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Die Entdeckung des Selbst (eBook)

Wie Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard die Philosophie revolutionierten
eBook Download: EPUB
2022
320 Seiten
Karl Blessing Verlag
978-3-641-24268-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Entdeckung des Selbst - Eberhard Rathgeb
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Im 19. Jahrhundert wurde die Welt von der Industrialisierung, dem Druck der Masse und politischen Kämpfen erschüttert, doch Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard stellten mit radikalem Eigensinn das Selbstgefühl in das Zentrum ihres Schaffens: Werde, der du bist. In ihren Werken, die die System-und Schulphilosophie über den Haufen warfen, verbinden sich individuelle Lebenserfahrungen und Gedanken zu einer bis dahin ungekannten Einheit. Die Schatztruhe der Subjektivität, die Schopenhauer, Nietzsche und Kierkegaard auf je eigene Weise fanden, geriet im 20. Jahrhundert in die Hände der Psychologen. Das Ich verlor dadurch seinen aristokratischen Glanz.

Dieses Buch stellt die Verbindung zwischen den drei Außenseitern her und zeigt, dass ihre Werke uns heute im Zuge der Identitätsdebatten viel zu sagen haben.

'Ein sehr anschauliches, sehr lebendiges Buch.' Jürgen Kaube, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Eberhard Rathgeb lebt als Schriftsteller in Norddeutschland. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ihrer Berliner Sonntagsausgabe. 2013 erhielt er den aspekte-Literaturpreis für seinen Debütroman »Kein Paar wie wir«. 2016 erschien bei Blessing sein viel gelobtes Sachbuch »Am Anfang war Heimat. Auf den Spuren eines deutschen Gefühls«. 2019 folgte 'Zwei Hälften des Lebens. Hegel & Hölderlin. Eine Freundschaft'.

Arthur Schopenhauer wurde am 22. Februar 1788 in Danzig geboren, in einer freien Stadt, die bald nach seiner Geburt an Preußen und die Hohenzollern fallen sollte. Der Vater, Heinrich Floris Schopenhauer, war ein wohlhabender Kaufmann. Er war Protestant, gab seinem Sohn den Namen Arthur, weil dieser Name in vielen Sprachen ähnlich ausgesprochen wurde, ein Vorteil für den zukünftigen Kaufmann, und ließ den Sohn protestantisch taufen. Am 20. April 1805 stürzte das Familienoberhaupt vom Dachspeicher seines Hauses und starb. Es konnte ein Unfall gewesen sein. Da er unter Depressionen litt, lag die Vermutung nahe, dass er Selbstmord begangen habe.

Er ließ eine Ehefrau, Johanna Schopenhauer, einen Sohn und eine Tochter, Adele Schopenhauer, zurück. Die Familie musste die Zukunft jetzt selbst in die Hand nehmen. Diese Aufgabe brachte nicht nur Nachteile mit sich. Mit dem Tod des Vaters begann das selbstbestimmte Leben des Sohnes. Er konnte den beruflichen Weg, den der Vater ihm mit patriarchalischer, vielleicht auch fürsorglicher Geste vorgezeichnet hatte, verlassen und sich den eigenen Interessen widmen.

Die Mutter besaß einen ausgeprägten Realitätssinn, war zupackend und intelligent, sie hielt mit ihrer Meinung nicht zurück und gab gerne Ratschläge, wie das Leben zu meistern sei. Sie sah mit einem gewissen Kummer, dass dem Sohn, wie sie ihm am 28. April 1807 aus Weimar schrieb, der frohe Sinne der Jugend gefehlt und er sich damals, wie der Vater, in schwermütigen Grübeleien verloren habe. »Das Ungeheuer Alltäglichkeit«, schrieb er ihr am 8. November 1806, »drückt alles nieder was emporstrebt. Es wird mit nichts Ernst im Leben, weil der Staub es nicht werth ist.« Der Teenager schwor, wie alle Teenager, denen die Decke auf den Kopf fällt, auf die erlösende Kraft der Musik: »Die Pulsschläge der göttlichen Tonkunst haben nicht aufgehört zu schlagen durch die Jahrhunderte der Barbarei und ein unmittelbarer Widerhall des Ewigen ist uns in ihr geblieben, jedem Sinn verständlich und selbst über Laster und Tugend.«14

Arthur Schopenhauer in jungen Jahren

Der Vater hatte den Sohn zum Kaufmann bestimmt. Der Wunsch entsprach dem Brauch. Väter übergaben ihr Geschäft den Söhnen. Arthur Schopenhauer fühlte sich verkannt und gefangen. Die Mutter stand auf der Seite des Sohnes, sie wusste aus eigener Erfahrung, was es hieß, ein Leben zu führen, das den inneren Impulsen und Wünschen widerstrebte. Durchsetzen konnte sie sich gegenüber dem Ehemann nicht.

Ein »Brief an den Vater«, wie Kafka ihn schrieb, ist von Schopenhauer nicht überliefert. Er wollte auf ein Gymnasium gehen, und nicht in die Lehre. Der Vater wusste seine Interessen geschickt durchzusetzen. Er stellte den Sohn vor die Alternative, entweder mit den Eltern durch Europa zu reisen oder allein zu Hause zu bleiben und das ersehnte Gymnasium zu besuchen. Der Sohn setzte sich mit den Eltern 1803 in eine Kutsche und erlernte danach den Beruf des Vaters. In England musste er sich von der Mutter ermahnen lassen, nicht so viel Schiller zu lesen, ja die Kunst einmal ganz beiseitezulegen. Mit fünfzehn Jahren gelte es, endlich den Ernst des Lebens kennenzulernen. Sie teilte seinen Sinn für das Schöne, ihr Erbteil, wie sie glaubte, aber in der Welt, wo der Nutzen regierte, bestand ihrer Ansicht nach kein Geist, wenn er sich in die Dichtung und in die Künste verlor.

Kaum war der Vater tot, brach der Sohn die ungeliebte Kaufmannslehre ab und ging, unterstützt von der Mutter, auf das Gymnasium, das das Tor zur Universität öffnete. In Göttingen begann er 1809 mit dem Studium der Medizin. Er wechselte zur Philosophie und nach Berlin, wo er Johann Gottlieb Fichte hörte. Anfang Oktober 1813 machte er in Jena seinen Doktor mit einer Arbeit Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Vom Krieg seiner Landsleute gegen Napoleon hielt sich der junge Mann fern. Er wollte lieber seinen friedlichen Gedanken als dem blutigen Kriegshandwerk dienen. Das Jahr der Befreiungskämpfe ging im späten Oktober 1813 mit der Völkerschlacht bei Leipzig zu Ende, bei der Napoleons Armee geschlagen wurde.

Sein Leben lang lebte Schopenhauer vom väterlichen Erbe. Um sein finanzielles Auskommen musste er sich keine ernsthaften Sorgen machen, die ihn dazu getrieben hätten, unter allen Umständen einen Beruf zu ergreifen. Sein Geist war in dieser Hinsicht frei von der Knechtschaft in fremden Diensten. Sechs Jahre nach der Dissertation, im Jahr 1819, als die Karlsbader Beschlüsse in Deutschland erlassen wurden, die die Freiheit der Universitäten und die Pressefreiheit drastisch einschränkten, erschien sein Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung, dessen pessimistische Lebensanschauung sich damals wie ein Kommentar zur aktuellen politischen Lage hätte lesen lassen. Nur fand das Buch kaum einen Leser. Die Schwester tröstete ihn in einem Brief aus Danzig vom 9. November 1819 über eine in ihren Augen viel zu leichtfertige Rezension hinweg, die dem ernsten Werk nicht gerecht würde. Wichtig aber sei die Resonanz, die das Buch habe, da die Gegenwart ihn wie alle Menschen unterm Arm halte, die Auseinandersetzung mit den Zeitgenossen das Band sei, das mit dem Leben verbinde. Da sei es nicht wichtig, ob die Auseinandersetzung mit einem Sieg oder einer Niederlage ende.

Im Grunde hatte er mit diesem Erstling alles Wesentliche gesagt. Das Fundament war gegossen, der Grundriss gezogen, die Mauern standen, was folgte, war Ausbau, Anbau und Verfeinerung, Projekte, die Senioren mit praktischen Problemen zweihundert Jahre später in die Baumärkte treiben. Schopenhauer war 31 Jahre alt.

Die Reaktionen auf das große Werk waren deprimierend. Die Anerkennung, die einem Genie, für das er sich ohne Rücksprache hielt, würdig gewesen wäre, wurde ihm versagt. Erst gegen Ende des Lebens hatte das Schicksal ein Nachsehen mit ihm, und er wurde berühmt. Der Griesgram muss jetzt zum ersten Mal gelächelt haben. Er lebte ohne Ehefrau und Kinder, hatte aber Geliebte, eine bekam ein Kind von ihm, das früh starb.

Ihn hielt kein Amt, kein Beruf, er unternahm Reisen nach Italien, das klassische Ziel deutscher Autoren. Mit der Mutter, die nach dem Tod des Vaters nach Weimar zog, dort einen Salon eröffnete und eine bekannte Schriftstellerin wurde, zerstritt er sich bis aufs Blut. Als sie im Krieg gegen Napoleon, der durch die Schlacht bei Jena und Auerstedt 1806 ganz nahe gerückt war, durch Hilfsbereitschaft und Mut glänzte bei der Bewältigung der französischen Zwangseinquartierungen und der Verpflegung der vielen Verwundeten, hatte sie die Weimarer bessere Gesellschaft für sich gewonnen. Nachdem die verwundeten Soldaten endlich aus Weimar wegtransponiert worden waren, atmete sie mit der ganzen Stadt erleichtert auf. Die Bewohner hatten den Verletzten geholfen, so gut sie es vermochten, aber selber unter dem fürchterlichen Leid, dem nicht abzuhelfen war, gelitten und es nicht mehr viel länger ertragen wollen. Die dramatischen Vorgänge damals hat sie in einem langen bewegenden Brief geschildert, ein eindrückliches Prosastück, das einen klaren und umsichtigen Geist und ein von unmittelbarer Anteilnahme und gerechten Empfindungen volles Herz verrät. Den Sohn, der in ihren Augen leider ein elender Querulant und Besserwisser war, warf sie 1814 aus dem Haus. Seit 1833 wohnte er in Frankfurt am Main, ein Klatschnest, wie sie ihn aus Bonn am 12. August 1833 wissen ließ, und ging jeden Tag zur Mittagszeit ins Restaurant. Schon in seinen Studententagen hielt er sich einen Pudel. Er gab den Hunden immer den gleichen Namen, »Atman«, das Sanskrit-Wort für »Lebenshauch«. Die Tiere hielten das Zusammenleben mit ihm offenbar besser aus als alle Zweifüßler. In Frankfurt starb er am 21. September 1860.

Über seine Philosophie wird Schopenhauer sagen, es sei wohl kaum »irgend ein philosophisches System so einfach und aus so wenigen Elementen zusammengesetzt, wie das meinige; daher sich dasselbe mit Einem Blick leicht überschauen und zusammenfassen läßt … Man könnte mein System bezeichnen als IMMANENTEN DOGMATISMUS: denn seine Lehrsätze sind zwar dogmatisch, gehn jedoch nicht über die in der Erfahrung gegebene Welt hinaus; sondern erklären bloß WAS DIESE SEI, indem sie dieselbe in ihre letzten Bestandteile zerlegen.«15 Das hörte sich nicht an wie das Programm eines Schwärmers, der von einer Idee zur anderen zog. Hier sprach ein Grundbesitzer.

Schopenhauers Vater hatte aus dem Sohn einen lebenstüchtigen Mann machen wollen. Das ist ihm in gewisser Weise gelungen. Er wurde zwar kein Kaufmann, wie es sich der Vater gewünscht hatte, sondern ein Philosoph. Doch hat er der Welt nicht den Rücken gekehrt, eine Wendung, die aus dem Blickwinkel der Praktiker und Geschäftstüchtigen vorgezeichnet war, wenn ein junger Mann dem Drang nach Bildung und Theorie nachgab. Das philosophische System, das Schopenhauer in jungen Jahren vorlegte, diente dem Beweis, dass sich das ganze Chaos drinnen und draußen aus einem einzigen Prinzip herleiten ließ, aus einem kosmisch waltenden, alles durchdringenden Willen. Wer das Prinzip in seinem Wirken begriffen hatte, der hatte die Antwort auf alle Fragen in der Tasche. Die philosophische Souveränität, die aus dieser Einsicht sprach, schien nicht nur eine Replik auf Goethes Faust zu sein, der 1808 erschienen war und in dem der Gelehrte Faust sich den Kopf darüber zerbrach, was die Welt im Innersten zusammenhielt. Auch ein rechtschaffener Kaufmann favorisierte klare Verhältnisse und eindeutige Verträge. Mit Schopenhauers Reduktion von Komplexität auf ein einziges Prinzip wäre er...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte 19. Jahrhundert • 2022 • Außenseiter • Biografie • Biographien • Christentum • Deutsche Philosophiegeschichte • eBooks • Ende der Systemphilosophie • Identitätsfindung • Individualismus • Kopenhagen • Neuerscheinung • Patriarchat • Philosophie • Psychologie • Selbstbewusstsein
ISBN-10 3-641-24268-1 / 3641242681
ISBN-13 978-3-641-24268-8 / 9783641242688
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