Monsieur – wir finden uns wieder (eBook)
259 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2958-8 (ISBN)
Ein einzigartiges Zeugnis des Zusammenhalts kritischer Intellektueller in der DDR
Im Herbst 1976 entsteht zwischen Christa Wolf und Franz Fühmann ein Briefwechsel, der vor allem durch die politischen Auseinandersetzungen, in die beide verwickelt sind, vorangetrieben wird. Er schreibt sarkastische Grußkarten und Telegramme, cholerische Fluch- und Wutbriefe, sie versucht, ihm in seiner Verzweiflung beizustehen, und teilt ihm ihre Befürchtungen mit. Auf diese Weise entfaltet sich eine Korrespondenz, die einen faszinierenden Eindruck vom Zusammengehörigkeitsgefühl der bedrängten Künstler vermittelt, das weit über eine Notgemeinschaft hinausgeht.
»Wir brauchen einander, und wahrscheinlich ist es der Sinn dieser heillosen Epoche, daß sie uns zueinander rückt.« Franz Fühmann an Christa Wolf, 3. Juli 1979
Erweiterte und durchgesehene Neuausgabe - mit bislang unveröffentlichtem Material und zahlreichen Abbildungen.
Christa Wolf wurde 1929 in Landsberg/Warthe (heute Gorzów Wielkopolski) geboren. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Redakteurin und Lektorin, ehe sie 1961 ihr erstes Buch veröffentlichte. Ihr umfangreiches Werk wurde mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. Sie starb 2011 in Berlin.
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Christa Wolf an Franz Fühmann
Neu Meteln, 8. Sept. 77
Lieber Franzl,
hier hab ich Dir ein Briefchen abgeschrieben, das ich an Herrn Henniger schick, weil er mich aufgefordert hat zu einem Gespräch: Ich hätte unüberprüfte Beschuldigungen zur Grundlage einer Entscheidung gemacht, ich hätte mich nicht überzeugt, daß man dorten die Dinge auch nicht so »einfach« sieht, wie ich zu glauben meine, er verstünde nicht, warum ich meine, mich tief beunruhigende Fragen im Vorstand nicht aussprechen zu können usw.
In der Anlage bekam ich auch den Durchschlag des längeren Schreibens, welches Dir zugegangen ist und das auch schön zu lesen war.
Nun gut. Du, mir ist mies. Mein Blutdruck scheint dieses Lebensgefühl unkritisch übernommen zu haben und wirft mich darnieder. Trotzdem fielen mir in diesem Sommer die Pläne zu 2 (in Worten: zwei) Büchern ein, die ich in den nächsten sechs bis sieben Jahren schreiben könnte, wenn ich könnte. Die schaffen uns, wie? Weltweit, scheint mir. Aber ich hab ein wackeres Programm der Selbstbehauptung aufgestellt. Erster Punkt: Alles, was dir zustößt, ist von dir selbst herbeigeführt. Das stimmt nämlich.
So, genug der Störung in Deinem arbeitsamen Wald. Mir schreiben immerzu Leute, ich solle nicht weggehn. Was denken die!
Also, mach’s gut.
Christa
[Anlage:] Gerhard Henniger an Christa Wolf
29. August 1977
Liebe Christa Wolf!
Deinen Brief vom 14. 08. 1977 habe ich – nachdem ich aus dem Urlaub zurückgekehrt bin – erhalten. Ich werde ihn dem Präsidium unseres Verbandes vorlegen.
Gestatte mir bitte eine persönliche Bemerkung:
Findest Du nicht auch, daß man Beschuldigungen erst dann zur Grundlage von Entscheidungen machen sollte, wenn man die Argumente dazu gehört hat? Ich verstehe nicht, warum Du – bevor Du Deinen Brief geschrieben hast – Dich nicht erkundigt und geprüft hast, an Ort und Stelle, ob Deine Eindrücke und »erste Stimmen« zutreffen und ob die Dinge so »einfach« sind, wie Du sie sehen möchtest. Ich verstehe ebensowenig, warum Du meinst, Dich tief beunruhigende Fragen nicht im Vorstand aussprechen und diskutieren zu können. Kurzum: Ich bitte Dich, mir einen – möglichst baldigen – Termin zu benennen, wo wir über all die Fragen nochmals sprechen können. Ich habe nie Deine Mitgliedschaft im Vorstand als ein »schweigendes Dabeisitzen« verstanden und bitte Dich, Deinen Entschluß nochmals zu bedenken.
Als Anlage übermittle ich Dir den Durchschlag meiner Antwort an Franz Fühmann auf seinen Brief vom 11. 08. 77, von dem er eine Kopie an Dich gesandt hatte.
Mit freundlichen Grüßen
Henniger
1. Sekretär
[Anlage:] Gerhard Henniger an Franz Fühmann
29. 08. 1977
Lieber Kollege Fühmann!
Aus dem Urlaub zurückkehrend, finde ich Ihren Brief vom 11. August 1977 vor. Erlauben Sie mir bitte, zunächst einige – milde gesagt – Unkorrektheiten richtig zu stellen:
1. Sie sprechen von mehreren Briefen an mich, die »alle ohne Antwort geblieben sind«. Das stimmt nicht. Seit »jenem Novemberärgernis«, wie Sie es nennen, haben Sie mir zwei Briefe geschrieben. Der eine Brief – datiert vom 28. Februar 1977 – wurde von Ihnen geschrieben einen Tag nach einem längeren Gespräch, das wir hatten. Er hatte nach Ihren Worten die Funktion, Ihren Standpunkt, den Sie in unserem Gespräch eingenommen hatten, nochmals schriftlich zu fixieren. Sie schrieben: »Da ich an der kommenden Vorstandssitzung … nicht teilnehmen kann, übersende ich Ihnen, um jedem etwaigen Mißverständnis vorzubeugen, eine Zusammenfassung des mich betreffenden Teils unserer Unterredung von 27. 2. 77.« Über die Fragen, die Sie in diesem Brief aufgeworfen haben, hatte ich Ihnen am Vortage meine Meinung ausführlich dargelegt. Ihrem zweiten Brief vom 14. April 1977 war ein weiteres Gespräch vorausgegangen, das wir am 17. März 1977 miteinander führten. Auch in diesem Gespräch ging es – wie in beiden Briefen – um die Ereignisse im November 1976, um die Entschließung unseres Vorstandes und um die Konsequenzen für die weitere Arbeit. Zu all dem habe ich Ihnen in den Gesprächen meine Meinung dargelegt und Ihnen außerdem zugesagt, daß ich das Präsidium über Ihren Standpunkt informieren würde. Das ist geschehen. Über die Schlußfolgerungen, die das Präsidium aus diesen und anderen Gesprächen gezogen hat, wurde von Anna Seghers, Max Walter Schulz und mir in der Sitzung unseres Vorstandes am 28. Juni 1977 gesprochen. An dieser Sitzung haben Sie teilgenommen. (Übrigens: Ihren zweiten Brief haben Sie mir persönlich überreicht, so daß ich tatsächlich nicht auf die Idee gekommen bin, Ihnen nochmals eine Eingangsbestätigung zu schicken)
2. Sie schreiben, daß Sie wiederholt Ihre Bereitschaft bekundet haben, »um ernsthaft über unaufschiebbare, quälende Probleme unseres Literaturlebens beraten zu helfen«. In unseren Gesprächen haben Sie diese Probleme dahingehend präzisiert, daß es Ihnen vorrangig um die Möglichkeit gehe, als Schriftsteller öffentlich auch Meinungen kund zu tun, die nicht mit Entscheidungen und Maßnahmen der Regierung übereinstimmen. Ich darf Sie wörtlich zitieren: »… einen … Schriftsteller die Möglichkeit zu geben, sich in einer ernsten Frage auch dann an seine Leser zu wenden, wenn er mit einer Doktrin oder Entscheidung seines Staats oder seiner Gesellschaft nicht übereinstimmen kann. Zum Begriff des Schriftstellers gehört der Begriff der Öffentlichkeit, und der ist ebensowenig teilbar wie der des Schriftstellers selbst.« Sie werden sich erinnern, dabei mehrmals das Bild von der Glühlampe gebraucht zu haben, die man nur einschalte, wenn sie Zustimmung signalisieren soll. Da sich ein großer Teil unserer Gespräche um diese Fragen drehte, ist mir völlig unverständlich, wie Sie behaupten können, darauf keine Antwort erhalten zu haben. Daß wir in der einen oder anderen Frage unterschiedliche Auffassungen haben, darf uns doch nicht den Vorwurf erheben lassen, daß der eine die Meinung des anderen nicht zur Kenntnis nehme.
3. Es ist mir unbekannt und unerklärlich, auf Grund welcher Äußerungen Sie die Meinung vertreten, daß im Sekretariat des Verbandes »eine mit Phrasen drapierte Genugtuung« über die Absicht von Sarah Kirsch herrsche, die DDR zu verlassen.
Lieber Kollege Fühmann, ich habe Ihnen in unseren Gesprächen bereits mehrmals gesagt, daß uns an einer Mitarbeit von Franz Fühmann im Vorstand viel gelegen ist – und das war nicht rhetorisch gemeint. Meinungsverschiedenheiten können immer auftreten, wir sollten sie sachlich diskutieren. Auf keinen Fall halte ich es für richtig, »Gründe« zu suchen, um sich aus dem Vorstand zurückzuziehen. So können Meinungsverschiedenheiten nicht geklärt werden, so werden nur neue Klüfte aufgerissen. Ich bitte Sie deshalb, sich diese Frage noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Bisher haben wir über Jahre über Vieles offen gesprochen und manches – wie z. B. auf dem VII. Schriftstellerkongreß – gebessert – sollten wir das nicht beibehalten?
Ich würde mich freuen, wenn wir recht bald darüber nochmals sprechen könnten. Vielleicht könnten wir kurzfristig telefonisch einen Termin...
Erscheint lt. Verlag | 13.1.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Briefe / Tagebücher | |
Schlagworte | Briefe • Briefwechsel • Christa Wolf • DDR • Franz Fühmann • Günter Grass • Intellektuelle • Kritik • Kritische Intelektuelle • Künstlerleben • Künstlerleben in der DDR • Widerstand • Wolf Biermann • Zusammenhalt |
ISBN-10 | 3-8412-2958-1 / 3841229581 |
ISBN-13 | 978-3-8412-2958-8 / 9783841229588 |
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