir ließen uns ins Logbuch eintragen und stiegen ein halbes Dutzend Stufen abwärts in eine Lobby mit einem Kaffeeautomaten, in der sich mehrere Kisten mit Polizeiaufdruck stapelten.
An der zweiten Absperrung erwartete uns DS Sahra Guleed in einem Warteraum mit niedriger Decke, schwarz und cremefarbenem Boden und zwei blauen Sofas, die aussahen wie aussortierte Neunziger-Jahre-Stücke. An einer Wand war in Vitrinen aus grauem Metall und Glas eine kunstvoll arrangierte Silbersammlung ausgestellt. In der gegenüberliegenden Ecke stand ein riesiger altmodischer Tresor mit stolz auf die Frontseite geschweißter Herstellerplakette: JOHN TANN – RELIANCE.
»Ist das die neue Praktikantin?«, fragte Guleed, als wir näher kamen.
Ich stellte Danni vor.
»Pass auf, dass du dich nicht mit irgendwelchen schlechten Angewohnheiten ansteckst«, sagte Guleed.
»Okay.« Danni warf mir einen fragenden Blick zu. »Natürlich nicht.«
Guleed winkte uns zu einem Karton, der zur Hälfte mit zellophanverpackten Einweg-Papieranzügen gefüllt war. Sie selbst hatte sich bereits eingekleidet und die Kapuze so fest zugezogen, dass sie ihren teuren Hijab in die Jackentasche stecken konnte. Wir entledigten uns unserer Jacken und zwängten uns in Overall und Handschuhe. Ich musste erst einmal die ganze Kiste durchwühlen, um einen in XXL zu finden – um das Ding über den Straßenklamotten zu tragen, braucht man es fast immer eine Nummer größer, und wer zu spät zum Tatort kommt, ist oft gezwungen, wie eine Wurst in zu enger Pelle herumzuwackeln.
Während wir mit unserem Outfit kämpften, erklärte Guleed uns die Lage. »Heute Morgen um kurz nach neun kam ein noch nicht identifizierter weißer Mann oben herein, ging nach unten in die Silberkammern, betrat einen der Läden und bedrohte den Inhaber. Der löste den stummen Alarm aus, aber bevor daraufhin jemand kam, passierte etwas – was, wissen wir nicht –, und der Unbekannte wurde getötet.«
»Etwas passierte?«, sagte ich.
»Rate mal, wie viele Kameras es hier gibt. Und rate mal, wie viele davon noch funktionieren.«
Starke Magie schädigt Mikroprozessoren. Wenn die Überwachungskameras hinüber sind, ist das eines der untrüglichen Anzeichen für einen Falcon-Vorfall. Wir von der Polizei lieben unsere Videoüberwachung. Sie erleichtert uns die Arbeit enorm, und wenn wir etwas am Überwachungsstaat auszusetzen haben, dann höchstens, dass er längst nicht so lückenlos ist, wie alle zu glauben scheinen. Da können Sie jeden fragen, der sich schon mal fünfhundert Stunden lang körnige Videoaufnahmen anschauen musste für den unwahrscheinlichen Fall, dass darauf jemand mit Kapuzenjacke mal im richtigen Augenblick in die falsche Richtung guckt.
Als wir fertig waren und aussahen wie anonyme imperiale Sturmtruppen, schlurften wir los, um uns anzuschauen, was für ein Etwas unserem namenlosen Opfer passiert war.
Die Silberkammern befanden sich hinter einer vierzig Zentimeter dicken Tür; in den Türsturz war wieder das John-Tann-Markenzeichen eingelassen. Beim Gedanken an das Gewicht der Tür und des Hauses über uns wurde mir flüchtig etwas mulmig, während ich Guleed hineinfolgte.
Hinter der Tron-Tür bogen wir nach rechts in einen grell erleuchteten, blendend weißen Korridor ab, der sich unabsehbar weit in die Ferne erstreckte. Die Wände waren von Sicherheitstüren und Vitrinen voller Silber gesäumt. Weit hinten sah ich blau-weißes Absperrband und Spurensicherer, die mit Kameras und Ausrüstungskästen herumhuschten. Im Vorbeigehen fiel mir auf, dass auf jedem Türsturz das John-Tann-Logo zu sehen war; die Namen der Geschäfte hingegen standen auf den Türinnenseiten, sichtbar nur dann, wenn der Laden geöffnet war.
Und in den Läden gab es Massen von Silber. In übervollen Wandregalen und freistehenden Schaukästen. Aufgereihtes Besteck, Präsentierteller und Saucieren. Scharen von Hündchen, Kätzchen, Bären, Adlern und kunstvollen Galeonen unter vollen Segeln. Alles schimmernd und funkelnd im grellweißen Kunstlicht.
Und in jedem Laden stand oder saß inmitten all der Pracht die Inhaberin oder der Verkäufer und sah uns zu, wie wir in unserem Papierchic vorbeistapften.
»Wir haben ihnen angeboten, außerhalb der Absperrung zu warten«, sagte Guleed. »Aber sie haben sich geweigert.«
Die meisten Läden befanden sich schon seit mehr als fünfzig Jahren in Familienbesitz. So auch Samuel Arnold & Co, der nach etwa zwei Dritteln des Hauptkorridors kam.
Der Laden bestand aus zwei nebeneinanderliegenden Räumen und hatte daher zwei John-Tann-Türen, was sehr praktisch war, weil eine davon durch die Leiche blockiert wurde, die längelang auf der Schwelle lag, die Beine draußen im Korridor. Die Spurensicherer zogen sich zurück, als wir näher kamen – ich bilde mir gern ein, aus Ehrfurcht vor meiner Fachkenntnis, aber wahrscheinlich eher, um sich nicht mit gewissem abstrusem Scheiß zu kontaminieren, mit dem man vor Gericht keine gute Figur macht. Danni und ich traten durch die freie Tür ein und schlängelten uns zwischen vollgestopften Vitrinen durch, bis wir einen...
Erscheint lt. Verlag | 13.4.2022 |
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Reihe/Serie | Die Flüsse-von-London-Reihe (Peter Grant) | Die Flüsse-von-London-Reihe (Peter Grant) |
Übersetzer | Christine Blum |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Alex Verus • Alien • benedict jacka • Bestseller Autor • Charismatiker • Der Gefangene von London • Dresden-Files • Engel • England • Ermittlungen • Fantastische Literatur • Fantasyliteratur • Geschenke • Harry Dresden • Harry Potter • Jim Butcher • Kevin Hearne • Krimi • Kriminalroman • kulturpass • London • Londoner Bobby • Magie • Magischer Ring • Metropolitan Police • Neil Gaiman • Platin-Ring • Police Constable • Polizei • Puzzle-Ring • Rivers of London • Sekte • Silber • Terry Pratchett • Tinte und Siegel • Todesfall • Urban Fantasy • Urban-Fantasy-Serie • Vaterschaftsurlaub • verzauberter Ring • Weihnachtsgeschenke • Zauberlehrling • Zwillinge |
ISBN-10 | 3-423-44573-4 / 3423445734 |
ISBN-13 | 978-3-423-44573-3 / 9783423445733 |
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