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Das unglaubliche Leben des Wallace Price (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
480 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-27544-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das unglaubliche Leben des Wallace Price - T. J. Klune
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Der erfolgsverwöhnte Anwalt Wallace Price kennt nur drei Dinge: Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit. Es kommt ihm daher äußerst ungelegen, als er eines Tages tot umfällt und in der Zwischenwelt landet. Dort erwartet ihn der Wächter Hugo, der Wallace auf seine Reise ins Jenseits vorbereiten soll. Doch Wallace ist noch nicht bereit, und so wird ihm Zeit gewährt, um seine Angelegenheiten zu ordnen. Zeit, in der Wallace den wahren Sinn des Lebens entdeckt. Und die Liebe findet ...

Im Alter von sechs Jahren griff T. J. Klune zu Stift und Papier und schrieb eine mitreißende Fanfiction zum Videospiel »Super Metroid«. Zu seinem Verdruss meldete sich die Videospiel-Company nie zu seiner verbesserten Variante der Handlung zurück. Doch die Begeisterung für Geschichten hat T. J. Klune auch über dreißig Jahre nach seinem ersten Versuch nicht verlassen. Nachdem er einige Zeit als Schadensregulierer bei einer Versicherung gearbeitet hat, widmet er sich inzwischen ganz dem Schreiben. Für die herausragende Darstellung queerer Figuren in seinen Romanen wurde er mit dem Lambda Literary Award ausgezeichnet. Mit seinem Roman »Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte« gelang T. J. Klune der Durchbruch als international gefeierter Bestsellerautor.

ZWEI


Seine Beerdigung war nur spärlich besucht. Wallace war nicht erfreut. Er war nicht einmal sicher, wie er hierhergekommen war. Im einen Moment hatte er noch auf seinen Körper gestarrt. Dann hatte er geblinzelt und sich irgendwie vor einer Kirche wiedergefunden, die Türen standen offen, und die Glocken läuteten. Das große Schild vor der Kirche machte die Sache auch nicht besser. FEIERLICHE ZUSAMMENKUNFT ZUM GEDENKEN AN WALLACE PRICE, stand da. Das Schild gefiel ihm nicht, wenn er ehrlich war. Nein, es gefiel ihm ganz und gar nicht. Vielleicht konnte ihm drinnen jemand sagen, was zum Teufel hier vorging.

Er hatte auf einer Bank im hinteren Teil Platz genommen. Diese Kirche war alles, was er hasste: prunkvoll, mit großen bemalten Glasfenstern und mehreren Versionen von Jesus in verschiedenen Stadien des schmerzvollen Leidens, die Hände an ein Kreuz genagelt. Eines der Kreuze war aus Stein, wie es schien. Zu Wallace’ Entsetzen schien sich niemand daran zu stören, dass die prominente Figur, die überall in der Kirche zu sehen war, ausgerechnet in ihrem Todeskampf dargestellt wurde. Er würde Religion nie verstehen.

Er wartete darauf, dass noch mehr Leute eintrafen. Auf dem Schild vor der Tür stand, die Beerdigung würde pünktlich um neun Uhr beginnen. Laut der dekorativen Uhr an der Wand (ein weiterer Jesus, dessen Arme als Zeiger fungierten, wodurch der Betrachter wohl daran erinnert werden sollte, dass Gottes eingeborener Sohn ein Verrenkungskünstler gewesen war) war es fünf vor neun, und es waren nur sechs Leute in der Kirche.

Wallace kannte fünf von ihnen.

Die erste war seine Ex-Frau. Ihre Scheidung war eine bittere Angelegenheit gewesen, voller haltloser Anschuldigungen auf beiden Seiten. Ihre Anwälte hatten sie kaum davon abhalten können, sich anzuschreien, wenn sie sich am Tisch gegenübersaßen. Sie musste hergeflogen sein. Schließlich war sie ans andere Ende des Landes gezogen, um von ihm wegzukommen. Er nahm es ihr nicht übel.

Größtenteils.

Sie weinte nicht. Aus Gründen, die er selbst nicht genau erklären konnte, war Wallace verärgert darüber. Sollte sie nicht schluchzen?

Die bekannten Gesichter zwei, drei und vier gehörten seinen Partnern aus der Anwaltskanzlei Moore, Price, Hernandez & Worthington. Er wartete darauf, dass weitere Firmenmitglieder dazustießen. Schließlich hatte sich MPH&W seit der Gründung vor zwanzig Jahren vom einfachen Garagenbüro zu einer der mächtigsten Kanzleien im gesamten Staat entwickelt. Zumindest erwartete er seine Assistentin Shirley, wie sie mit verschmiertem Make-up und einem Taschentuch in der Hand wimmerte, sie wisse nicht, wie sie ohne ihn weitermachen solle.

Sie war nicht anwesend. Wallace konzentrierte sich voll und ganz auf sie, wollte mit schierer Willenskraft erzwingen, dass Shirley auftauchte und jammerte, wie ungerecht das alles war. Dass sie einen Chef wie Wallace brauchte, um ihr den rechten Weg zu weisen. Nichts geschah, und Wallace runzelte die Stirn. Ein unbehagliches Gefühl spukte durch seinen Hinterkopf.

Die Partner versammelten sich im hinteren Teil der Kirche, in der Nähe von Wallace’ Bank, und unterhielten sich leise. Wallace hatte es aufgegeben, sie darauf hinzuweisen, dass er immer noch da war und direkt vor ihnen saß. Sie konnten ihn nicht sehen. Sie konnten ihn nicht hören.

»Ein trauriger Tag«, sagte Moore.

»Sehr traurig«, stimmte Hernandez zu.

»So schlimm«, sagte Worthington. »Arme Shirley, dass sie ihn so finden musste.«

Die Partner hielten inne, blickten zum Vorderteil der Kirche und verneigten sich respektvoll, als Naomi ihren Blick erwiderte. Sie grinste abfällig und drehte sich wieder um.

Dann:

»Das gibt einem zu denken«, sagte Moore.

»Das tut es«, stimmte Hernandez zu.

»Absolut«, bestätigte Worthington. »Es bringt einen zum Nachdenken. Über eine Menge Dinge.«

»Du hast noch nie in deinem Leben einen eigenständigen Gedanken gehabt«, sagte Wallace zu ihm.

Sie schwiegen einen Moment lang, und Wallace war sicher, dass sie gerade in ihren schönsten Erinnerungen an ihn schwelgten. Gleich würden sie liebevoll erzählen: jeder eine kleine Geschichte über den Mann, den sie ihr halbes Leben lang gekannt hatten, und über den Einfluss, den er auf sie gehabt hatte.

Vielleicht würden sie sogar die eine oder andere Träne vergießen. Er hoffte es.

»Er war ein Arschloch«, sagte Moore schließlich.

»Und was für eines«, stimmte Hernandez zu.

»Das größte von allen«, sagte Worthington.

Alle lachten, versuchten aber, ihre Heiterkeit zu unterdrücken, damit das Geräusch nicht von den Wänden widerhallte. Wallace war vor allem über zwei Dinge schockiert: Erstens hatte er nicht gewusst, dass man in der Kirche lachen durfte, schon gar nicht während einer Beerdigung. Er dachte, das müsse irgendwie illegal sein. Andererseits war er seit Jahrzehnten nicht mehr in einer Kirche gewesen. Möglicherweise hatten sich die Regeln inzwischen geändert. Zweitens: Wie kamen sie dazu, ihn ein Arschloch zu nennen? Er war enttäuscht, als sie nicht sofort vom Blitz erschlagen wurden. »Zerschmettere sie!«, schrie er und funkelte die Decke an. »Zerschmettere sie jetzt … sofort …« Er hielt inne. Warum hallte seine Stimme nicht?

Moore, der offenbar beschlossen hatte, dass die Trauerzeit vorbei war, sagte: »Habt ihr gestern Abend das Spiel gesehen? Mann, Rodriguez war in Höchstform. Ich konnte kaum fassen, wie sie das Spiel noch gedreht haben.«

Und dann waren sie weg und redeten über Sport, als läge ihr ehemaliger Partner nicht in einem siebentausend Dollar teuren Sarg aus massiver Rotkirsche in der Kirche aufgebahrt, die Arme vor der Brust verschränkt, die Haut blass, die Augen geschlossen.

Wallace drehte sich ruckartig nach vorne, die Kiefer zusammengepresst. Sie hatten gemeinsam Jura studiert und beschlossen, gleich nach dem Abschluss eine Kanzlei zu gründen, sehr zum Entsetzen ihrer Eltern. Am Anfang waren er und seine Partner Freunde gewesen, jung und idealistisch. Doch im Lauf der Jahre waren sie mehr als nur Freunde geworden: Sie waren Kollegen geworden, was für Wallace viel wichtiger war. Er hatte keine Zeit für Freunde. Er brauchte keine. Er hatte seinen Job im dreißigsten Stock des größten Wolkenkratzers der Stadt, seine importierten Büromöbel und eine zu große Wohnung, in der er sich kaum aufhielt. Er hatte alles gehabt, und jetzt …

Tja.

Wenigstens war es ein teurer Sarg. Auch wenn Wallace seit seiner Ankunft vermieden hatte, ihn anzusehen.

Die fünfte Person in der Kirche kannte er nicht. Es war eine junge Frau mit wirrem, kurz geschnittenem schwarzem Haar. Dunkle Augen über einer schmalen Himmelfahrtsnase, darunter blasse, dünne Lippen. Ihre Ohren waren durchstochen, die kleinen Ohrstecker glitzerten im Sonnenlicht, das durch die Fenster hereinfiel. Sie trug einen eleganten schwarzen Nadelstreifenanzug, und ihre Krawatte war leuchtend rot. Eine Powerkrawatte, wie sie im Buche stand. Wallace war erfreut. Alle Krawatten, die er besaß, waren Powerkrawatten. Nein, im Moment trug er keine davon. Anscheinend trug man nach dem Tod immer das, was man als Letztes angehabt hatte, bevor man abgekratzt war. Es war wirklich bedauerlich, dass er offenbar an einem Sonntag in seinem Büro verstorben war. Wallace war kurz hingefahren, um sich auf die kommende Woche vorzubereiten, hatte sich eine Jogginghose und ein altes Rolling-Stones-T-Shirt übergestreift und seine Flip-Flops angezogen, weil er wusste, dass niemand da sein würde.

Und genau das trug er jetzt, sehr zu seinem Missfallen.

Die Frau blickte in seine Richtung, als hätte sie ihn gehört. Wallace kannte sie nicht, aber er nahm an, dass er irgendwann einmal in ihr Leben getreten sein musste, wenn sie hier war. Vielleicht war sie eine dankbare Klientin von ihm gewesen. Nach einer gewissen Zeit konnte er all die Menschen nicht mehr auseinanderhalten. Vielleicht war es also das. Wahrscheinlich hatte er in ihrem Namen ein großes Unternehmen wegen heißen Kaffees oder Schikane verklagt – irgendwas – und eine hohe Abfindung für sie herausgeholt. Natürlich war sie voller Dankbarkeit. Wer wäre das nicht?

Moore, Hernandez und Worthington schienen gütigerweise beschlossen zu haben, dass ihre angeregte Unterhaltung über ein Sportereignis ebenso gut ein andermal fortgeführt werden konnte. Sie gingen an Wallace vorbei, ohne auch nur einen Blick in seine Richtung zu werfen, zum Vorderteil der Kirche, alle mit ernster Miene. Sie ignorierten die junge Frau im Anzug und stellten sich stattdessen zu Naomi. Einer nach dem anderen beugte sich zu ihr hinunter, um ihr sein Beileid auszusprechen. Naomi nickte. Wallace wartete auf ihren Weinkrampf. Er war sicher, dass er einem Dammbruch gleichen würde.

Jeder der Partner nahm sich Zeit, eine Weile mit gesenktem Haupt vor dem Sarg zu stehen. Das unbehagliche Gefühl, das Wallace erfüllte, seit er sich draußen vor der Kirche wiedergefunden hatte, wurde stärker. Wie ein grässlicher Missklang. Hier saß er nun, im hinteren Teil der Kirche, und starrte zum vorderen Teil, wo er selbst in einem Sarg lag. Wallace gab sich nicht der Illusion hin, ein gut aussehender Mann zu sein. Er war zu groß, zu schlaksig, und seine garstig kantigen Wangenknochen ließen sein blasses Gesicht umso hagerer erscheinen. Einmal, auf einer Halloween-Party in der Firma, war eine Gruppe von Kindern ganz entzückt gewesen über sein Kostüm. Ein besonders keckes Mädchen hatte...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2022
Übersetzer Michael Pfingstl
Sprache deutsch
Original-Titel Under the Whispering Door
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2022 • eBooks • Fantasy • gay romance • Humor • Jenseits • Leben nach dem Tod • lustig • lustige • Mr. Parnassus Heim für magisch Begabte • Neuerscheinung • Queere Fantasy • SPIEGEL-Bestsellerautor • Urban Fantasy
ISBN-10 3-641-27544-X / 364127544X
ISBN-13 978-3-641-27544-0 / 9783641275440
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