Ein Sommer mit Hemingways Katzen (eBook)
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01132-8 (ISBN)
Lindsey Hooper liebt Hemingway und Katzen und reist gern auf die Florida Keys. Sie hat bereits mehrere Kriminalromane und Romantische Komödien veröffentlicht.
Lindsey Hooper liebt Hemingway und Katzen und reist gern auf die Florida Keys. Sie hat bereits mehrere Kriminalromane und Romantische Komödien veröffentlicht. Susann Rehlein lebt in Berlin und arbeitet als Autorin, Übersetzerin und Lektorin.
1 Fiesta mit Hühnern
Auf der südlichsten Insel der Florida Keys passiert jeden Morgen etwas wirklich Lustiges.
Die Sonne weigert sich aufzugehen.
Wie ein schläfriger Tourist, der am Vorabend ein paar Margaritas zu viel hatte, versteckt sie ihr Gesicht hinter einer Wolkendecke und versucht, den Lärm der Frühaufsteher da unten auszublenden.
Der Erste, der aufsteht, ist der langhaarige Leuchtturmwärter. Während er aus vollen Händen Körner auf die Straße streut, pfeift er einen alten Rocksong. «Kommt, Mädels, holt es euch!», sagt er dann freundlich. Sofort ist das frenetische Gegacker der wilden Hühner zu hören, die hektisch ihr Frühstück verspeisen. Der frühe Vogel kriegt ein Korn. Mit rotem Kamm und glänzendem Gefieder kommt schließlich der König dazu, der prächtige Vater aller Key-West-Hähne. Wer braucht da einen Wecker? Ob man will oder nicht, dieser alte Vogel lässt jeden wissen, dass es Zeit zum Aufstehen ist.
Wenn dieser Hahn kräht, folgt jeder seinem Ruf.
Am Ende sogar die Sonne.
Manche nennen den Hahn der alte Getreue. Andere nennen ihn das verdammte Vieh. Den Hahn schert nicht, was man von ihm hält. Er neigt den Kopf himmelwärts, blinzelt einmal, dann noch einmal, um die Qualität des Morgenlichts einzuschätzen. Es ist an der Zeit. Er reckt den bauschig purpurnen Hals, öffnet den Schnabel und stößt aus voller Kehle ein durchdringendes Kikeriki aus. Der Ruf hat eine leicht irre Synkopierung, ist einerseits total schief, aber dann irgendwie doch auch genau richtig – eben wie die Insel Key West selbst.
Keinesfalls kann so ein Ruf ignoriert werden.
In den klimatisierten Zimmern des Leuchtturmhotels sitzen erschrockene Urlauber senkrecht in ihren Betten, lauschen und murmeln: «Kikeri-wie? Echt jetzt?» Das ist nicht der Gutenmorgengruß, den sie sich erhofft hatten. In den Vorgärten der bonbonfarbenen Bungalows huschen winzige grüne Eidechsen ins nächste Gebüsch, gehen in Deckung vor einem möglichen Angreifer. Und draußen am Horizont regt sich die Sonne, nur ein bisschen, gerade als drückte sie die Schlummertaste, um noch ein wenig zu dösen, bevor sie endlich einsieht, dass es nun wirklich an der Zeit ist.
Langsam, träge, zögerlich geht die Sonne über Key West auf.
Gemach, gemach, nur nichts überstürzen. Und dann plötzlich erhebt sie sich ohne weitere Umschweife über die Palmen und übergießt die gesamte Insel mit goldgelbem Licht. Ihre warmen Strahlen dringen durch die Schaufenster in die geschlossenen Läden und Bars auf der Duval Street. Sie scheinen auf die Ausflugsdampfer und Segeljachten, die im Hafenbecken vor sich hin dümpeln, und auf das charmante zweigeschossige Hemingway-Haus mit der umlaufenden Veranda im ersten Stock und den altmodischen grünen Fensterläden. Jeder unter der Sonne versteht die Botschaft: Wach auf, Key West, recken, strecken, raus aus den Federn!
Eine Katze streckt sich ebenfalls ausgiebig.
Hingegossen wie eine Königin, liegt sie auf der Veranda des Hemingway-Hauses. Das ist ihr liebster Lieblingsplatz auf der Insel. Die schöne Goldgetigerte lässt ihre Ohren zucken und öffnet die meergrünen Augen. Unter Gähnen schiebt sie ihre Vorderbeine vor, wackelt mit den Zehen – sechs an jeder Pfote –, und streckt sich schließlich zu voller Katzenlänge aus. Sie ist groß, aber nicht zu groß, ungefähr sechs Jahre alt, jedoch weise wie eine alte Dame.
Ihr offizieller Name ist Ernestine Hemingway, doch bekannt ist sie unter dem Namen Nessie.
Nessie ist nur eine von vierundfünfzig Katzen, die das ehemalige Wohnhaus und seine von Palmen beschatteten Gärten durchstreifen. Als Katze hat Nessie nie eines der Werke des Nobelpreisträgers gelesen. Und als Katze hat sie auch nie die anderen Katzen gezählt, die das Museumsgelände bewohnen – Katzen können nämlich nicht zählen. Dennoch kennt Nessie alle hier wie ihre eigene sechskrallige Pfote (oder wie viele Krallen sie eben hat, Katzen können wie gesagt nicht zählen).
Die Sonne steigt höher den Himmel hinauf. Für Nessie sieht sie aus wie ein gewaltiger Leuchtkäfer, der eine der Palmen bis zur obersten Spitze emporkraxelt. Als Sonnenlicht zwischen den Palmwedeln hindurch auf sie fällt, blinzelt sie, richtet sich auf und schleppt sich träge zu einem schattigeren Platz auf der Veranda. Viel besser. Sie rekelt sich ein weiteres Mal, gähnt und zieht in Erwägung, wieder einzuschlafen. Aber dann macht ein lauter Bums, gefolgt von hektischem Krallenkratzen, deutlich, dass die Kätzchen wach sind. Und zu allen Schandtaten bereit.
Zuerst kommen die Zwillinge, Chew-Chew und Whiskey, herangestürmt. Sie sind ein bisschen älter als die anderen und doppelt so ungestüm – wie zwei Teenager, die gerade ihren Führerschein gemacht haben. Wie katzenförmige Rennwagen zischen sie über die Veranda vom Hemingway-Haus und rasen als grau-weiße Fellschlieren an Nessie vorbei.
Dann kommt Spinderella. Sie ist vorpubertär schlaksig, hat graue und schwarze Streifen, goldgefleckte Augen und vier absurd große sechskrallige Pfoten, die viel zu klobig für ihren Körper sind. Noch hat sie ihre Quadratlatschen nicht im Griff. Sie stürmt um die Ecke der Veranda und will eine scharfe Kehrtwende machen – aber ihre Pfoten laufen weiter geradeaus. Mit einem kläglichen Jaulen schlittert sie mit erhobenem Schwanz über die Dielenbretter und kreiselt wie eine Spindel, bis sie irgendwann ausgetrudelt ist.
Daher der Name Spinderella.
Nessie schaut der kleinen Katze zu, wie sie versucht, wieder auf die Füße zu kommen. Benommen und durcheinander schüttelt Spinderella das Köpfchen, streckt ihre Pfoten und fegt dann wieder los, den Zwillingen hinterher. Als sie an Nessie vorbeiflitzt, stolpert sie über ihre eigenen Pfoten und stürzt um ein Haar von der Veranda. Wenn Nessie lachen könnte wie ein Mensch, würde sie sich wahrscheinlich nicht mehr einkriegen. Stattdessen wischt sie mit ihrem flauschigen Schwanz vor und zurück.
Das ist Nessies Version von «LOL».
Als Nächstes kommen die Babys: Larry, Curly und Moe. Die drei verspielten Bündel aus Schnurrhaaren und Fell hopsen, tänzeln und kullern als absturzgefährdetes Wirrwarr über die Veranda wie drei Wollknäuel, die aus dem Strickkorb gepurzelt sind. Die drei sind sogar noch jünger als Spinderella und müssen die Grundlagen geordneter Bewegung auf sechskralligen Pfoten erst noch erlernen. Allein ihren Kapriolen zuzusehen, macht Nessie müde.
Ist es zu früh für ein Katzennickerchen?
Das Trio pirscht im Zickzack an ihr vorüber und erreicht irgendwann das andere Ende der Veranda. Aber dann kollidiert Moe mit Larry, der in Curly kracht und sie aus dem Gleichgewicht bringt, sodass sie umfällt und ganz unten in einem schwankenden Kätzchenstapel begraben wird.
Nessie wischt mit ihrem Schwanz. LOL.
Vergeblich versucht die arme kleine Curly, unter ihren Brüdern hervorzukriechen. Sie fängt an zu quäken und um Hilfe zu rufen.
Nessie ist gefordert.
Sie springt von ihrem Schattenplatz auf, macht ein paar Sätze über die Veranda und schiebt die anderen Kätzchen mit der Nase von Curly hinunter. Endlich frei, stellt sich das getigerte Kätzchen auf die Füße und schüttelt sich. Nessie gibt ihr einen Stups. Curly versteht den Hinweis und stürmt ihren Brüdern hinterher, die gerade die Verandastufen nach unten bezwingen. Nessie schickt ihnen ein Miau hinterher und kehrt zu ihrem Schattenplatz zurück – immer noch müde, aber wachsam.
Vielleicht sind Katzennickerchen auch überbewertet.
Als die inoffizielle Hausmutter der Hemingway-Katzen hat Nessie alle Pfoten voll zu tun: Ungeschickte Kätzchen wieder auf die Pfoten stellen, wenn sie hingefallen sind, regelwidrige Katzenkämpfe beenden, Katzen von den Zaunpfosten verjagen, von wo aus sie die Hunde der Nachbarschaft terrorisieren – Nessie ist sich für nichts zu schade. Eigentlich müsste sie sich beileibe nicht um jede einzelne Katze im Haushalt kümmern. Aber es liegt ihr nun mal im Blut. Sie ist eine Katze, und Katzen folgen ihren Instinkten. Nessie wirft einen Blick auf die Kleinen und sieht, dass sie jetzt im Gras spielen. Zufrieden zieht sie die Beine unter ihren goldenen Pelz und schließt die Augen.
Das ist die letzte Möglichkeit, den Frieden und die morgendliche Stille zu genießen, ehe die Touristen einfallen und das Chaos sich ausbreitet.
Miaaaaaauuuuuuu!
Lautes Kreischen schrillt über die Wiese, gefolgt von noch mehr Kreischen und Miauen. Der Lärm schraubt sich schnell in ungeahnte Höhen und mündet in ein wildes, ekstatisches Finale. Nessie seufzt und öffnet die Augen.
Was ist denn nun schon wieder?
«Kinder! Kinder!», ertönt eine tiefe, volle Frauenstimme.
Nessie blickt über die Wiese und sieht eine mittelalte Frau mit dunklen Haaren im Zentrum des katzenverursachten Orkans stehen.
«Aufhören, alle aufhören!»
Die Frau – Margarita Bouffet – ist die Chefin des Hemingway-Hauses. In ihrem Beruf ist sie wirklich hervorragend, aber mit kleinen Katzen kennt sie sich weniger gut aus.
«Aufhören, habe ich gesagt!»
Nessie nennt Margarita die First Lady, weil sie jeden Morgen der erste Mensch ist, der eintrifft. An diesem Morgen...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2022 |
---|---|
Übersetzer | Susann Rehlein |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | beach read • Der alte Mann und das Meer • Ernest Hemingway • Florida • Florida Keys • Hemingway-Haus • Hurricane • Hurricane Irma • Insel • Internationaler Tag der Katze • Katzen • Katzenbuch • Katzenroman • Key West • Literaturmuseum • Museum • Roman für Frauen • Romantic Comedy • Romantische Komödie • Studentin • Urlaubslektüre • Weltkatzentag |
ISBN-10 | 3-644-01132-X / 364401132X |
ISBN-13 | 978-3-644-01132-8 / 9783644011328 |
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