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Gwendys letzte Aufgabe (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022
352 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-29150-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gwendys letzte Aufgabe - Stephen King, Richard Chizmar
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Castle Rock, wir haben ein Problem!
Gwendy, inzwischen in einem hohen politischen Amt und für Klimafragen zuständig, begibt sich zu wissenschaftlichen Zwecken in die Erdumlaufbahn. Dabei ist sie aber auf ihrer eigenen geheimen Mission unterwegs. Der Wunschkasten ist zu ihr zurückgekehrt, mächtiger und zerstörerischer denn je. Die Aufgabe, die Welt zu retten, könnte für sie zu einer Reise ohne Rückkehr werden.

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.

Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.

5


Gwendy setzt sich zwischen Bankole und Patel. Ihr Platz sieht wie ein leicht futuristischer La-Z-Boy-Ruhesessel aus. Über ihnen sind jeweils drei schwarze Bildschirme angebracht, und für einen panischen Moment kann sich Gwendy nicht daran erinnern, wozu die da sind. Sie sollte eigentlich irgendwas tun, um sie einzuschalten, aber was?

Sie sieht rechtzeitig nach rechts zu Jafari Bankole hinüber, der sich ein Kabel in einen Anschluss im Brustbereich seines Anzugs steckt, worauf es ihr wieder einfällt. Reiß dich zusammen, Gwendy.

Sie stöpselt die Verbindung ein, und die Monitore über ihr leuchten kurz auf und fahren dann hoch. Einer zeigt ein Live-Video von der Rakete auf ihrer Startplattform. Der daneben dokumentiert ihre Vitalparameter (Blutdruck ein bisschen hoch, Puls normal). Über den dritten läuft eine Folge von Daten und Zahlen, da Becky, der Bordcomputer der Eagle Heavy, gerade eine Reihe von Systemtests durchführt. Gwendy kann nichts damit anfangen, Kathy Lundgren vermutlich schon. Wohl auch Sam und Dave Graves, aber natürlich wird es hauptsächlich Kathy sein – zusammen mit Eileen Braddock, der Leiterin der Mission Control –, die mit allergrößter Aufmerksamkeit die Auslesungen verfolgt. Die beiden sind dazu angehalten, die Mission sofort abzublasen, falls sie etwas Unvorhergesehenes entdecken. Gwendy weiß, dass eine solche Entscheidung über siebzehn Millionen Dollar kosten würde.

Im Moment sind alle Zahlen grün. Über den sich abspulenden Datensätzen tickt eine Countdown-Uhr, ebenfalls im grünen Bereich.

»Luke geschlossen«, informiert Becky sie mit ihrer sanften, beinahe menschlich klingenden Stimme. »Betriebsbedingungen normal. T minus eine Stunde, achtundvierzig Minuten.«

»Überprüfe Startposition und Flugbahn«, sagt Kathy zwei Ebenen über Gwendy.

»Wetterverhältnisse Zielgebiet …«, beginnt Becky.

»Kommando zurück, Becky.« In ihrem Anzug kann Kathy kaum den Kopf drehen, aber sie winkt mit dem Arm. »Das möchte ich von Ihnen hören, Gwendy.«

Einen schrecklichen Augenblick lang hat Gwendy keine Ahnung, was sie zu tun oder wie sie zu reagieren hat. In ihrem Kopf herrscht vollständige Leere. Dann sieht sie, wie Adesh Patel unter ihren Sitz zeigt, und die Dinge rasten wieder ein. Sie ist sich darüber im Klaren, dass sich ihr Zustand unter Stress verschlimmert, und ermahnt sich abermals zur Ruhe. Du musst. Der unaufhaltsame neurologische Verfall, dem der graue Schwamm zwischen ihren Ohren ausgesetzt ist, jagt ihr weitaus mehr Angst ein als das Wissen, auf Megatonnen leicht brennbaren Raketentreibstoffs zu hocken.

Sie zieht das mit PETERSON beschriftete Tablet aus den Halteklammern unter dem Sitz hervor, entsperrt es per Daumenabdruck und wischt bis zur Wettervorhersage-App. Die ausgezeichnete Internetverbindung in der Kabine sorgt dafür, dass die medizinischen Daten des Diagnosebildschirms verschwinden. An ihre Stelle tritt eine Wetterkarte, ähnlich denen, die man am Ende von Nachrichtensendungen im Fernsehen sieht.

»Am Zielort alles bestens«, sagt sie zu Kathy. »Die komplette Strecke über Hochdruck, klarer Himmel, kein Wind.« Außerdem würde es, wie sie weiß, schon Winde in Orkanstärke brauchen, um Eagle Heavy vom Kurs abzubringen, wenn sie erst einmal richtig in Fahrt war. Die meisten Witterungssorgen drehen sich ums Abheben und den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.

»Wie steht’s um das Obenrum?«, erkundigt sich Sam Drinkwater bei ihr. In seiner Stimme schwingt ein Lächeln mit.

»Unwetter in hundert Kilometer Höhe, mit geringer Aussicht auf Meteoritenschauer«, erwidert Gwendy, und alle lachen. Sie schaltet das Tablet aus, und auf dem Monitor geht die Gesundheitsdatenanalyse weiter.

»Falls Sie den Fensterplatz möchten, Senatorin – noch ist genug Zeit zum Tauschen«, sagt Jafari Bankole.

Auf der dritten Ebene gibt es zwei Sitzplätze mit Bullaugen – wiederum in Hinblick auf zukünftiges Tourismusgeschehen. Natürlich belegt Gareth Winston einen davon. Gwendy schüttelt den Kopf. »Als Mannschaftsastronom sollten lieber Sie einen Beobachtungsposten halten. Und wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, dass Sie mich Gwendy nennen sollen?«

Bankole lächelt. »Oft. Es fällt mir halt nicht besonders leicht.«

»Verstanden. Ich weiß das sogar zu schätzen. Aber würden Sie sich bitte nach Kräften bemühen, solange wir zusammengequetscht in der teuersten Sardinenbüchse der Welt stecken?«

»Alles klar. Sie sind Gwendy, zumindest bis wir an der Many-Flags-Station andocken.«

Sie warten. Die Minuten schwinden dahin (so wie leider mein Geist dahinschwindet, muss Gwendy denken). Um T minus 40 teilt ihnen Becky mit, dass der Versorgungsturm auf seinen riesigen Schienen zurückweicht. Um T minus 35 verkündet Becky: »Auftanken begonnen. Alle Systeme stabil.«

Vor langer Zeit – eigentlich ist es erst zehn oder zwölf Jahre her, aber im 21. Jahrhundert geht nun einmal alles so rasend schnell voran – wurde der Brennstoff getankt, bevor die menschliche Fracht an Bord ging, aber SpaceX hat das und viele andere Dinge geändert. Es gibt keine manuelle Flugsteuerung im früheren Sinne mehr, nur die omnipräsenten Touchscreens, und eigentlich schmeißt Becky den gesamten Laden. (Gwendy hofft nur, dass es sich bei der Beckerin nicht um eine weibliche Version von HAL-9000 handelt.) Lundgren und Drinkwater sind im Grunde genommen nur für das da, was Kathy als den gefürchteten Ach-du-heilige-Scheiße-Moment bezeichnet. Tatsächlich kommt Dave Graves eine wichtigere Rolle zu; falls Becky einen Nervenzusammenbruch erleidet, kann er die Sache richten. Wahrscheinlich. Hoffentlich.

»Helme«, sagt Sam Drinkwater und setzt sich seinen auf. »Gebt mir euer Roger.«

Einer nach dem anderen bestätigen sie das alle. Für einen Augenblick kann Gwendy sich nicht erinnern, wo die Verschlüsse sind, aber dann dämmert es ihr, und sie lässt alles einrasten.

»T minus 27«, lautet Beckys Durchsage. »Systeme stabil.«

Gwendy schielt zu Winston hinüber und empfindet eine grimmige Freude beim Anblick, dass ein Teil seiner schwerstreichen Typen nicht selten eigenen Jovialität offenbar flöten gegangen ist. Er schaut aus dem Bullauge in den blauen Himmel und auf eine Ecke des Mission-Control-Gebäudes. Gwendy kann auf seiner fleischigen Wange einen roten Fleck erkennen, doch sonst wirkt er sehr bleich. Vielleicht geht ihm gerade durch den Kopf, dass all das am Ende doch keine so gute Idee war.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, wendet er sich ihr zu und streckt die Daumen nach oben. Gwendy erwidert die Geste.

»Haben Sie Ihre Spezialkiste gut verstaut?«, fragt Winston.

Gwendy hat den kleinen Koffer hinter die Beine geschoben, wo er nicht davonsegeln kann, solange sie es selbst nicht tut. Aber sie ist ja mit einem Fünfpunktgurt sicher festgeschnallt, wie ein Kampfjetpilot.

»Startklar.« Und dann fügt sie hinzu, wenngleich sie nicht mehr genau weiß, ob der Satz an dieser Stelle Sinn ergibt (falls er überhaupt Sinn ergibt): »Klar und deutlich.«

Winston grunzt und schaut wieder durchs Fenster.

Links neben ihr hat Adesh die Augen geschlossen. Seine Lippen bewegen sich leicht, mit ziemlicher Sicherheit im Gebet. Gwendy würde es ihm gern gleichtun, hat aber schon lange kein festes Gottvertrauen mehr. Dennoch ist da definitiv etwas. Davon ist sie überzeugt, weil sie unmöglich glauben kann, irgendeine irdische Macht habe den seltsamen Apparat erschaffen, der gegenwärtig in einem Stahlkoffer steckt, der nur mit einem siebenstelligen Code geöffnet werden kann. Auf die Frage, warum das Ding ausgerechnet in ihren Händen gelandet ist, kennt sie zumindest einen Teil der Antwort. Warum man ihr diese Last während der frühen Phasen einer Alzheimer-Demenzerkrankung aufbürdet, ist weniger begreiflich. Außerdem ist es furchtbar unfair, geradezu absurd, doch seit wann hat ein Menschenleben schon viel mit Fairnessfragen zu tun? Als Hiob nach Gott schrie und ihn anklagte, fiel die Reaktion des Allmächtigen reichlich kühl aus: Wo warst du, als ich die Erde gründete?

Was soll’s, denkt Gwendy. Aller guten Dinge sind drei, das letzte Mal zahlt sich aus. Ich werde tun, was ich tun muss, und so lange bei Verstand bleiben wie nötig. Das habe ich Farris versprochen, und ich halte meine Versprechen stets.

Wenigstens ist ihr das bislang immer gelungen.

Wenn es die unschuldigen Menschen um mich herum nicht gäbe, denkt sie, überwiegend gute Menschen, mutige Menschen, hingebungsvolle und leidenschaftliche Menschen (vielleicht mit Ausnahme von Gareth Winston), dann wünschte ich fast, wir würden auf der Startrampe oder in fünfzig Kilometer Höhe explodieren. Das würde sämtliche Probleme erledi…

Abgesehen davon, dass das nicht stimmte; wieder etwas, was ihrem zunehmend unzuverlässigen Hirn entfallen war. Laut Richard Farris, dem Urheber all ihres Elends, würde es keinesfalls sämtliche Probleme lösen, genauso wenig, wie sämtliche Probleme erledigt wären, wenn man den gottverdammten Wunschkasten mit Steinen beschweren und im Marianengraben versenken würde.

Nur der Weltraum kam infrage. Nicht nur unendliche Weiten jenseits der bekannten Grenzen, sondern auch ultimative Ödnis.

Gib mir Kraft, betet Gwendy zu jenem Gott, dessen Existenz sie in hohem Maße bezweifelt. Wie als Antwort teilt...

Erscheint lt. Verlag 9.5.2022
Reihe/Serie Gwendy-Reihe
Gwendy-Reihe
Übersetzer Sven-Eric Wehmeyer
Sprache deutsch
Original-Titel Gwendy’s Final Task
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2022 • Atomrakete • castle rock • Demenz • Der Dunkle Turm • eBooks • Fantasy • Neuerscheinung • Raumstation • Spacewalk • Stephen Kings Maine
ISBN-10 3-641-29150-X / 364129150X
ISBN-13 978-3-641-29150-1 / 9783641291501
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