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Düstersee (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2022
464 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-28934-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Düstersee - Elisabeth Herrmann
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Joachim Vernau macht Ferien in der Uckermark und hat sich im Bootshaus einer wunderbaren Villa einquartiert. Sie gehört dem ebenso charismatischen wie zweifelhaften Philosophieprofessor Christian Steinhoff, der sich dort als Anführer einer neuen Freiheitsbewegung feiern lässt. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Vernau entdeckt die Leiche Steinhoffs am Ufer des Sees, und wenig später wird im Dorf eine Einheimische ermordet. Vernau beginnt zu recherchieren und kommt einem alten Geheimnis auf die Spur, das in Steinhoffs Vergangenheit verborgen liegt. Allerdings leben Mitwisser von Steinhoffs Machenschaften gefährlich - und meist nicht mehr lange ...

Elisabeth Herrmann wurde 1959 in Marburg/Lahn geboren. Nach ihrem Studium als Fernsehjournalistin arbeitete sie beim RBB, bevor sie mit ihrem Roman »Das Kindermädchen« ihren Durchbruch erlebte. Fast alle ihre Bücher wurden oder werden derzeit verfilmt: Die Reihe um den Berliner Anwalt Joachim Vernau sehr erfolgreich vom ZDF mit Jan Josef Liefers. Elisabeth Herrmann erhielt den Radio-Bremen-Krimipreis, den Deutschen Krimipreis und den Glauser für den besten Jugendkrimi 2022. Sie lebt mit ihrer Tochter in Berlin und im Spreewald.

Prolog


Bianca sah sich ängstlich um. »Chris? Wo bist du?«

Es knackte und raschelte im Unterholz. Vom nahen Seeufer wehte ein kalter Wind, der sie frösteln ließ. Eben noch war er direkt hinter ihr gewesen, nun sah es so aus, als ob Bäume und Gebüsch einen dunklen Wall bildeten, der niemanden mehr durchließ.

»Chris!«

Sie hätten nicht herkommen dürfen.

Das Haus wollte das nicht. Es wirkte abweisend mit seinen vernagelten Fensterhöhlen, dem blatternarbigen Putz und den Löchern im Dach. Obwohl immer noch etwas Stolzes, Majestätisches von ihm ausging, wie es da auf seiner Anhöhe stand. In der Umarmung des Waldes, den lange niemand mehr im Zaum gehalten hatte und der näher und näher herankroch.

Alt war es, sehr alt. Mit einer Terrasse zum See, die vom Unkraut überwuchert war, der geschwungenen Steintreppe und dem Paradebalkon, wie gemacht dazu, in früheren Zeiten den an- und abreisenden Gästen huldvoll zuzuwinken. Eine schlafende Schönheit, die das Alter und den Verfall wegträumte und nicht mitbekam, dass es an allen Ecken und Enden bröckelte. Sie liebte es, und sie fürchtete es.

Das Brechen der trockenen Sommerzweige ließ Bianca zusammenfahren. Ein Schatten löste sich vom dunklen Dickicht, und sie atmete auf.

»Chris! Du darfst mich nicht so erschrecken!«

Der junge Mann ging auf sie zu, nahm sie in die Arme und küsste sie. Bianca fühlte, wie Nervosität und schlechtes Gewissen explosionsartig auf ihre Sehnsucht trafen. Sie durften nicht hier sein, es war verboten. Und was sie jetzt vorhatten – auch. Genau das versetzte sie in eine fiebrige Stimmung.

Erhitzt löste sie sich von ihm und trat einen Schritt zurück. Er hielt ihre Hände fest. »Tut mir leid. Ich musste pinkeln.«

Männer. Sie unterdrückte einen Seufzer.

»Es ist unheimlich hier. Schau mal.«

Sie wies auf den blassroten Mond, der nebelverhangen am Nachthimmel stand. Chris nickte und wollte sie wieder an sich ziehen. »Der Blutmond.«

»Wir sollten reingehen.«

»Reingehen?«, wiederholte Bianca bestürzt.

Er grinste. »Was denn sonst? Ist geil da drinnen.«

Sie hatte gedacht, sie würden es sich in dem halb verfallenen Bootshaus gemütlich machen. Oder auf der ungemähten Wiese unter den Bäumen am Ufer, wo nichts mehr daran erinnerte, dass alles einmal ein Park gewesen sein musste. Vom Reingehen war nie die Rede gewesen. Sie hatte eine Decke dabei, eine Flasche Wein und drei Kondome. Ihr war klar, dass es heute Nacht so weit war.

»Komm schon.«

Er zog sie mit sich, heraus aus dem Gebüsch, das noch etwas Sichtschutz geboten hatte. Sie sah sich hastig um. Vielleicht kam gerade jetzt oben auf der Straße jemand vorbei und beobachtete sie? An der Biegung war der Blick auf das Grundstück fast frei und fiel ungehindert bis ans Ufer des Düstersees. Aber Chris schien sich darum keine Sorgen zu machen. Er lief über das riesige Grundstück, umrundete ausufernde Büsche und zerbröckelnde Mauerreste, bis er die Terrasse erreichte, wo sie vor Blicken von der Straße geschützt waren. Dort küsste er sie wieder, gierig und schnell, und seine Hände ließen keine Zweifel daran, was er vorhatte.

Er war nicht der Schönste. Aber er war kräftig und hatte Erfahrung. Es ging nicht um Liebe, sondern darum, etwas hinter sich zu bringen. Sie war einundzwanzig, und es war Zeit. Nicht der beste aller Gründe, und deshalb war sie auch nicht so sehr bei der Sache wie er.

»Da ist jemand«, stieß sie hervor.

Chris, der ihr das T-Shirt hochgeschoben hatte und sich bereits dem Verschluss ihres Büstenhalters widmete, hielt inne.

»Wo?«

»Ich weiß nicht.«

Vielleicht war das doch keine so gute Idee gewesen. Aber wo sollte man hingehen, wenn man kein eigenes Auto besaß und irgendwann einmal, als Bianca kein Kind mehr war, der Schlüssel zu ihrem Zimmer verschwunden war? Egal wen sie mit nach Hause brachte, ob Schulfreundinnen oder die ersten, zaghaften Flirts – irgendwann stand ihre Mutter im Zimmer und fragte scheinheilig, ob jemand Kaffee und Apfelkuchen haben wolle.

Sie zog das T-Shirt herunter und trat an die steinerne Brüstung der Terrasse. In ihrer Erinnerung war der See immer düster gewesen, dunkel und kalt.

»Vielleicht schwimmt noch einer?«

»Bei diesem Wetter?«

Anfang September. Der Sommer öffnete bereits dem Herbst die Tür, und auf dem Wasser schwebten zarte Nebelschleier. Chris wandte sich mit einem Seufzen den Brettern zu, mit denen die Terrassentür verrammelt war. Vermutlich aus Schutz vor Vandalismus. Dabei war Vernachlässigung doch genauso zerstörerisch. Ein Schandfleck war dieses Haus. Und sie fürchtete sich vor ihm.

»Chris …«

Mit bloßen Händen hob er eine der Querlatten aus der Verankerung. Es gelang ihm so mühelos, als wäre er schon des Öfteren auf diesem Weg hineingekommen.

»Lass uns gehen.«

»Warum?« Er warf die Latte auf den Boden und widmete sich der nächsten.

»Chris! Was machst du denn da? Wenn das einer hört!«

»Wer denn?«, lachte er.

Das Mondlicht tauchte den See, seine dunklen, bewaldeten Ufer und das verfallene Bootshaus in ein gespenstisches Licht. Schilf wisperte, und irgendwo weit weg schlug ein Hund an, der sich aber gleich wieder beruhigte. Chris hatte recht. Hier war niemand. Warum ängstigte sie sich dann so?

Die zweite Latte fiel. Damit waren die hochkant aufgestellten Bretter frei, die den Zugang von der Terrasse ins Haus versperrten. Er hob das erste heraus, hatte aber dieses Mal die Geistesgegenwart, es auf den Boden zu legen statt zu werfen.

Der Spalt war breit genug, um ins Innere zu gelangen. Sie hörte, wie er eine rostige Türklinke drückte, und dann den wehen Ton von lange nicht geölten Zargen.

»Bitte einzutreten.«

Er machte ihr Platz. Mit klopfendem Herzen kam sie zu ihm und sah noch einmal über die Schulter zurück.

»Willste Wurzeln schlagen?«

Sie schüttelte den Kopf und zwängte sich durch den Spalt. Die ganze Situation war bei weitem nicht so romantisch, wie sie sie sich ausgemalt hatte. Auch wenn der alte Kasten leer stand, sie begingen gerade einen Einbruch. Dazu wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie jemand beobachtete.

Chris befand sich nun ebenfalls in dem stockdunklen, muffigen Raum. Er schloss die Tür, und sie sah die Hand nicht mehr vor Augen. Als jemand sie am Arm berührte, schrie sie panisch auf.

»O Mann«, knurrte er. »Jetzt werd nicht hysterisch!«

»Wie kannst du mich dauernd so erschrecken? Macht dir das Spaß?«

Sein Handy leuchtete auf. Das blaue Licht hielt er erst auf sie gerichtet, dann leuchtete er einmal rundherum.

Verdreckter Steinboden, blätternder Putz. Vielleicht ein Gartenzimmer, mit dieser hohen Tür zur Terrasse. Bretter, Müll, huschende Schatten.

»Sind hier Ratten?«

»Keine Ahnung.«

»Sorry.« Sie wandte sich zum Gehen. »Das war keine gute Idee.«

Schon hatte er sie am Arm gepackt. »Jetzt warte doch mal. Wir gehen nach oben. Da ist es heller und nicht so feucht.«

Ohne auf ihr Widerstreben zu achten, nahm er sie im Schlepptau aus dem Raum mit, hinaus in eine große Eingangshalle. Das Wenige, was Bianca erkennen konnte, waren das blinde Schachbrettmuster der Fliesen, eine hölzerne Wandvertäfelung und Tapetenbahnen, die sich von der Wand lösten. Nichts war mehr übrig geblieben von denen, die hier Hof gehalten hatten. Eine breite Steintreppe, flankiert von einem kunstvoll geschnitzten Holzgeländer, war wie gemacht für einen theatralischen Auftritt. Aber ihre Schuhe knirschten auf den Stufen, überall Steinstaub und Verfall.

Sie war froh um seine Hand, die sie hielt. Er zog sie die Treppe hinauf auf eine Galerie, von der links und rechts ein breiter Flur führte.

Er wandte sich nach links. Wieder leuchtete er über die Wände. Sie waren hüfthoch mit Holz vertäfelt und darüber vor langer Zeit einmal mit einer Streifentapete beklebt worden. Jetzt war sie fleckig und zum Teil abgerissen. Bianca stolperte, denn auf dem Boden lag noch ein löchriger Läufer über dem welligen Parkett. Wahrscheinlich war das Dach undicht.

»Hier.«

Er stoppte vor einer Tür. Tiefe Risse durchfurchten das Blatt, aber man ahnte noch, wie sorgfältig es einmal gearbeitet worden war. Er öffnete, ging über den knarrenden Holzboden voran und hielt ihr die Tür auf.

»Na, was sagst du?«

Auf dem Boden lag eine stockfleckige Matratze. Halb abgebrannte Kerzen steckten auf leeren Weinflaschen. Er legte das Handy ab, suchte nach seinem Feuerzeug und zündete sie an.

Es roch schimmelig und feucht. Bianca trat an das verrammelte Fenster, aber es ließ sich nicht öffnen, zudem war es auch noch von außen vernagelt.

»Vergiss es.« Eine der leeren Flaschen fiel um und rollte über den Boden. »Alles dichtgemacht. Komm her.«

Sie drehte sich um. Auf dieser Matratze sollten sie … zusammen sein?

»Du bist öfter hier.«

Chris steckte das Feuerzeug wieder weg und schaltete das Handy aus. Der Schein der Kerze verbreitete ein warmes, weiches Licht. Immerhin. »Ich brauch auch mal meine Ruhe.«

»Allein?«

Er trat auf sie zu und nahm sie in die Arme. Sein Mund suchte ihre Lippen. Den Impuls, sich wegzudrehen, unterdrückte sie. Genau deshalb hatte sie sich in dieser Nacht mit ihm getroffen. Nun waren sie schon so weit gegangen, da konnte sie keinen Rückzieher mehr machen.

Beinahe übergangslos...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2022
Reihe/Serie Joachim Vernau
Joachim Vernau
Sprache deutsch
Maße 130 x 130 mm
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • Berlin • Bestseller • bestsellerliste spiegel aktuell • eBooks • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuer Band der Reihe • Neuerscheinung • Neuerscheinung Krimi Thriller • Reihe • Softcover • spannende Bücher • Taschenbuch
ISBN-10 3-641-28934-3 / 3641289343
ISBN-13 978-3-641-28934-8 / 9783641289348
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