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Meine Leidenschaft ist das Herz (eBook)

Erinnerungen eines Pioniers der Herzchirurgie
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
224 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76754-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Meine Leidenschaft ist das Herz -  Roland Hetzer,  Regina Carstensen
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Wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre er Eisenbahner geworden. Aber Roland Hetzer, der 1946 aus dem Sudetenland als Flüchtlingskind nach Augsburg kam, hatte andere Pläne. Er wollte Medizin studieren und Arzt werden. Sein besonderes Interesse galt der Herzchirurgie. An einem Julitag im Jahr 1983 erreichte den Facharzt für Chirurgie beim Eintreffen in seiner Klinik die Nachricht, dass nach dem Unfalltod eines 15-jährigen Mädchens ein Spenderherz eingetroffen sei. Auch einen Empfänger gibt es bereits. Hetzer handelt sofort - und transplantiert sein erstes Herz. Und begibt sich damit in Deutschland auf eine »terra incognita«, die vor ihm nur wenige betreten hatten. In der Folge wurde er zu einem der größten Pioniere der Herzchirurgie weltweit. Ab 1985 baute er als ärztlicher Direktor das Herzzentrum Berlin auf. Wurde schnell zu einer Anlaufstelle der Prominenten. War der berühmte nordkoreanische Patient tatsächlich Kim Jong? Er schweigt. Wichtiger ist ihm, von seinem Engagement beim Aufbau einer Herzchirurgie in Sarajevo nach dem Bosnienkrieg zu berichten. Von seinem Engagement für Gender-Medizin. Von Herztransplantationen bei Kindern. Von seiner ersten erfolgreichen Transplantation eines Kunstherzens. Lauter Pioniertaten.

Eine Autobiographie, die gleichzeitig eine Geschichte der Herzchirurgie in Deutschland ist, vor allem aber die Geschichte eines mutigen Arztes, der neue Maßstäbe in der Medizin setzte.



<p>Prof. Dr. med. Roland Hetzer, geboren1944 in der Nähe von Karlsbad im ehemaligen Sudetenland. Er studierte Medizin in Mainz und München. 1971 begann er als wissenschaftlicher Assistent an der Medizinischen Hochschule Hannover seine Ausbildung zum Facharzt für Chirurgie. 1985 geht er an die FU Berlin und baut als leitender Arzt der Herzchirurgie und Ärztlicher Direktor das Herzzentrum Berlin auf. Hetzer erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.</p>

Prolog – Ein neues Herz


Der Brustkorb liegt offen vor uns, blutgefüllte Schläuche führen hinein. Zweiundzwanzig Augenpaare schauen gebannt auf das, was sie im großen Operationssaal der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover gleich zu sehen hoffen. Einzig Dagmar Schaps, die Anästhesistin, schaut konzentriert auf die Monitore, die die Vitalfunktionen des Patienten überwachen, die Blutdruckwerte, das Elektrokardiogramm, das Auskunft über die Herztätigkeit gibt. Und sie hat die Herz-Lungen-Maschine im Blick. Sie hat vor wenigen Minuten die Arbeit des Herzens übernommen. Bis auf die Geräusche der Maschine herrscht atemlose Stille.

Das Team hat diesen Vorgang oft geprobt und trainiert. Monatelang. Vier von uns waren in Stanford gewesen, im Medical Center, dem Mekka der Herztransplantationen, darunter mein Assistenzarzt Dr. Henning Warnecke, der sich gerade im Nebensaal um das Spenderherz gekümmert hat. Unsere Blicke treffen sich, wir scheinen beide dasselbe zu denken. Bislang ist alles überraschend gut gelaufen. Ich habe jetzt das Herz des Patienten entfernt. Das, was man wirklich entfernt, sind die Herzkammern, und die Vorhöfe werden zur Hälfte abgetrennt. Zurück bleiben die Hinterwände der Vorhöfe, in die die Hohlvenen und die Lungenvenen einmünden. Auch die Lungenschlagader und die Aorta habe ich oberhalb der Kammern durchtrennt. Bis dahin war alles nur Routine. Das Entscheidende liegt noch vor uns.

Die Uhr an der Wand zeigt halb neun abends. Vor eineinhalb Stunden haben wir angefangen.

Noch am Morgen wusste ich nicht, dass es heute passieren würde. Wie jeden Tag hatte ich mich auch an diesem 21. Juli 1983 auf den Weg in die Klinik gemacht, war ungeachtet des herrlichen Sommerwetters meinen OP-Plan für die nächsten Stunden im Kopf durchgegangen, dachte an meinen Chef Hans Georg Borst, der sich in seinem Landhäuschen in Österreich von einer Knieoperation erholte. An der Pforte traf ich auf Christoph Brölsch. Er arbeitet unter Rudolf Pichlmayr, dem Spezialisten in unserem Haus, wenn es um die Transplantation von Nieren und der Leber geht.

Er grinste und sagte: »Schon gehört? Bei uns gibt es ein Spenderherz für eine Herztransplantation. Ihr habt doch seit Langem vor, eine Herztransplantation zu wagen. Willst du’s machen? Die Chance ist jetzt da.«

»Ich weiß nicht so recht«, antwortete ich zögernd, völlig überrascht über diese Möglichkeit, die sich mir da gerade auftat. »Borst wollte den ersten Eingriff vornehmen. Da will ich nicht dazwischenfunken.«

»Aber er ist nun mal nicht da. Denk daran, nicht jeden Tag haben wir ein Spenderherz zur Verfügung. Spender und Empfänger im selben Krankenhaus. Es muss nicht weit transportiert werden, nur von einem OP-Saal zum nächsten, besser geht’s doch gar nicht.«

»Na ja«, stotterte ich. »Das ist schon wahr. Aber ich muss mir erst einmal den Spender anschauen. Es muss passen.«

»Na, dann komm mit. Es ist übrigens eine Spenderin. Ein junges Mädchen, fünfzehn Jahre alt. Hatte einen schweren Verkehrsunfall. Schreckliche Sache.«

»Der Hirntod ist schon festgestellt worden?«, fragte ich nach, um ganz sicherzugehen.

»Also, das ist das Erste, was wir tun. Nulllinie im EEG. Sämtlicher Ausfall aller Steuerungsfunktionen des Gehirns. Glaubst du etwa, wir gehen damit verantwortungslos um?«

Natürlich glaubte ich das nicht.

Kurz danach hatte ich mir die junge Frau in der Pichlmayr-Abteilung angeschaut. Da lag sie. Viel zu früh war sie gestorben, was mussten ihre Angehörigen durchmachen, ihre Eltern, womöglich hatte sie Geschwister. Immerhin, so erfuhr ich noch, Vater und Mutter hatten zugestimmt, dass wir die Organe ihrer Tochter entnehmen durften. Das Mädchen hatte noch keinen Organspendeausweis (überhaupt besitzen bis heute viel zu wenige Menschen einen).

Bei einer Transplantation ist immer einer der Beteiligten ein Toter, dachte ich und: In der Vergangenheit waren es oft zwei gewesen, der Spender und der Empfänger. Die Patienten, die ein neues Herz empfangen hatten, starben oft kurze Zeit nach dem Eingriff. Anfangs scheiterten viele Fälle sogar schon gleich zu Beginn der Operation. Aber man hatte dazugelernt, und in Stanford waren seitdem strenge Kriterien entwickelt worden. Inzwischen lebten 50 Prozent der Operierten länger als fünf Jahre. Doch es mussten einfach noch mehr werden – vor allem sollte heute nicht ein weiterer tragischer Fall hinzukommen, am Tag meiner ersten Herztransplantation.

Nachdem ich das Zimmer des jungen Mädchens verlassen hatte, rief ich meinen Assistenzarzt an. »Warnecke, bei Pichlmayr in der Klinik gibt es ein Spenderherz.«

»Haben wir denn dafür einen geeigneten Empfänger?«, fragte Dr. Warnecke, sofort hellwach.

»Ich habe an Stephanus Göppert gedacht. Ich weiß, er erfüllt nicht alle Auswahlkriterien. Er ist voroperiert, sein Herz weist Verwachsungen auf, die müssen erst einmal gelöst werden, bevor man das Herz entnehmen kann. Eine Bypass-OP hat er schon hinter sich. Aber immerhin ist er nicht über fünfzig …« Nach den Stanford-Kriterien sollten die Patienten, bei denen man vorhatte, ein Herz zu transplantieren, möglichst unter fünfzig sein. Eine Festlegung.

»Nun, aber neunundvierzig, nicht weit davon entfernt«, warf Warnecke ein. Zu Recht, und er kannte den Patienten.

»Sicher, das stimmt. Aber wer ein Herz transplantiert bekommt – das ist immer der letzte Ausweg –, da sind die Bedingungen nie ideal.«

»Auch wieder wahr, und er hat eine schwere Herzinsuffizienz, die mit Medikamenten kaum noch beherrschbar ist. Er braucht dringend ein neues Herz. Haben Sie den Patienten gestern gesehen?«

»Ja, da war er aber so eingeschränkt, dass er nur langsam gehen konnte und bei der geringsten Belastung schwere Luftnot bekam. Wir wissen beide, ohne eine Transplantation stirbt er. Und das schon sehr bald.«

»Unabhängig davon – ist der Spender überhaupt ideal? Ein junges Mädchen hat in der Regel ein kleines Herz, und daher ist es vielleicht nicht in der Lage, einen großen Kreislauf zu unterhalten.«

Wieder ein berechtigter Einwand. Eigentlich. »Ich habe mir das Herz genau angeschaut, es müsste trotzdem klappen. Außerdem stimmt die Blutgruppe überein. Stellen Sie sich jedenfalls mal darauf ein, dass wir womöglich operieren werden.«

»Alles klar.«

Anschließend rief ich meinen Chef in Österreich an und schilderte ihm die Situation.

»Aber wir sollten noch warten!«, war sein Kommentar. Kein weiteres Wort.

Gut, dachte ich, dann eben nicht. Natürlich wollte er die erste Herztransplantation in Norddeutschland höchstpersönlich machen – insgesamt gab es bislang zwölf solcher Eingriffe in Deutschland, alle vorgenommen in München, zwei am dortigen Deutschen Herzzentrum, zehn am Universitätsklinikum Großhadern. Ich konnte ihn verstehen, schließlich würde der Eingriff für großes Aufsehen sorgen, und bei solch spektakulären Fällen drehte sich am Ende alles um den Chirurgen. Das wäre dann ich. Ohne noch weiter zu argumentieren, fing ich eine andere Operation an, mein OP-Plan hatte sich sowieso verschoben.

Wenige Stunden später jedoch wollte Hans Georg Borst mich sprechen. Er verlangte nähere Informationen, und ich gab sie ihm, verwies darauf, dass es kaum eine geeignetere Gelegenheit geben würde, außerdem wären wir bestens vorbereitet. Am Ende des Gesprächs gab er seine Einwilligung, meinte: »Na, dann versuch es. Good luck!«

»Wahrscheinlich geht Borst davon aus, dass es eh schiefgeht«, sagte ich zu Warnecke, als ich ihm erklärte, dass wir nun doch das Okay von unserem Chef hätten.

Stephanus Göppert, der Patient, wurde einbestellt und auf die Transplantation vorbereitet. Schon vor einiger Zeit hatten wir mit ihm über ein neues Herz gesprochen. Er wusste, was ihn erwartete, was alles an Komplikationen auftreten konnte, bis hin zu der Tatsache, dass sein Körper das fremde Herz womöglich abstoßen würde. Das größte Risiko dabei. Und dass diese Transplantation nicht nur eine große körperliche, sondern auch eine enorme psychische Belastung darstellte. Er hatte sich alles ruhig angehört, dann gesagt: »Angesichts meines düsteren Schicksals bin ich damit völlig einverstanden.« ...

Erscheint lt. Verlag 21.11.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Bundesverdienstkreuz • Chirurgie • Deutsche Herzzentrum Berlin • DHZB • Freie Universität Berlin • Friede Springer Herz Stiftung • Herzkrankheiten • Herztransplantation • Kardiologie • K.St.V. Ludovicia Augsburg • Kunstherz • Medizinethik • Medizingeschichte • neues Buch • Norman Shumway • Organspende • Organspendeausweis • stanford • Transplantation • Transplantationsmedizin
ISBN-10 3-458-76754-1 / 3458767541
ISBN-13 978-3-458-76754-1 / 9783458767541
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